KommentarGebt den Porn frei!

Die Account-Sperre von Pornhub auf Instagram setzt ein falsches Zeichen. Davon profitieren vor allem Fundamentalist:innen, die einen Feldzug gegen Pornografie führen und das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung attackieren. Auf deren Porno-feindliche Meinungsmache fallen reihenweise Nachrichtenmedien herein.

Zwei Models vor einem Loch im Zaun
Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Linkes Model: IMAGO/Panthermedia; rechtes Model: IMAGO/AddictiveStock; Zaun: IMAGO/McPhoto; Montage: netzpolitk.org

Instagram hat den Account von Pornhub gesperrt, eine der weltgrößten Pornoseiten. Auf Instagram soll der Account mehr als 13 Millionen Follower:innen gehabt haben. Gründe für die Sperre hat Instagram bislang nicht genannt. Doch längst führen fundamentalistische Porno-Feinde einen Deutungskampf um die Entscheidung – und zahlreiche Nachrichtenmedien unterstützen sie dabei.

Der Fall zeigt exemplarisch, was bei der öffentlichen Debatte um Pornografie schiefläuft und wie Medien auf Meinungsmache hereinfallen. Dahinter stecken die beharrliche Lobby-Arbeit radikaler Porno-Gegner:innen sowie tiefsitzende Tabus rund um Pornografie und Sexualität. Um all das aufzudröseln, braucht es bloß eine simple Unterscheidung: Bei Pornhub gibt es nicht nur einen Konflikt – sondern zwei.

Der erste Konflikt ist gerechtfertigt. Er handelt von Menschen, die nie auf Pornoseiten zu sehen sein wollten. Einige wurden gegen ihren Willen gefilmt. Andere waren zwar mit den Aufnahmen einverstanden, aber nicht mit deren Veröffentlichung. Wieder andere wurden gefilmt, als sie Ziel sexualisierter Gewalt waren. All das ist illegal. Der Sammelbegriff dafür ist bildbasierte, sexualisierte Gewalt. Pornhub und andere große Plattformen werden dafür kritisiert, Uploads nicht richtig überprüft zu haben.

Diesen Konflikt haben Nachrichtenmedien im Blick, wenn sie über die Instagram-Sperre von Pornhub berichten. Unter anderem Der Standard, Heise Online und Pro7 stellen diesen in den Vordergrund. Das ist zwar nicht falsch, aber es ist irreführend. Es gibt nämlich noch einen zweiten, kaum beachteten Konflikt.

Gebete für die Schließung von Bordellen

Der zweite Konflikt ist nicht gerechtfertigt. Er handelt von Menschen, die Pornografie und Sexarbeit im Allgemeinen abschaffen möchten. Sie träumen von einer Welt ohne kommerzielle, sexuelle Dienstleistungen. US-amerikanische NGOs wie „Exodus Cry“ und „NCOSE“ propagieren dieses Weltbild offen auf ihren Websites. „Exodus Cry“ ermuntert online dazu, für die Schließung von Bordellen zu beten und auf den Konsum von Pornos zu verzichten. Die NGOs vergleichen die Abschaffung sexueller Dienstleistungen mit der Abschaffung der Sklaverei. Sexarbeit und Pornografie werden hier nicht nur mit Scham besetzt, sondern auch verteufelt.

Um ihre Ziele zu erreichen, nutzen die Porno-Gegner:innen einen Trick. Sie solidarisieren sich mit den Betroffenen bildbasierter Gewalt. „Exodus Cry“ promotet fleißig die populäre Anti-Pornhub-Petition „Trafficking Hub“. Die NGOs fördern auch medienwirksame Sammelklagen von Betroffenen bildbasierter Gewalt gegen Pornhub und XVideos.

Das Handeln dieser Hardliner:innen ist nicht mit Grundrechten vereinbar. Menschen haben ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Sie dürfen Pornos schauen und selbst welche erstellen, sofern alle Beteiligten ihr Einverständnis geben und volljährig sind. Menschen dürfen auch mit Pornos Geld verdienen, das ist Berufsfreiheit.

