Es ist ein Dienstagabend Anfang März und die Website „Unser Mitteleuropa“ sät wieder Angst. Der kurze Text handelt von Coronaimpfstoffen, die zu massenhaften Toden in deutschen Altersheimen geführt hätten, wie das Portal berichtet. Die Frage, mit der die Überschrift beginnt, ist wohl eher als Zielvorgabe zu verstehen: „Fällt das Kartenhaus zusammen?“, erkundigt sich der unbekannte Verfasser.
Die Behauptung ist falsch, weil Menschen in Altersheimen nicht wegen, sondern trotz Impfungen sterben. Doch am nächsten Morgen postet Eva Herman den Link trotzdem auf Telegram. Aus der rechten Szene erreicht in dem sozialen Netzwerk niemand sonst so viele Menschen wie Herman mit ihren rund 177.000 Abonnent:innen.
Die ehemalige Fernsehmoderatorin und Verschwörungsideologin könnte wesentlich zum Erfolg von „Unser Mitteleuropa“ beigetragen haben: Seit Beginn der Pandemie hat sie mehr als hundert Mal Artikel beworben, die dort erschienen sind. „Unser Mitteleuropa“ ist eine der am häufigsten geteilten Websites aus dem rechten Lager, wie die stichprobenhafte Auswertung einer dreistelligen Zahl von Telegram-Kanälen und Gruppen ergibt.
Es ist unklar, ob Herman weiß, wer hinter dem Portal steckt. Aber das Kartenhaus, das dessen Hinterleute wohl gerne zum Einstürzen bringen würden, scheint nicht weniger zu sein als die bestehende Gesellschaftsordnung.
London, Krakau, Brüssel, Wien
Mit ihrer Desinformation nehmen die Macher zwar vor allem Deutschland ins Visier, doch betrieben wird das Portal von einer Briefkastenfirma mit Sitz in London. Nach Recherchen von netzpolitik.org agiert das Unternehmen als Sprachrohr der AfD, in Mecklenburg-Vorpommern ist es sogar für die Landtagsfraktion tätig. Für diese Arbeit könnten die Betreiber von „Unser Mitteleuropa“ mit deutschem Steuergeld bezahlt worden sein. Auch bei einer anonymen Kampagnenseite, die ein Verfassungsorgan angreift, spielt die Firma eine undurchsichtige Rolle.
Wer den Betreibern nachspürt, landet auf Umwegen über Krakau und Brüssel in der einstigen Kaiserstadt Wien. Einer der Hauptverantwortlichen von „Unser Mitteleuropa“ ist eng verbandelt mit der stramm rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Noch pikanter: Derselbe Mann ist seit Jahren angestellt als Pressereferent bei einem österreichischen Bundesministerium.
Dennoch liefert seine Website ein Potpourri rechter Desinformation. In Artikeln wird gegen Geflüchtete gehetzt, der Klimawandel geleugnet und werden Zweifel an Coronaimpfungen gesät. Berichte erscheinen auf Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Polnisch. Zum Teil sind sie Übersetzungen von Texten anderer rechter Portale aus halb Europa, viele Artikel sind aber Eigenproduktionen. Der dubiose Mix macht „Unser Mitteleuropa“ zu einer gefragten Informationsdrehscheibe der europäischen Rechten. Nach eigenen Angaben kommt sie im Monat auf annähernd 2,5 Millionen Seitenaufrufe.
Die Mischung an zweifelhaften Nachrichten und spärlichen Angaben über deren Verfasser:innen rückt das Portal seit längerem in das Blickfeld von Rechtsextremismus-Forscher:innen. Es handle sich um eine „aus gutem Grund konspirativ gestaltete Hetzseite, die an der Grenze zum Neonazismus angesiedelt ist“, urteilt Andreas Peham, der die rechte Szene für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands seit Jahrzehnten beobachtet.
