Im Februar haben Linke und Grüne im Bundestag einen Erweiterungsantrag für den Untersuchungsgegenstand des NSA-Untersuchungsausschusses gestellt. Im Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages hat man sich nach langen Diskussionen gestern auf eine Fassung des Erweiterungsantrages geeinigt, bei der sich Union und SPD zwar enthalten, aber zumindest nicht dagegen stimmen wollen, wenn es am nächsten Donnerstag im Plenum zur Abstimmung kommt.
Grund für den Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes war vor allem die Verweigerungshaltung von Bundesregierung, BND und Co., wenn in Zeugenvernehmungen die Sprache auf Selektoren fiel, die der BND in Eigenregie zur Überwachung einsetzte. Zuerst war bekannt geworden, dass der BND mit 14 Millionen Selektoren Spionage für die NSA betreibt und viele dieser Selektoren gegen deutsche und europäische Interessen verstießen. Nach und nach kam ans Licht, dass der BND auch in eigener Sache rechtswidrige Selektoren einsetzte, die nicht dem Auftragsprofil der Bundesregierung entsprachen, das dem BND seine Zielrichtung vorgibt.
Schon die Aufklärung rund um die NSA-Selektoren gestaltet sich schwierig. Beispielsweise dürfen die Ausschussmitglieder die vom BND als rechtswidrig erkannten Selektoren nicht einsehen, eine Klage der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht läuft noch. Außerdem kam es immer wieder zu Ungereimtheiten, beispielsweise zu Löschungen von Mails mit Selektoren trotz eines Löchmoratoriums. Bei den BND-eigenen Selektoren wird von Zeugen und Bundesregierung immer wieder darauf abgestellt, dass diese nicht zum Untersuchungsauftrag des Ausschusses gehören würden, wie er im März 2014 von allen Fraktionen gemeinsam beschlossen wurde.
Erweiterung oder neuer Ausschuss
Um die BND-eigene Spionage dennoch untersuchen zu können, wollte die Opposition den Auftrag erweitern oder – falls die Große Koalition sich dem entgegenstellen würde – einen neuen Untersuchungsausschuss einsetzen. Denn die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist ein Minderheitenrecht und damit auch nur mit den Stimmen der Opposition gegen den Willen der Großen Koalition möglich. Sie bedeutet aber auch einen enormen zeitlichen und personellen Aufwand. Da es in dieser Legislaturperiode bereits fünf Untersuchungsausschüsse gibt und damit so viele wie seit den Fünfzigern nicht mehr, schien diese Lösung nicht sonderlich erstrebenswert.
Die Forderung der Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes stieß auf Gegenwehr in der Großen Koalition, die vor allem mit bürokratischen Mitteln eine Verzögerungstaktik anwendete. Es fanden Diskussionen im Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages statt – nicht-öffentlich. Zu einer der Sitzungen waren auch Klaus-Dieter Fritsche, Beauftragter für die Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt, und Kanzleramtschef Peter Altmaier anwesend, die erklärten, mit der intendierten Erweiterung des Untersuchungsauftrages sei das Staatswohl in Gefahr, da die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste bei der Betrachtung laufender Vorgänge gefährdet sei. Außerdem sei das Ganze Sache des Parlamentarischen Kontrollgremiums und nicht des Untersuchungsausschusses. „Ein ganzes Potpourri an Gegenargumenten“ nannte Renner den Auftritt der Regierungsvertreter im Bundestagsgremium. Es ist ungewöhnlich, dass Vertreter der Regierung in einem Bundestagsausschuss auftreten, um eine starke Bewertung abzugeben. Und im Sinne der Gewaltenteilung auch äußerst fragwürdig.
Einigung zu Erweiterung mit Abstrichen
Gestern endlich hat sich der Geschäftsordnungsausschuss geeinigt. Dabei ist es nicht bei der ursprünglichen Fassung der Opposition geblieben. Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, nennt die Fassung, über die am 9. Juni im Plenum abgestimmt werden soll, einen Kompromiss und gibt zu Bedenken:
Die Alternative wäre ein sechster Untersuchungsausschuss gewesen oder ein langjähriger Rechtsstreit über einen solchen. Das erschien wenig attraktiv.
Die Kompromisse, die geschlossen werden mussten, beziehen sich primär auf zwei Dinge: Zum einen beschränkt sich die geplante Erweiterung auf die vom BND letztlich herausgenommenen Selektoren. Ursprünglich wollten die Parlamentarier alle BND-Selektoren sehen dürfen, um zu beurteilen, ob wirklich alle kritischen und rechtswidrigen Selektoren aus der Steuerung genommen wurden. Zum anderen sollten in der Erweiterung noch andere Themen aufgenommen werden, die im Laufe des Ausschusses zu Tage kamen. Zum Beispiel die Frage, ob der BND Teil des Global-Reach-Ansatzes war, bei dem mehrere Geheimdienste arbeitsteilig die weltweite Kommunikation überwachen. Doch dazu konnten sich die Regierungsfraktionen nicht durchringen.
Nach Meinung von Notz ist das, was nun explizit auf Papier steht, sowieso schon vom aktuellen Untersuchungsauftrag erfasst. Mit dieser Auslegung war die Bundesregierung aber nicht einverstanden, nun hat sie diesen Interpretationsspielraum nicht mehr, um in den Sitzungen zu mauern. „Jetzt werden wir untersuchen, was vor, nach und während der Snowden-Veröffentlichungen genau passiert ist“, so Notz. Er vermutet, dass bei den BND-Selektoren parallel zu den Untersuchungen um die NSA-Selektoren verfahren wurde und beide Selektorengruppen zur gleichen Zeit vom BND geprüft wurden. Es geht jetzt um die Feinheiten zwischen Deaktivierungen und Löschungen von Selektoren und darum, ob eventuell Dinge nach Bekanntwerden der Selektorenproblematik auch final gelöscht wurden, weil sie „maximal problematisch“ waren, wie der Obmann es ausdrückt.