„Sie instrumentalisieren Betroffene“

Hinter dem Einsatz für die Rechte von Betroffenen digitaler Gewalt steckt somit ein breit angelegter Kulturkampf. Und in diesem Kampf greifen die Porno-Gegner:innen zu einer geschickten Instrumentalisierung.

Der Trick wurde zwar längst durchschaut. In Deutschland setzt sich eine Gruppe um die Aktivistin Anna Nackt für die Rechte von Menschen ein, deren Aufnahmen ohne Einverständnis auf Pornoseiten kursieren. Schon im Januar hat Anna Nackt gegenüber netzpolitik.org gesagt: „Organisationen wie Exodus Cry geht es nicht um die Betroffenen. Sie instrumentalisieren die Betroffenen, um die Abschaffung von Pornografie durchzusetzen“. Auch einzelne US-Medien wie The Daily Beast und The Verge haben kritisch darüber berichtet.

Dennoch fallen viele andere Nachrichtenmedien nach wie vor auf diesen Trick herein. Das sieht man auch aktuell in Berichten über die Instagram-Sperre von Pornhub. Nachrichtenmedien zitieren einen NCOSE-Sprecher, der Pornhub mal eben als „kriminelles Unternehmen“ bezeichnet. Der Sprecher prangert an, Instagram habe geholfen, Millionen Menschen auf eine Pornoseite zu bringen.

Zwischenfrage: Ja und?

Der Vorwurf ergibt nur Sinn, wenn man den Besuch einer Pornoseite an sich für etwas Schlechtes hält. Kritisch eingeordnet wird das in den Berichten meist nur zaghaft, oft aber auch gar nicht. Doch es ist schon ein journalistischer Fehler, die Einschätzung von NCOSE überhaupt wiederzugeben. Denn fundamentale Porno-Feinde eigenen sich grundsätzlich nicht als Expert:innen.

Auch in Redaktionen gibt es unreflektierte Tabus gegenüber Pornografie. Als ich begann, über Pornoplattformen zu recherchieren, wusste ich nicht, wie meine Familie das finden würde. Ich war erleichtert, als ich gemerkt habe, dass sie das entspannt sieht. Warum sollte sie meine Arbeit auch nervös machen? Ich glaube, dafür ist das Erbe der religiösen Sexualmoral verantwortlich. Die Spuren dieses Erbes lassen sich auch heute noch in der Wortwahl journalistischer Berichte wiederfinden. Die Tageszeitung L’essentiel aus Luxemburg titelt etwa über die Instagram-Sperre von Pornhub: „Schluss mit schmutzig“.

Pornos sind kein Schmutz

Schmutz, Schmuddel, Scham. Solche Wörter zeugen von einem gar nicht mal so alten Weltbild, in dem allein ehelicher Hetero-Sex als rein gilt. Ein Weltbild, in dem sich Menschen für ihre Sexualität schämen und sich fragen, ob Onanieren blind machen könnte. Ein Weltbild, in dem Menschen Angst vor ihren eigenen Kinks haben. Ich glaube, die Sexualmoral aus dem vergangenen Jahrtausend sitzt uns allen noch im Nacken. Wie tief solche Ansichten verwurzelt sind, zeigen auch andere journalistische Beiträge, die Pornos beiläufig als Schmuddel bezeichnen.

Von Angst und Scham geprägte Ansichten über Pornografie sind in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor anschlussfähig. Die Anti-Porn-Lobby nutzt das aus. Die Aktivist:innen argumentieren damit, dass Pornos abhängig machen können und ein unrealistisches Bild von Sexualität vermitteln. Das ist mindestens irreführend. Nicht nur Pornos vermitteln oft ein unrealistisches Bild der Realität, sondern Medien generell. Um damit reflektiert umzugehen, hilft Medienkompetenz. Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es zwar sexuelle Verhaltensstörungen, bei denen unter anderem Pornokonsum eine Rolle spielen kann. Aber Pornos allein lösen die Störung weder aus noch sind sie selbst ein Suchtmittel.

