Lisa Dittmer ist Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen.
Die aserbaidschanische Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa ist ihrem Heimatland wegen ihrer Recherchen zu Korruption immer wieder staatlicher Überwachung und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Dass auch demokratische Staaten wie Deutschland ihre Rechte missachten könnten, wollte sie nicht hinnehmen. Daher klagten sie und weitere Medienschaffende mit Unterstützung von Reporter ohne Grenzen gemeinsam gegen das BND-Gesetz. Sie sah die Vertraulichkeit ihrer Arbeit und der Kommunikation mit Quellen durch die strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND gefährdet, das Bundesverfassungsgericht gab ihr im Mai Recht.
„Ich bin glücklich, dass dieses deutsche Gesetz, das gegen Journalistinnen und Whistleblower missbraucht werden konnte, nun gekippt wurde, […] dass ich Teil dieses Verfahrens sein und Demokratie erfahren konnte“, schrieb Ismajilowa kurz nach der Urteilsverkündung.
Doch mit Blick auf den nun vorliegenden Gesetzentwurf zur Neufassung des BND-Gesetzes zeichnet sich ab: Die Journalistin wird auch weiterhin damit rechnen müssen, dass ihre Mails und Telefonverbindungen vom deutschen Auslandnachrichtendienst ausgeforscht werden könnten. Denn der Gesetzentwurf gesteht dem BND künftig weite Ermessensspielräume dabei zu, wem er Schutzrechte einräumt. Es geht dabei um die Frage, wer für den BND ein „echter“ Journalist ist und wer nicht.
Zugleich sieht der Vorschlag des Bundeskanzleramts weitreichende Befugnisse vor, um Informationen gemeinsam mit anderen Nachrichtendiensten zu gewinnen und zu teilen. Das würde den Quellenschutz massiv gefährden.
Schutzstatus ohne Konsequenzen
Der neue BND-Gesetzentwurf gesteht Berufsgeheimnisträgern wie Geistlichen, Rechtsanwälten und Medienschaffenden erstmals explizite Schutzrechte für die Vertraulichkeit ihrer Kommunikation mit Dritten zu. Rein rechtlich betrachtet ist das ein deutlicher Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung und sendet ein positives Signal an andere europäische Staaten.
Zugleich schafft der Gesetzentwurf jedoch derartig viele Einschränkungen und dehnt Spielräume innerhalb des Urteils so erheblich aus, dass in Frage steht, ob vertrauliche Gespräche von Medienschaffenden und ihren Quellen in der Praxis tatsächlich besser geschützt sein werden.
Offenkundig will das Kanzleramt dem BND keine grundsätzlichen Schranken auferlegen, die deren geheimdienstliche Überwachung von Medienschaffenden verbieten würden. Denn gerade Journalisten könnten sowohl über relevante Informationen zur Lagebeurteilung verfügen als auch dem Dienst unwissentlich interessante Erkenntnisse im Kontext der Gefahrenfrüherkennung liefern.
Der Journalist Daniel Moßbrucker hat kürzlich bereits ausführlich beschrieben, wie eine schrankenlose Befugnis zur Überwachung zwecks Informationsbeschaffung für die Bundesregierung und maximal breit definierte Gefahrenlagen den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen aushöhlen würden.
Journalist, kein Journalist: Im Ermessen des BND
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Frage, wem journalistische Schutzrechte künftig überhaupt zukommen. Im Gegensatz zu Geistlichen und Rechtsanwälten ist der Begriff „Journalist“ nicht eindeutig an institutionelle Zugehörigkeiten oder eine staatliche Zulassung gebunden.
Aus gutem Grund: Reporter ohne Grenzen hat sich in den vergangenen Monaten für eine auf die gesellschaftliche Funktion und auf den Entstehungsprozess vertrauenswürdigen Journalismus fokussierte Abgrenzung eingesetzt. Die Einhaltung journalistischer Standards sollte im Vordergrund stehen, nicht die Existenz einer institutionellen Zulassung oder die Bindung an ein großes Medium.
