„Wir sind keine Bots“ hat es in den Bundestag geschafft

Verhärtete Fronten in der Auseinandersetzung um die EU-Urheberrechtsreform: Opposition und Regierung stehen sich weiterhin unversöhnlich gegenüber. Ein SPD-Abgeordneter sieht jedoch die Chance, dass Artikel 13 im Europaparlament noch veränderbar sei.

Justiz-Staatssekretär Christian Lange verteidigte die EU-Urheberrechtsreform. – Alle Rechte vorbehalten Bundestag

Auf Antrag der Linkspartei hat der Bundestag heute in einer aktuellen Stunde über die EU-Urheberrechtsreform und die Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit diskutiert.

Petra Sitte von der Linken kritisierte die Reform als von den Interessen großer Verlage geprägt, so komme nun das schon in Deutschland gescheiterte Leistungsschutzrecht in verschärfter Form. Es sei nicht zu erwarten, dass die Regelungen den Kreativen zu Gute kämen.

„Facebook lobbyiert im Hintergrund für Uploadfilter“

Sitte wies darauf hin, dass große Monopolisten die Reformkosten leichter stemmen könnten als kleine Plattformen. Als Indiz sieht sie, dass Facebook hinter den Kulissen für den Einsatz von Uploadfiltern lobbyiere, die dann auch gegen Hate Speech und mutmaßliche Terrorpropaganda genutzt werden sollten. Sitte dankte den Demonstrierenden auf der Straße für ihr Engagement.

Für die Union sprach sich Elisabeth Winkelmeier-Becker für die Reform aus. Sie malte ein Schreckensszenario an die Wand, dass Künstler nicht mehr von ihrer Arbeit leben könnten. Jedes Dorffest zahle GEMA-Gebühren, die Plattformen könnten sich diesen jedoch entziehen. Die Reform schütze darüber hinaus die normalen User vor Abmahnungen. Sie ließ offen, ob damit das Nichterscheinen von Inhalten durch den Einsatz von Uploadfiltern gemeint war.

„Chaos und Ahnungslosigkeit“ in der Digitalpolitik

Für das Justizministerium sprach Staatssekretär Christian Lange. Das Ministerium wolle das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf Eigentum und dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit möglichst grundrechtsschonend auflösen. Er versprach, dass man bei einer Umsetzung ins deutsche Recht besonders vorsichtig sein wolle. Die Bundesregierung habe sich großzügigere Ausnahmen für Start-Ups gewünscht, dies sei aber in den Verhandungen wegen der französischen Position nicht möglich gewesen. Sein Ministerium hätte sich generell andere, netzaffinere Regelungen vorstellen können, aber ein besserer Kompromiss sei in Europa nicht zu erreichen gewesen.

Manuel Höferlin von der FDP erinnerte die Bundesregierung daran, dass ihre Digitalexperten gegen die Reform in der derzeitigen Form seien. Er warf der Bundesregierung „Chaos und Ahnungslosigkeit“ in der Digitalpolitik vor. Auch er kritisierte, dass die Ausnahmeregelungen für kleine Unternehmen nicht ausreichend seien. Die Reform sei innovationsschädigend. In Sachen Uploadfilter warnte er vor „Überfilterung“ und vor der Tatsache, dass die Filter keine Zitate und Satire verstehen könnten.

Tabea Rößner von den Grünen erinnerte daran, dass seit ACTA und TTIP nicht so viele Menschen gegen eine EU-Initiative auf die Straße gegangen seien. Sie warnte vor der Fehleranfälligkeit der Uploadfilter. Als Beispiel nannte sie, dass in Zukunft Videos von Veranstaltungen, in denen zufällig im Hintergrund urheberrechtlich geschützte, aber nicht lizensierte Musik laufe, nicht mehr hochgeladen werden könnten. Das sei eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die nicht sein dürfe. Die Reform verschaffe zudem den großen Playern ein neues Geschäftsfeld mit der Technologie von Uploadfiltern. Rößner kritisierte auch den Umgang von europäischen Institutionen und Politikern mit den Protesten. Dieser würden das Misstrauen gegenüber der Politik fördern.

Marius Müller-Westernhagen und der kreative Apartheidstaat

Ansgar Heveling von der CDU zitierte während seiner Rede Marius Müller-Westernhagen und dessen Song „Freiheit“ und versuchte, dies mit der Urheberrechtsreform zu verbinden. Heveling stritt eine Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die Reform ab. Sie bringe einen Ausgleich von Freiheiten, so Heveling.

