GefechtsfeldinformationenEU-Polizei soll enger mit Geheimdiensten und Militär kooperieren

Behörden in der Europäischen Union nutzen biometrische Daten und Tatortspuren aus dem Irak und Syrien zur heimlichen Verfolgung Verdächtiger sowie zur Migrationskontrolle. Nun soll das Verfahren auf afrikanische Länder erweitert werden.

Das Foto zeigt ein Fahrzeug mit Tatortspuren und Ermittler:innen in weißen Anzügen.
Italienisches Training für irakische Behörden zur Gewinnung von Informationen an einem Tatort. – Alle Rechte vorbehalten Interpol

Seit 2017 nutzen Strafverfolgungsbehörden der EU sogenannte Gefechtsfeldinformationen zur Bekämpfung von Terrorismus. Damit wollen sie „ausländische Kämpfer“ identifizieren und feststellen, wenn diese eine EU-Außengrenze überqueren. Beschlossen wurde das damals auf eine  Treffen der EU-Innen- und Verteidigungsminister:innen, nun soll das Verfahren ausgebaut werden. Der EU-Anti-Terrorismus-Koordinator Gilles de Kerchove ruft die Regierungen deshalb zu einem „regelmäßigen Dialog mit ihren Streitkräften und einschlägigen Geheimdiensten“ auf. Dies geht aus zwei Dokumenten hervor, die die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat. Es handelt sich wohl um eine der letzten Initiativen von Kerchove, dessen Stelle demnächst neu besetzt werden soll.

Die „Battlefield Information“ stammt aus Ländern wie Syrien oder dem Irak, in denen die „Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat“ seit 2014 militärisch operiert. Die Erkenntnisse werden dort in der Regel von Militärgeheimdiensten gesammelt. Ihre Weitergabe und Nutzung geht mit der „Operation Gallant Phoenix“ auf eine Initiative der US-Regierung zurück. Sie verfügt über ein Sekretariat in Jordanien, daran beteiligt sind neben Militär und Geheimdiensten aus 27 westlichen und arabischen Staaten auch deren Polizeibehörden.

Gesichtserkennung und Entschlüsselung bei Vereinten Nationen

Neben den Informationen werden auch mögliche Beweismittel („battlefield evidence“) ausgetauscht. Dabei kann es sich um Fingerabdrücke und Gesichtsbilder oder elektronische Daten auf gefundenen bzw. beschlagnahmten Computern, Telefonen und Speichermedien handeln. Meist sind die Informationen oder Beweismittel militärisch oder geheimdienstlich eingestuft, vor einer Nutzung durch zivile Behörden muss diese Klassifizierung aufgehoben werden.

Gesammelt und verarbeitet werden außerdem Papiere, Notizbücher, YouTube-Videos oder Fotos, die erniedrigende und entwürdigende Behandlung zeigen, oder auch Dokumente wie von einem islamischen DAESH-Richter aufgesetzte Eheverträge. Als Beweismaterial sollen sie etwa dazu dienen, „ausländischen Kämpfern“ und ihren Ehefrauen vor Gerichten der EU-Mitgliedstaaten eine Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachzuweisen.

Für die Unterstützung entsprechender Ermittlungen haben die Vereinten Nationen das „Untersuchungsteam zur Förderung der Rechenschaftspflicht für von Da’esh / ISIL begangene Verbrechen“ (UNITAD) eingerichtet. Es soll inzwischen über eine Datenbank mit 175.000 Gesichtsprofilen verfügen. Weitere Bilder werden nun aus 34.000 Videodateien extrahiert, die UNITAD mithilfe von Gesichtserkennung, „Entschlüsselungskapazitäten“, maschineller Übersetzung und maschinellem Lernen auswertet.

