NATO-Drohnen: Neue Arbeitsgruppe prüft „flugbetriebliche, operationelle und technische Details“ vor „Reißleine“

Text_2012_06_19_EuroHawk_Flight_TestingMittlerweile werden die Forderungen zum Rücktritt des Verteidigungsministers oder wenigstens seiner zuständigen Staatssekretäre lauter. Hintergrund ist die Affäre um die Beschaffung der Spionagedrohne „Global Hawk“ für die NATO sowie deren deutsches Derivat „Euro Hawk“, von denen die Bundeswehr ursprünglich fünf Flugzeuge kaufen wollte. De Mazière redet sich heraus, man habe die Problematik des Betriebs der Drohnen im zivilen europäischen Luftraum unterschätzt. Nun kam heraus, dass sogar der Bundesrechnungshof getäuscht wurde: Entsprechende Dokumente, die auf teure Nachweise zur luftfahrtrechtlichen Zulassung hinwiesen, wurden geschwärzt. Gestern ruderte er zurück und verspricht, die Finanzkontrolleure mit allen Unterlagen zu versorgen.

Dass der Betrieb einer derart großen Drohne mit der Flugsicherheit und dem Verkehrsministerium abgestimmt werden muss, dürfte im Verteidigungsministerium seit 10 Jahren bekannt sein. Das Gleiche gilt für Dokumente der Hersteller, die dafür benötigt werden. Denn bereits 2003 schickte Northrop Grumman eine „Global Hawk“ der ersten Baureihe zum Probeflug an die Nordsee. An Bord war ein Sensorpaket zur Erfassung und Identifikation elektromagnetischer Signale von EADS.

Die luftfahrtrechtliche Zulassung für Deutschland schien damals problemlos. EADS beschwichtigte, die „Global Hawk“ habe kurz zuvor als erstes unbemanntes Luftfahrzeug von der US-Luftfahrtbehörde eine „nationale Zulassung für den Einsatz als luftgestütztes Aufklärungssystem im US-amerikanischen Luftraum erhalten“. Die „Airworthiness“ (Lufttüchtigkeit) wurde 2006 untermauert, als der US-Luftwaffe ein Zertifikat für den sicheren Betrieb unter militärischen wie zivilen Bedingungen ausgestellt wurde. Die Bescheinigung bezog sich auf die drei Baureihen „Block 10“, „Block 20“ und „Block 30“; mittlerweile fertigt Northrop Grumman den neuen Typ „Block 40“.

Studien zur Kollisionsvermeidung in Europa

Seit zehn Jahren laufen in Europa diverse Studien zum Betrieb großer Drohnen im allgemeinen zivilen Luftraum („non-segregated airspace“). Zentral ist das Prinzip „See & Avoid“ (auch „Detect & Avoid“), das ein Ausweichen vor Kollisionen vorschreibt. Ziel ist die Integration größerer Drohnen in den zivilen Luftraum, der bislang für jeden Flug gesperrt werden muss. Die Europäische Union finanziert hierzu die Studie „Unmanned Aircraft System Mid-air Collision Avoidance Function“ (MIDCAS), die bis 2014 eine erfolgreiche Demonstration abliefern will. Beteiligt sind die großen europäischen Militärausrüster aus Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien unter Führung der schwedischen Firma Saab. MIDCAS wird auch von der Europäischen Verteidigungsagentur gefördert. Das Vorhaben will Ausweichverfahren entwickeln, um etwa beim Ausfall der Funkverbindung programmierte Manöver zu fliegen. Ziel ist die Gleichstellung mit der bemannten Luftfahrt:

The aim of the MIDCAS program is to contribute to the UAS integration in civilian airspace by proposing a baseline of solutions for the „Unmanned Aircraft System Mid-air Collision Avoidance Function“ acceptable by the manned aviation.

Die Deutsche Flugsicherung betreibt ebenfalls ein Projekt „Validierung von UAS zur Integration in den Luftraum“, das sich mit „Sense & Avoid“-Verfahren befasst. Wirklich zufrieden ist man dort aber nicht:

Eine Integration von UAS auf Basis der Radardarstellung des Verkehrs und des verwendeten „Detect and Avoid“-Systems scheint demnach prinzipiell möglich. Für eine endgültige Entscheidung sind aber noch weitere Arbeiten notwendig.

