Bundesregierung erklärt Netzneutralitätspläne

Während ich am Freitag im Presse-Hintergrundgespräch im Wirtschaftsministrium sass, hat Tilo Jung in der Bundespressekonferenz den Regierungssprecher gefragt, was denn an den Netzneutralitätsplänen der Bundesregierung dran ist. Das dokumentieren wir hier auch nur, weil es die Linie der Bundesregierung zeigt: Netzneutralität ist in der Rhetorik wichtig, gegen aktuelle Verletzungen der Netzneutralität wird man nichts unternehmen und zusätzlich führt man noch das Zweiklassenetz ein und legalisiert Drosselkom-Ideen. Business as usual.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, warum ist die Kanzlerin gegen Netzneutralität?

STS SEIBERT: Ich kann der Behauptung in Ihrer Frage nicht zustimmen, die Kanzlerin ist nicht gegen Netzneutralität. Es ist so und das hat sie gestern in ihrer Rede auf dem „Digitising Europe Summit“ hier in Berlin ja sehr klar gemacht , dass Fragen der Netzneutralität zurzeit in Europa verhandelt werden, und zwar im Rahmen der Verhandlungen zum sogenannten Telekommunikationsbinnenmarkt. Dazu gibt es einen Vorschlag der italienischen Ratspräsidentschaft, der auf dem Tisch liegt, der auch diese Fragen betrifft. Es gibt noch keine Einigung im Rat. Die Bundeskanzlerin hat gestern sehr deutlich gemacht, dass es ihr wichtig ist, dass wir hier Fortschritte machen. Sie hat wörtlich gesagt, dass wir hier aufs Tempo drücken. Innerhalb der Bundesregierung besteht Einigkeit, dass Anbieter elektronischer Kommunikation alle im offenen Internet übertragenen Datenpakete gleich ohne Berücksichtigung des Absenders, des Empfängers, der Art des Inhalts, Dienstes oder auch der Anwendung behandeln sollen. Das ist der Inhalt der Netzneutralität. Dieser Grundsatz steht im Einklang damit, dass man Spezialdienste ermöglicht. Für diese Spezialdienste sollen Regeln gelten, die die Wahrung der Netzneutralität sicherstellen und gleichzeitig das Innovationspotenzial des Internets ausschöpfen. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann. Die Bundeskanzlerin hat gestern Beispiele solcher Spezialdienste genannt wenn man sie haben will. In solchen Diensten besteht ein enormes Innovations- und auch ein enormes digitales wirtschaftliches Potenzial. Angesichts dessen ist es sinnvoll, das so zu organisieren. Genau darüber hat die Bundeskanzlerin gestern gesprochen. Ich kann aber, wie gesagt, nicht ihrer Behauptung zustimmen, dass sie gegen Netzneutralität sei das Gegenteil ist der Fall.

ZUSATZFRAGE JUNG: Sie hat auch davon gesprochen, dass die Chancen der Digitalisierung genutzt werden sollten. Ist das für Sie kein Widerspruch zu dem Anliegen der Netzneutralität? Ein Vorteil der Netzneutralität ist ja, dass jeder die gleichen Chancen hat, also zum Beispiel auch Startups.

STS SEIBERT: Ich kann da noch einmal auf das zurückgreifen, was ich gerade gesagt habe: Es gibt ja das Bekenntnis zur Netzneutralität, und es gibt trotzdem diese Spezialdienste, die für das innovationsfreundliche Internet, für großes digitales Wertschöpfungspotenzial stehen, von dem wir alle in diesem Lande profitieren werden. Die werden zunehmen. Aber wie die Bundeskanzlerin gestern auch ausgeführt hat: Sie können sich eben nur entwickeln, wenn auch für diese Spezialdienste berechenbare und verlässliche Qualitätsstandards zur Verfügung stehen. Das sind die beiden Seiten, die man zusammenbringen muss und die die Bundesregierung in ihrem Vorschlag zusammenbringen wird.

ZUSATZFRAGE JUNG: Diese Spezialdienste werden ja genau von denen angeboten, die nicht gerade für Innovation bekannt sind zum Beispiel der Telekom usw., also den großen Internetprovidern.

STS SEIBERT: Das ist jetzt ein Satz. Zu welcher Frage führt er?

ZUSATZFRAGE JUNG: Ich verstehe nicht, wie das zu Innovationen führen soll.