In vielen Einsatzländern des BND sind es gerade Menschen, denen Regime die Möglichkeit zur Ausübung journalistischer Tätigkeiten zu verweigern suchen, die ein Mindestmaß an unabhängiger Berichterstattung garantieren. Je prekärer die Lage, umso dringender muss ihr Schutz gewahrt sein. Darunter fallen ausgebildete Medienschaffende wie Khadhija Ismajilowa genauso wie die Bürgerjournalistinnen und -journalisten der Gruppe „Raqqa is being slaughtered silently“, die heimlich die Grauen der IS-Herrschaft in Syrien dokumentierten. Ob ihnen aber der Schutzstatus „Journalist“ zugestanden wird, darüber bringt der Gesetzentwurf keine Klarheit.
Die einzigen Überlegungen des Kanzleramts zum Thema finden sich in der Gesetzesbegründung, der zufolge nur jene Medienschaffende einen erweiterten Schutz genießen, deren Tätigkeiten „durch Freiheit und Unabhängigkeit gekennzeichnet sind“. Diese Einschränkung hatte das Verfassungsgericht selbst vorgenommen, besonders fragwürdig ist nun jedoch, dass der Gesetzentwurf es allein dem BND überlässt, diese Beurteilung vorzunehmen.
Ein neugeschaffener Kontrollrat soll zwar abwägen dürfen, ob überwiegende Sicherheitsinteressen zur Gefahrenfrüherkennung den Eingriff in den Quellenschutz rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass der BND bereits vorab betroffene Vertraulichkeitsbeziehungen nach unbekannten Kriterien identifiziert und der Kontrollinstitution proaktiv meldet. Auch die Vorgabe lediglich „einzelfallbezogene[r] Stichproben“ durch die administrative Kontrolle, also der nachgelagerten Kontrolle der rechtmäßigen Praxis, kommt angesichts der riesigen Datenmengen, die der BND verarbeitet, erheblich zu kurz.
BND soll „Fake News“ identifizieren
Umso problematischer scheint daher die Ausführung in der Gesetzesbegründung, wonach unter anderem Personen explizit vom Schutz ausgenommen sind, die „unter dem Deckmantel des Journalismus bewusst fake news produzieren, um auf diese Weise im Auftrag einer ausländischen Macht auf die inländische Bevölkerung einzuwirken“.
Kaum ein Begriff unserer Zeit ist so politisch umkämpft und variabel auslegbar wie der der „Fake News“. Kaum einer hat der Pressefreiheit über die letzten Jahre in ähnlichem Maße in vermeintlich gefestigten Demokratien wie den USA geschadet. Nun wird dem BND aber eingeräumt, über die politische Legitimität journalistischer Inhalte zu richten und abseits der Nachrichtendienstkontrolle zu bewerten, wann diese in unerwünschter Weise auf deutsche Bürgerinnen und Bürger einwirken.
Der Entwurf sieht auch extrem weitreichende Befugnisse für den BND vor, „unselektierte“ Metadaten gemeinsam mit anderen Nachrichtendiensten zu nutzen und weiterzugeben, so es der „Aufklärung staatlich gesteuerter, auf Destabilisierung angelegter Desinformationskampagnen“ dient. Dabei handelt es sich beispielsweise um massenhaft gesammelte und ungefilterte Verbindungsdaten aus Telefon-, E-Mail- und Internetverkehr.
Allein aus der Zusammenführung von Kontaktadressen und -nummern, Ortsdaten und anderen scheinbar nicht personenbezogenen Daten könnten Nachrichtendienste umfangreiche Kontakt- und Bewegungsprofile erstellen.
Genau diese Daten sollen nun aber, wenn der Kontrollrat den grundsätzlichen Aufklärungsbedarf bestätigt, ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen ungefiltert mit anderen Nachrichtendiensten geteilt werden. Der digitale Quellenschutz würde massiv untergraben.
Bisher ungeregeltes Hacking legalisiert
An anderer Stelle schreibt das Kanzleramt technische Möglichkeiten neu fest, die der BND längst nutzt. Seit Jahren soll der BND ohne die entsprechende Rechtsgrundlage in ausländische IT-Systeme und Server eindringen, um digitale Kommunikation mitzulesen und gespeicherte Daten abzugreifen, so zum Beispiel den E-Mail-Verkehr des afghanischen Handelsministers. Dabei las der Dienst auch die Mails einer deutschen Journalistin mit.