Nach eigener Darstellung sind die Informationen auf der Website von „Unser Mitteleuropa“ überprüfbar, jeder redaktionelle Beitrag verfüge über zumindest eine externe Quelle. „Im Gegensatz zu gewissen Agenturmeldungen und Berichten in den Mainstream-Medien“, ätzen die Betreiber. Professionelle Faktenchecker:innen sind jedoch einer anderen Meinung. Journalist:innen von Correctiv haben Artikel von „Unser Mitteleuropa“ auf deren Wahrheitsgehalt überprüft. Sie kamen zu dem Schluss, das Portal verbreite falsche Zitate und stelle irreführende Behauptungen auf.
Wer die Artikel kritisch bewertet, landet schnell im Visier der Betreiber. Die Faktcheckingeinheit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wies darauf hin, dass „Unser Mitteleuropa“ einen Bericht über vermeintliche Nebenwirkungen eines Coronaimpfstoffs falsch verstanden habe. „Unser Mitteleuropa“ warf der dpa darauf Zensurmaßnahmen vor.
Mehr noch, das Portal unterstellt den Faktenchecker:innen sogar indirekt Nazimethoden: Da die Seite ihren Redaktionssitz in Polen habe, sei fragwürdig, warum deutsche Journalist:innen ihre Berichte prüften, heißt es in einem anonym verfassten Artikel, der rhetorisch die Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg beschwört. „Stehen wir etwa wieder unter dem Generalgouvernement Deutschlands?“
Werbung für die AfD
Die Redaktion mag in Polen sitzen, doch mit ihrer Propaganda nehmen die Hinterleute von „Unser Mitteleuropa“ Deutschland ins Visier. Aus keinem anderen Land würden sie derart häufig aufgerufen, behaupten sie im Netz. Dass sie sich gezielt an ein Publikum hierzulande richten, lässt sich auch mit Daten in Facebooks Transparenzregister für Werbetreibende belegen.
Weil „Unser Mitteleuropa“ wiederholt Falschnachrichten verbreitet habe, könne das Portal heute keine Werbung mehr schalten, bestätigt uns Facebook. Im vergangenen Jahr gab es jedoch mehrere Anzeigen auf, die in Deutschland ausgespielt wurden.
Noch interessanter ist deren Inhalt. Ein beworbener Artikel prangert eine Änderung in der Geschäftsordnung der Hamburger Bürgerschaft zum Nachteil der AfD-Fraktion an. Doch die Autor:innen von „Unser Mitteleuropa“ haben höchstens einen Bruchteil des Textes selbst geschrieben. Im Wesentlichen übernahmen sie eine Pressemitteilung der Bundesgeschäftsstelle der AfD. Die ließ eine Anfrage zu dem Portal unbeantwortet.
Laut Facebooks Transparenzregister wurden alle sieben Anzeigen, die „Unser Mitteleuropa“ geschaltet hat, nach kurzer Zeit gesperrt. Der Vorwurf: Das Portal habe gegen die Richtlinien für politische Werbung verstoßen. Die Hinterleute verschwiegen konsequent, mit wessen Geld die Anzeigen finanziert worden waren – auch jene, die zu der Pressemitteilung der AfD führte.
Der Artikel über die Geschäftsordnung der Hamburger Bürgschaft ist nur einer von vielen auf dem Portal, die entweder direkt von Akteur:innen der Partei stammen oder diese offensichtlich bewerben sollen. Im Schnitt erscheint bei „Unser Mitteleuropa“ alle zwei bis drei Tage ein Beitrag, der die AfD in ein gutes Licht rückt.
Die Fährte führt nach Schwerin
Vor allem für ein Bundesland scheint sich die Redaktion mit dem angeblichen Sitz in Polen besonders zu interessieren: Mecklenburg-Vorpommern. Rund 20 Mal machte „Unser Mitteleuropa“ in den vergangenen zwölf Monaten die Arbeit der dortigen AfD zum Thema, wie eine einfache Stichwortsuche ergibt – häufiger als in jedem anderen Bundesland, wenn man Berlin aufgrund seiner Nennung in Artikeln über die Bundespolitik ausklammert. Für die übrigen 14 Bundesländer fanden wir mit derselben Methode im Schnitt nur knapp vier Artikel, die von der AfD handelten.