STS SEIBERT: Die Bundeskanzlerin hat gestern zwei mögliche Bereiche genannt. Der eine Bereich, das fahrerlose Auto, klingt heute für manchen noch wie Zukunftsmusik, ist es in Wirklichkeit aber nicht, wie die Experten wissen. Der andere Bereich, der Bereich der telemedizinischen Anwendungen, hat für breite Teile der Bevölkerung vielleicht auch ein großes Potenzial. Das sind Beispiele, wo Innovation möglich ist und wo Innovation heißt, dass man solchen Spezialdiensten eben auch die berechenbaren Qualitätsstandards zur Verfügung stellen muss. Unser Vorschlag wird so sein, dass dies mit dem Grundsatz der Netzneutralität in Einklang gebracht wird. Vielleicht kann sich die Kollegin aus dem Bundeswirtschaftsministerium dazu noch weiter auslassen.

MODES: Ich kann gerne noch etwas zu den Details sagen. Wie gesagt, es gibt mittlerweile eine gemeinsame Position der Bundesregierung. Es ist eben kein Widerspruch: Die Netzneutralität im offenen Internet soll erhalten bleiben; das Internet bleibt also weiter so, wie es jetzt ist, erhalten. Gleichzeitig gibt es eben diese Innovationen. Es gibt aber strenge Vorgaben: Die Spezialdienste dürfen nicht diskriminieren, sie dürfen kein Ersatz für einen offenen Internetzugang sein und sie dürfen nur bei ausreichenden Netzkapazitäten erbracht werden. Die können sozusagen jetzt auch erst beginnen. Deswegen sehe ich da jetzt auch keinen Widerspruch.

ZUSATZFRAGE JUNG: An das Wirtschaftsministerium: Wenn die Netzneutralität erhalten werden soll, warum schreibt man das dann nicht ins Grundgesetz?

MODES: Man findet in Europa eine europäische Regelung. Wir sind der Meinung, dass das europäisch festgesetzt werden muss.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

16 Ergänzungen

  1. Als eigentlicher IT-Nerd, der aus unerklärlichen Gründen Jura studiert und sogar die Staatsexamen bestanden hat, sehe ich immer wieder mit Krämpfen im Bauch, wie schwer schwer es ist Politikern ihre Logikfehler in Sachen Technik aufzuzeigen und weiß leider auch warum das so ist.

    Schade, dass Jung nicht das Offensichtliche beim Namen nennt: Netzneutralität ist etwas Absolutes. Entweder das Netz ist neutral oder nicht. Da gibt es keine Abstufungen und darf es auch kein „aber“ geben, sonst bricht man schlicht mit dem Prinzip.

    Aber genau diesen Logikfehler verstehen Politiker leider nicht, da es in ihrem Microkosmos keine Absolutismen gibt. Alles, ohne jede Ausnahme, ist immer irgendwie relativierbar, verhandelbar und einschränkbar. Dieses Prinzip ist weitestgehend ins Grundgesetz gegossen und wir sehen ja selbst, dass sogar Art. 1 u. 2 GG für viele Politiker durchaus verhandelbar sind.

    Das quasi (Logik-)äquivalent zur Netzneutralität im GG ist der Gleixhbehandlungsgrundsatz. (Ich erkläre jetzt nicht die Drittwirkung, aber das Folgende findet man z.B. im Kartellrecht…) Man lernt schon früh im Studium, dass dieser nich „Alle werden gleich behandelt.“ bedeutet, sondern „Gleiches wird gleich behandelt und Unterschiedliches darf unterschiedlich behandelt werden.“

    Also selbst dieser oft hochgehaltene Grundsatz ist alles andere als absolut. Das ist auch gut und wichtig. Aber leider wenden Politiker genau diese Logik auf die Netzneutralität an und sind somit empfänglich für die Flüstereien der Telekom, etc.

    1. Mir fehlt in dieser Debatte eine treffsichere Analogie.

      z.B. Löschen statt sperren: Man schaut ja auch nicht einfach weg (sperrt), wenn ein Kind vergewaltigt wird.
      Das hat dem ganzen ein Bild gegeben.

      Netzneutralität ist leider sehr abstrakt.
      Man müßte hier auch ein griffiges Bild finden. Z.B. als (überspitzte) Gegenfrage auf der Pressekonferenz:

      „Sie sind für netzneutralität, aber auch für Spezialdienste. Das wäre so, als ob Sie gegen Folter sind, aber ein wenig Folter hier und da ist in Ordnung“

      Ersetze dabei „Folter“ mit einem einer besseren Analogie.

