Interview zur XXX-Abmahnung„Die Community kann in solchen Rechtsstreitigkeiten ein Trumpf sein“

Wir haben wegen unserer kritischen Berichterstattung XXX eine Abmahnung erhalten. Daniel Moßbrucker war Mitautor einer Studie zu präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien. Wir haben mit ihm ein Interview geführt.

Frau mit zugeklebtem Mund
Mittlerweile greifen Kanzleien manchmal schon im Vorfeld eines Berichts ein. CC-BY-NC 2.0 Paweł Pająk

Wegen unserer Berichterstattung über XXX sollten wir eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Das haben wir nicht getan, dennoch droht uns weiterhin eine einstweilige Verfügung. Den betreffenden Artikel haben wir vorerst offline genommen, unsere Anwälte haben auf die Abmahnung geantwortet.

netzpolitik.org: Daniel, Du bist gemeinsam mit dem Medienrechtler Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund Autor einer Studie zu präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien, die von der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) finanziert wurde. Was sind beliebte Strategien, um mit Anwälten gegen unliebsame Berichterstattung vorzugehen?

Daniel Moßbrucker: Das Repertoire von professionalisierten Medienkanzleien hat sich in den vergangenen Jahren ausgeweitet. Ein wesentlicher Treiber dafür ist das Netz, durch das sich Nachrichten – ob wahr oder falsch – rasant verbreiten lassen, aber nur schwierig zu entfernen sind. Darauf haben die Kanzleien reagiert.

Klassischerweise ist das Presserecht so konzipiert, dass Redaktionen erst einmal veröffentlichen, ehe sich Betroffene dann gegebenenfalls anwaltlich wehren können. Durch den Medienwandel ist es für Betroffene jedoch immer attraktiver geworden, schon während der Recherche einzugreifen und möglichst dafür zu sorgen, dass eine kritische Berichterstattung gar nicht erst erscheint.

netzpolitik.org: Was bieten Kanzleien in dieser Vorfeld-Arbeit ihrer Mandantschaft an?

Daniel Moßbrucker: Alles ging los mit den sogenannten „presserechtlichen Informationsschreiben“. Der bekannte Anwalt Christian Schertz, dessen Kanzlei nun ja auch XXX gegen Euch engagiert worden ist, sagte in unserer Studie, dass er dieses Instrument seit circa 15 Jahren einsetze. In diesen Schreiben werden Medien gewarnt, angeblich falsche Tatsachen von anderen Medien abzuschreiben.

Mittlerweile sind der Kreativität aber keine Grenzen mehr gesetzt: Fast alle Kanzleien arbeiten mit PR-Agenturen zusammen, um Kampagnen für Unternehmen zu starten und etwa im Social Web ein Gegennarrativ zu erzeugen. Es ist kein Zufall, dass viele Kanzleien ihre Tätigkeit nicht nur als Rechtsberatung, sondern „Reputationsmanagement“ bezeichnen.

Daniel Mossbrucker
Daniel Mossbrucker

netzpolitik.org: Haben die Abmahnungen denn tatsächlich einen abschreckenden Effekt?

Daniel Moßbrucker: Das kann natürlich passieren, wenngleich wir nicht feststellen konnten, dass die Medienrechtskanzleien in Deutschland strukturell Berichterstattung verhindern können – auch wenn sie genau das natürlich gerne von sich behaupten. Konfrontiert mit juristischem Ärger sind insbesondere Boulevardmedien und solche, die sich investigativen Journalismus noch leisten können und wollen.

Im Bereich des Investigativjournalismus lässt aber regelmäßig keiner den Stift erschrocken fallen, nur weil es ein Anwaltsschreiben gibt. Anders ist dies natürlich, wenn es freie Medienschaffende trifft oder kleinere Blogs, wie ihr es seid. Ein Rechtsstreit kann hier schnell existenzbedrohlich sein, weshalb man sich genau überlegen wird, ob man den Bericht wirklich bringen soll.

Freie und Blogs sind quantitativ recht selten Adressaten solcher Schreiben, schlichtweg weil viele sich ohnehin keine investigative Recherche leisten können – aber wenn es passiert, ist es gleich bitterer Ernst.

netzpolitik.org: Du hast unsere Abmahnung gelesen. War das eine für Dich bekannte Strategie?

Daniel Moßbrucker: Zum konkreten Fall kann ich nicht allzu viel sagen, weil ich kein Jurist bin und bis vor Kurzem noch für Reporter ohne Grenzen gearbeitet habe, welches die Strafanzeige mitgestellt hat. Was netzpolitik.org hier bekommen hat, ist eine Abmahnung im Nachgang von Berichterstattung, was nicht Kern unserer Untersuchung war. Allgemein kann ich aber sagen, dass Blogs unseren Ergebnissen zufolge tatsächlich meist nach einer Veröffentlichung rechtlich in Anspruch genommen werden.

Das ist der „Klassiker“, wie ihn auch das Presserecht vorsieht: Medien veröffentlichen, Betroffene wehren sich – und im „Extremfall“ entscheiden Richter. Man erhält dann einen Schriftsatz, in dem erst aufgezählt wird, was die presserechtlichen Standards sind, natürlich aus Sicht der Gegenseite meist mit Fokus auf das Persönlichkeitsrecht. Anschließend erfährt man, wogegen man alles verstoßen haben soll, um zuletzt mit einer Unterlassungserklärung zu bestätigen, dass man es nicht wieder machen wird. Danach könnten dann weitere Maßnahmen folgen, zum Beispiel Schadensersatzforderungen.

netzpolitik.org: Gibt es Erfahrungen, wer besonders häufig abmahnt?