Der Anti-Porn-Lobbyismus hat politische Folgen. In den USA setzen repressive Gesetze Online-Plattformen unter Druck. Plattformen sperren zunehmend Accounts von Sexarbeiter:innen. Eine Weile hat selbst OnlyFans damit gerungen, Pornografie zu sperren – dabei ist OnlyFans eben damit groß geworden. Die Folge: Betroffene Sexarbeiter:innen verlieren den Kontakt zu Kund:innen und müssen um ihr Einkommen fürchten. Zahlungsdienstleister wie Visa und Mastercard haben sich nach öffentlichem Druck von Pornhub zurückgezogen. Noch ein finanzieller Rückschlag für Menschen, die mit Pornos ihr Geld verdienen.

Pornos gehören in die Mitte der Gesellschaft

Den Feldzug gegen Pornografie gibt es auch in Europa. Unter anderem in Großbritannien, Frankreich und Deutschland werkeln Behörden an Regulierungen für Pornoseiten, die das halbe Internet in einen Überwachungsapparat verwandeln könnten. So fordert die deutsche Medienaufsicht, dass Pornoseiten die Ausweise von Abermillionen Erwachsenen kontrollieren, alles im Namen des Jugendschutzes. Ja, sie empfiehlt sogar, biometrische Gesichtskontrollen von Pornoseiten-Besucher:innen einzuführen.

Das mächtige Tabu rund um Pornografie hemmt alle Beteiligten. Pornoseiten gehören zwar zu den meistbesuchten Websites der Welt, aber kaum jemand will sich öffentlich damit beschäftigen: Politiker:innen werden kaum damit Wahlkampf machen, die Erotikbranche zu stärken. Wohl auch aus Sorge vor gewaltbereiten Porno-Hasser:innen verschleiern führende Porno-Manager:innen ihre Identität. Sexarbeiter:innen äußern sich zurückhaltend, meist nur unter Pseudonym. Pressestellen von Pornoplattformen reagieren knapp oder gar nicht auf Anfragen von Journalist:innen. So wird das nichts.

Man kann die Praktiken von Pornoseiten kritisieren, ohne Pornografie zu verteufeln. Instagram sollte den Pornhub-Account wieder freigeben. Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft müssen mangelhafte Inhalte-Moderation und prekäre Arbeitsbedingungen offen und konstruktiv diskutieren. Auf Einverständnis basierende Pornografie gehört in die Mitte der Gesellschaft.

Update, 20:25 Uhr: Pornhub hat sich inzwischen auf Anfrage von netzpolitik.org geäußert. Der Instagram-Account von Pornhub sei vorübergehend deaktiviert worden, was in der Vergangenheit schon oft geschehen sei. Instagram beschränke Inhalte der Erotikbranche mit übermäßiger Vorsicht. „Eine Tatsache, mit der Tausende von Erotikdarsteller:innen jeden Tag zu kämpfen haben, obwohl sie nicht gegen die Nutzungsbedingungen von Instagram verstoßen“, schreibt der Pornhub-Sprecher auf Englisch. „Wir freuen uns darauf, dass unser Konto wieder aktiviert wird, so wie es immer der Fall war.“

15 Ergänzungen

  1. Ich denke das kommt Pornhub doch gerade Recht, wenn da ein Fass aufgemcht wird bzw. „getrommelt“ wird in den Sozialen Medien, den Printmedien und den Nachrichten und dem Klatsch und Tratsch weltweit…
    Das so wie mit dem Lied „Layla“ was der Oberbürgermeister in Würzburg beim Volksfest verboten hat und das deutschlandweit bzw. Europaweit Wellen geschlagen hat….
    Schlussendlich hat es jeder mitgesungen, selbst die – die bis dato nix von dem Lied wussten…. die Downloads schossen nach oben, das Lied war in den Top 10 Songs, verkaufte sich sicher besser wie „gschnitten Brot“…