  2. Immer dieses bescheuerte Beispiel des fahrerlosen Autos! Die sind nicht auf einen Internetzugang angewiesen! Dafür sind drahtlose Netzwerke einfach viel zu fehleranfällig. Für Zusatzinformationen /Zusatzdienste mag ein Internetzugang nötig sein, aber der muss bestimmt nicht priorisiert sein…
    Kein Hersteller wird ein Auto bauen bei dem die Sicherheit nicht ohne Internet gewährleistet ist.

    1. … und selbst wenn ein Hersteller ein solches baut; es wird mit (bzw. ohne) Sicherheit keine Abnehmer finden.

      Es gibt diese Einrichtung für Spezialdienste im Internet doch heute schon (VoIP) oder verstehe ich da was nicht richtig? Nennt man Traffic Shaping oder Quality of Service. Als Fundi-Netzneutraliker könnte man jetzt sagen, dass das auch schon ein Angriff auf die Netzneutralität ist. Anderseits funktioniert das auch seit Jahrzehnten, ohne dass sich deshalb jemand diskriminiert fühlt. Wenn meine Frau telefoniert, merke ich das jedenfalls nicht daran, dass meine Downloads einbrechen.

      Warum also muss hier unbedingt ein Gesetz geschaffen werden, das wieder… naja, leistungsschutzrechtet? Ach… ja… wir haben ja immer noch eine CDU-Regierung und die Merkel ist auch noch da… hätte ich beinahe vergessen.

      1. „merke ich das jedenfalls nicht daran, dass meine Downloads einbrechen“

        Ja Hendrik, das liegt eben daran, dass die Telekom ihre Services über andere Leitungen, sozusagen ein anderes Netz, verschickt. IPTV zum Beispiel geht gar nicht über das Internet. Es sind nur die letzten Meter, das Kabel zu Dir, das Internet und TV überträgt.

        Und QoS ist zwar vorgesehen, doch wird es im Internet nicht so genutzt. DSCP ist nur ein Flag. QoS jedoch ist ein Mischmasch von Parametern, die eigentlich vom Provider garantiert werden müssten. Genau wie der Autohersteller Leistung, Verbrauch usw. garantiert. Doch nicht einmal der Begriff Flatrate ist etwas, auf das man sich verlassen kann.

        Deine Aussage, dass Downloads nicht einbrechen ist sehr subjektiv und deckt nur einen Spezialfall ab.

  3. Ich finde, dass Jung den engen Spielraum, den er dort hat, inkl. Nachfragen super ausgeschöpft hat! Immerhin sahen sich die Herren Politiker genötigt zu „erklären“ bzw. zu behaupten, dass es keinen Widerspruch zw. Netzneutralität und Spezialdiensten gebe.

    Das selbstfahrende Auto und die telemedizinischen Anwendungen sind „Innovationen“, die sich lange abzeichnen und nur von großen Firmen gestemmt werden können. Eben gerade keine komplett neuen und originellen Geschäftsideen, wie sie Startups auf die Straße bringen wollen.

    1. Vor allem musste der Seibert schon arg ausholen, um doch noch irgendein abstruses Beispiel, wie selbstfahrende Autos zu nennen und dass dann auch noch im Kontext Netzneutralität.

  4. Im Grunde ist dieser Spagat dieser „Argumentation“ eine absichtliche Täuschung. Begründungen gibt es nicht, eine Frage des Glaubens. Und das selbstfahrende Auto ist in der vorgestellten Form ein Alptraum.

    Ich glaube, dass der Plan der Bundesregierung eine Enteignung ist. Wenn das Netz für Spezialdienste genutzt wird, so wird zwangsläufig weniger „speziales“ zurück gedrängt. Der Blogger, der die Zahlung an die Telekom zur bevorzugten Behandlung nicht leisten kann, der wird spätestens beim Ende der Volumenflatrate nicht mehr gelesen. Dafür kann „jeder“ seine tägliche Serie überall sehen, weil er es kann. Oder weil er es eben nicht kann? Weder bezahlen noch den Blogger lesen.

    Ein Teil des Netzes mag der Telekom gehören. Anbieter müssen investieren und die Infrastruktur gehört ihnen so weit, wie sie bezahlt haben. Doch der Blogger hat auch gezahlt für seinen Zugang. Der Kunde hat gezahlt für Internet. Wo ist das Problem? Ach ja, dass nicht doppelt und dreifach gezahlt wird. Um nichts Anderes geht es den Damen und Herren.

