Die Arbeitsgruppe sollte das EU-Lobbyregister reformieren. Heute haben die Parlamentarier ihre Empfehlungen vorgelegt. Der österreichische EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser kritisiert die Ergebnisse scharf.
Der europäische Luftfahrtverband (EBAA) und der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) sind auf der Suche: Nach jemandem, der oder die ihre Interessen bei den europäischen Institutionen in Brüssel vertreten kann. Wie wichtig Lobbyismus, das Strippenziehen in den Backstage-Bereichen der europäischen Politik-Bühnen, von Konzernen und Wirtschaftsverbänden eingestuft wird, verrät ein Blick in Brüsseler Stellenanzeigen. „Policy Coordinator“, „Policy Advisor“, Volkswirte und Juristen – die Listen der einschlägigen Jobangebote für die belgische Hauptstadt sind lang.
Eine andere Liste soll nun durchsichtiger werden: Das EU-Lobbyregister. Heute hat die zuständige Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des EU-Parlaments und der EU-Kommission ihre Empfehlungen für das Verzeichnis veröffentlicht. 30 Punkte sollen sich demnach künftig ändern. Im nächsten Januar werden das EU-Parlament und die Kommission über diese Vorschläge entscheiden. Die größten Fragwürdigkeiten des Registers bleiben allerdings unangetastet, kritisiert der fraktionslose Europapolitiker Martin Ehrenhausen. Er war an der Reform-Arbeit zum Lobbyregister beteiligt. Und hat „als einziges Mitglied der Arbeitsgruppe nicht fürs Ergebnis gestimmt“, schreibt der Österreicher auf seinem Blog. Zwar seien eine verbindliche Revision des Registers bis spätestens 2017 und die detaillierte Angaben der Unternehmen über ihre Finanzmittel und Tätigkeiten nun vorgeschlagen, „die vier wesentlichen Problemstellungen sind jedoch noch ungelöst.“
1.) Kein verpflichtendes Register
Eine Pflicht zur Lobby-Transparenz wird es auch in der nächsten Legislaturperiode nicht geben. Dazu steht in der Empfehlungsliste der Arbeitsgruppe:
On 6.11.13 legal analysis was provided by experts/ academics and by legal services of the EC and EP in the same direction, demonstrating that the current legal basis (Art 352) was the only one available for setting up a mandatory system. The path towards such a system would necessitate much time and preparation and the goal was technically difficult to achieve. Therefore this question could be assigned to AFCO [der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des EU-Parlaments] in the meantime, awaiting the next foreseen review in 2017.
Rund 5.000 Organisationen beschäftigen in Brüssel etwa 20.000 Lobbyisten. Viele Interessensverbände, NGOs und Konzerne – wie Amazon, Adidas oder Goldman Sachs – tragen sich trotz reger Lobby-Präsens nicht in das Register ein. Transparency International geht davon aus, dass etwa drei von vier Vertreterorganisationen der Wirtschaft und rund 60 Prozent aller NGOs gelistet sind. Allerdings machen manche Unternehmen und Organisationen, selbst mit offiziellem Eintrag, falsche Budget-Angaben, beklagt Ehrenhauser. Das führt dann zu absurd anmutenden Rangfolgen bei den finanziellen Lobby-Aufwendungen. Die mittelgroße, französische Versicherungsfirma IRCEM, führt die Liste mit einem Jahresbudget von 55 Millionen Euro für Lobbyausgaben. Danach folgt ein Hersteller von Strohpappe und ein Produzent von Bio-Babykleidung mit 40 Millionen und 20 Millionen Euro Lobbybudget. Schwer zu glauben, dass in Brüssel aktive Konzerne wie Google, Unilever, Bayer, IBM und andere weniger in die Pflege ihrer Kontakte investieren, findet der Politiker. Sogar das EU-Parlament hatte schon 2011 mehrheitlich nach einer solchen Reform verlangt.
Auch der Verein Lobbycontrol hatte vor der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe gefordert, die Registrierung zur Pflicht zu machen oder zumindest starke Anreize zu setzen, damit sich Unternehmen freiwillig eintragen.
2.) Anreize zur Freiwilligkeit
Es wurden nur sehr vage mögliche, freiwillige Anreize formuliert, kritisiert Ehrenhauser. Im Schreiben der Arbeitsgruppe steht hierzu:
Each institution, party to the agreement, could recommend incentives to encourage registration, within its own powers of organisation, such as internal rules or administrative codes.