    Letztlich kann so ein Medienereignis wie „Instagram sperrt Pornhub“ besagtem Pornhub sicherlich viele Incomings in Form von $$$ bringen.
    So meine Meinung

  2. Es gibt so gut wie keinen gesetzlichen Schutz für Pornographie, damit hat der Hass auf Pornographie einen Freibrief.

    Den Fundamentalisten geht es nicht um Pornographie, sondern um den Hass, dafür ist jedes Mittel recht, von der Hautfarbe über das Geschlecht bis zur sexuellen Orientierung.

    Ponors gehören nicht in die Mitte der Gesellschaft, sondern sollten endlich das sein was es immer war, Kultur und Kunst.

  3. Man sollte noch ergänzen, dass in verschiedenen Schichten Pornos direkt mit Kinderpornos gleichgesetzt werden, mit einem gefühlten Peak bei Frauen und Müttern. Die verschiedenen Kinderhilfsorganisationen fallen auch nicht gerade dadurch auf, dass Sie differenzieren. Für einige scheinen alle unter 25 Kinder zu sein. (Gut, das kann man so sehen, wenn man die Spät-Adoleszenzphase dazu nimmt. Dann muss man aber auch die Volljährigkeit wieder hochsetzen.)

    1. Bei Hentai denken nicht nur Frauen und Mütter so. Nicht nur gibt es einen soliden Anteil Menschen, die (geschlechtsunabhängig) Manga/Anime grundsätzlich für Pornografie halten, ohne sich jemals damit genauer befasst zu haben. Auch viele, die zumindest diesen Unterschied kennen, assoziieren Etchi/Hentai instinktiv mit Loli-/Shotacon („Kinderpornografie“). Und je mehr man als „Eingeweihter“ versucht, ihnen den Unterschied zu erklären, desto häufiger muss man feststellen, dass viele, die so denken, überhaupt kein Interesse an Aufklärung und Differenzierung haben. Es ist schließlich auch ein bequemer Weg, andere Menschen (die so etwas produzieren und/oder konsumieren), ab- und sich selbst somit aufzuwerten.

  4. Ich finde etwas anderes erwähnenswert… wie YouTube, Twitch, Instagram und Co unsere Meinung bestimmten. Alle Plattformen sind als „Social Media“ Teil des Alltags, ob man es will oder nicht. Wird meinem Sohn also der Account gesperrt, hat er Nachteile im Freundeskreis. Das alles kann man finden wie man will, aber wie kann Instagram darüber entscheiden, was stattfindet, wenn es nicht mehr um eine kleine Plattform, sondern eine Art von moderner Kultur geht?

    Das gilt für YouTube, Twitch und co auch. Gerade Twitch und YouTube haben ja klare Regeln, was gezeigt werden darf und was nicht. Was soweit klar ist, wenn verboten, wird unklar, wenn es schwammig wird oder nur dienen soll, Accounts willkürlich entfernen zu können.

    Für mich ist der Skandal also… warum kann Instagram einfach den Account löschen. Ich gehe nicht davon aus, dass die so dumm waren dort etwas „illegales“ zu zeigen. Also geht es allein um den Kontext, der wahrscheinlich in den AGB verboten wird. Aber darf er das in einer Zeit, wo Instagram zum Alltag dazugehört? Darf eine Plattform dann bestimmten, was okay ist und was nicht? Muss nicht jeder das Recht haben zu veröffentlichen, solange es legal im Sinne des Landes ist?

    1. „Aber darf er das in einer Zeit, wo Instagram zum Alltag dazugehört? Darf eine Plattform dann bestimmten, was okay ist und was nicht? “

      Zur zweiten Frage Ja, und damit zum logischen Schluß, das man einen schöneren Alltag hat, wenn man Instagram nicht benutzt.