    Diese Inhalte, Ziel und Quelle gehen der Telekom nichts an. Sie generieren sie nicht und natürlich können sie daran nicht direkt verdienen. Ihre Dienstleistung ist der Transport. Sie können da nichts priorisieren. Internet ist kein BTX. Sich dieses Internet anzueignen, als sei es BTX, ist Diebstahl des geistigen Eigentums Dritter. Wer Netzneutralität verletzt ist Raubkopierer. Um mal die Argumentation der „Gegenseite“ zu okkupieren.

    Nicht? Dann ist es ganz einfach. Sollen die Komiker sich ihr eigenes Kommerznetz schaffen. Wenn Premiuminhalte so gewünscht werden, dann brauchen sie unser Netz nicht. Dann wird das doch ein Selbstläufer und wir haben endlich Ruhe.

    1. Aus diesen Gründen sind mir auch die Pläne dieser „Bundesregierung“ für den Breitbandausbau egal. Das ist nicht meine Regierung, das ist nicht mehr mein Staat, seit sich meine wildesten Verschwörungstheorien immer mehr als olle Kamellen herausstellen.

      Wenn die aus ihrem Netz eine Konsum-Kommerzglotze machen, in der keine beliebigen Pakete mehr geroutet werden, dann liegen die Kabel eben nutzlos in der Straße. Genau wie mir deren DPI-Konsum-Analyse-Überwachungs-4G egal ist außer als Notfallmöglichkeit, um ins richtige Internet zu tunneln. Entweder es geht mit Mesh Networking, Umgehungsinfrastruktur und Indie-Providern so richtig los, oder tschüß, digitale Welt.

      1. Mir nicht.

        a) Breitbandausbau für Spezialdienste (weil die nach unserer Kanzlerin nur gehen, wenn Bandbreite da ist), wird nichts an der Netzinfrastruktur für das eigentliche Internet verbessern.

        b) Das ist schon meine Regierung. Es gibt hier keine Andere. Deshalb mische ich mich ein. Demokratie ist Einmischung. Offensichtlich hat die Bundesregierung Nachhilfe nötig.

        c) Natürlich ist das mein Staat, mein Land. Soll ich mir den wegnehmen lassen? Hätten die wohl gerne.

        d) DPI-Konsum-Analyse-Überwachungs-4G ist keineswegs egal. Hier aufzugeben ist Rückschritt. Wo ist da die Grenze? In der Steinzeit? Hallo, es gab mal die Idee der Aufklärung.

        Ansonsten durchaus Verständnis. Passiver Widerstand kommt durchaus in Betracht.

      2. Zur Kenntnis genommen. Es ist es wert, darum zu kämpfen. a), d) können zurückerobert werden. Ich frage mich, wie groß der Markt für „vernünftige“ ISP-Dienstleistungen ist.

        Aber b) und c), zur Zeit sehe ich da eine funktionierende Demokratie. Insbesondere diese Regierung ist so gar nichts, womit ich mich anfreunden kann. Sie ist nicht in dem Sinn übel, da gab es viel schlimmere, man darf den Sinn für die Geschichte nicht vergessen … ich finde sie nur komplett unangemessen und ihren Aufgaben nicht gewachsen, und mich von ihr weder vertreten noch hinreichend gegen Machtinteressen aller Art geschützt (geheimdienstfreundlich, USA-vasallentreu, TTIP-freundlich, datenschutzfeindlich, verkauft Waffen an Diktatoren und und und).

  5. Mal ein ganz dummer Gedanke:
    Wenn im Krisenfall das normale Internet durch eine Störung blockiert ist, können die Behörden sicherlich über das Spezialnetz miteinander kommunizieren. Die normalen Menschen von der Straße können allerdings nicht mehr Kommunizieren. Zufall oder Absicht?

  6. Wer sich in ein fahrerloses Auto setzt, welches dafür eine Internetverbindung nutzt, der verdient es, was ihn erwartet. Ist ja nicht so, dass sich die Computertechnik durch Sicherheit einen Namen gemacht hat. Ich stell mir schon die Autoversion eines BKA Trojaners vor … Bitte nutzen sie ihr Handy jetzt um uns € 100 zu überweisen oder sie werden einen Unfall haben …

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.