Interview zu Online-Extremismus„Wir müssen das als internationalen Terrorismus begreifen“

Miro Dittrich beschäftigt sich seit Jahren mit den rechtsextremen Online-Kulturen, in denen sich der Täter von Halle radikalisiert hat. Warum der Fokus auf die „Gaming-Kultur“ falsch ist und wie das BKA auch ohne entschlüsselte Chats Online-Extremismus überwachen könnte, erzählt er im Interview.

Der Attentäter streamte seine Gewalt live auf Twitch, die Plattform steht aber nicht im Zentrum rechtsextremer Gewalt.
Der Attentäter streamte seine Gewalt live auf Twitch, die Plattform steht aber nicht im Zentrum rechtsextremer Gewalt. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Caspar Camille Rubin

Miro Dittrich ist Leiter des Projekts „De:hate“ bei der Amadeu-Antonio-Stiftung. Er beschäftigt sich mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Netz. Wir haben nach dem Anschlag von Halle mit ihm gesprochen.

netzpolitik.org: Herr Dittrich, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit den Netzwerken der radikalen Rechten im Netz. Innenminister Horst Seehofer will als Konsequenz aus dem Anschlag von Halle die „Gaming-Szene“ stärker in den Blick nehmen. Halten Sie das für sinnvoll?

Miro Dittrich: Das ist die Reduktion eines komplexen Themas. Ja, ein Teil der Szene ist rechtsradikal und gewaltbereit, auch die Identitäre Bewegung ist auf Gaming-Plattformen wie Steam vertreten. Aber die Leute werden nicht rechtsradikal, weil sie Gamer sind. Das sind gesellschaftlich isolierte Menschen, wie auch der Täter von Halle. Die entwickeln einen großen Eskapismus und Games können so eine Flucht aus dem Alltag bieten. Jetzt aber nur über Gaming zu reden, ist absoluter Quatsch. Wir müssen über rechtsradikale Ideologien sprechen und die verschiedenen Orte, an denen sie stattfinden.

netzpolitik.org: Der Täter hatte seinen Anschlag auf der Plattform Twitch live gestreamt. Die meisten Nutzer*innen schauen und kommentieren dort Livestreams von Videospielen. Das Video war offenbar entgegen der Aussagen von Twitch auch Stunden nach dem Anschlag noch auf der Plattform abzurufen. Hätte Twitch schneller reagieren müssen?

Miro Dittrich: Twitch hat im Vergleich zu anderen Plattformen schon recht strikte Moderationsstandards und setzt sie meist auch durch. Twitch kann [aber] nicht mit Algorithmen nach Videos suchen, in denen Waffen zu sehen sind oder geschossen wird, wie etwa Facebook das tut, denn das passiert in den Spielen ja ständig. So genannte IRL-Streams komplett zu verbieten, also Streams, in denen nicht gespielt wird, wäre auch überzogen. Vielleicht hätte Twitch mit mehr Moderator*innen schneller reagiert. Alle Plattformen können immer mehr Geld ausgeben für Moderation. Mein Eindruck ist aber, dass Twitch hier eher ein beiläufiges Opfer war.

netzpolitik.org: Der Terrorismusforscher Peter Neumann fordert, deutsche Sicherheitsbehörden sollten die einschlägigen Foren unterwandern und beobachten. Können Sie das überhaupt und wären sie in der Lage, diese Onlinekulturen zu verstehen?

Miro Dittrich: Auf gar keinen Fall. Wer beim Bundeskriminalamt in solchen Position landet, ist in der Regel wohl über 50. Die Behörden beschweren sich ja selbst darüber, dass sie keine Leute bekommen, die zur Überwachung solcher Foren in der Lage wären. Anders als das FBI in den USA ist das BKA für Menschen mit solchen Fähigkeiten kein cooler Arbeitgeber. In den Foren und Gruppen, in denen ich unterwegs bin, sind die Behörden nicht anwesend. Journalisten hatten dort in der Vergangenheit immer wieder angefragt und die [Gaming-]Plattformen waren denen kein Begriff.

netzpolitik.org: Nach den Morden von Halle macht Horst Seehofer jetzt wieder Druck auf Anbieter verschlüsselter Chat-Apps. Sie sollen Nachrichten ihrer Nutzer*innen für die Polizei decodieren. Braucht man solche Maßnahmen, um rechtsextreme Netzwerke effektiv zu überwachen?

Miro Dittrich: Diese Diskussion ist albern. Ich habe keinen Zugriff auf entschlüsselte Chats dieser Gruppen und bin auch so tiefer in den Strukturen als die deutschen Sicherheitsbehörden. Man muss in diesen rechtsextremen Onlinewelten leben. Es ist wirklich schwer. Jedes der Boards hat eine eigene Kultur, alles ist gefiltert durch mehrere Lagen Ironie und auch ich lerne noch neue Begriffe. Es ist ein sehr dynamisches Feld. Und dem BKA fehlen die Leute, die das verstehen.

netzpolitik.org: Kannten Sie das Board, auf dem der Attentäter sein Material veröffentlicht hat?

Miro Dittrich: Ich kannte das Board auch nicht. Absolute Sicherheit wird es nie geben. Sicherheitskräfte müssen diese Onlineorte trotzdem unterwandern. Denn was man jetzt schon sieht: Die Boards betreiben self-policing: Die Teilnehmer*innen schmeißen die Radikalen teils wieder raus, weil sie fürchten sonst gesperrt zu werden.

