Hier noch ein Nachtrag zum Deutsche Welle Global Media Forum von letzter Woche. „Suppressed websites – will censors lose the race?“ war der Titel einer interessanten Session am Freitag. Hier meine Notizen –
Frank Smyth vom Committee to Protect Journalists und Gastgeber des Panels berichtete einleitend dass nach dem CPj 2008 Prison Census 45% der inhaftierten Journalisten weltweit Blogger oder Online-Journalisten sind, und damit die 43% inhaftierten Print-Journalisten übertreffen.
Yaman Akdeniz, Gründer und Direktor von Cyber-Rights & Cyber-Liberties erläuterte die Situation der Internet Zensur in der Türkei. Seit 2007 habe sich in der Türkei durch ein neues Gesetz die Zensurlage rapide verschärft. Genauso rapide wie das Gesetz verabschiedet wurde, das wohl keine ganze Stunde lang damals im Parlament diskutiert wurde. Heute seien mehr als 2.600 Websites in der Türkei gesperrt. Nur ein Bruchteil der Fälle wurde im Gericht ausgehandelt, sondern die Sperrungen beruhen zumeist auf administrativen Entscheidungen. Akdeniz zeigte einen Kriterienkatalog nach dem Sperrungen vorgenommen werden können, der viel Spielraum für Interpretation offen lässt. Auf der Liste stehen u.a. Themen wie Pornographie, Terrorismus, Piracy und Beleidigung Atatürks und des Türkentums. Zurückgeführt werde die gesamte Argumentation auf den Schutz von Kindern.
So ist beispielsweise youtube in der Türkei wegen der Veröffentlichung von Atatürk-defamierender Videos seit 13 Monaten gesperrt. Die türkische Regierung habe youtube zunächst gebeten, die Videos zu löschen. Da youtube aber dem Anliegen die Videos komplett und nicht nur lokal zu löschen nicht nachgekommen sei, wurde die Site komplett geblockt. Nicht ganz jedoch, über das iPhone sei das Videoportal z.B. immer noch erreichbar – soweit reichten die technischen Kompetenzen bzw. Aufmerksamkeit der zuständigen Regierungsstellen noch nicht. Andere Sites auf der Sperrliste seien z.B. geocities und die Homepage von Richard Dawkins. Google sei auch eine Weile lang nicht erreichbar gewesen.
Noha Atef, ägyptische Bloggerin und Journalistin, Autorin des Blogs Torture in Egypt und aktiv bei Global Voices Advocacy, gab einen Einblick in das Thema Internet Zensur im arabischen Raum mit Beispielen aus verschiedenen Ländern. Seit ca. 2002 sei in der arabischen Welt ein Reformprozess im Gange, im Zuge dessen die Länder sich modern und demokratisch präsentieren möchten. Viele Blogger im arabischen Raum kommentierten diesen Prozess, oftmals sehr kritisch. Eine Zensur regierungskritischer Blogs passe allerdings nicht zu einem demokratischen Anstrich. Daher gebe es eine Reihe anderer Wege, um trotzdem zu bewirken, den Fluss regierungskritischer Informationen zu behindern.
* Religion, nationale Sicherheit, moralische und soziale Werte seien die Argumente, anhand derer Blogger kriminalisiert werden. Fragen von politischer Meinungsvielfalt und Regierungskritik werden erst gar nicht thematisiert, sondern Argumente vorgeschoben, die breite Unterstützung haben.
* Blog Posts und Emails würden teilweise von Regierungsstellen editiert.
* In Ägypten sei die Zeitungslandschaft in der Breite ohnehin regierungsnah, da der ägyptische Präsident die Chefs der drei Haupt-Zeitungen selbst ernannt habe.
* In Saudi Arabien gebe es ein jedem zugängliches Formular, mit dem man Websites zur Sperrung beantragen könne. Ausfüllen müsse man hier lediglich den URL, auf eine ausführliche Begründung könne man verzichten.
* Noha führte ein Beispiel aus Syrien an, wo ein junger Mann aufgrund eines Beitrags in einem Forum inhaftiert wurde. Er hatte hier in zwei Zeilen seine Meinung ausgedrückt, dass die syrische Polizei die Menschenrechte respektieren sollte. Ein solcher Fall sei eine Massnahme der Abschreckung, dass man am besten gar nicht seine Meinung entsprechend frei online äussern sollte.
* Im Libanon sei das Internet bewusst verlangsamt und überteuert, um den Menschen den freien Zugang zu Meinungsäusserung und Information zu erschweren.
* Bei einem jordanischen Blog Service habe man am Geburtstag des König Abdullah eine Anzeige mit „Happy Birthday King Abdullah“ ohne die Nutzer zu informieren auf jedem dort gehosteten Blog veröffentlicht.