In Mecklenburg-Vorpommern stand die Partei zuletzt unter großem Druck. Bei der Landtagswahl 2016 holte sie 20,8 Prozent der Stimmen, bei der Landtagswahl 2021 könnte die AfD sogar stärkste Kraft werden, spekulierte „Unser Mitteleuropa“ noch im Sommer. Seither hat die Partei aber deutlich an Beliebtheit eingebüßt, im Januar kam sie einer Forsa-Umfrage zufolge nur noch auf 14 Prozent.
Recherchen von netzpolitik.org zeigen, dass sich die AfD-Landtagsfraktion in den vergangenen Monaten Unterstützung aus dem europäischen Ausland geholt hat. Sie hat eine Agentur aus London engagiert: die New Network Communications (NNC).
Offengelegt wurde bloß, dass sich die Fraktion von NNC eine neue Website bauen ließ. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass es dabei nicht geblieben sein könnte. Denn NNC ist weit mehr als eine herkömmliche politische Beratungs- und PR-Firma: Sie ist zugleich Eigentümerin von „Unser Mitteleuropa“.
Ein Briefkasten im East End
Als das Portal 2016 an den Start geht, gehört es noch einer Stiftung aus Ungarn, die anfangs ein Politiker der rechtsextremen Partei Jobbik führt. All das ändert sich 2020, als „Unser Mitteleuropa“ zunächst aus dem Netz verschwindet und dann im März unter neuer Führung zurückkehrt. Verantwortlich sein soll nun ein Verein namens „Nasza Europa Środkowa“, der im polnischen Krakau gegründet werde, heißt es zunächst auf der Website. Technische Daten deuten darauf hin, dass NNC „Unser Mitteleuropa“ in Wahrheit schon damals betreibt, wie es heute im Impressum steht.
Auf seinem eigenen Internetauftritt präsentiert NNC sich als Unternehmen für die große weite Welt, das unter anderem für Parteien arbeite und langjährige Erfahrung im politischen Tagesgeschäft habe. „Wenn das Haus brennt, ist es zu spät, Evakuierungspläne zu erstellen“, wirbt es. „Vertrauen Sie daher Profis.“
Doch die Wirklichkeit bleibt hinter diesem selbstauferlegten Anspruch weit zurück, wie bereits ein näherer Blick auf die Website zeigt, die offenbar schlampig zusammengeklickt wurde. Die krakelige Unterschrift unter einem Selbstbeschreibungstext, die wohl Vertrauen bei potenziellen Kund:innen schaffen soll, stammt von niemandem, der bei NNC Verantwortung trägt, sondern ist bloß Bestandteil einer Design-Vorlage. Sein Logo hat das Unternehmen irgendwo aus dem Netz heruntergeladen.
Genauso ist das Foto der Skyline Londons auf der Startseite nur Fassade. Wahrscheinlich ist, dass NNC an seinem Hauptsitz im hippen Osten der Stadt noch nicht einmal einen Schreibtisch hat. Einem Eintrag im britischen Handelsregister zufolge wurde die Firma mithilfe eines Dienstleisters angemeldet, der Kund:innen seine eigene Postanschrift leiht, auf seiner Website aber klarstellt: „Ihr Geschäft wird nicht an unserer Adresse angesiedelt sein.“
Von den zwei Geschäftsführern von NNC, denen auch jeweils 50 Prozent der Firma gehören, hat einer Erfahrung als Geschäftsmann. Auf Facebook posiert Cornelius R., ein 67-Jähriger mit schütterem Haar, vor einem Tyrannosaurus Rex. Anfang der Nullerjahre betrieb der Österreicher einen Edelsteinladen in einem Westernerlebnispark südlich von Wien, später in einem Einkaufszentrum in der Stadt. Auf der Website dieses Geschäfts steht noch heute dieselbe Telefonnummer, die auch seine Politikberatungsfirma NNC im Netz angibt. Laut dem britischen Handelsregister ist R. inzwischen nach Polen ausgewandert, wo die Redaktion von „Unser Mitteleuropa“ sitzen soll.