Viel neue Arbeit steht bevor
Renner und Notz sind optimistisch, dass sie nun auch die aus dem System herausgenommenen Selektoren des BND zu Gesicht bekommen. Zum einen könne man sich nicht auf das Argument berufen, dass die USA die Herausgabe der Selektoren an die Parlamentarier nicht erlaubt hätten – wie man in der Causa NSA-Selektoren behauptete. Zum anderen hatten die Obleute des Ausschusses im letzten November schon im Bundeskanzleramt einzelne der Selektoren sehen dürfen und es gebe damit keinen Grund, sie nun vorzuenthalten.
Neben all dem Optimismus: Die Erweiterung wird eine Menge Arbeit bedeuten. Sowohl für die Mitglieder und Mitarbeiter des Ausschusses, denen das Studium umfangreicher Akten bevorsteht und die bereits über Sondersitzungen nachdenken, als auch für Regierung und BND, die diese Akten nun liefern müssen und vorher schwärzen bzw. bläuen werden. Renner hofft, dass bald nach der Abstimmung am nächsten Donnerstag Beweisbeschlüsse gefasst und die zugehörigen Akten während der Sommerpause geliefert werden. Wer die Zeugen zum Thema sein könnten, kann man erahnen, wenn man den Ausschuss verfolgt hat – D.B., H.K. und andere, die mit der Prüfung der NSA-Selektoren befasst waren. „Das ist einfach zu identifizieren, weil wir schon Zeugenbefragungen hatten, die an genau der Stelle unterbrochen wurden. Wir haben eine relativ klare Vorstellung und keine Black Box, die wir erhellen müssen.“
Auch Ex-Kanzleramtschef Pofalla wäre ein vorstellbarer Zeuge. Und die Bundeskanzlerin, deren Vernehmung noch bevorsteht, dürfte eine interessante Zeugin zu der Frage sein, was sie von der ganzen Sache wusste. Wir sind gespannt, werden auch eventuelle Sondersitzungen mit Live-Blogs begleiten und hoffen, dass es am 9. Juni wie geplant zu der Annahme des Antrages kommt.
Es war schon lange absehbar, dass der NSAUA seine Ziele nicht wird erreichen können. Und dennoch war dieser Untersuchungsausschuss ein erfolgreicher – auf seine Art und Weise. Zu seinem Erfolg haben nicht nur jene beigetragen, die als engagierte Parlamentarier sich um eine ehrliche Aufklärung bemühen, sondern jene „Blogger“, die deren Scheitern durch anhaltend ausdauerndes Protokollieren für jeden Bürger zugänglich protokollieren. Öffentliche Sitzungen sind eben nur dann öffentlich, wenn eine/r hingeht und auch Öffentlichkeit durch Publizieren herstellt. Diese, dank netzpolitik.org hergestellte Öffentlichkeit, war von Seiten des Parlaments in diesem Ausmaß nicht beabsichtigt, denn der Ausschuss erstellt zwar selbst Protokolle seiner öffentlichen Sitzungen, hält diese jedoch nach Gutsherrenart unter Verschluss. Das kann man nur so interpretieren, dass eine vollständig hergestellte und publizierte Öffentlichkeit seitens des Parlaments eben nicht beabsichtigt ist.
Der Erfolg des NSAUA liegt darin, dass das Scheitern des Auschusses öffentlich gemacht wurde. Kaum ein Bürger hätte es vor diesem Ausschuss für möglich gehalten, mit welcher abgebrühten Kaltschnäutzigkeit sich Bundesbehörden einer parlamentarischen Kontrolle mit einer bräsigen Leichtigkeit faktisch entziehen können.
Erst durch die Protokolle von netzpolitik.org wurde es erstmals für die Öffentlichkeit wahrnehmbar, dass Vertreter von Bundesbehörden keineswegs dazu bereit sind, vollumfängliche Aufklärung zu leisten, wie man es von treuen Staatsdienern hätte erwarten können. Vielleicht passt das Bild des treuen Beamten auch nicht mehr in diese Gegenwart, in der Politik stets am Rande des legal Möglichen operiert, damit der volle Rahmen auch ausgeschöpft werden kann.
Dieser Ausschöpfungseffizienz ist es geschuldet, dass Mitarbeiter wie Leiter von Behörden in einer Art und Weise „mauern“, wie man es sonst nur von einschlägigen Gerichtsprozessen kennt, die sich mit organisierter Bandenkriminalität befassen. Zur Ehrenrettung der Kriminellen sei an dieser Stelle bemerkt, dass diese eben keinen Eid auf die Verfassung ablegen mussten und auch nicht einer vollumfänglichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurden.
Möge der zweite NSAUA keinen dritten mehr brauchen. Und möge er zu der Einsicht gelangen, dass es ihm dienlicher wäre, die Protokolle der öffentlichen Sitzungen selbst zugänglich zu machen.
Lange und gut geschriebene Artikel wie dieser hier sind mit ein Grund weshalb ich netzpolitik.org mit Spenden unterstütze. Solcherlei Zusammenfassung findet man anderswo (Print…) nicht oft, wenn überhaupt. Das politische Tagesgeschäft geht ja durch Untersuchungsausschüsse schon ungewohnte Wege, aber diese dann wie hier immer wieder zu hinterleuchten ist ganz großartig.
Man sieht exemplarisch weshalb die Öffentlichkeit Euch braucht. Danke Anna und danke an alle die an diesem Themenkomplex NSAUA dranbleiben!