EU-Gesetz gegen TerrorpropagandaPolitisch motivierte Online-Zensur, leicht gemacht

Während EU-Länder wie Ungarn ihre Demokratie abbauen, will ihnen die EU-Kommission trotzdem mächtige Mittel in die Hand geben. Ursprünglich gegen die Verbreitung von Terrorpropaganda im Internet gedacht, könnte ein Gesetzesvorschlag zu unkontrollierter Zensur in ganz Europa führen. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis will dies verhindern.

In Ungarn dürfte noch diese Woche eine demokratiepolitische Nacht anbrechen. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Daniel Olah

Wenn ein autokratischer Regierungschef eine Krise wie die aktuelle Corona-Pandemie nutzt, um seine Macht auszubauen, dann ist das schlimm genug. Noch bedenklicher wird es, wenn demokratische Regierungen solchen Machthabern leichtfertig Mittel in die Hand geben, ihren Einfluss über Landesgrenzen hinweg geltend zu machen – und sie vielleicht gut gemeinte, aber löchrige EU-Gesetze dazu nutzen, EU-weit ihnen missliebige Inhalte aus dem Netz zu fegen.

Ein solches Szenario könnte bald knallharte Realität werden. So dürfte Ungarns ohnehin angeschlagener Demokratie diese Woche bis auf Weiteres das Licht ausgehen. Stimmt das Parlament erwartungsgemäß einem Gesetzesvorschlag zu, dann regiert der autoritäre Viktor Orbán künfig auf unbestimmte Zeit per Dekret, ohne parlamentarische Kontrolle oder Sicherung.

Drakonische Strafandrohungen runden das Bild ab: Wer dann etwa gegen das Ausgehverbot verstößt, könnte für acht Jahre im Gefängnis landen. Verbreitet jemand „Falschnachrichten“ im Sinne der Regierung, dann drohen bis zu fünf Jahre Haft. Im besten Fall wird das zu mehr Selbstzensur führen, fürchten ungarische Journalisten. Den schlimmsten Fall will sich lieber niemand ausmalen.

Gefährlicher Demokratieabbau in Europa

Ungarn ist freilich nicht das einzige EU-Land, das konsequenten Demokratieabbau betreibt und sich deshalb ein EU-Vertragsverletzungsverfahren eingehandelt hat. Auch Polen und seine rechtskonservative Regierung muss sich derzeit dafür rechtfertigen, die Unabhängigkeit der Judikative ausgehöhlt und damit die Grundwerte der EU missachtet zu haben, lange vor der aktuellen Coronakrise.

Der Weg, den einige Länder Mitteleuropas schon vor Jahren eingeschlagen haben, ist leidlich bekannt. Doch obwohl sämtliche EU-Institutionen und Mitgliedstaaten bestens über die Entwicklungen informiert sind, drängen Kommission und EU-Länder darauf, die seit dem Herbst laufenden Trilog-Verhandlungen mit dem Parlament über ein Anti-Terrorpropaganda-Gesetz möglichst rasch abzuschließen.

Der Gesetzentwurf war ursprünglich nach einer Reihe an islamistischen Anschlägen in Europa auf den Weg gebracht worden. Unter anderem sieht er Uploadfilter vor, die mutmaßliche Terrorpropaganda gar nicht erst ins Internet gelangen lassen sollen. Eine bloß einstündige Reaktionszeit für Betreiber von Online-Diensten soll dafür sorgen, dass sie ihnen von Behörden gemeldete Inhalte rasch entfernen. Und grenzüberschreitende Löschanordnungen sollen einen reibungslosen Ablauf garantieren – je nach EU-Land auch ohne unabhängige Kontrolle, etwa durch einen Richter.

Grenzüberschreitende Löschanordnungen ohne Kontrolle

Schon bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs warnten Bürgerrechtler wie der Pirat Patrick Breyer, der inzwischen im EU-Parlament sitzt: „Damit kann unsere Meinungs- und Informationsfreiheit beispielsweise in die Hand des ungarischen Innenministeriums oder eines örtlichen Polizeibeamten in Rumänien gelegt werden, was inakzeptabel ist“. Die Warnung hat seither keinen Deut an Aktualität verloren, im Gegenteil.

Nun bekräftigt ein zivilgesellschaftliches Bündnis erneut in einem offenen Brief, welche Gefahren in dem Gesetzestext lauern. So würden etwa grenzüberschreitende Löschanordnungen ohne unabhängige Kontrolle zu Missbrauch einladen. „Wir befürchten konkret, dass Regierungen sonst ihre Weisungsbefugnis nutzen könnten, um das Verschwinden politisch unliebsamer Beiträge anzuordnen“, sagte Elisabeth Niekrenz von der deutschen Digital-NGO Digitale Gesellschaft in einer Stellungnahme.

18 weitere Organisationen unterstützen den Brief, darunter die europäische Digital-NGO EDRi oder die US-Organisationen Electronic Freedom Foundation und Access Now.

Uploadfilter nicht vom Tisch

Zudem appelliert das Bündnis an das EU-Parlament, in puncto Uploadfilter an der eigenen Verhandlungsposition festzuhalten. Im Unterschied zu Kommission und Rat lehnen die Parlamentarier Uploadfilter bislang ab. Doch vom neuen Verhandlungsführer der Parlamentarier, dem rechtskonservativen Polen Patryk Jaki, kamen bereits gemischte Signale. Berichten zufolge soll er signalisiert haben, sich Uploadfilter vorstellen zu können, dementierte die durchgesickerte Meldung aber umgehend.

Uploadfilter sind extrem fehleranfällig und haben in der Vergangenheit bereits zur Löschung von Beweismaterial zu Kriegsverbrechen oder journalistischen Beiträgen geführt, warnt Elisabeth Niekrenz. Sogenanntes Overblocking macht den Plattformen auch in der aktuellen Coronakrise zu schaffen, die zu mehr automatisierten Fehlentscheidungen geführt hat, heißt es in dem Brief. Zudem bestehe die Befürchtung, so Niekrenz, dass Uploadfilter zur Löschung von politisch unerwünschten Beiträgen verwendet werden können.

„Die Entscheidung, welcher Inhalte als terroristisch zu klassifizieren ist und welcher nicht, ist oft bei weitem nicht so klar, wie auf den ersten Blick vermutet werden könnte“ sagt Niekrenz. Der Blick muss sich dabei gar nicht auf Länder wie Ungarn richten: In Großbritannien etwa landete die Umweltbewegung Extinction Rebellion auf einer Anti-Terror-Liste der Polizei. „Die Automatisierung dieser Einschätzung sollte auf keinen Fall gesetzlich oder behördlich angeordnet werden“, mahnt Niekrenz.

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