Informationsfreiheitsgesetz – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnahmen.

Dieser Beitrag ist zuerst im „Jahrbuch Netzpolitik 2012 – Von A wie ACTA bis Z wie Zensur“ erschienen.

Das Informationsfreiheitsgesetz ist eigentlich eine gute Sache. Bürger erhalten vom Staat ein Werkzeug in die Hand, um die Verwaltung und den Staat kontrollieren und transparenter machen zu können. Soweit zur Theorie. Die Umsetzung bietet aber noch einiges an Verbesserungspotential, wie wir vor allem in diesem Jahr feststellen konnten.

Im August 2011 gab es eine kleine Revolution: Die Plattform Frag den Staat wurde von der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. gestartet, um die Barriere für die Nutzung des Informationsfreiheitsgesetzes zu senken. Seitdem kann man mit wenigen Klicks wie in einem Sozialen Netzwerk eine Anfrage an die jeweilige Behörde zusammenstellen und auf eine Antwort warten. Wenn denn eine kommt.

Das Informationsfreiheitsgesetz schreibt eigentlich vor, dass Behörden innerhalb eines Monats antworten müssen, aber die Frist gilt eher als Wunschterminierung denn als verbindlicher Termin. Oftmals müssen Bürger nach Ablauf der Frist pro-aktiv nachforschen, wann denn mit einer Antwort zu rechnen ist. Beamte hoffen wohl darauf, dass eine Anfrage in Vergessenheit gerät. Und wenn tatsächlich eine Antwort kommt, ruft diese des öfteren Erstaunen hervor. So ging es uns in der Netzpolitik-Redaktion in diesem Jahr zumindest.

ACTA und die größtmögliche Transparenz

Im Februar, kurz vor den Massenprotesten gegen ACTA, erklärte unsere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dass sie eine kritische Haltung zu ACTA eingenommen hätte und Deutschland deshalb das Abkommen erstmal nicht ratifizieren würde. Der schwarze Peter wurde an das EU-Parlament abgeschoben. Die EU-Kommission reagierte verwundert und erklärte, dass die Bundesregierung doch an allen Verhandlungen teilgenommen habe und es vorher keinerlei Einwände gegeben hätte. Daraufhin stellte Mathias Schindler eine Anfrage an das Bundesjustizministerium: er wollte wissen, welche Mitarbeiter aus welchen Abteilungen an den Verhandlungen für die Bundesregierung teilgenommen haben und wünschte alle Dokumente über die Verhandlungen zu sehen.

Die erste Antwort kam mit der Auskunft, dass das nicht billig sein würde: „Es wird wahrscheinlich ein Arbeitsaufwand entstehen, der den Rahmen einer einfachen Auskunft übersteigt, wofür Gebühren bis zu 500 € erhoben werden können (siehe nähere Einzelheiten in der Informationsgebührenverordnung)“. Das ist eine Standardformulierung bei größeren Auskunftsersuchen, allerdings lassen sich viele unbedarfte Bürger wahrscheinlich von den Kosten abschrecken, trotz des „bis zu“ vor den 500 Euro.

Mathias Schindler wählte eine Alternative und antwortete, dass er auf die umfangreichen Akten verzichte und erstmal nur die Namen wünsche. Das sei sicherlich günstig zu machen. Die nächste Antwort verblüffte – Mathias Ansinnen wurde mit einer Gefährdung der Öffentlichen Sicherheit abgewiesen: „Das Bekanntwerden der Informationen zu den Personen, die für die Bundesregierung bei den Verhandlungsrunden zu ACTA anwesend waren, kann die öffentliche Sicherheit, zu der auch die Rechtsgüter der betroffenen Mitarbeiter gehören, gefährden.“ Wir entschieden uns daraufhin an einem Freitag Abend dafür aufzurufen, über den gemeinnützigen Digitale Gesellschaft e.V. Spendengelder zu sammeln, um Mathias bei einer Klage unterstützen zu können. Zu unserer Verwunderung kamen bis Montag Morgen rund 10.000 Euro zusammen. Mathias Schindler legte Widerspruch ein und forderte dazu wieder alle Dokumente an. Ausreichend Kopiergeld war ja jetzt vorhanden. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels läuft das Widerspruchsverfahren noch, denn Mathias Schindler hat nach vielen Monaten immer noch keine offizielle Antwort erhalten, um endlich vor Gericht gehen zu können. ACTA hingegen ist seit einem halben Jahr bereits Geschichte.