Daniel Moßbrucker: Ja, denn der medienrechtliche Anwaltsmarkt ist besonders. Von investigativer Berichterstattung sind ja eher selten Privatleute betroffen, sondern meist Prominente, Politiker oder Unternehmen. Das schränkt die Zahl potentieller Kunden gewaltig ein, anders als zum Beispiel bei Auseinandersetzungen im Arbeits- oder Erbrecht, die fast jeden betreffen können.

Es gibt also – und hier ist das Anwaltsgeschäft lukrativ – vergleichsweise wenige Personen und Unternehmen, die dann aber verhältnismäßig viel Geld zahlen können für ihre anwaltliche Vertretung. Entsprechend gibt es nur sehr wenige Kanzleien, doch diese sind dann überproportional spezialisiert.

netzpolitik.org: Wir haben die Abmahnung am späten Freitagnachmittag erhalten, und uns wurde angedroht, dass wir bis Montag drauf reagieren müssen. Ist das normal?

Daniel Moßbrucker: Es ist zumindest nicht unüblich, wenngleich wir hierzu in der Studie keine repräsentativen Daten erhoben haben. Natürlich taktieren Anwältinnen und Anwälte, aber Hand aufs Herz: Das machen Medien ja auch.

Wenn ein Magazin am Donnerstagabend Redaktionsschluss hat, dann gehen am Dienstagmorgen die Konfrontationen für Betroffene raus, selbst wenn die Redaktion wochenlang recherchiert hat. Ein Anwalt, den wir für die Studie interviewt hatten, verglich seinen Job mit dem eines Feuerwehrmanns: Von jetzt auf gleich kann Ausnahmezustand herrschen, und dann hat man meist nur ein paar Stunden, um die Situation zu bewältigen.

Beide Seiten reizen die Möglichkeiten aus, weil eben viel auf dem Spiel steht: hier die investigative Enthüllung, dort die eigene Reputation.

netzpolitik.org: Aus Deiner Erfahrung gesprochen, was kann noch folgen?

Daniel Moßbrucker: Das ist schwierig zu sagen. Einige Journalistinnen und Journalisten, die wir für die Studie interviewt haben, zeigten ihre Verwunderung darüber, dass auf Drohungen häufig nichts folge. Aber darauf würde ich mich nicht verlassen, gerade wenn man es mit finanzkräftigen Unternehmen zu tun hat.

Rein rechtlich betrachtet könnte es sein, dass die streitgegenständlichen Fragen bis zum Bundesgerichtshof oder Bundesverfassungsgericht getragen werden. Bei einer Niederlage müsstet ihr die Anwaltskosten der Gegenseite tragen und euch auf Schadensersatzforderungen gefasst machen. Das wäre der Worst Case.

netzpolitik.org: Was würdest Du uns in unserem Fall raten?

Daniel Moßbrucker: Ich kann nicht einschätzen, ob die anwaltlichen Rügen berechtigt sind. Solltet ihr Fehler gemacht haben, würde ich Euch aus rein journalistischer Perspektive raten, diese offen zu benennen und zu korrigieren. Auch mit Blick auf Rechtstreitigkeiten zeigen unsere Ergebnisse, dass kleinere Medien oder Blogs offensiv damit umgehen sollten.

netzpolitik.org gehört schließlich zu den wenigen Medien in Deutschland, die sich durch Spenden finanzieren. Die Community kann in solchen Rechtsstreitigkeiten ein Trumpf sein. Dafür spricht im Übrigen auch eure Erfahrung von netzpolitik.org in der Landesverrat-Affäre.

Transparenzhinweis: Daniel Moßbrucker hat bis zum Sommer als Referent für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen gearbeitet. Reporter ohne Grenzen hat neben anderen die Strafanzeige ebenfalls gestellt.

Update: Wir haben aufgrund einer einstweiligen Verfügung einige Details unkenntlich gemacht und markiert. Wir werden uns gegen den Maulkorb vor Gericht wehren.

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2 Ergänzungen

  1. Vielleicht kann man einfach mal (for starters) eine Heatmap deren Keyloggereinsatzes, weltweit, erstellen, nicht zu hohe Auflösung. Wer hat Lust?

  2. es ist schon wieder wie in den guten alten Zeiten, früher gingen kritische, Verlage und Kleinpublizisten dann ebend ins Ausland, zb nach Tschechien oder in die Schweiz oder nach Schweden, oder wie zb Thomas Mann in die USA. Zu Bismarcks Zeiten mußten nicht wenige politischen Publizisten nach Frankreich ausweichen. Klingt drastisch, aber wenn eine kleinere publizistische Entität von vorneherein die Absicht hat, kritisch zu sein und manchmal auch zu pieksen , ist es wohl nicht ganz fern , darüber nachzudenken, außerhalb von Deutschland zu hosten und sich für das Editorial ebend eine virtuelle Adresse zuzulegen . In größeren Dimensionen und aus weitaus niederer Motivation heraus (Steuer sparen) machen ja gewisse Konzerne dann ja auch eben genau das. Wieso also nicht der engagierte Kleinpublizist.

    Wenn man jetzt nicht gerade mit den wildesten Veschwörungstheorien und Beleidigungen um sich haut, werden die Abmahnanwälte wenig Lust haben, Prozesse im EU Ausland anzuzetteln.

    Dass trotzdem noch gewisse Monetarisierungsmöglichkeiten weiter offenstehen ist ja das schöne und legal ist dagegen eigentlich nichts einzuwenden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.