      Plattformen sind ja deshalb so beliebt, weil damit eine zentrale Kontrolle existiert die Öffentlichkeit einzuschränken (also beliebt bei den Kontroll-Freaks). Der Sinn des Internet; Anbieter:Innen und Nutzer:Innen zu verbinden OHNE zentrale Kontrolle ist irgendwo verloren gegangen (worden). Und speziell die Digital Natives (also die Generation die mit dem „Internet“ aufgewachsen ist), haben das nicht mehr gelernt.

    2. „Darf eine Plattform dann bestimmten, was okay ist und was nicht? “
      Der Wind weht schon, so wie dass man erkennt, welche Plattform ein Gatekeeper ist und/oder sein soll. Ich vermute, dass auch in den USA irgendwann Teilhabe u.ä noch geregelt werden.

      Zumindest kann man berits jetzt u.U. bzgl. „free speech“ oder Sperrungen, die nicht in den AGB explizit +/- begründet sind, klagen.

      „Im Fluss“ würde ich das nennen, im Zweifel wie oben von Mr. Engstrand kommentiert.

  5. Diesem Kommentar kann ich mich anschließen. Pornografie als Schmuddelkram anzusehen sollte endlich aus den Köpfen verschwinden.

    Pornografie ist nicht nur nicht schmutzig, sie kann sogar Kunst oder zumindest Teil der Kultur sein.

    Auf dem Filmportal Letterboxd ist letztes Jahr dieser Essay einer amerikanischen Filmhistorikerin erschienen, die darin analysiert, welche bedeutsame Rolle Pornografie in der Geschichte des Queer Cinema und der Schwulenbewegung eingenommen hat.
    https://letterboxd.com/journal/all-the-good-boys/

    Und in diesem Artikel beschreibt der französische Regisseur Yann Gonzalez sehr anschaulich, wie ihm Pornografie mit 13 Jahren bei der Selbstfindung als schwuler Jugendlicher geholfen hat.
    https://letterboxd.com/journal/vhs-queens-yann-gonzalez/

  6. Es gibt ein ganz spezielles Spektrum von Pornografie, welches je nach Kontext und Stil als „Etchi“/„Hentai“ (japanisch 変態 für „Abartigkeit“, „pervers“) oder „Rule 34“ (“If it exists, there is porn of it. No exceptions.”) bezeichnet wird. Während ersteres speziell im japanischen Manga-/Anime-Stil gehaltene, meist handgezeichnete Pornografie bezeichnet, steht letzteres für das Meme, dass sich im Internet zu jeder fiktiven Figur, jedem fiktiven Franchise Porno-Parodien finden lassen, die ebenfalls handgezeichnet oder auch computeranimiert sein können.

    All diesen Genres ist gemeinsam, dass sie ohne das Zeigen echter Darstellerinnen auskommen und damit auch ihrer Natur nach keine echten Missbrauchsopfer können. Wer lediglich Betroffene von Missbrauch schützen will, den sollte derartige Pornografie demnach nicht weiter stören.

    Nur werdet ihr es schon ahnen: Selbstverständlich nehmen weder Organisationen, die unter dem Deckmantel des Opferschutzes gegen Pornografie allgemein kämpfen, noch die Medien, die darüber berichten, genau diese Unterscheidung vor. Weil es eben nicht um Opferschutz geht, sondern um die Durchsetzung einer reaktionären, neopuritanischen und häufig religiös motivierten Sexualmoral.

