Fahrplan zur Netzneutralität: EU-Parlament am Zug

Das EU-Parlament kann in zweiter Lesung die Regeln zur Netzneutralität absegnen – oder sie in letzter Minute verbessern. CC BY-NC-ND 2.0, via flickr/European External Action Service

Diese Woche kehrt der Kompromisstext zur Netzneutralität ins EU-Parlament zurück, um die letzten Hürden vor der endgültigen Verabschiedung zu nehmen. Den Parlamentariern stehen in den nächsten Wochen noch zwei Hebel zur Verfügung, um Änderungen am Verordnungsentwurf vorzunehmen.

Zunächst stimmt voraussichtlich am 13. Oktober der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) über den Text ab. Der Ausschuss hat jedoch bereits im Juli den im Trilog-Verfahren ausgehandelten Kompromiss abgenickt. Ob an dieser Stelle noch etwas passieren wird, bleibt also unklar. Danach geht es weiter ins Parlamentsplenum, wo die entscheidende Abstimmung in der letzten Oktoberwoche ansteht, vermutlich am 27. oder 28. Oktober. Dort wird sich die letzte Gelegenheit bieten, Änderungsanträge einzubringen.

Mit der Verordnung beabsichtigt die EU, verbindliche Regeln zur Netzneutralität festzuschreiben. Demnach soll jedes Datenpaket gleichberechtigt transportiert werden, unabhängig von Inhalt, Sender und Empfänger. Das soll sicherstellen, dass es zu keinen Diskriminierungen kommt und das Internet weiterhin nach dem Best-Effort-Prinzip arbeiten kann. Erlaubt bleiben jedoch Begrenzungen des Datenvolumens, damit eng verknüpfte Zero-Rating-Angebote, die Ausnahmen von der vereinbarten Grenze schaffen sowie Spezialdienste, die „keine Internetzugangsdienste sind,“ nach einem „bestimmten Qualitätsniveau“ verlangen und „keine negativen Auswirkungen auf die Verfügbarkeit oder allgemeine Qualität der Internetzugangsdienste für Endnutzer“ haben.

Schwammige Formulierungen

Allerdings definiert der Text nicht, wie dieses „bestimmte Qualitätsniveau“ auszusehen hat und überlässt es den nationalen Regulierungsbehörden, darüber zu entscheiden, „ob und inwieweit diese Optimierung objektiv erforderlich ist.“ Vor dieser schwammigen Formulierung warnen NGOs bereits seit Monaten, da sie leicht als Schlupfloch missbraucht werden könnte, um bestimmte Dienste und Inhalte auf zu bezahlende Überholspuren auszulagern.

Joe McNamee von edri.org wiederholte die Kritik und fügte hinzu, dass die Verordnung zwar Neutralität unterstützen wolle, sie aber zulassen würde, dass Datenpakete unterschiedlich behandelt werden. „In der Praxis könnte das bedeuten, dass verschlüsselte Daten, insbesondere von kleineren, weniger etablierten Inhalteanbietern verlangsamt übertragen werden könnten, weil es Verschlüsselung schwer macht, festzustellen, dass es sich bei den Daten tatsächlich um Videomaterial handelt,“ so McNamee in einer Aussendung. Zudem bestehe Unklarheit über die Volumensgrenzen, da im Text ausdrücklich die Rede davon ist, dass keine Inhalte blockiert werden dürfen. Auf diese Gefahr der Diskriminierung weist auch der Digitale Gesellschaft e.V. hin: „Trotz Verbot der Blockierung einzelner Dienste wäre es nach dem vorliegenden Text zudem möglich, einzelne Dienste nach Ausschöpfen eines vorgegebenen Datenvolumens zu sperren.“

Präzisierungen nachreichen

In einem aktuellen Gutachten bemängelt Thomas Fetzer, Professor für Regulierungsrecht an der Universität Mannheim, die offen formulierten Passagen und hält deshalb rechtliche Auseinandersetzungen für wahrscheinlich. Zur Zulässigkeit von Spezialdiensten schreibt er etwa: „Der Entwurfstext lässt offen, woraus sich die Notwendigkeit für eine bestimmte Übertragungsqualität ergeben muss. Der VO-E enthält keine präzise Bezugnahme auf technische Notwendigkeiten. Vielmehr ist er auch für eine Auslegung offen, bei der ein Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste unilateral oder in Absprache mit einem Dienste-/ Inhalteanbieter eine bestimmte Qualität festlegen kann, die er für ein bestimmtes Angebot unabhängig davon erreichen möchte, ob dies auch technisch erforderlich ist.“ Was Spezialdienste aus technischer Sicht auszeichnet, „etwa im Hinblick auf Jitter, Latenz und Packet Loss,“ sollte der Text klarstellen.

Auch die Regelungen zum Verkehrsmanagement und zu den Anforderungen an den Internetzugang selbst seien unklar formuliert, was zu Rechtsunsicherheiten führen dürfte: „Aufgrund der Auslegungsoffenheit des Verordnungsentwurfs an zentralen Stellen besteht die Gefahr, dass die Verordnung die vom Normgeber verfolgten Konzepte nicht hinreichend klar umsetzt.“ Minimieren ließe sich das durch „entsprechende Präzisierungen des Normtextes,“ die Fetzer freundlicherweise mitliefert.

Letzte Chance für Änderungen

Nicht geschlagen geben will sich der Grün-Abgeordnete Michel Reimon, Mitunterhändler und Hauptmitglied im ITRE-Ausschuss, auch wenn es derzeit nicht gut aussieht: „Dass sich am ausgehandelten Text noch etwas ändern wird, ist nach dem aktuellen Stand der Dinge und nach dem, was aus den anderen Fraktionen zu hören ist, eher unwahrscheinlich. Eine deutliche Mehrheit scheint sicher. Ein paar Abtrünnige in EVP, S&D und ALDE werden sie – zusammen mit den Grünen, Linken und der EFDD – nicht gefährden können,“ wie er Netzpolitik.org mitteilte. Er kündigte an, „in jedem Fall im Plenum Änderungsanträge einzubringen.“ Ob er dies auch im ITRE machen könne, kläre er derzeit noch mit den Diensten ab.

Damit sich noch einige weitere Abtrünnige finden, ruft die Initiative „Save The Internet“ dazu auf, Parlamentsabgeordnete zu kontaktieren und Druck auf sie auszuüben. In weniger als drei Wochen wird der Prozess abgeschlossen sein, und es handle sich um die letzte Chance, noch etwas zu ändern. Die Kampagnenseite biete einen „einfachen und komfortablen Weg,“ Abgeordnete „zu den nötigen Nachbesserungen an dem Gesetzestext für eine nachhaltige und starke Verankerung der Netzneutralität aufzurufen.“ In einem Monat ist es zu spät.

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