Wenn die Teilnahme an Expertengruppen der Kommission oder die Einladung zu Ausschussanhörungen im EU-Parlament an das Lobbyregister geknüpft wären, dann könnten das zur Registrierung motivieren, schreibt der Parlamentarier.
3.) Lobby-Versteckspiele
Anwaltskanzleien müssen ihre Kunden nicht offenlegen. Das nutzen Unternehmen und Interessengruppen für verstecktes Lobbying. „Wichtig wäre, dass eine Anwaltskanzlei die als Lobbyist tätig ist, auch ihre Kunden ausweisen muss. Doch wer kontrolliert das?“, fragt Ehrenhauser. „Der Kompromiss der Arbeitsgruppe war, dass Anwaltsverbände als Kontrollinstanz diese Aufgabe übernehmen sollen.“ Dafür habe sich aber noch keine Kanzlei gefunden. Vor der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe hatte Lobbycontrol gemutmaßt, dass die Abgeordneten neue Schlupflöcher für Anwaltskanzleien einbauen könnten. Zu der Befürchtung kam der Verein besonders wegen einer Personalie. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, EU-Parlaments Vize-Präsident, Rainer Wieland (CDU) gehört selbst einer Brüsseler Anwaltskanzlei an. Das Brüsseler Büro von „Theumer, Wieland & Weisenburger“ ist selbst nicht im Register gelistet. Dem Politiker wurde auch an anderer Stelle schon unterstellt, den Kampf gegen undurchsichtige Lobby-Arbeit aus Eigeninteresse zu boykottieren.
4.) Das Register gilt nicht für alle Institutionen
„Ein wichtiges Reformziel ist daher, den Rat für die Teilnahme zu gewinnen“, schreibt Ehrenhauser. Denn das Lobbyregister hat derzeit nur für das EU-Parlament und die Kommission Gültigkeit, nicht aber für die anderen EU-Institutionen. Jetzt sollen zwar Verhandlungen von EU-Kommission, Parlament und Rat aufgenommen werden. „Das Interesse des Rates an der Tätigkeit der Arbeitsgruppe war bisher jedoch überschaubar“, resümiert der EU-Politiker.
Die Strippenzieher hinter den Kulissen werden auch in der nächsten Legislaturperiode des Parlaments nicht ausgebremst werden. An dieser Stelle versagen die demokratischen Mechanismen auf europäischer Ebene: Zunächst, weil ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen Industrie- und Wirtschaftslobbyisten und Vertretern von Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen oder Umweltverbänden besteht. Laut der europäischen Anti-Lobbyismus-Organisation ALTER-EU besetzen Vertreter von Großunternehmen jeden zweiten Lobbyisten-Platz in den Expertengruppen, die die EU-Kommission bei Gesetzesvorhaben beraten. Nur jeweils drei Prozent der Beteiligten setzen sich dort für die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen oder von Gewerkschaften ein.
Eine verbreitete Meinung ist, dass Brüssel ohne Lobbyisten nicht funktionsfähig wäre. Sie sollen helfen, Gesetze überhaupt formulieren zu können. Denn anders als der Bundestag, verfügt das Europäische Parlament über keinen wissenschaftlichen Dienst. Dieses Problem wurde von der Lobby-Arbeitsgruppe allerdings überhaupt nicht thematisiert.
Inwiefern auf EU-Ebene eine „Lobby&Paste“-Mentalität vorherrscht, Gesetzestexte also direkt aus Positionspapieren kopiert werden, hat das OpenDataCity-Projekt „Lobbyplag“ etwa am Beispiel der EU-Datenschutzverordnung gezeigt. Mit dem Wissen, dass in Brüssel auf einen EU-Abgeordneten etwa 20 Lobbyisten angesetzt sind, ist es kaum verwunderlich, dass etwa die Verhandlungen über das „Recht auf Vergessenwerden“ trotz NSA-Skandal nicht vorankommen.
Der Parlamentarier Ehrenhauser jedenfalls, findet fast schon apokalyptisch anmutende Worte für sein Fazit über die Verhandlungen:
Die Menschen wollen verbindliche Regelungen zur Kontrolle des Lobbyismus. Es existiert jedoch kein mehrheitlicher politischer Wille für ein starkes Lobbyregister. Von derart vagen und inkonsequenten Entscheidungen werden jene profitieren, die bei der kommenden EU-Wahl den Nationalismus als Lösungsmodell aus der blutigen Mottenkiste hervorkramen.
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