Christine LambrechtDie überraschende Verteidigungsministerin

Die frühere Justizministerin Christine Lambrecht ist nun für das Verteidigungsministerium zuständig. Sie wurde zuvor als mögliche Innenministerin gehandelt, doch es kam unerwartet anders.

Christine Lambrecht bei ihrem Dienstantritt vor Soldaten
Noch wirkt es, als würde die neue Verteidigungsministerin etwas fremdeln. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Mike Schmidt

Christine Lambrecht ist die neue Bundesverteidigungsministerin. Seit 2005 ist das Ministerium damit zum ersten Mal wieder SPD-geführt, Lambrecht folgt auf Annegret Kramp-Karrenbauer, die das Amt 2019 von Ursula von der Leyen übernommen hatte. Dass die frühere Justizministerin Lambrecht auch in der neuen Regierung einen Ministerinnenposten bekommen würde, wurde erwartet. Dass es ausgerechnet Verteidigung wird, überraschte die meisten.

Eine der wenigen Äußerungen von ihr zu Verteidigungsfragen stammt aus dem Jahr 2014. Damals war sie parlamentarische Geschäftsführerin der SPD und wandte sich gegen bewaffnete Drohnen. „Ich bin nicht der Meinung, dass so eine militärische Ausrüstung richtig wäre“, sagte sie damals. Doch im aktuellen Koalitionsvertrag sind sie vereinbart.

Lambrecht wurde eigentlich eher als künftige Innenministerin gehandelt, doch der neue Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete, dass dieses Amt an Nancy Faeser geht, ebenfalls aus Hessen.

Schon als Schülerin in der SPD

Seit bald 40 Jahren ist Lambrecht Mitglied bei den Sozialdemokraten, sie trat 1982 zwei Jahre vor ihrem Abitur in die Partei ein. Zur Politik sei sie auch über die Nähe zum Atomkraftwerk Biblis gekommen, schreibt sie über sich selbst auf der Webseite, als die noch funktionierte: „Bei den Jusos fand ich schnell Gleichgesinnte, die mit mir zusammen für einen Ausstieg aus der Atomenergie kämpften.“ In ihrer Heimatstadt Viernheim betritt sie auch erstmals das politische Parkett, wird im Jahr 1985 Stadtverordnete und bleibt das für mehr als 15 Jahre. Zwischenzeitlich studiert sie Jura und wird 1995 Anwältin. 1998 gewinnt sie ein Direktmandat und zieht in den Bundestag ein.

In der ersten Legislaturperiode kommt 2000 ihr Sohn zur Welt, den sie, wie sie in einem Interview sagt, auf dem Tisch ihres Abgeordnetenbüros wickelte. Sie habe gezeigt, dass man Politik und Familie unter einen Hut bringen kann, brachte ihren Sohn zu Sitzungen mit.

Von 2010 bis 2018 ist Lambrecht ehrenamtliche Vizepräsidentin der THW-Bundesvereinigung. Diese Funktion passt zum Bild einer zupackenden Frau, die mit Männern in blauen Uniformen vor großen Lastwagen posiert. Berührungsängste mit immer noch männerdominierten Domänen hat sie offenbar nicht, kritisiert jedoch Männer-Clubs, die sich in einigen Bereichen hartnäckig hielten. Ihr selbst sei immer Respekt entgegengebracht worden. „Es war klar: Die kann das“, gibt sich Lambrecht selbstbewusst. Jetzt also Verteidigung.

Hat sie eine Vision?

Was bewegt die neue Verteidigungsministerin politisch, was ist ihre Vision? Auf ihrer Webseite stehen unter dem Punkt „Vision und Motivation“ über Jahre hinweg nicht einmal dürre 1.500 Zeichen. Es liege ihr sehr am Herzen, mit den Bürger:innen im Gespräch zu bleiben. Ansonsten ein paar Schlagworte von einer „gerechteren und sozialeren Gesellschaft“ und die Betonung ihres eigenen Gestaltungswillens.

Die 56-jährige Lambrecht ist in Mannheim geboren und lebte lange Zeit im nahegelegenen Viernheim. Die Stadt gehört zum von der CDU geprägten südhessischen Kreis Bergstraße, der bekannt für sein mildes Klima ist. Wein und Spargel gedeihen an der Bergstraße genauso wie große Industrie. Neben BASF, Langnese-Iglu und Suzuki sind auch Teile von SAP dort angesiedelt.

Für die Bundestagswahl 2013 warb sie in diesem Wahlkreis mit einem Kochbuch, bei dem sie auf der einen Seite gerechte Steuern und auf der anderen Seite Serbisches Reisfleisch vorstellte. Für ein Direktmandat reichten diese Rezepte damals nicht, sie zog über die Landesliste ins Parlament ein.

