„Framing“: Wie sich die ACTA-Gegner durchsetzten.

Die Argumente der ACTA-Befürworter (linke Seite) und der ACTA-Gegner (rechts) kamen in den 248 untersuchten Artikeln unterschiedlich häufig vor. Die von den Gegnern artikulierten Sorgen um Bürger-/Grundrechte und Rechtssicherheit sowie die Kritik am Verfahren bekamen mehr Raum.

Ein Gastbeitrag von Katrin Tonndorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für computervermittelte Kommunikationen der Universität Passau.

ACTA. Diese vier Buchstaben machten das Urheberrecht 2012 zum Tagesschau-Thema. Auf einmal wurden große Debatten zu einem netzpolitischen Problem geführt, über das bisher nur die Unterhaltungsindustrie mit ein paar Netzaktivisten stritt. Beide Interessengruppen versuchten, mit ihrer Sichtweise die Öffentlichkeit zu überzeugen. Welches „Framing“ sich durchsetzte, untersuchten Kommunikations- und Politikwissenschaftler der Uni Passau.

Der Konflikt um die Neugestaltung des Urheberrechts beginnt bereits weit vor ACTA. Seit die Filesharing-Plattform Napster und ihre Nachfolger die Geschäftsmodelle der klassischen Medienindustrie infrage stellten, hat die Unterhaltungsindustrie ihren Einfluss auf die Politik genutzt und erfolgreich für die Verschärfung des Urheberrechts geworben. Ergebnis dieser Bemühungen sind unter anderen das DMCA-Gesetz in den USA und die IPRED-Richtlinie in Europa. Trotz der Mobilisierungsversuche von Netzaktivisten erhielt IPRED 2004 in der öffentlichen Berichterstattung nur wenig Aufmerksamkeit und wurde ohne größere Komplikationen vom EU-Parlament angenommen.

Einen ganz anderen Verlauf nahm hingegen das multilaterale Abkommen ACTA. Im Kern sollte es internationale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etablieren, weshalb es häufig als Anti-Piraterie-Abkommen bezeichnet wurde. Entwürfe zum ACTA-Abkommen lagen bereits seit 2010 vor; bis dann im Frühjahr 2012 – nur kurz vor der geplanten Ratifizierung – umfangreiche Proteste und eine intensive Medienberichterstattung folgten. Die konkurrierenden Interessengruppen der Unterhaltungsindustrie und Netzaktivisten vertraten in diesen Konflikt grundverschiedene Ansichten.

Argumentationen und Einordnungen werden zu Aussagenstruktur verbunden

Um ihre Deutungs- und Interpretationsmuster in der öffentlichen Debatte zu positionieren, waren die Argumentationsrahmen von zentraler Bedeutung. Die Kommunikationswissenschaft spricht hier vonFraming, in etwa „Umrahmung“. Beim Framing werden ausgewählte Aspekte eines Themas hervorgehoben und durch Argumentationen und Einordnungen zu einer kohärenten, sprich zusammenhängenden Aussagenstruktur verbunden.

Eben dieses „Framing“ untersuchte ein Lehrforschungsprojekt mit Studentinnen und Studenten der Universität Passau am Lehrstuhl für computervermittelte Kommunikation. Im Lauf der Untersuchung ermittelten die beteiligten Wissenschaftler und Studenten die Argumentationsrahmen (Framing-Strategien) der ACTA-Unterstützer und -Gegner durch eine Analyse von Texten auf deren Webseiten. In einem zweiten Schritt analysierten sie, wie diese Argumentationsrahmen in der Berichterstattung deutscher Leitmedien vorkamen – im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 18. Juli 2012.

Hierfür griffen sie Artikel über ACTA aus reichweitenstarken Print- und Onlinemedien heraus: Süddeutsche Zeitung, FAZ, Rheinische Post, Freie Presse Passau, Spiegel Online, Focus Online, Süddeutsche.de. In den gefundenen 248 Artikeln zählten sie anschließend per Inhaltsanalyse aus, wie häufig die verschiedenen Positionen und Argumente der ACTA-Befürworter und Gegner erwähnt wurden.

Befürworter: Wohlstand und Rechtssicherheit

Der Ausgangspunkt der Debatte liegt für die Unterstützer des Abkommens im vorgelagerten Problem der massenhaften Urheberrechtsverletzungen durch Internetnutzer. Dieses Problem sollte durch ACTA gelöst werden. Zur Untermauerung dieser Sichtweise betrachteten die Unterstützer die Thematik in verschiedenen Kontexten: Argumentationen aus rechtlicher, wirtschaftlicher und kultureller Sicht verbanden sie miteinander zu einem „Rahmen“ oder eben „Frame“. In rechtlicher Hinsicht – so argumentierten sie – werde ACTA bessere Möglichkeiten zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen schaffen, wodurch Rechtssicherheit erreicht werde.

Diese Rechtssicherheit wirke sich positiv auf die wirtschaftliche Situation aus. So würde der Erfolg von Unternehmen der Unterhaltungsindustrie gesichert, was nicht nur Arbeitsplätze sondern den allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstand schütze. Darüber hinaus betonten sie auch positive kulturelle Aspekte. Durch ACTA würde die Existenzgrundlage von Künstlern geschützt, wodurch diese wiederum ein reichhaltiges und innovatives kulturelles Angebot schaffen könnten.

