BundesverwaltungsgerichtWas das Bundeskabinett bespricht, muss 30 Jahre geheim bleiben

Wie die Bundesregierung das Leistungsschutzrecht verhandelt hat, muss weiterhin geheim bleiben. Dafür dürfen wir endlich erfahren, wer an der Entscheidung beteiligt war. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in der dritten Instanz unserer Klage gegen das Bundeskanzleramt geurteilt.

Gerichtssaal
Das Bundesverwaltungsgericht zu Beginn der mündlichen Verhandlung.

Das Protokoll der Bundesregierung zum Beschluss des Leistungsschutzrechts bleibt geheim. Das hat das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden. Seit fünf Jahren verklagen wir das Bundeskanzleramt, weil es unseren Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz ablehnt.

Uns das Protokoll zu geben, könnte sich auf zukünftige Beratungen des Bundeskabinetts negativ auswirken. In der mündlichen Verhandlung sagte der vorsitzende Richter Andreas Korbmacher, er lege bei internen Gesprächen des Gerichts auch Wert darauf, dass diese nicht nach außen dringen.

Verlaufsprotokoll verloren

Laut Gesetz darf die Herausgabe von Dokumenten nur verweigert werden, „wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden“. In unserem konkreten Fall wurde das Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor über fünf Jahren verabschiedet und kann daher gar nicht mehr beeinträchtigt werden. Das Urteil ist jedoch eine Grundsatzentscheidung und nicht auf das konkrete Gesetz oder Protokoll beschränkt.

Das Kanzleramt ist der Meinung, dass Kanzlerin und Minister/innen in Zukunft nicht mehr frei diskutieren können, wenn diese interne Willensbildung zeitnah öffentlich wird. Deswegen sei es richtig, der Öffentlichkeit die Einsicht in das Protokoll zu verwehren.

Richter Korbmacher stimmte dem zu und verwies darauf, dass die Protokolle ja nach einer Sperrfrist von 30 Jahren im Bundesarchiv offengelegt werden. „Dreißig Jahre sind schnell vorbei“, so Korbmacher. Das ist natürlich Ansichtssache: Vor 30 Jahren gab es noch kein World Wide Web, dafür stand die Mauer noch.

Malte Spitz von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die das Verfahren finanziert, kommentiert per Pressemitteilung:

Dass die Bundesregierung Protokolle von Kabinettssitzungen pauschal und derart lange unter Verschluss hält, ist höchst bedenklich, weil es dem legitimen Interesse der Bürger*innen an diesem zentralen politischen Entscheidungsgremium nicht gerecht wird.

Teilnehmerliste gewonnen

Immerhin in einem Punkt haben wir gewonnen: Die Bundesregierung muss uns die Teilnehmerliste der entsprechenden Kabinettssitzung geben. In diesem Punkt haben uns schon vorherige Gerichte Recht gegeben, aber das Kanzleramt hat erneut eine teure Kanzlei beauftragt, um das zu verhindern.

Erneut verglichen die Richter die Arbeit der Bundesregierung mit der eigenen Praxis: In Leipzig werden die Namen der Richter und der Verfahrensbeteiligten veröffentlicht. Das Kanzleramt konterte mit Details der Geschäftsordnung der Bundesregierung, die ja so ähnlich schon in der Weimarer Republik galt.

In diesem Zeitalter scheint der deutsche Ansatz zur Informationsfreiheit stecken geblieben zu sein. Spanien zeigt, wie es anders geht: Dort wurden sämtliche Kabinettsprotokolle der letzten zehn Jahre in Volltext veröffentlicht.

Arne Semsrott, Mitblogger und Betreiber von FragDenStaat.de, kommentiert:

Die Rechtsprechung des Senats ist schwer nachzuvollziehen. Seit dem Wechsel des Vorsitzenden im vergangenen Jahr ist sie merklich konservativer geworden. Gerade im Zusammenhang mit den Kabinettsprotokollen wird unzureichend gewürdigt, dass das Informationsfreiheitsgesetz eigentlich den Grundsatz des offenen Regierungshandelns eingeführt hat.

Axel Springer und Kanzleramt

Das konkrete Protokoll zum Leistungsschutzrecht haben wir angefragt, weil dort auch der damalige Staatsminister des Bundeskanzleramts Eckart von Klaeden teilgenommen hat. Sein Bruder Dietrich von Klaeden war und ist Cheflobbyist des Axel-Springer-Verlags, der sich vehement für das Leistungsschutzrecht eingesetzt hat.

Das umstrittene Gesetz verpflichtet Internet-Suchmaschinen, für Textausschnitte aus Presseerzeugnissen zu bezahlen. Diesen Zweck hat es klar verfehlt, stattdessen stärkt es Monopolisten.

Ebenfalls heute hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs festgestellt, dass das Gesetz aufgrund formaler Fehler gar nicht anwendbar ist. Satt das Quatschgesetz zurückzunehmen, soll es jetzt auf die ganze EU ausgeweitet werden.


Hier die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts in Volltext:

  1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Mai 2017 geändert, soweit es der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Februar 2016 stattgegeben hat. Die Berufung der Beklagten wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
  2. Die weitergehende Revision des Klägers und die Revision der Beklagten werden zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Update: Das vollständige Urteil ist jetzt öffentlich.

3 Ergänzungen

  1. Ach wie demokratisch es doch in unserem Land zugeht. Transparent wie eh und je. Alle Bürger können hier sehen, in welch einer verotteten Verfassung unser Land doch ist. So wird das nichts mit der demokratischen Teilhabe der Menschen. Naja soll es wohl auch nicht.

  2. Es ist mittlerweile bezeichnend für unsere „Demokratie“. Ausgehölt, unterminiert, korrupt, verkommen. Mittlerweile auch durch das Rechtssystem entsprechend gedeckt, indem die relevanten Posten durch politische Strukturenélemente vergeben werden.

    Da ist es absolut notwendig, mit dem Finger auf andere Staaten zu zeigen, um ja den eigenen Handlungsbedarf zu kaschieren!

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