    Am kritischsten ist, dass der Staat diese Unterscheidung häufig ebenfalls nicht vornimmt, obwohl, wie von zahlreichen Verfassungsrechtlern betont, vieles darauf hindeutet, dass das Verbot rein fiktiver Darstellungen ohne Opfer nicht verfassungskonform und sogar kontraproduktiv ist. Aktuelles Beispiel aus Italien: Bei der neuesten Verschärfung des Sexualstrafrechts zur Bekämpfung von Kinderpornografie werden rein fiktive Darstellungen wie japanische Hentai etc. explizit mit eingeschlossen. Quelle: https://verfassungsblog.de/child-protection-sexuality-and-feindstrafrecht/

    Diese Verbote sind genauso wenig evidenzbasiert wie Chatkontrolle, Staatstrojaner und (wie gestern erst wieder von Innenministerin Faeser gefordert) Vorratsdatenspeicherung, vor deren Hintergrund man diese Entwicklung hin zum Feldzug gegen jegliche Pornografie besonders aufmerksam beobachten sollte.

  7. An den Autor mit den chinesischen Nickzeichen: Japp So ist es!

    Dennoch: Pornographie hat es immer gegeben, ganz gleich in welcher Ausprägung. Die hirnlosen Fundamentalisten werden, egal was sie tun, keine Chance haben, der Menschheit das wie auch immer geartete Zurschaustellen sexueller Handlungen zu verbieten.
    Dazu gibt es Pornos schon zu lange. Und wenn sie nicht mehr über das Netz konsumiert werden, werden sie eben privat getauscht, so wie schon zu Vor-Internets-Zeiten.

    Und: Wieso wird bei Pornodarstellern immer von „Missbrauch“ gesprochen? Die tun das meines Wissens freiwillig, ob aus finanzieller Motivation oder Spaß am Sex. Wer es nicht möchte, kann ja „nein“ sagen und nicht mitmachen. Aber allen anderen soll und muss man den Spaß lassen.

    1. Die negativen Seiten begleiten das Genre nun mal. (Fehlende rechtzeitige Aufklärung einerseits, andererseits in verschiedenen Ländern verschiedentlicher Produktionsdruck, mit dem Risiko schlechterer Bezahlung, Abhängigkeiten, schlechterer Gesundheitsvorsorge, unabsichtliches Schlittern in die Prostitution u.ä. – das ist nicht als Räuberpistole gemeint, es sind Sachen, die natürlich passieren. Evidenz bzgl. Quantifizierung sammeln und Regeln bzw. Gegenmaßnahmen z.B. europaweit wären natürlich sinnvolle Sachen. In der EU gibt es natürlich noch konservativere Player, im Moment.)

      Ansonsten zu oben noch: Die gerenderten Animefiguren sind oft auf sehr jung gemacht, wozu man sich denken mag, was man will. Ironie ist allerdings bzgl. der Spieleplattform Steam z.B., dass Anime eher zugelassen wird, während gerenderte realistischere (offensichtlich „erwachsene“) Figuren gefühlt eher und schneller geblockt werden. Strikt gesehenist vieles nicht komplett weg, es fehlt lediglich die starke Altersverifikation „für Deutschland“. Brutalität ist natürlich kein Problem, auch dass allerlei Szenen nach 24h im deutschen Fernsehen laufen können, schreckt den Jugendschutz nicht konsistenzmäßig. Ich würde auch Nachts… naja.