Europol soll Satellitenaufnahmen nutzen

Auf EU-Ebene wurden der Austausch und die Nutzung von Gefechtsfeldinformationen bereits 2019 auf Initiative der US-Regierung in einem „hochrangigen“ Workshop verstärkt. Davon profitiert etwa die EU-Agentur für die justizielle Zusammenarbeit Eurojust, die das Sekretariat des EU-Völkermordnetzwerks betreibt. Ein Jahr später hat Eurojust ein Memorandum veröffentlicht, wonach Gefechtsfeldinformationen auch für Asylverfahren genutzt werden könnten.

In der Europäischen Union führen die Gefechtsfeldinformationen in der Regel zu einer verdeckten Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS II), dies kann in einem freiwilligen Verfahren durch einen Mitgliedstaat erfolgen. Die Daten werden aber auch von Europol verarbeitet. Die Polizeiagentur hat dafür in ihrem Zentrum für Terrorismusbekämpfung eine eigene Taskforce (TITF) eingerichtet, die zukünftig einzige Anlaufstelle für derartige Datenlieferungen werden soll. Im Falle der USA stammen diese vom „Terrorist Screening Centre“ (TSC) des FBI. Die Informationen werden anschließend mit Europol-Datenbanken und einschlägigen Datenbanken wie dem SIS II oder dem EU-Passagierdatensystem (EU-PNR) abgeglichen.

Europol unterstützt die Mitgliedstaaten bei strafrechtlichen Ermittlungen, in Bezug auf ausländischen Terrorismus betreibt die Agentur dazu die Analyseprojekte „Core International Crimes“ und „Travellers“. Um zukünftig auch Satellitenaufnahmen von Tatorten zu nutzen, soll Europol jetzt eine Partnerschaft mit dem Europäischen Satellitenzentrum (EU SatCen) eingehen. 2018 erfolgten dazu bereits erste Testläufe, die laut dem Anti-Terrorismus-Koordinator „zu positiven Ergebnissen führten“.

Engere Zusammenarbeit mit der Türkei

Gemäß einem derzeit diskutierten Vorschlag für eine neue Verordnung könnte Europol zukünftig personenbezogene Daten mit privaten Einrichtungen oder mit internationalen Organisationen austauschen. Für die Nutzung von Gefechtsfeldinformationen stellt dies bislang noch ein Hindernis dar. So darf Europol beispielsweise dem Internationalen Strafgerichtshof derzeit keine Personendaten liefern. Dies erfolgt über einen in den Dokumenten des Anti-Terrorismus-Koordinators nicht genannten Mitgliedstaat, der auch eine entsprechende Vereinbarung mit UNITAD abgeschlossen haben soll.

Kerchove will den Tauschring jetzt „auf Afrika“ erweitern und beruft sich auf die „Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat“, die dazu die Länder Elfenbeinküste und Togo sowie den Norden Nigerias nennt. Mit Algerien, Ägypten, Marokko und Tunesien ist Interpol bereits in einigen afrikanischen Ländern aktiv. In dem von der EU-Kommission unterstützten Projekt „South Sharaka“ sammelt die Polizeiorganisation dort Informationen zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und „Menschenschmuggel“. Nach Vorbild des Irak sollten auch Angehörige des Innen- und Verteidigungsministeriums in Libyen in der Sammlung von Gefechtsfeldinformationen geschult werden, aufgrund der Bürgerkriegslage wurde das Vorhaben jedoch ausgesetzt.

Schließlich könnte die EU-Polizeiagentur auch enger mit der Türkei zu „ausländischen Kämpfern“ zusammenarbeiten. Nach dem türkischen Einmarsch in Nord-Ost-Syrien vor zwei Jahren erhielt Europol bereits Fingerabdrücke und Fotos von rund 2.700 dort festgestellten, mutmaßlichen „ausländischen Kämpfern“. Angeliefert wurden diese aus den USA. Dieser Weg könnte verkürzt werden, wenn die EU-Kommission wie geplant ein Arbeitsabkommen für Europol mit der Türkei ausgehandelt hat.

Eine Ergänzung

  1. Die können sich halt bei der Architektur noch nicht ganz entscheiden, also baut man erst einmal ein paar Erker an…

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