Es ist die Verbindung zu diesem Mann aus dem europäischen Ausland, die nun die AfD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns in Erklärungsnot bringen könnte. Denn R.s Name taucht nach Recherchen von netzpolitik.org auch in Verbindung mit einer anonymen Kampagnenwebsite auf. Sie zielt geradewegs auf ein Verfassungsorgan des Bundeslandes ab.
Kampagnenwebsite gegen Landesverfassungsrichterin
Im Frühjahr des vergangenen Jahres wählte der Landtag die ehemalige Linken-Politikerin Barbara Borchardt mit Stimmen von Abgeordneten der SPD, der CDU und der Linken zur Verfassungsrichterin. Borchardts Ernennung war wegen ihrer Mitgliedschaft bei der „Antikapitalistischen Linken“ kontrovers diskutiert worden, denn das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Vereinigung. Die AfD versuchte erfolglos, einen Antrag einzubringen, um die Richterin gleich wieder abwählen zu lassen.
Wenige Tage, nachdem die Fraktion mit demokratischen Mitteln im Landtag gescheitert war, erstellte jemand eine Website mit dem Titel „Akte Borchardt“. Auf dieser wird seither behauptet, Linksextremisten infiltrierten „unser Justizsystem“. Die „Akte Borchardt“ driftet ins Verschwörungsideologische ab. Die Rede ist hochtrabend von einer „DDR 2.0“, auch wird über eine „mögliche Seilschaft“ zwischen Borchardt und Bundeskanzlerin Angela Merkel spekuliert – ohne tatsächliche Belege für eine solche anzuführen.
Während der Widerstand der AfD gegen Borchardt umfangreich nacherzählt wird, soll wohl ein Geheimnis bleiben, wer die Kampagnenwebsite zu verantworten hat. Ein Impressum gibt es nicht. Allerdings finden sich Hinweise darauf, dass mit NNC dieselbe Firma diese Website gebaut hat, die auch für die AfD-Landtagsfraktion tätig ist. So führt die Domain „Akte-Borchardt.xyz“ zur IP-Adresse eines Servers in Russland, über den auch „Unser Mitteleuropa“ läuft. Das Desinformationsportal wiederum hat in gleich drei Artikeln prominent auf die Website hingewiesen. Schließlich bestätigt die für Domains mit der Länderkennung „.de“ zuständige Registrierungsstelle DENIC auf Anfrage, dass „Akte-Borchardt.de“ auf den Namen von NNC-Miteigentümer Cornelius R. registriert ist.
Nur: Welches Interesse sollte ein in Polen lebender Österreicher daran haben, wer Richterin am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern ist?
Keine Transparenz
Bei den Aktivitäten von „Unser Mitteleuropa“ und seinen Hinterleuten gehe es um nicht weniger als eine Frage der demokratischen Willensbildung, sagt Felix Kartte, der bei der Initiative Reset für Deutschland zuständig ist und zuvor für die EU die Auswirkungen von Desinformation untersuchte. Wähler:innen müssten in der Lage sein, mündige Entscheidungen zu treffen – ohne verdeckte Einflussnahme.
„Wenn eine Partei sich Wahlkampfhilfe von einem vermeintlich journalistischen Online-Angebot erbittet oder womöglich sogar einkauft, dann sollte für die Nutzenden ganz klar erkennbar sein, dass es sich hier um politische Werbung handelt und nicht um ausgewogene Berichterstattung.“ Auf der Facebook-Seite von „Unser Mitteleuropa“, sagt Kartte, habe er dagegen keine Informationen dieser Art gefunden. Doch wenn es keine Transparenz gebe, kranke die Demokratie – gerade in einem digitalen Wahlkampf.
Die AfD scheint kein Interesse daran zu haben, die Vorgänge aufzuklären. Wir haben die Fraktion in Mecklenburg-Vorpommerns Landtag per E-Mail gefragt, ob sie an der Kampagnenwebsite „Akte Borchardt“ beteiligt war. Auch wollten wir wissen, wie viel Geld die Fraktion der Briefkastenfirma für Dienstleistungen bezahlt habe. Zudem erkundigten wir uns, ob sie dies mithilfe von Fraktionsmitteln finanziert habe. Wäre dies der Fall, hätten die Hinterleute von „Unser Mitteleuropa“ gar deutsche Steuergelder erhalten.
