Einer der meistzitierten Sätze der Bundeskanzlerin zum NSA-Skandal wird zum Bumerang: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“. Jetzt stellt sich heraus: Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst hört bei „befreundeten“ Staaten mit. Der prominenteste Fall ist Hillary Clinton, ehemalige US-Außenministerin, aber auch ihr Nachfolger John Kerry und der NATO-Partner Türkei soll überwacht worden sein. Das geht aus den Dokumenten des Doppelagenten Markus R. hervor, der zwei Jahre lang für die CIA beim deutschen BND spioniert haben soll. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft noch.
Bisher hatte die Bundesregierung betont, die Informationen die über den Spion Markus R. an die USA flossen wären eher unbedeutend. Das kann man aber über die jetzt bekannt gewordenen Dokumente absolut nicht behaupten. Und die Erklärung, dass das Abhören von Telefonaten unabsichtlich passiert sein soll, nur als „Beifang“ anderer Spionagemaßnahmen, wirkt wie eine Farce. Heute ging man nun in die Offensive: Die Überwachung der Türkei wurde aus „Regierungskreisen“ gerechtfertigt, denn was dort geschehe sei unmittelbar für die Sicherheit in Deutschland relevant. Die türkische Regierung hat unterdessen den Deutschen Botschafter zu der Spionageaffäre befragt, schreibt der Spiegel.
Auch ein BND-Skandal
Spätestens jetzt kann die Bundesregierung sich nicht mehr auf ihre angebliche Opferrolle zurückziehen und mit gespielter Empörung auf die USA zeigen. Die Aufklärung wird auf beiden Seiten des Atlantiks verschleppt, man hat eben scheinbar kein Interesse daran, weil beide Seiten an der Massenüberwachung beteiligt sind. Wir wissen aber bisher, dank Edward Snowden, mehr über die Machenschaften der US-Geheimdienste als über unsere eigenen Dienste. Es ist kein reiner NSA-, sondern ein globaler Geheimdienstskandal. So einfach darf man es den deutschen Diensten wirklich nicht machen. Der Tagesspiegel kommentiert dazu:
Im deutschen Narrativ sind die Amerikaner dickfellig und leugnen die Gefahren, die von ihren Geheimdiensten für die Demokratie ausgehen. Im amerikanischen Narrativ sind die Deutschen scheinheilig, wollen sich nicht dazu bekennen, dass jeder Staat Geheimdienste brauche und alle Dienste im Großen und Ganzen dasselbe machen, auch der BND.
Die heuchlerische Rhetorik der Bundesregierung ist jetzt eine Steilvorlage für die amerikanischen Dienste. Wer sich erst empört und dann selbst entlarvt wird das Gleiche zu tun, ist gleich zweimal blamiert. Diese Doppelmoral bei allen Beteiligten verhindert seit 14 Monaten eine ehrliche Diskussion und Aufklärung. Insbesondere der NSA-Untersuchungsausschnuss des Bundestags darf die Aktivitäten deutscher Dienste nicht länger ignorieren. Dass Glenn Greenwald die Arbeit des Ausschusses als „Illusion von Aufklärung“ bezeichnet, vor allem weil Edward Snowden nicht als Zeuge geladen wird, sollte zu denken geben.
Parlamentarische Kontrolle?
Doch auch die parlamentarischen Kontrolleure scheinen nicht im Bilde zu sein, was passiert. Die Welt zitiert André Hahn (Die Linke), den stellvertretenden Vorsitzenden des parlamentarischen Kontrollgremiums, mit den Worten:
„Uns wurde immer wieder versichert, es gab nie Abhörmaßnahmen gegen die USA.“
Und das, obwohl die Bundesregierung dem geheim tagenden Gremium zur Auskunft verpflichtet ist. In Paragraf 4 des Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (kurz: Kontrollgremiumgesetz, PKGrG) heißt es:
Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit der [Geheimdienste] und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Auf Verlangen des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat die Bundesregierung auch über sonstige Vorgänge zu berichten.
Dem zuständigen Kanzleramtsminister sollte also mal gründlich auf den Zahn gefühlt werden, warum er seiner Auskunftspflicht nicht nachgekommen ist. Denn das Abhören ausländischer Außenminister und ganzer Länder sollte nun eindeutig „von besonderer Bedeutung“ sein, wie es in dem Gesetz heißt. Sich einfach doof zu stellen darf nicht ausreichen.
Dem Parlamentarische Kontrollgremium wird doch auch nicht berichtet, dass man über jedes ihrer Mitglieder ein Dossier angelegt hat, damit man im Ernstfall ein bisschen Druck machen kann.
Früher gab es mal das geflügelte Wort „Vom Kommunismus lernen heißt siegen lernen.“ Der BND lernt halt von seinem Bruder – aber nicht wie das mit dem gewinnen funktioniert (http://en.wikipedia.org/wiki/Plausible_deniability).
Das mit dem Beifang glaub ich sogar. Wer flächendeckend überwacht muss mit sowas rechnen. Bei der Türkei wären mehr Infos angebracht, wer hat da was gemacht?