„Permanent Record“ von Edward Snowden: Zwischen Autobiografie und politischem Plädoyer

Wir haben das Buch „Permanent Record“ von Edward Snowden gelesen und finden es empfehlenswert. Es beschreibt seine Enthüllungen als Making of und ist ein lesenswertes Plädoyer für Freiheit und gegen Massenüberwachung.

Demonstrantin hält ausgedrucktes Snowden-Gesicht
Nach den Snowden-Enthüllungen sind viele Menschen gegen Massenüberwachung auf die Straße gegangen. CC-BY-SA 2.0 Mike Herbst

Edward Snowden hat mit „Permanent Record“ seine Biografie vorgelegt. Sechs Jahre nach Start der von ihm initierten Enthüllungen des Systems der Massenüberwachung durch NSA und Co. gibt es damit einen umfassenderen Einblick in seinen Werdegang und letztendlich auch sein Entscheidungsfindung, zum Whistleblower zu werden und sein bisheriges Leben zu riskieren.

Viele Details waren bereits bekannt. Im Oskar-prämierten Dokumentarfilm „Citizenfour“ zeigte die Filmemacherin Laura Poitras, wie die Kontaktaufnahme und die Übergabe der von Snowden gesammelten Dokumente in Hongkong geschah und was in der Zeit darauf passierte. Stellvertretend für diverse andere Bücher sei hier noch „Der NSA-Komplex“ genannt: Die beiden damaligen Spiegel-Journalisten Holger Stark (jetzt bei der Zeit) und Marcel Rosenbach lieferten 2014 eine erste Einordnung und Übersicht der frühen Entwicklungen.

Edward Snowden selbst hatte sich in der Anfangszeit rar gemacht, auch mit der Begründung, er wolle die Enthüllungen für sich sprechen lassen und nicht durch eine Personality-Show über ihn davon ablenken. Das gelang nur zum Teil. Jetzt gibt es die ganze Story aus seiner Perspektive.

Zwischen Autobiografie und Politik

Der erste Teil von Permanent Record hat vor allem autobiografische Züge. Er beschreibt seine Familie, die seit Generationen im staatlichen Dienst beschäftigt war und dass er deshalb auch in der Nähe der Geheimdienstzentralen aufwuchs. Der Teil ist vor allem interessant, weil der Komplex industrieller Überwachung aus Sicht eines teilnehmenden Nerds anschaulich mit seinen vielen Schattenseiten beschrieben wird. Außerdem gibt es auch noch Anekdoten aus Snowdens CIA-Laufbahn, die nicht so glorreich war wie es Agentenfilme suggerieren.

Der zweite Teil ist deutlich politischer. Hier beschreibt er, wie er allmählich Zweifel an seiner Arbeit bekam. Er sammelte mithilfe seiner Adminrechte immer mehr Informationen, um sich ein anderes Bild der Gesamtsituation zu machen als es die US-Regierung der Öffentlichkeit und dem Kongress suggerierte. Das wird nicht nur zum Making of der Enthüllungen, sondern auch ein gutes Plädoyer für den Schutz der Privatsphäre und gegen Massenüberwachung.

Snowden beschreibt dabei auch die verschiedenen Überwachungspakete anschaulich und das ist die Stärke des Buches: Gerade Menschen, die nicht tief in der Materie stecken, bekommen einen guten Überblick, warum dieses System der Massenüberwachung für unsere Freiheit eine Gefahr darstellt.

Was haben die Enthüllungen gebracht?

Am Dienstag hat mich Deutschlandfunk Kultur interviewt, was sich durch die Enthüllungen verändert hat. Aus technischer Sicht gab es Fortschritte: Heute ist viel mehr unserer Kommunikation verschlüsselt und damit weniger leicht zu überwachen als vorher. Aber politisch gesehen haben viele Regierungen, inklusive der deutschen, die Enthüllungen als Wunschliste und Machbarkeitsanalyse gesehen und wir haben heute mehr staatliche Überwachung als vorher. Der Trend setzt sich leider fort.

Dagegen müssen wir weiter kämpfen: in der öffentlichen Debatte, um auf die Auswirkungen für unsere Grundrechte hinzuweisen und für mehr Freiheit zu argumentieren; als Nutzende, indem wir digitale Selbstverteidigung betreiben und uns durch Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechnologien selbst schützen; vor Gericht, um dort zu klagen und viele der Überwachungsmaßnahmen wieder zu beschneiden.

5 Ergänzungen

  1. „was sich durch die Enthüllungen verändert hat. “
    … ich habe den Bundestags-Fraktionsvorsitzenden zu nächstem Donnerstag (26.09.), wenn es in den Punkten 7 und 9 um Verfassungsverteidigung geht, geschrieben:

    Der EUGH (Max Schrems / Save Harbour), der europäische Menschenrechtsgerichtshof
    (zur Massenüberwachung des GCHQ), das Bundesverwaltungsgericht Leipzig (Reporter ohne Grenzen vs. VERAS-Daten des BND) haben Edward Snowdens Fehlermeldung längst Recht gegeben. In seinen USA wurde der patriot act durch den freedom act ersetzt.
    Die EU hat die Datenschutzgrundverordnung! geschafft, und nun im März dieses Jahres auch eine gute Whistleblower-Schutz-Vorgabe. Dank Edward Snowden !