Die Pressestelle der AfD-Landtagsfraktion hat keine unsere Fragen beantwortet, auch deren Vorsitzender Nikolaus Kramer reagierte nicht. Ihm hatten wir ebenfalls geschrieben.
Die AfD ist offenbar nicht die einzige Partei, für die NNC tätig war. Der zweite Mann, dem die Firma gemeinsam mit Cornelius R. gehört, stammt aus dem engsten Umfeld der FPÖ. Nach unseren Recherchen arbeitete er jahrelang für Politiker:innen der rechtspopulistischen Partei.
Kneipname Ortwin
Der offizielle Sitz von NNC in London soll wohl Eindruck schinden, im Netz findet sich aber auch noch die Adresse einer Niederlassung in Wien. Sie führt in den 12. Bezirk, zu einem schmucklosen Gemeindebau aus den 1960ern. Nichts an der grauen Außenfassade verrät, dass hier das Büro der Agentur angeblicher Politprofis sein soll, die nebenbei eine große Desinformationswebsite betreiben. NNC hat noch nicht einmal ein Klingelschild. Bei drei Besuchen klopfen wir an der Tür einer Erdgeschosswohnung im Innenhof des Hauses. Niemand öffnet, die Vorhänge sind vorgezogen, die Fenster dunkel.
Der Mann, den wir hier vermuten, heißt Eric Weinhandl. Der 30-jährige, schlanke Wiener mit militärischem Kurzhaarschnitt war schon während des Studiums an der Universität Wien für die FPÖ tätig, nebenbei engagierte er sich unter dem Kneipnamen Ortwin in der erzkatholischen Studentenverbindung K.Ö.L. Starhemberg. Der Partei stand er so nahe, dass sie ihm eine eigene E-Mail-Adresse gab. Im EU-Parlament arbeitete er für die damalige FPÖ-Abgeordnete Barbara Kappel, nach eigenen Angaben war Weinhandl dort Pressereferent.
Offenbar machte er sich in Brüssel verdient, sodass ihn bald auch die seither aufgelöste Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) beschäftigte, der die FPÖ-Europaabgeordneten damals angehörten. Aus einem Transparenzbericht über vergebene Aufträge geht hervor, dass die ENF Weinhandl im Jahr 2018 für Social-Media-Dienstleistungen im Bereich des Community-Managements engagierte. Dafür ließ sie ihm insgesamt 25.000 Euro zukommen. Laut Bericht gingen zudem weitere 15.000 Euro für die gleiche Arbeit an eine Firma aus Wien: New Network Communication (sic!).
Handelt es sich dabei trotz der unterschiedlichen Schreibweise um New Network Communications – also dieselbe Firma, die heute für die AfD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet und „Unser Mitteleuropa“ betreibt? Diese Frage haben wir dem FPÖ-Politiker Harald Vilimsky gestellt, der damals Vizevorsitzender der ENF war. Er antwortete nicht.
Mit der FPÖ ins Ministerium
Im selben Zeitraum, in dem Eric Weinhandl über die ENF bezahlt wurde, hatte er seine Aufmerksamkeit offenbar längst wieder auf Österreich gerichtet. Nach dem Erfolg der FPÖ bei der Nationalratswahl 2017 arbeitete er nach eigenen Angaben in einem Jobnetzwerk zunächst als parlamentarischer Assistent, 2018 heuerte er schließlich dort an, wo er noch heute tätig ist. Es ist eine Position, die in Anbetracht seiner Nebentätigkeit Fragen aufwirft. Weinhandl ist Pressereferent im österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.
In das Ministerium kam Weinhandl zu einer Zeit, als der oberste Chef dort noch Norbert Hofer hieß, heute Bundesparteiobmann der FPÖ. Bereits mit seinem Amtsantritt als Verkehrsminister hatte Hofer zahlreiche Burschenschaftler und Rechtsextreme in das Ministerium geholt, wie die Wochenzeitung Falter dokumentierte. Dann kam die Ibiza-Affäre, die FPÖ landete wieder in der Opposition. Das Ministerium führt heute die Grüne Leonore Gewessler. Doch einige FPÖ-Getreue sind geblieben, darunter auch Weinhandl.
