Vor zwei Monaten veröffentlichten wir einen Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium zur Reform des Verfassungsschutzgesetzes. Darin wird geregelt, dass der Verfassungsschutz neue Befugnisse bekommen soll und unter anderem Staatstrojaner einsetzen darf. Dieser Entwurf ist immer noch die aktuelle Fassung. Doch es gibt in der Koalition Streit, weil das Bundesjustizministerium ihn nicht akzeptieren will.
Reporter ohne Grenzen äußert indes Bedenken gegen den Entwurf wegen seiner Auswirkungen auf die Pressefreiheit. Die NGO warnt in einer ausführlichen Stellungnahme davor, dass mit diesem Gesetzentwurf der Verfassungsschutz auch gegen unliebsame Medien und Journalisten in Deutschland mit Überwachungsmaßnahmen vorgehen dürfen soll. Denn der Schutz von Journalisten und Redaktionen wird abgeschwächt, unter anderem dadurch, dass Journalisten aus der Gruppe der Berufsgeheimnisträger in diesem Gesetzesentwurf, im Gegensatz zur Strafprozessordnung, gestrichen wurden.
In einer Pressemitteilung von Reporter ohne Grenzen heißt es über das Ausmaß der Befugnisse: Redaktionsgeheimnis in Gefahr.
„Die Online-Durchsuchung ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der Referentenentwurf listet eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit denen Geheimdienste journalistische Arbeit bespitzeln dürften: So sollen sie verschlüsselte Kommunikation zwischen Medienschaffenden und Quellen überwachen dürfen und Buchungsdaten von Recherchereisen mittels Bahn oder Mietwagen abfragen können. Hinzu kommt, dass das historische Trennungsgebot zwischen Strafverfolgung und Geheimdiensten aufgeweicht werden soll, indem zum Beispiel Polizeien und die Inlandsgeheimdienste dauerhaft gemeinsame Datenbanken aufbauen können. Damit können Strafverfolgerinnen und Strafverfolger Informationen über Medienschaffende erhalten, die eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen – und umgekehrt. Dieser Informationsaustausch soll auch internationalisiert werden: Deutsche Geheimdienste sollen Daten über Medienschaffende in internationale Datenbanken einpflegen können, woran dann wiederum ausländische Geheimdienste teilnehmen. Damit könnten ausländische Staaten zum Beispiel an Daten über im deutschen Exil arbeitende Journalistinnen und Journalisten gelangen.“
Wir bei netzpolitik.org haben eine vergleichbare Erfahrung mal vor vier Jahren gemacht, als der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, gegen uns Strafanzeige wegen Landesverrat stellte und der Generalbundesanwalt schon mit Ermittlungen begonnen hatte. Wir hatten damals Glück, dass wir darüber informiert werden mussten und die öffentliche Debatte zu einer schnellen Einstellung der Ermittlungen führte.
An unserer Erfahrung kann man die Erweiterung solcher Überwachungsbefugnisse durchdeklinieren. Denn mit den erweiterten Befugnissen durch den Verfassungsschutz hätte dieser uns wegen unserer kritischen Berichterstattung verfassungsfeindliche Bestrebungen anhängen können und damit wäre unser Schutz durch die Pressefreiheit geschwächt.
Die Süddeutsche Zeitung beschreibt das im Titel ihre Artikels dazu ganz direkt: Innenministerium will Ausspähen von Journalisten erlauben.
„Künftig muss keine Straftat vorliegen, sondern es soll bereits genügen, wenn es sich um einen politischen Vorgang handelt, der für den Nachrichtendienst von Belang ist. Dann darf der Verfassungsschutz abwägen, ob nachrichtendienstliche Interessen schwerer wiegen als das Redaktionsgeheimnis. Diese Entscheidung soll lediglich die geheim tagende sogenannte G-10-Kommission beim Bundestag kontrollieren.“
Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisiert die Ausweitung der Befugnisse scharf und sieht eine Aufweichung der Pressefreiheit: „Angriff auf Redaktionsgeheimnis ist inakzeptabel“. Der Verband schreibt:
„Das bekannt gewordene Gesetzesvorhaben des Bundesinnenministeriums würde dem Verfassungsschutz das heimliche digitale Ausspähen von Redaktionen, Journalisten und ihren Quellen erheblich erleichtern“. […] „Das ist ein weiterer Schritt in dem von uns seit Jahren angeprangerten Prozess, das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten zu unterminieren.“ „Der Verfassungsschutz würde nach den Staatsanwaltschaften und anderen Behörden eine weitere Behörde, die praktisch selbst über die Verhältnismäßigkeit einer Überwachung von Journalisten entscheiden kann“.
Bisher mangelt es auch an Auskunftspflichten durch Geheimdienste, gerade für Journalisten, die häufiger unter Beobachtung stehen als man denken würde:
„Reporter ohne Grenzen fordert, dass Medienschaffende verstärkte Informationsbefugnisse gegenüber Geheimdiensten erhalten, weil sie einerseits rasch ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden gelangen, eine Beschattung sich andererseits aber besonders negativ auf das eigene Verhalten und das Vertrauensverhältnis mit Quellen auswirkt.“
Die Medien gelten (inoffiziell) als vierte Staatsgewalt im Land. Man stelle sich nur vor, Journalistinnen und Journalisten recherchieren – aus Angst vor staatl. Verfolgung/ Repression – zu brisanten Themen nicht mehr; ist dies etwa vom Seehofer-Ministerium so gewollt?
Und aus einem zweiten Artikel der Süddeutschen Zeitung
https://www.sueddeutsche.de/politik/pressefreiheit-innenministerium-journalisten-1.4468389 :
„Die Geheimdienstler können noch so laut wehklagen in diesen Tagen, die Redaktionen der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel haben für sich eine Entscheidung getroffen. Sie geben das Ibiza-Video, welches entlarvende, politisch demaskierende Szenen mit dem österreichischen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache zeigt, nicht an die Behörden heraus. Der Quellenschutz geht für Journalisten vor, auch wenn zwei ehemalige deutsche Geheimdienstchefs öffentlich dagegen polemisieren.
Nun plant aber das Bundesinnenministerium etwas Bemerkenswertes: Laut einem Gesetzentwurf aus dem Haus des CSU-Politikers Horst Seehofer müsste künftig der Inlandsgeheimdienst, der Verfassungsschutz, gar nicht mehr höflich anfragen bei den Journalisten auf das Risiko hin, sich eine Abfuhr zu holen. Stattdessen soll der Verfassungsschutz die Befugnis erhalten, sie einfach zu hacken in solchen Situationen. Dann holt man sich die Dokumente und Dateien eben selbst. Die Redaktion merkt nichts.“
Ist das der Versuch, „Reform“ als Unwort etablieren? Wie das wohl weitergeht…
Bisher hätte ich „Meinungsbildende“ als Unwort im Sinn (A bildet Meinung von B, sagen da wichtig Teil-Bild/Teil-Politiker/Teil-Presse, wobei A wohl soetwas wie die Springerpresse und Politiker selbst sein sollen).