Kochbuch
Im Jahr 2013 warb Lambrecht mit einem SPD-Kochbuch unter dem Titel: „Wir haben die besseren Rezepte“. - Alle Rechte vorbehalten Christine Lambrecht

Es dauerte bis zum Wechsel ihrer Parteikollegin Katarina Barley ins EU-Parlament, bis die frühere Staatssekretärin im Finanzministerium im Juni 2019 ihren eigenen Ministerposten bekam: für Justiz und Verbraucherschutz.

Laut einem Porträt in der FAZ hatte Lambrecht durchaus Schwierigkeiten, im Justizministerium akzeptiert zu werden: „Beamte beklagen, dass ihre fachliche Einschätzung die Ministerin nur dann interessiere, wenn sie in ihr politisches Kalkül passe“.

Lambrecht setzte auf Strafrechtsverschärfungen, was laut der FAZ in der Fachebene des Ministeriums nicht so gut ankam. Über den Rat des Hauses setzte sie sich hinweg, als sie das Strafmaß bei Kindesmissbrauch pauschal erhöhte, obwohl sogar die Union nach der Sachverständigenanhörung „Bauchschmerzen“ bekam, wie die FAZ wissen will.

Kritisiert wurde sie auch für eine „kostspielige Personalpolitik“, zahlreiche Beförderungen im Ministerium am Ende ihrer Amtszeit und eine angeblich parteipolitische Nominierung von Richterämtern.

Ihrer Karriere, aber auch dem Vertrauen der Partei in sie, hat das jedenfalls nicht geschadet. Nach dem Rücktritt von Familienministerin Franziska Giffey wegen deren Plagiatsaffäre übernahm Lambrecht deren Posten zusätzlich und wurde für die letzten Monate vor der Bundestagswahl gar Doppelministerin.

Erstmal hinhören

Dass die Scholz-Unterstützerin Lambrecht nun das Verteidigungsministerium führt, ist ein überraschender Schritt – das sagt sie selbst bei ihrer Vorstellung. Gerade weil sie noch im letzten Herbst und dann wieder im Sommer dieses Jahres angekündigt hatte, sich aus der Bundespolitik rausziehen zu wollen, damit „auch junge Leute eine Chance bekommen“. Nun bleibt sie also doch in der großen Politik – und die jungen Leute kommen später dran.

Inhaltlich deutete in Lambrechts bisheriger Laufbahn wenig auf ein ausgeprägtes Interesse für Verteidigungsbelange hin. Und auch ihre ersten Statements vermitteln den Eindruck, dass sich Lambrecht zunächst orientieren muss. „Es ist mir wichtig zu wissen, was in den Soldatinnen und Soldaten vorgeht, welche Erfahrungen sie gemacht haben, damit ich mich dann hier im Inneren für sie engagieren und im politischen Raum ganz konsequent für die Belange der Truppe einstehen kann.“ Also: erstmal hinhören.

Als konkrete Ziele nimmt sie sich vor, das Beschaffungswesen zu modernisieren, den Beruf von Soldat:innen attraktiv zu machen und Auslandseinsätze regelmäßig zu überprüfen.

Unterstützung hat sich Lambrecht mit der Ernennung von zwei Staatssekretär:innen ins Haus geholt. Die SPD-Abgeordneten Thomas Hitschler und Siemtje Möller sollen der Ministerin zur Seite stehen. Hitschler saß bereits für die SPD im Verteidigungsausschuss, Möller war seit Beginn des Jahres verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

Ausgeprägter als Lambrechts verteidigungspolitisches Profil sind ihre Erfahrungen im Regierungsbetrieb. Die Sozialdemokratin musste häufig mit der Union kämpfen. Uneinigkeit gab es etwa beim Lobbyregister. Das SPD-Ministerium wollte einen exekutiven Fußabdruck, um Lobbyeinfluss auf Gesetzentwürfe transparent zu dokumentieren, das Seehofer-geführte Innenministerium hingegen nicht zu viel Transparenz. Am Ende gab es ein paar Nachbesserungen, ein Erfolg für Lambrecht war das jedoch nicht. Bei der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz oder beim Whistleblowerschutz konnte sie nicht liefern.

Auch Lambrechts Kritik zur Rassismus-Studie bei der Polizei – weitgehend verhallt. Doch das Thema dürfte für sie wieder wichtig werden. Denn nicht nur bei der Polizei gibt es immer wieder Meldungen über rechtsradikale Umtriebe, auch die Bundeswehr hat Probleme mit Demokratiefeinden in Uniform.