    Die UN Menschenrechtskommission, das EU-Parlament, der schleswig-holsteinische Landtag,
    der BGH in seiner ersten Entscheidung zum Zeugenschutz im NSA-Untersuchungsausschuss
    (und nach der Revision ist es ja nie zur Abstimmung im Bundestag gekommen: ich glaube, es hätten mehr als 25% der Abgeordneten für Snowden gestimmt) – plus: so viele von uns Bürgern
    haben unsere Regierung aufgefordert, Edward Snowden Schutz anzubieten
    => „politisches Interesse“, für den Aufenthaltstitel nach §22 AufenthaltsG,
    bzw. für die schriftliche Erklärung der Justizministerin, der Auslieferung nicht zuzustimmen,
    ist also gegeben.

    Und ich glaube, diese Sammlung ist noch sehr unvollständig.
    Was ich sagen will:
    da ist MEHR als nur ein Zuwachs an Verschlüsselung, meiner Ansicht nach.

    Es gibt ‚eine Zeit VOR und eine Zeit NACH Edward Snowden‘, haben es Rosenbach und Stark in der Urania genannt am 17.09.

  2. Danke für die sachliche Einordnung. Catrin Stövesand vom DLF hat Snowden ja unterstellt, mit dem Buch über eine Lebensgeschichte hauptsächlich „mal richtig Geld verdienen zu wollen“ (https://www.deutschlandfunk.de/edward-snowden-permanent-record-es-wirkt-ein-bisschen-wie.1310.de.html?dram:article_id=458886).

    Mir schleierhaft, ob sie das auch bei Alexander Solschenizyn oder gar bei Primo Levi attestiert hätte. Ich fand ihre Einschätzung im besten Falle dumm, eigentlich aber vollkommen geschmacklos.

    Könnt Ihr – da Ihr das Buch gelesen habt – ihrer Kritik etwas abgewinnen?

    1. Ich würde Ihr gern einen Teil meiner Rundfunkgebühr wieder „abgewinnen“. Damit netzpolitik mal so richtig meine Spende abkassieren kann.

      Da Snowdens anschauliche Aufbereitung für Leser geschrieben ist, die weniger tief in der Materie stecken, stelle ich die Frage: wo find ich Details für Fortgeschrittene?

      Und- statt dümmliche Kritiken zu debattieren – können wir vielleicht darüber diskutieren, wie ich die Mittel aus dem Digitalpakt sinnvoll einsetzen könnte – vielleicht um nachhaltige Selbstverteidigungsskills. für Lehrkräfte in die Fortbildungskonzepte einzuschleusen. Das würde Snowden bestimmt freuen – wenn schon kein Asyl, dann wenigstens lessons learned für die „Betroffenen“.

    2. Wenn sich Leute einsetzten oder es allgemein wagen, aus der großen Masse herauszuragen, ist persönliche Diffamierung leider eine häufig gesehene Reaktion der Kritiker, siehe Greta Thunberg, Natascha Kampusch etc.. Das ist oft so durchschaubar, billig und dumm, dass man es am besten einfach ignoriert.
      Ich habe das Buch bestellt und warte noch auf den Anruf aus der Buchhandlung, aber völlig unabhängig davon, was drin steht, kann man doch sagen: Seit wann ist es verboten oder verwerflich, Geld verdienen zu wollen (oder zu müssen)? Nach allem, was Edward Snowden aufgegeben hat, ist Geldgier doch wohl das letzte, was man ihm vorwerfen kann. Er hat viel zu erzählen und wir wollen es gerne lesen. Wenn ihm das finanziell hilft, würde ich mich freuen. Es ist ja wenig genug, dass man ihm bisher zurückgeben kann.

  3. „Die US-Regierung hat Snowden verklagt und will damit erreichen alle Gewinne die sich aus dem Verkauf des Buches ergeben einzuziehen:
    https://www.zdnet.de/88369301/us-regierung-verklagt-snowden/
    Das bedeutet wenn die Klage Erfolg hat bekommen die jeden Cent der bisher mit dem Verkauf des Buches verdient wurde und noch verdient wird!
    Ich habe sowohl dem Verlag in den USA Macmillan, als auch den Fischer-Verlag der das Buch hier in Deutschland verlegt folgendes per Mail vorgeschlagen: das Buch wird zum kostenlosen Download angeboten, mit dem Vermerk, dass man eine Spende an den Verlag tätigen kann. Ein kostenloses Buch kann keinen Gewinn abwerfen und die Spenden finanzieren den Verlag mit. Zudem sollte das digitale Werk unter einer freien Lizenz stehen, damit es beliebig weitergegeben und ausgedruckt werden darf.
    Sobald die beiden Verleger antworten werde ich diese Antworten hier posten.

    @Markus: es wäre schön wenn ihr den Verlauf der Klage verfolgen würdet.
    @Alle: sollte die Klage Erfolg haben und die Verlage meinen oben genannten Vorschlag nicht umsetzen kauft euch nicht das Buch, denn damit finanziert ihr den Amerikanischen Staat und perfide wie der ist werden die Gelder aus dem Gewinn des Buches für die NSA und ähnliche Behörden zugeführt werden!
    Ladet euch dann irgendwo eine illegale Kopie des Buches herunter und spendet an den Verlag möglichst den Betrag den das Buch beim Kauf gekostet hätte.
    Vielleicht wäre das auch jetzt schon ratsam, da die Klage auch rückwirkend sein wird.“

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