In Deutschland gehören der Rüstungskonzern EADS, dessen Tochtergesellschaft Cassidian, die ESG Elektroniksystem- und Logistik-GmbH und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zu weiteren Begünstigten entsprechender Forschungen. Geld gibt es auch für die Überwachungstechnik: Für die Ausrüstung und den Betrieb des „Euro Hawk“ als Fernaufklärer hatten Northrop Grumman und EADS eine eigene GmbH gegründet. Die beiden Firmen behaupteten, der „Euro Hawk“ könne „nachgewiesenermaßen von denselben Flugplätzen wie bemannte Systeme operieren, was seinen Betrieb erleichtert“. Gegenstand des Joint Ventures war die Bereitstellung eines Systems zur „Signals Intelligence“ (SIGINT), das als Nutzlast transportiert wird.

EADS ein „Schlüsselpartner“ für NATO-Programm

Auch beim NATO-Programm „Alliance Ground Surveillance“ (AGS) profitiert EADS von den Investitionen in Überwachungstechnik und bezeichnet sich als „Schlüsselpartner“. Im Joint Venture „Alliance Ground Surveillance Industries GmbH“ hat sich EADS mit mit europäischen Rüstungskonzernen zusammengetan, um die „Erstellung und Abgabe von Angeboten im Hinblick auf Angebotsaufforderungen der NATO in Zusammenhang mit dem NATO AGS Programm“ zu erleichtern.

Im Konsortium mit fünf weiteren europäischen Rüstungskonzernen gründete die Firma zudem das Gemeinschaftsunternehmen „TCAR Industries GmbH“, um ein hochauflösendes Radarsystem für die NATO zu entwickeln. Zu Einsatzmöglichkeiten erklärte die Bundesregierung, diese könnten auch „Military Operations in Urban Terrain“, also Aufstandsbekämpfung in Städten beinhalten. Während unbemannte Luftfahrzeuge der Luftwaffe per Laserstrahl „Ziele am Boden beleuchten“, würden die „Euro Hawk“ die Operationen durch „Gewinnung von Daten im Rahmen der signalerfassenden Aufklärung“ unterstützen. Die Notwendigkeit des neuen Radars war jedoch von Anfang an umstritten, zumal andere europäische Firmen ähnliche Systeme angeblich billiger produzieren würden.

Die Drohnen des NATO-Programms werden seit Jahren mit der Entwicklung von Zulassungsverfahren begleitet. Nicht weniger als fünf Arbeitsgruppen widmen sich der Integration größerer Drohnen in die NATO-Verbände. Deutschland hat zusammen mit den USA und Frankreich den Vorsitz der „Joint Capability Group on Unmanned Aerial Vehicles“ (JCGUAV) inne, die wiederum aus drei früheren Gruppen gebildet wurde.

Bereits 2004 hatte die NATO die „Flight in Non-Segregated Airspace Working Group“ (FINAS) gegründet, um grenzüberschreitende Flüge im zivilen Luftraum zu vereinfachen. Zu den Aufgaben von FINAS gehören die Ausarbeitung von Standards und Trainings, aber auch die Untersuchung aller für ein „Sense & Avoid“ notwendigen Funktionalitäten. 2007 hieß es dazu vom vom „Joint Air Power Competence Centre“ der NATO:

UAS are not routinely allowed to fly outside segregated airspace, since they cannot safely integrate with other airspace users. This integration will require the development of suitable technology (such as sense-and-avoid) and will apply regardless of whether airspace is controlled or not. The NATO Flight in Non-Segregated Airspace (FINAS) Working Group is developing guidelines to allow the cross-border operation of UAS in non-segregated airspace. European civil authorities, through EUROCONTROL’s UAV Certification and Qualification Working Group, have developed a ‘five-step’ approach to UAVs operating in controlled airspace. The five-step approach would gradually allow commercial or government UAV operations in European airspace. Additionally in Europe, UAVs are expected to be part of the Single European Sky (SESAR) programme. SESAR is the expected future air traffic management system in Europe and could be implemented around 2020.

Als Ziel wurde ausgegeben, einen für alle NATO-Staaten gültigen „UAV airworthiness code“ bereit zu stellen. Die Empfehlung wurde 2007 veröffentlicht, jedoch unter Auslassung der „Sense & Avoid“-Problematik. Einen ähnlichen Standard hatte die NATO bereits 2002 für Kontrollsysteme der Drohnen publiziert und zuletzt 2012 überarbeitet. Wichtiger sind aber die Empfehlungen zur Entwicklung von „Sense and Avoid“-Technologie, die von der NATO vor fünf Jahren in Kalkar veröffentlicht wurden.