Ackermann Geburtstagsliste:

Im Jahre 2008 fand im Bundeskanzleramt ein Ereignis statt, welches nicht nur die Medien in den darauffolgenden Jahren beschäftigen sollte: Der damalige Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu seinem 60. Geburtstag mit einer exklusiven Geburtstagsparty beschenkt. Wer dabei war und warum die Party ausgerichtet wurde, blieb aber erstmal geheim. Der Verbraucherschützer Thilo Bode wollte die Gästeliste der illustren Runde sowie die Rechnung für das Essen einsehen und stellte eine Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz. Das lehnte das Kanzleramt ab. Also klagte Bode vor dem Verwaltungsgericht Berlin und gewann. Das Kanzleramt legte Berufung ein und verlor erneut. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg urteilte im März diesen Jahres:

„Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Klägern Zugang zu den unkenntlich gemachten Passagen in der Redevorlage vom 17. April 2008, dem Adressverteiler, den beiden Gästelisten und der Tisch- und Sitzordnung zu gewähren. […] Die Revision ist nicht zuzulassen.“

Nach diesem rechtskräftigen Urteil hat auch Stefan Wehrmeyer auf FragDenStaat.de die Dokumente angefordert. Die hat er zwar erhalten, doch die Bundesregierung wollte eine Veröffentlichung verhindern. Im Begleitschreiben stand: „Ich weise darauf hin, dass das Bundeskanzleramt einer Weiterverbreitung der übersandten Kopien, namentlich einer Veröffentlichung der darin enthaltenen personenbezogenen Daten durch Sie nicht zustimmt.“

Das wunderte doppelt. Einerseits waren alle Namen der Teilnehmer bereits von Medien publiziert worden. Andererseits wurde die Information bereits erfolgreich „rausgeklagt“.

Da es nicht unserer Rechtsauffassung des Informationsfreiheitsgesetzes entspricht, eine Information zwar zu erteilen, aber die Veröffentlichung zu verbieten, haben wir die Dokumente im Juli publiziert. Im Bonuspaket zu den Namen fand sich noch die Sammelrechnung der Küche, die transparent darlegte, dass auch die Köche der Kanzlerin im Supermarkt einkaufen, sowie eine Redevorlage samt Abwägung, ob man überhaupt für Josef Ackermann eine Party schmeissen dürfe, weil er doch in der öffentlichen Kritik stand.

Eignet sich auch zur Unterdrückung von Informationen: Das Urheberrecht

Aber diese beiden Erfahrungen mit dem Informationsfreiheitsgesetz sollten noch getoppt werden. Im Jahre 2008 wurde der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages beauftragt, doch mal den aktuellen Stand der Abgeordnetenkorruption in Deutschland zusammenzufassen und Handlungsempfehlungen zu geben. Dabei kam u.a. heraus, dass Deutschland noch nicht mal die UN-Konvention gegen Korruption unterzeichnet hat. Dieser völkerrechtlich bindende Vertrag enthält Präventionsmaßnahmen gegen Korruption sowie die Pflicht der Staaten, verschiedene Sachverhalte rund um Korruption unter Strafe zu stellen. Bisher haben 161 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Deutschland nicht, zusammen mit Myanmar, Sudan, Saudi-Arabien, Nordkorea und Syrien. Das macht Deutschland hier zur Bananenrepublik – weit weg vom internationalen Standard. Ebenso erklärte das Gutachten, dass unsere Gesetze zur Abgeordnetenbestechung “praktisch bedeutungslose symbolische Gesetzgebung” seien und dringend verschärft werden müssen. Passiert ist seitdem aber wenig, was vielleicht auch damit zu tun haben könnte, dass niemand das Gutachten zu sehen bekam. Es kursierte zwar im politischen Berlin, aber außerhalb von Politiker- und Journalistenkreisen bekamen es Bürger nicht zu sehen.

Im Januar wurde über FragdenStaat.de die Anfrage gestellt, das Gutachten durch das Informationsfreiheitsgesetzes zu erhalten. Im Februar wurde es verschickt, allerdings mit dem Vermerk: „Ich weise deshalb darauf hin, dass das Ihnen übersandte Gutach­ten für Sie persönlich bestimmt ist. Die Übersendung beinhaltet *nicht* die Befugnis der Verbreitung oder Veröffentlichung. Die unerlaubte Veröffentlichung oder Verbreitung von Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes stellt einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar und hat sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Folgen.“ Mehr als 600 Bürger klickten ebenfalls über FragdenStaat.de eine IFG-Anfrage und erhielten das Dokument mit dem Verbot, es zu publizieren.