Das neue BND-Gesetz soll diese eingriffsintensive Praxis nun legitimieren und nimmt dabei auch Medienschaffende von „individuellen Aufklärungsmaßnahmen“ dieser Art nicht aus, solange die gehackten Daten zur „Aufklärung von im Einzelfall schwerwiegenden Gefahren“ beitragen. Bereits im Kontext der Änderung des Verfassungsschutzrechts hat sich gezeigt, wie umstritten die Praxis staatlichen Hackings ist.
Dies liegt zum einen an der Tragweite heimlicher Eingriffe in fremde Systeme. Zum anderen mangelt es an einer praktischen Absicherung, dass es beim gezielten Eingriff zur Gewinnung relevanter Informationen bleibt und der Geheimdienst nicht auch irrelevante, aber sensible Daten abgreift. Technisch ist kaum auszuschließen, dass der BND nicht auch vertrauliche Kommunikation oder Dateien von Medienschaffenden verdachtsunabhängig als Beifang erhebt, wenn er in fremde Server eindringt. Die bisher vorgesehene schwache, „stichprobenartige“ administrative Kontrolle der Datenerhebung und -verarbeitung würde diesem Risiko nicht gerecht.
Reform der Kontrolle greift zu kurz
Insgesamt fehlt es der künftigen Kontrolle an Möglichkeiten. An Vorschlägen für eine wirklich demokratische Reformierung anhand europäischer Vorbilder hat es nicht gemangelt, etwa von Seiten des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit oder den Kontrollexperten der Stiftung Neue Verantwortung. Stattdessen justiert das Kanzleramt nur dort nach, wo das Verfassungsgerichtsurteil keine andere Möglichkeit lässt.
Ein „Unabhängiger Kontrollrat“ aus sechs Juristinnen und Juristen mit erweitertem Mitarbeiterstab soll künftig über die Überwachungsmaßnahmen des BND richten. Er soll die Rechtmäßigkeit der Anordnungen prüfen, tut dies aber unter Bedingungen, die dem modernen Ausmaß datengesteuerter Fernmeldeaufklärung nicht gerecht werden.
Eine wichtige Ergänzung brächte eine unabhängige und kritische Stimme der von Überwachung betroffenen Gruppen, insbesondere schutzwürdiger Personen wie Medienschaffenden und Rechtsanwälten. So unabdinglich technische Expertise für die effektive Kontrolle digitaler Nachrichtendienstarbeit ist, sollten auch Fragen der Rechtsstaatlichkeit oder der Lage der Pressefreiheit von Fachleuten geklärt werden. Besser noch sähe der Kontrollrat eine eigenständige Anwaltsstimme der Bürger- und Menschenrechte vor. Aktuell bleibt es den Kontrollratsmitgliedern überlassen, die auf Erkenntnismaximierung fokussierte Stimme des Nachrichtendienstes als Anwalt und Richter zugleich kritisch zu hinterfragen.
Ausgang ungewiss
So setzt das Kanzleramt fort, was sich bereits bei der ersten BND-Reform zeigte: Unter öffentlichem Druck, nun auch unter juristischem Zugzwang, wird ein Gesetz geschrieben, dass eigentlich Rechtsklarheit und eine demokratische Grundlage zur Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen des Staates und Eingriffen in Grundrechte schaffen soll, effektiv jedoch ein Maximum an technischen Überwachungsmöglichkeiten festschreibt und entscheidende Ermessensspielräume jeglicher Kontrolle entzieht.
Nun bleibt abzuwarten, ob zivilgesellschaftliche Kritik und Vorschläge diesmal im Gesetzgebungsverfahren Gehör finden. Khadija Ismajilowa und anderen Medienschaffenden im Ausland, aber auch deren Recherchepartnern in Deutschland, stünden andernfalls weitere Jahre der Ungewissheit bevor, ob ihre Gespräche vertraulich bleiben.
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