In den USA verhaftet das FBI derzeit zwei bis drei Mal die Woche Täter nach Drohungen online. Dort hat nach dem Anschlag von El Paso offenbar ein Umdenken stattgefunden. Wenn du Drohungen machst und kein VPN benutzt und die Polizei bei dir zu Hause steht, dann würde sich die Kultur auch ändern in den Boards. Die Leute sind sich sicher, dass das ein rechtsfreier Raum ist, dass sie dort auch strafrechtlich relevante Dinge problemlos äußern können.

netzpolitik.org: Terrorismusexperten plädieren dafür, rechtsradikale Foren zu schließen und extremistische Accounts von Plattformen von 4Chan, YouTube oder Twitter zu verbannen. Was bringt es, die Extremisten so an den Rand zu drängen?

Miro Dittrich ist Leiter des Projekts De:hate bei der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Miro Dittrich

Miro Dittrich: Auf der einen Seite reduziert man damit die Reichweite. Es wird schwerer, hineinzustolpern, gerade für junge Menschen. Auf der anderen Seite hat man radikalere Communities. Man muss es trotzdem machen. Ein gutes Beispiel ist QAnon, eine rechtsextremistische Desinformationskampagne, die sich über das Messageboard 8Chan organisierte. Seitdem die Plattform gesperrt ist, haben viele der Anhänger aufgehört. Man sieht der Erfolg auch klar daran, dass die Betroffenen Personen und Organisationen sich über das so genannten De-Platforming aufregen. Der ehemalige Star der AltRight, Milo Yiannopoulos, jammert jetzt auf Telegram darüber, dass ihm zu wenige Leute folgten und dass er finanziell ruiniert sei.

netzpolitik.org: Ist Telegram der neue Zufluchtsort für all jene Rechtsextreme, die auf YouTube und anderen Kanälen gesperrt werden?

Miro Dittrich: Ja, dort gibt es jetzt hunderte Kanäle mit teils tausenden Nutzern und man findet alles: Bombenanleitungen, Terroristen, die als Heilige verehrt werden, Adressen linker Aktivisten. Ich mache den Job seit vier Jahren. Das sind Kanäle, wo selbst ich noch Pause machen muss. Einer dieser Telegram-Kanäle hat auch als erstes das Video von Halle hochgeladen, sechs Stunden nach Beginn des Streams. Darüber hat es sich sehr schnell verbreitet. Telegram interessiert sich gar nicht dafür, diese Gruppen zu löschen.

netzpolitik.org: Derzeit wird diskutiert, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu erweitern, so dass neben Facebook, Twitter und YouTube auch Gaming-Plattformen darunter fallen würden.

Miro Dittrich: So sehr das NetzDG ein Problem ist, wäre das ein Tool, das man hier verwenden könnte. Warum fällt etwa die Gamingplattform Steam nicht unter das NetzDG? (Anm. Steam gilt als Verkaufsplattform für Games und ist damit nicht vom NetzDG betroffen). Dort benennen sich Leute nach den Attentätern von Christchurch und jetzt Halle. Auch Telegram entwickelt sich immer mehr zu einer Social-Media-Plattform. In Channels kann man kommentieren, die Accounts teilen sich gegenseitig.

Die Frage ist auch: Was ist mit den ganzen alternativen Foren, die die Szene sich jenseits von YouTube und Facebook aufgebaut hat: Oliver Flesch, Hagen Grell, Tim Kellners Seite Prometheus…

netzpolitik.org: Was muss sich sonst ändern, um diesem neuen Typus von Online-Terrorismus gerecht zu werden?

Miro Dittrich: Grundsätzlich: Wir müssen das als internationalen Terrorismus begreifen. Im Fall der IS reicht es schon, einmal mit dem IS geskypt oder ein Flagge zu Hause zu haben – schon ist man nicht mehr Einzeltäter, sondern Mitglied einer terroristischen Vereinigung. In diesem Fall aber wird gegen den Täter von Halle als Mörder ermittelt und nicht als Terroristen, weil er vermeintlich Einzeltäter war. Das ist nicht mehr angemessen. Diese Leute sind online in losen Zusammenkünften. Dort tauschen sie sich über potentielle Waffen aus, planen die besten Vorgehensweisen und stacheln sich gegenseitig zu Massenmorden an. Sie sind Teil einer Organisation, wenn auch nicht so straff, wie wir das kennen. Das macht es schwer, diesem Phänomen mit unseren jetzigen Gesetzen beizukommen.

3 Ergänzungen

  1. Vermutlich bekommt Telegram jetzt noch ein Zielkreuz aufgemalt, dabei ist wahrscheinlich ein Messenger welcher in HK, Russland und dem Iran geächtet ist einer der sichersten und neutralsten.

  2. „Sie sind Teil einer Organisation, wenn auch nicht so straff, wie wir das kennen.“

    Wie heisst diese Organisation eigentlich? Mal so im Vergleich zum IS gedacht.

  3. Ich empfinde es einfach unerträglich, immer wieder von „Einzeltätern“ zu schreiben/sprechen.
    Unerträglich gegenüber den Opfern dieses Terrors.
    Es scheint vor allem im üffentlich rechtlichen Raum (Behörden, Radio/TV) wie auch in der Presse (Ausnahme WAZ, sie schrieb von terroristischem Angriff) üblich zu sein, dass beim Terror von „Rechts“immer wieder gebetsmühlenartig von „Einzeltätern“ dir Rede ist.
    Damit werden diese Taten reduziert auf normale Verbrechen wie Mord oder Totschlag.
    Für mich sind die Oper terrorisiert worden.
    Sind Todeslisten kein Terror ?
    DIese „Verharmlosung“ führt zu weiteren Nachahmungstätern, die sich aus den „Rechten“ Terroristennetzwerken rekrutieren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.