Arbeitsgruppe zu „flugbetrieblichen, operationellen und technischen Details“ künftiger Beschaffungsvorhaben

Es ist also kaum glaubhaft, dass die Studien und Dokumente im Verteidigungsministerium nicht bekannt waren. Das hat wohl gestern auch der Sprecher von de Mazière eingesehen. Stefan Paris erklärte gestern auf der Bundespressekonferenz, das Kollisionsvermeidungssystem „Sense & Avoid“ sei gar nicht das Kernproblem des „Euro Hawk“. Vielmehr gehe es um den hohen Geheimhaltungsgrad der US-Regierung und des Herstellers Northrop Grumman, wenn diese die deutschen Luftfahrtbehörden nicht mit den notwendigen Papieren versorgen:

Es reicht nicht aus, dass Sie ein Fluggerät wie den „Euro Hawk“ nach Manching stellen, die Truppe der Prüfer dann darum stellen und sagen: „So bitte, hier sind Schraubenzieher, guckt euch das alles einmal an.“ Die gucken zwar einmal, aber sie brauchen für das, was sie sehen insbesondere die Teile, in die man nicht hineingucken kann, weil sie technisch so verbaut sind, und vor allem auch, weil sie zusammenwirken, auch eine Papierlage. Das ist schlicht und ergreifend deshalb so, damit man ich sage das einmal ein bisschen flapsig dem deutschen Prüfwesen nachkommen und sagen kann: Das ist das Papier, das ist technisch nachvollziehbar, das garantiert ganz bestimmte technische Dinge, und deshalb bekommt das einen Stempel, dass es so in Ordnung ist. Eine Vielzahl dieser Papiere das hängt nicht mit dem Kollisionsvermeidungssystem zusammen, sondern das hängt letztendlich mit sämtlichen Teilen, die darin verbaut sind, zusammen sind von der Herstellerseite aber nicht in der ausreichenden Form zur Verfügung gestellt worden.

Klarheit gibt es vielleicht Ende der Woche, wenn die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zum „Euro Hawk“ der Bundeswehr und dem „Global Hawk“ der NATO beantworten muss. Gut möglich aber auch, dass de Mazière kneift, die Beantwortung verschiebt und die abgefragten Fakten zunächst in seiner Erklärung am 5. Juni vor dem Verteidigungsausschuss verlesen möchte. Laut Paris hat die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Leiter zwar nicht bekannt ist, die aber ressortübergreifend arbeitet:

Diese Arbeitsgruppe setzt sich nicht aus einer einzigen Abteilung oder gar einer einzige Person zusammen. Sie ist in ihrem Kern in der Abteilung AIN das war vor der Reform die sogenannte Rüstungsabteilung; heute heißt diese Abteilung „Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung“ aufgehängt. […] In diesen verschiedenen Arbeitssträngen sind sicherlich Mitarbeiter der zuständigen Abteilung AIN, aber auch Vertreter aus den Bereichen Haushalt, Führung Streitkräfte und Politik vertreten. […] Letztendlich sind dem Ganzen auch noch Mitarbeiter aus dem Bereich Organisation und Revision beigestellt.

Die Gruppe soll Vorschläge erarbeiten, wie die Bundesregierung ihre „Beschaffungsobjekte im Bereich der unbemannten Fluggeräte“ weiter betreiben soll. Neben den Spionagedrohnen will die Bundeswehr auch Kampfdrohnen besorgen, was kürzlich ebenfalls für Furore sorgte. Deshalb soll die Arbeitsgruppe ausloten, welche „flugbetrieblichen, operationellen und technischen Details“ für den Betrieb notwendig wären: „Dabei ist es natürlich auch wichtig, Schlussfolgerungen in Bezug darauf zu ziehen, wie wir jetzt mit der Durchführung weiter vorgehen“. Es klingt durch, dass für die „Global Hawk“ des NATO-Programms AGS noch keine „Reißleine“ gezogen wurde.

Wer noch vor dem 5. Juni Informationen zum Stand des NATO-Drohnen-Programms sucht, sei auf die Tagung „Unmanned Vehicles IV Land Luft See“ der Rüstungslobby verwiesen. Am Mittwoch berichtet dort Dietmar Thelen von EADS Cassidian über seine Perspektive auf das Projekt „Alliance Ground Surveillance“. Im Anschluß referiert ein Vertreter des Raketenherstellers MBDA zur Bewaffnung von Kampfdrohnen (oder polizeilichen Drohnen?).

Zum Schluss werden die Ergebnisse des EU-Projekts „Demonstrations of Satellites Enabling the Insertion of Remotely Piloted Aircraft Systems in Europe“ vorgestellt. Dort wird als Erfolg gefeiert, dass kürzlich der erste Testflug im zivil genutzten Luftraum stattfand und von der spanischen Flugsicherung wie ein bemanntes Flugzeug begleitet wurde.

[Bildquelle: http://www.raes-hamburg.de/Downloads/Text_2012_06_19_EuroHawk_Flight_Testing.pdf]

0 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.