      1. Auch das junge Aussehen der Figuren ist hinzunehmen. Deswegen bin ich auch strikt dagegen, dass Hentai & Co. mit entsprechenden Inhalten als „Kinderpornografie“ eingestuft und gleichermaßen kriminalisiert werden. Im Unterschied zu echten Aufnahmen gibt es keine Opfer, die durch diese Aufnahmen geschädigt werden; der häufig behauptete „Nachahmereffekt“ ist bis heute nicht empirisch belegt (und hat sich schon bei Gewaltdarstellungen in Filmen und Videospielen als Unsinn herausgestellt); der Staat schöpft nach wie vor nicht seine bereits zur Verfügung stehenden, milderen Mittel aus, um Kindesmissbrauch zu bekämpfen; und ganz allgemein sehe ich nicht, was daran verhältnismäßig sein soll, Menschen dafür, dass sie im stillen Kämmerlein rein fiktive Zeichnungen (oder gar Texte) anfertigen bzw. betrachten, und dabei niemandem schaden (außer vielleicht sich selbst), ins Gefängnis zu sperren. Die ganze Idee eines Straftatbestands, bei dem es der Natur der Sache nach keine Opfer gibt (nicht zu verwechseln mit strafbaren Versuchen), ist aus meiner Sicht verfassungswidrig. Kunstfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung sind Grundrechte, und um die einzuschränken, braucht es eine Rechtfertigung in Form einer Schutzwirkung („Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.“), und die gibt es bei einem Verbot handgezeichneter oder computeranimierter Pornos nicht. Das Verbot entsprechender Sexpuppen sehe ich genauso kritisch, weil die Begründung nicht weniger hanebüchen ist.

        Was Steam betrifft, Valve hat nach hinreichend Druck von deutschen Behörden (allen voran die Landesmedienanstalt NRW) den leichten Weg gewählt und kurzerhand sämtliche Erotikspiele aus dem deutschen Store verbannt. Seit die Store-Region nur noch durch Umzug und Verwendung eines Zahlungsmittels des entsprechenden Landes geändert werden kann, hat man auch keine Möglichkeit mehr, die Zensur per VPN zu umgehen, es sei denn, durch einen Zweitaccount und mit dem Risiko, bei Steam gebannt zu werden, da das Vortäuschen eines anderen Standorts per VPN selbstverständlich gegen die Steam-Nutzungsbedingungen verstößt. Richtig gelesen, Valve, die Firma, die bei Gamern bis heute einen götzenähnlichen Status genießt und dafür in den Himmel gelobt wird, Erotikspiele auf Steam zuzulassen und „gegen Zensur“ zu sein, zensiert lieber den deutschen Store, sls sich die Mühe zu machen, eine funktionierende Alterskontrolle, die nun wirklich eine Funktion aus dem IT-Baukasten ist, zu implementieren. Nach deutschem Recht wäre diese auch für alle anderen Spiele ab 18 erforderlich, aber Valve hat lieber die Erotikspiele verbannt und hofft, dass die Behörden dadurch bei den anderen Spielen nicht genauer hinsehen, bisher mit Erfolg.

        1. 1. Ich würde nicht alles mit „Hentai“ in einen Topf werfen, allerdings gibt es da schon Problem-chen, spätestens bei Verbreitung von Material, das von Kinderpornografie (abzüglich Definition, bzw. ohne Hentai-Kreisschluss) kaum noch unterscheidbar ist.

          2. Altersverifikation ist so einfach? Ich meine jetzt nichts diametral Inakzeptables wie Foto vom Perso oder Video von Gesicht. Da das mit dem E-Perso irgendwie nicht so real ist, dass ich eine anonyme Altersverifikation mit irgendeinem derzeit für mich relevanten Händler machen könnte, scheint der deutsche wie internationale Markt da irgendwie beschränkt zu sein. Surreal auch, die Pineingabe und Kontextanzeige einem prinzipbedingt kompromittierten System anzuvertrauen (auch nur als Option).

        2. Die Nachahmungsgefahr sieht auch die deutsche Regierung nicht und das sagte sie auch, als die Verschärfung beschlossen wurde (Drucksache 19/23707 S. 41). Die Reformkomission hat auch empfohlen die Strafbarkeit der Verbreitung zu streichen, da wie der Staat selbst zugibt keine abstrakte Gefahr ausgeht (Kripoz, Prof. Dr. Joachim Renzikowski 09.11.2020.) Wieso der Umgang mit fiktiven bis auf die Verbreitung völlig legal ist, ist für mich nicht zu erklären insb. wenn in Zukunft überal Altersverifikationen vorliegen. Das Verbreitungsverbot ist dann überhaupt nicht mehr tragbar.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.