Die Artikel, die „Unser Mitteleuropa“ veröffentlicht, sind weit entfernt von der Linie des Klimaschutzministeriums. Das Portal, das Weinhandls Firma NNC gehört, schimpft über „Klima-Hysteriker“ und einen „altbekannten Klima-Schwindel“, in Berichten über Greta Thunberg ist die Rede von einem „Hype rund um die Greta-Glaubensgemeinschaft“. Ein Beitrag raunt schon im Titel: „CO₂ – Giftgas oder Lebensspender?“ Der Text verlinkt auf eine Website namens „Klimaschwindel.net“, die NNC ebenfalls betreibt.
Auch Anzeigen gibt es bei „Unser Mitteleuropa“. Wer auf der Startseite nach unten scrollt, dem lacht das Gesicht von Norbert Hofer entgegen. „Nein zum Impfzwang! Jetzt unterschreiben“, heißt es auf dem Werbebanner, das auf die FPÖ-Website verlinkt. Auch einige Inhalte, die nicht als Anzeige gekennzeichnet sind, muten wie Parteiwerbung an. Genauso wie von der AfD sind auch Pressemitteilungen der FPÖ wortgleich auf dem Portal erschienen. Wir haben den Parlamentsklub der Partei nach der Anzeige und Weinhandl gefragt, aber keine Antwort erhalten.
Manipulative Artikel und politische Anzeigen wie die bei „Unser Mitteleuropa“ scheinen kaum vereinbar zu sein mit der Arbeit als Pressereferent für die österreichische Bundesregierung. Trotzdem konnte sich NNC-Eigentümer Eric Weinhandl in dieser Position nun schon fast drei Jahre lang halten.
Im Verhaltenskodex des Klimaschutzministeriums heißt es zwar, Beschäftigte vermieden „Tätigkeiten für externe Auftraggeber, die zu allfälligen Interessenskollisionen führen könnten“. Ob der Betreiber von „Unser Mitteleuropa“ damit gegen den Verhaltenskodex und das Dienstrecht verstoßen hat, kann das österreichische Ministerium auf Anfrage von netzpolitik.org zunächst nicht beantworten. Das Ministerium nehme die Rechercheergebnisse zu Weinhandl „sehr ernst“, sagt eine Sprecherin. „Wir haben dazu bereits eine detaillierte Überprüfung eingeleitet.“
Ein Blog verschwindet
Dabei ist das Desinformationsportal, das Weinhandl zusammen mit R. gehört, höchstens die Spitze des Eisbergs. Zum einen schrieb der Staatsbedienstete für das Magazin „Eigentümlich frei“, das die Amadeu Antonio Stiftung der neuen Rechten zuordnet. Zum anderen ist er Betreiber einer weiteren Website.
„Konterrevolution.at“ behauptet von sich, ein „libertär-konservativer Blog für politischen und philosophischen Diskurs“ zu sein. Die Inhalte schlagen einen noch härteren Tonfall an als das „Unser Mitteleuropa“ tut. Ein Beitrag, dessen Verfasser ungenannt bleibt, spricht von der „nahezu weltweit gleichgeschalteten Etablierung diktatorischer, faschistischer und zutiefst inhumaner Rechtssysteme im Kampf gegen ein angeblich gefährliches Virus“. Als wir Weinhandl per E-Mail einige Fragen schicken, verschwindet „Konterrevolution.at“ auf einmal aus dem Netz.
Es gibt noch weitere Seiten, die NNC gestaltet hat. Eine davon gehört der früheren FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel, welche die rechtsextremen Identitären unterstützt und im Vorjahr nach rassistischen Äußerungen aus der FPÖ austrat.
Desinformation aus Österreich
Wer im Biotop rechter Desinformation stöbert, stößt auf zahlreiche Portale, die mit ähnlichen Falschmeldungen und Verschwörungsmythen aufwarten können. Dass so manches davon seinen Ursprung in Russland hat, gilt unter Expert:innen der Europäischen Union als gesichert. Deutschland gerate überhaupt zum Hauptziel russischer Desinformation in Europa, berichtete kürzlich „EUvsDisinfo“, eine Beobachtungsstelle des Auswärtigen Dienstes der EU.