Als die Debatte um Abgeordnetenkorruption im September wieder an Fahrt gewann, entschlossen wir uns, das Gutachten bewusst trotz der Gefahren von „zivilrechtlichen als auch strafrechtlichen Folgen“ zu publizieren. Anfang Oktober ging das Gutachten online. Mitte Oktober erhielten wir einen freundlichen Brief der Bundestagsverwaltung mit Frist, doch bitte das Gutachten wieder aus dem Netz zu nehmen. Diesem Wunsch verweigerten wir uns allerdings und warten seitdem, ob etwas passiert. Das Gutachten ist bereits an etlichen Stellen im Netz verfügbar, so dass eine gerichtliche Auseinandersetzung an einer Verbreitung nichts mehr ändern würde. Sollte es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen, werden wir diese selbstverständlich führen. Uns ging es bei der Aktion darum, mehr Aufmerksamkeit auf die bizarre Situation der ungelösten Abgeordnetenkorruption zu werfen, bei der wir uns dafür schämen, dass Deutschland in einer Liste mit Bananenstaaten und Diktaturen genannt wird. Und unsere Hauptmotivation ist es weiterhin zu klären, ob es im Informationsfreiheitgesetz ein Recht auf Publizieren gibt – und falls nicht, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass dort eine Lücke vorherrscht. Wenn Bürger ihre Kontrollfunktion durch das IFG wahrnehmen können und sollen, dann müssen sie auch das Recht haben, befreite Dokumente im Original zu publizieren, um anderen Bürger darüber berichten zu können.

Es gibt aber auch Positivbeispiele: Die EU macht vor, wie es geht.

Urheberrecht, Gefährdung der Öffentlichen Sicherheit und Datenschutz. Wenn es Ausreden bedarf, um Anfragen mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes ablehnen zu können, sind deutsche Beamte sehr kreativ. Das IFG lässt ihnen dazu leider zu viele Lücken. Dass es auch anders geht, zeigte uns die EU-Kommission. Ende letzten Jahres überraschte EU-Kommissarin Neelie Kroes die Öffentlichkeit mit der Ernennung von Karl-Thoedor zu Guttenberg zum EU-Beauftragten für Internetfreiheit. Nun war zu Guttenberg hierzulande bisher nur durch zahlreiche andere Themen aufgefallen, aber nicht durch Positionen zur Internetfreiheit, doch die EU-Kommissarin hatte sicherlich Gründe für ihre Entscheidung. Das wollten wir näher wissen und fragten über ein Portal der EU-Kommission direkt an, welche schriftlichen Kommunikationsunterlagen zu der Entscheidung vorhanden sind. Innerhalb von 14 Tagen muss die EU-Kommission darauf antworten und wir waren positiv überrascht, als tatsächlich innerhalb der Frist eine umfangreiche Antwort kam. Darin enthalten waren Kopien der Protokolle und vom Mailkontakt mit zu Guttenberg.

Wir freuten uns, lachten über einzelne Formulierungen und nahmen uns vor, darüber zu bloggen. Leider waren wir nicht die einzigen, die diese Anfrage gestellt hatten. Und Telepolis berichtete früher darüber. Was blieb war aber die Erkenntnis, dass die EU in Sachen Informationsfreiheit und Transparenz unseren nationalen Rahmenbedingungen einiges voraus hat. Und wir dringend unser Informationsfreiheitsgesetz verbessern müssen.

Unsere Forderungen an ein zeitgenössisches Informationsfreiheitsgesetz:

Das Prinzip umdrehen: Die Ausnahmen zur Regel machen!

Ausnahmeregeln für die Auskunftspflicht müssen auf ein Mindesmaß reduziert werden (also Datenschutz ja, aber Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, Urheber-, Markenrechten einschränken, um eine zeitgemäße Abwägung von öffentlichem Interesse auf Zugang zu Informationen und privatem Interesse auf Wahrung von Schutzrechten herzustellen)

Abschaffung (oder deutliche Einschränkung) der Möglichkeit, Entgelte für IFG-Auskünfte zu fordern

Natürlich gibt es bei IFG-Anfragen Trolle, die ganze Verwaltungen nerven. Aber das sind Einzelfälle und deswegen sollte man nicht allen Bürgern hohe Hürden auferlegen, die von Beamten zudem recht willkürlich genutzt werden können, um Anfragen teuer zu machen.

Recht auf Zugang = Recht auf Publizierung: Wenn Bürger die Verwaltung durch ein IFG kontrollieren sollen so müssen sie selbstverständlich das Recht haben, Dokumente und Daten der öffentlichen Verwaltung auch weiterverarbeiten und weiterverbreiten zu können. Also ein Right to Data im IFG verankern oder durch ein Transparenzgesetz regeln.

3 Ergänzungen

  1. War Ackermann damals nicht Chef der Deutschen Bank?

    Ihr schreibt nämlich:
    „Der damalige Bundesbank-Chef Josef Ackermann wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu seinem 60. Geburtstag mit einer exklusiven Geburtstagsparty beschenkt.“

  2. Danke für das Aufzeigen von Verbesserungsmöglichkeiten beim IFG.
    International haben 84 Staaten mit ca. 5,5 Milliarden d. h. 78 % der Bürger auf der Welt ein besseres Informationsfreiheitsgesetz als deutsche Bürger im Bund (http://rti-rating.org/results.html). Nur Liechtenstein, Österreich, Griechenland und Jordanien haben schlechtere Informationsfreiheitsgesetze. Das vermittelt die deutsche Presse leider nicht.

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