Martin Rabanus von der SPD wünschte sich mehr Sachlichkeit auf allen Seiten. Es sei nicht zielführend, zum „Twitter-War“ gegen die Reform aufzurufen. (Weiß jemand, was er damit meinte?). Es gebe gute Seiten der Reform und „niemand will eine rein automatisierte Erkennung mit Algorithmen – zumindest nicht in der SPD“. Entscheidungen über die Presse- und Meinungsfreiheit sollten am Ende immer Menschen treffen. In einem sozialdemokratischen Spagat wünschte Rabanus am Ende aber doch, dass die Reform in dieser Form durch das Europaparlament komme.

Die beiden Abgeordneten der AfD sprachen sich in ihren Reden gegen die Reform aus, einer warnte vor einem „kreativen Apartheidstaat“.

Anke Domscheit-Berg von der Linken warnte vor einem „rechtlichen Monstrum, das Erzeugnisse aus Zeiten der Druckerpresse künstlich am Leben hält“, aber gleichzeitig Satire und Parodien opfere. In Brüssel habe von allen Parteien nur die Linke konsequent gegen die Reform gestimmt. Domscheit-Berg kritisierte den Umgang mit den Gegnern der Reform, die als „Bots“ diskreditiert worden seien. Sie erinnerte daran, dass Internetpioniere gegen die Reform seien und dass Artikel 13 gegen Grundrechte verstoße. Die Linken-Politikerin rief mit den Worten „Wir sind keine Bots“ zur Teilnahme an den europaweiten Protesten am 23. März auf.

SPD-Politiker: Reform mit verändertem Artikel 13 möglich

Tankred Schipanski (CDU) und Nina Scheer (SPD) sprachen sich für die Reform aus. Scheer warf den Gegnern vor, dass diese keine guten Gegenvorschläge vorgelegt hätten. In eine ähnliche Kerbe schlug Alexander Hoffmann von der Union, der der Opposition „Opposition um jeden Preis vorwarf“. Jetzt sei schon die FDP gegen das Eigentum, was ihm Sorgen bereite. Hoffmann bezeichnete Overblocking als reine Erfindung. Ebenso sei es eine Falschbehauptung, dass Manfred Weber die Abstimmung im EU-Parlament habe vorziehen wollen. Zumindest dies kann angesichts der Faktenlage bestritten werden.

Den Schluss der Debatte machte der Sozialdemokrat Jens Zimmermann. Er stehe auf der Seite derjenigen, die Sorgen hätten, aber auch auf Seite der Urheber. Er tue sich selbst schwer mit Uploadfiltern, versicherte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Laut Zimmermann sei es immer noch möglich, jetzt im Europaparlament einen Kompromiss zu finden und die Reform mit einem veränderten Artikel 13 abzustimmen.

2 Ergänzungen

  1. Interessante Fronten-„Logik“: Auf der einen Seite die Urheber und auf der anderen Seite die Upload-Filter-Kritiker, ergo Anti-Urheberrecht’ler.

    Jetzt werden also schon die Befürworter des freien Internets als politische Gegner klassifiziert. Hut ab vor der FDP, sollten die Position salonfähig werden. Das zeugt von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Weitsichtigkeit. Niemand will, dass Künstler und Urheber im allgemeinen leer ausgehen. Doch heiligt der Zweck die Mittel?

    Kann mir jemand bitte erklären, wieso man nach der Aktion „Freiheit statt Angst“ plötzlich die Forderung „Löschen statt sperren“ im KiPo-Bereich erfolgreich umsetzen konnte aber ausgerechnet hier keine Rechtsdurchsetzung möglich sein soll? Also nach dem Verursacher-Prinzip. Hier wird doch nur wieder die höchstrichterlich als rechtswidrige erklärte Störerhaftung durch die Hintertür eingeführt. Wenn es nach mir ginge, müsste man die Juristen und Politiker erstmal mit IT-Kompetenz ausstatten und die Rechtspflege auf das neue Rechtsgebiet einstimmen. Es kann doch nicht angehen, dass man im 21. Jarhundert keine juristischen Fakultäten und Fachgerichte auf dem Gebiet des IT-Rechts hat.

    Wenn unsere teuren Rechtsverdreher nicht bald die Kurve bekommen, schließe ich mich der trefflichen Beobachtung von Gottfried Benn an:
    »Der Jurist wird durch Paragraphen enthoben und vergewaltigt selbständig das Außenstehende«

  2. Wenn man in einem gemeinsamen und wie oft behauptet allseitig verbindlichen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD den Einsatz von Upload Filtern ablehnt, dann erschliesst sich mir nicht mehr diese konträre Parlamentsdiskussion. Grundsätzlich und weitab jedweder Auseinandersetzung um technische Details verliert die Politik weiter an Vertrauen. Die Umsetzung dieses Artikel bewirkt mittelbar eine Form der Zensur, nicht durch den „Staat“ selbst , aber quasi in der Hand und Verantwortung der Online-Plattformen, wenn diese ernsthaft ihr Unternehmen aufrecht halten wollen.

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