Für die Vorratsdatenspeicherung

Als Justizministerin hat sie sich für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung eingesetzt – mit dem Argument „Kampf gegen Kindesmissbrauch“. Bei der Überwachung von Mobilität setzte das ihr unterstellte Justizministerium eine Ausweitung der Auto-Rasterfahndung mit Kennzeichenscannern in der Strafprozessordnung durch.

Christine Lambrecht
Christine Lambrecht im November 2021. - Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jürgen Heinrich

Auch mit staatlichem Hacking hat Lambrecht keine Probleme: Sie hat die geplante Einführung von Staatstrojanern zum präventiven Einsatz bei der Bundespolizei mitgetragen, auch für den Verfassungsschutz wollte Lambrecht Staatstrojaner haben.

Im Koalitionsvertrag steht: „Die Bundeswehr muss zudem in die Lage versetzt werden, im Verbund mit anderen Bundesbehörden im Cyber- und Informationsraum als Akteur erfolgreich zu bestehen. Die parlamentarische Kontrolle über den Einsatz von Cyber-Fähigkeiten der Bundeswehr muss gewährleistet sein.“ Das ist schwammig. Was Lambrecht aus diesem Auftrag macht, kaum vorherzusehen.

Ein Thema, mit dem sich Lambrecht in ihren Jahren als Justizministerin profilierte: der Kampf gegen Hass im Netz. Aus ihrem Haus stammte eine umstrittene Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes – mit Passwortherausgabe und Weiterleitung von mutmaßlich strafbaren Inhalten samt IP-Adressen ans BKA. „Was zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung möglich ist, das muss, mit Verlaub, erst recht machbar sein, wenn es um Morddrohungen oder Volksverhetzung geht“, sagte Lambrecht im Bundestag und verteidigte sich gegen Kritik. Nein, sie gehe nicht davon aus, dass Passwörter unverschlüsselt gespeichert würden. Wie bei Terrorverdächtigen müsse eine Behörde die Chance haben, die Passwörter zu knacken – und sei es mit extremem Aufwand. 

Nicht nur Überwachung

Auf der anderen Seite machte sie es den Nutzer:innen leichter, sich über die Entscheidungen der Plattformen zu beschweren. Und stärkte den Verbraucherschutz im Telekommunikationsmodernisierungsgesetz gegen den Widerstand der Union.

An anderen Stellen schaffte Lambrecht neue Straftatbestände oder verschärfte bereits bestehende. Sie hat die „Strafbarkeit krimineller Handelsplattformen im Internet“ zu verantworten. Daran hatten Kritiker:innen bemängelt, dass es bei den entsprechenden Taten keine Strafbarkeitslücke gebe und die Strafbarkeit von Handlungen immer weiter ins Vorfeld verlagert werde. Dazu kommen Paragrafen gegen sogenanntes Cyber-Stalking und Feindeslisten.

Bei der Strafbarkeit von Feindeslisten demonstrierte Lambrecht jedoch auch, dass sie Kritik wahrnimmt. Eigentlich richtete sich der Entwurf gegen Feindes- bzw. Todeslisten, auf denen Rechtsradikale ihre politischen Gegner sammeln. Lambrecht wollte diese Sammlungen unter Strafe stellen, das Gesetz reichte jedoch viel weiter und hätte ebenso journalistische und antifaschistische Recherche gefährdet. Daraufhin fasste das Justizministerium das Gesetz nochmal an – und entschärfte den Paragrafen.

Von ihrem bisherigen Handlungsfeld auf ihr neues Amt als Verteidigungsministerin zu schließen, fällt schwer. Zu gering sind die Berührungspunkte. Lambrecht beschreibt sich selbst als ungeduldigen Menschen, will ihre Ziele am liebsten ganz schnell erreichen. Über Männer hat Lambrecht einmal gesagt: „Es gibt genug Männer, die nach jeder Wurst schnappen und die Dinge dann nicht zu Ende bringen.“ Dass sie selbst aktiv nach der Verteidigungsministeriumswurst geschnappt hat, wirkt unwahrscheinlich. Doch sie hat sie bekommen. Und muss jetzt zeigen, was sie aus ihr macht.

Eine Ergänzung

  1. Sehr schade das sie das Amt im Justiministerium und Verbrsucherschutz aufgegeben hat. Zumal jetzt wo die neue Regierung am Zug ist, es einfacher wäre Verbraucherschutz zu verschörfen. Sie war ja die führende Person zur Umsetzung | Verschärfung des neuen TKG Gesetzes. Das durch die CDU abgeschwächt wurde

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