Gegner: Rechtsunsicherheit und vage Formulierungen

Die Gegner des Abkommens diskutierten ACTA in denselben Kontexten – nahmen allerdings vollkommen andere Bewertungen vor. Aus ihrer Sichtweise würde ACTA Rechtsunsicherheit schaffen, da das Abkommen vage Formulierungen enthalte und eine privatisierte Rechtdurchsetzung fördere. Diese Unsicherheit verhindere innovative neue Geschäftsmodelle im Mediensektor. Von dem erweiterten Schutz profitierten, wenn überhaupt, nur die großen Konzerne und nicht die einzelnen Künstler.

Sowohl in wirtschaftlicher als auch kultureller Hinsicht hätte das Abkommen deshalb deshalb negative Auswirkungen, so die Gegner. Über diese drei Argumentationsfelder hinaus führten die Gegner mögliche negative Konsequenzen für die Konsumenten- und Bürgerrechte an, zudem das intransparente und von Lobbyeinflüssen geprägte Verfahren. Die ACTA-Befürworter wiesen eine Gefährdung der Grundrechte vehement zurück, entwickelten in diesem Argumentationsfeld allerdings – interessanterweise – keine eigene Aussagen.

Siegeszug der Netzbürger

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  • Den ersten Höhepunkt erlebte die Berichterstattung, als Deutschland die Ratifizierung des Abkommens am 9. Februar 2012 vertagte und am 11. Februar die erste europaweite Anti-ACTA-Demo stattfand.
  • Den zweiten Höhepunkt löste kurz danach die Bekanntgabe aus, das ACTA vom Europäischen Gerichtshof geprüft werden soll. Danach flaute die Berichterstattung deutlich ab.
  • Sie setzte erst kurz vor dem Abstimmungstermin des EU-Parlamentsam 4. Juli wieder ein.

Die untersuchten Artikel verteilten sich in etwa gleichmäßig auf Print-(122) und Onlinemedien (126). Signifikante Unterschiede bei den verwenden Argumenten waren zwischen Print und Online allerdings nicht festzustellen.

Argumente zu Konsumenten-, Bürger- und Freiheitsrechten dominierten

In den 248 analysierten Artikeln wurden die Aussagen der Befürworter und der Gegner von ACTA insgesamt 763 Mal genannt. In den Argumentationsfeldern „Kultur und Wirtschaft“ folgte die Medienberichterstattung den Interpretationsmustern der ACTA-Befürworter. Von den 99 Aussagen aus diesen Themenkomplexen waren mehr als 75 Prozent unterstützend. Insgesamt dominierte jedoch die Argumentation im Kontext der Konsumenten- und Bürgerrechte. Die Aussagen der ACTA-Gegner wurden hier 222 Mal aufgegriffen. Die Bedenken der Netzaktivisten, ACTA könnte zu einer Einschränkung der Freiheitsrechte und der privaten Internetnutzung führen, wurden in mehr als 80 Prozent der Artikel aufgegriffen.

Die Argumente der ACTA-Befürworter (linke Seite) und der ACTA-Gegner (rechts) kamen in den 248 untersuchten Artikeln unterschiedlich häufig vor. Die von den Gegnern artikulierten Sorgen um Bürger-/Grundrechte und Rechtssicherheit sowie die Kritik am Verfahren bekamen mehr Raum.

Die Behauptung der Befürworter, dass eine solche Gefahr – Einschränkung der Freiheitsrechte und der privaten Internetnutzung – gar nicht besteht, wurde 91 Mal erwähnt. Ebenfalls sehr häufig wurde das Abkommen im Kontext der Rechtssicherheit und -durchsetzung diskutiert. In 119 Fällen gingen die Artikel auf das intransparente und von Lobbyeinflüssen geprägte Verfahren ein. Für diesen Themenkomplex hatten die ACTA-Befürworter keine oder nur wenig schlagkräftige Gegenargumente. Insgesamt nahmen nur 29 Artikel eine positive Position gegenüber ACTA ein; 112 waren neutral, während 117 eine negative Position gegenüber dem Abkommen erkennen liessen.

Die ACTA-Gegner haben es also geschafft, mit der Fokussierung auf Konsumenten-, Bürger- und Freiheitsrechte ihre Sichtweise in der öffentlichen Berichterstattung öfter und wirksamer zu platzieren. Interessanterweise begründete das EU-Parlament seine Ablehnung des Abkommens mit zentralen Aussagen aus dem Argumentationsrahmen (Frame) der ACTA-Gegner.

Der Kampf um das Urheberrecht ist noch lange nicht entschieden

Katrin Tonndorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für computervermittelte Kommunikationen der Universität Passau.
Katrin Tonndorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für computervermittelte Kommunikationen der Universität Passau.

Mit der Ablehnung von ACTA ist der Kampf um eine Erneuerung des Urheberrechts noch lange nicht entschieden. Im Rahmen neuer Abkommen, wie den Freihandelsabkommen TAFTA, TTIP oder auch CETA – zwischen Kanada und der EU – werden bereits neue Regelungen diskutiert, die auch das Urheberrecht im digitalen Zeitalter betreffen könnten. Im Internet formieren sich bereits die Interessengruppen, um ihre jeweiligen Positionen und Argumente durchzusetzen.

Was der Diskussion fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht an sich. Um den Konflikt zu lösen, müssen grundsätzlich neue Ansätze diskutiert werden, wie eine Balance zwischen der Entlohnung des Urhebers und dem Gemeinwohl zukünftig ermöglicht werden kann. Wie wichtig dabei klare und nachvollziehbare Argumentationsrahmen sind, zeigt unsere Untersuchung.

Die von Katrin Tonndorf und den Studierenden des Lehrforschungsprojekts erarbeitete Untersuchung erscheint im Mai.

Der Artikel ist zuerst bei iRights.info erschienen.

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