Während russische Einflussnahme ein Dauerthema ist, findet Desinformation aus anderen Ländern weitaus weniger politische Beachtung. Und das, obwohl auffällig ist, wie viel davon seinen Ursprung in Österreich hat. Ein Sprecher des deutschen Bundesinnenministeriums teilt auf Anfrage zu den Aktivitäten von NNC und „Unser Mitteleuropa“ mit, es nehme jede Form der ausländischen Einflussnahme ernst.
Dass eine österreichische Website wie „Unser Mitteleuropa“ bei deutschen Rechten beliebt ist, ist aus Sicht der Journalistin und Desinformationsexpertin Ingrid Brodnig Teil der rechten Strategie. Portale wie „Wochenblick“ und „Unzensuriert“, die beide der FPÖ nahestehen, produzierten seit Jahren Inhalte für ein deutsches Publikum. „Für rechte Seiten aus Österreich ist Deutschland eine große Viralitätschance“, sagt Brodnig.
Russland werde zu Recht für die Verbreitung von Desinformation in Deutschland verantwortlich gemacht, die Expertin hält jedoch auch die österreichische Form der Stimmungsmache für einen deutlich erkennbaren Faktor. Dass ausgerechnet das kleine Österreich eine große Rolle spiele, sei kein Zufall. Durch die seit Jahrzehnten starke FPÖ gebe es in Österreich „viel rechtes Know-how“, sagt Brodnig. Dies hat den Aufstieg der skrupellosen Desinformationsverbreiter offenkundig begünstigt.
„Das geht Sie einen feuchten Dreck an!“
Wie dieses Know-how in der Praxis aussieht, kann nun jede:r sehen. Zum einen an „Unser Mitteleuropa“, einem ausländischen Portal, das Deutschland offenbar mit seinen Verschwörungsmythen zu destabilisieren versucht. Zum anderen an der Arbeit von NNC, der Londoner Briefkastenfirma mit engsten Verbindungen zur FPÖ und zur Landtagsfraktion der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, betrieben von Akteuren, die auch nicht davor zurückschrecken, ein Landesverfassungsgericht mit diffusen Behauptungen zu beschädigen.
Doch reden will darüber niemand. Auffällig ist, dass nahezu alle beteiligten Akteur:innen zu den Vorwürfen schweigen. Auf schriftliche Anfragen antworten die beiden Eigentümer von NNC nicht. Als wir Eric Weinhandl anrufen, von Beruf Pressereferent im österreichischen Klimaschutzministerium, fragt er empört, woher wir seine Nummer hätten und legt schnell auf.
Cornelius R. lässt sich zwar auf ein Gespräch ein, doch sagen will auch er nichts. Nicht, wer die manipulativen Artikel bei „Unser Mitteleuropa“ schreibt, nicht, ob rechte Parteien NNC bezahlt haben. „Das geht Sie einen feuchten Dreck an!“, schimpft er im Kärntner Dialekt. Dann fragt er, ob wir vom Finanzamt seien und bezeichnet uns als Linksfaschisten, die ihre Seele verkauften und praktisch Vollstrecker eines Verbrechersystems seien.
Der Mann hinter dem Desinformationsportal droht: „Wenn sie Blödsinn verzapfen über uns, dann werden Sie rechtliche Schwierigkeiten kriegen.“
Transparenzhinweis: Eine Aussage, die fälschlicherweise zunächst Ingrid Brodnig zugeordnet wurde, haben wir nachträglich angepasst. Zudem haben wir nachträglich eine Aussage von Facebook zu „Unser Mitteleuropa“ ergänzt.
Vergleich: für das, was unsere Gesetzgebung baut, wird es auch in Zukunft keine Profis geben. Win-Win!
Danke für eure ausführliche Recherche – das ist wichtig!
Bitte nie Peham oder das DÖW als Quelle zitieren. Das ist wie der „Stürmer“ nur halt von links.