* Man wähle eher verschiedene Formen der Einschüchterung als der Zensur und Verurteilung. So seien in Ägypten im vergangenen Jahr ca. 100 Blogger von der Polizei aufgegriffen worden und mit verbundenen Augen durch die Stadt gefahren worden und in anderen Bezirken oder in der Wüste wieder ausgesetzt worden. Durch das sofortige Verbinden der Augen können die Entführer nicht erkannt und benannt werden.
* Ebenfalls würden Familienmitglieder von Bloggern willkürlich bei der Polizei vorgeladen, was ebenfalls der Einschüchterung dienen soll, ohne dass man Zensur und Inhaftierung vorwerfen und immer noch den Anstrich der Demokratie und freien Meinung aufrecht erhalten könne.
* Man versuche auch der Welt zu demonstrieren dass Regierungen und Blogger gut miteinander auskommen, indem z.B. die Arabische Liga eine Blogger Konferenz plane.
Yang Hengjun, chinesischer Blogger der eine Vielzahl von Blogs zu politischen und netz-rechtlichen Themen in China betreibt, ging weiter auf das Thema der Selbstzensur von Bloggern ein. Die chinesische Regierung versuche als eine ganz zentrale Methode Grenzen in den Köpfen der Menschen zu errichten, so dass erst gar keine restriktiven Methoden der Internet-Kontrolle angewandt werden sollen. Besuche der Cyber-Polizei mitten in der Nacht, Einschüchterungen und ein Schüren von Angst vor Konsequenzen seien Methoden regierungskritische Publikationen zu verhindern.
Lisa Horner, Koordinatorin des Freedom of Expression Projekts erweiterte den Blick auf das Thema Internet-Zensur auf eine übergeordnete Ebene. Der Kampf um eine Kontrolle des Internets stosse auf zunehmend höheren Grad an Komplexität. Die Medienkonvergenz z.B. mache es immer schwerer, Informationsflüsse wirklich kontrollieren zu können (wie z.B. das von Yaman Akdeniz erwähnte Beispiel der Zugänglichkeit von youtube auf dem iPhone in der Türkei zeigt).
Aktivitäten der Internet Kontrolle erfolgen auf den Ebenen:
* Infrastruktur
* Konnektivität (z.B. auf Ebene der Protokolle, Deep Packet Inspection ..)
* Applikationen (z.B. Suchmaschinen die gerichtete Informationen ausgeben)
* Inhalte (z.B. Editieren und Löschen von Inhalten).
Die Akteure seien
* Technologie
* Politik und Regierung
* Wirtschaft und Märkte
* und die Nutzer.
Lisa Horner hob hervor wie wichtig es sei, dass sich verschiedene Akteure zusammenschliessen und miteinander reden und Strategien entwickeln gegen Internet-Kontrolle und Zensur vorzugehen. Als ein mögliches Forum erwähnte sie das Internet Governance Forum, in dem das Thema Zensur viel höher auf die Agenda gebracht werden müsse. Da eine Teilnahme am IGF jedem freigestellt sei, es also ein ganz offenes Forum sei, könne man dies sehr gut nutzen. Die Global Network Initiative sei ein weiteres Multi-Stakeholder Forum gegründet von Vertretern von Firmen und Zivilgesellschaft, sowie Wissenschaftlern und Privatpersonen, um die Internet-Industrie in Fragen von an sie herangetragene Auflagen und Druck seitens Regierungen weltweit zu beraten. Solche Beratungsfälle seien z.B. wie sich Yahoo verhalten könne wenn die chinesische Regierung persönliche Daten von Bloggern anfordere. Verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen hätten sich aber aus diesem Forum wieder zurückgezogen, da ihnen die Arbeit nicht weit genug in Richtung Meinungsfreiheit gehe.
Insgesamt waren sich alle Panel-Teilnehmer einig, dass man in allen Ländern wisse Zensur mit verschiedenen Methoden zu umgehen. Verschiedene Toolkits herausgeben von einigen Organisationen, wie z.B. Global Voices Advocacy oder Freedom House geben entsprechende Hilfestellungen.
Zensur weltweit. Und ganz Europa auf dem besten Weg sich anzupassen. Ist das die Global-solidarisierung die wir wollten?
Eigentlich schon schlimm genug dass wir uns kürzlich gerade von einer Nation wie China zu unseren Zensursula-Plänen gratulieren lassen mussten, das sollte denen da oben in ihrem Elfenbeinturm vielleicht mal zu denken geben.
Andrea, vielen Dank für die Zusammenfassung! Gibt es eigentlich auch irgendwo Audio- oder Video-Mitschnitte der Sessions?
Audio-Mitschnitte aller Panels und Workshops gibts auf der Website dw-gmf.de gleich rechts oben unter audios
Dass Freedom House dabei hilft, Zensur zu umgehen, ist mir neu. Ich kenne den auf der re:publica 09 vorgestellten Freedom on the Net report. Darin wird Zensur jedoch „nur“ gerankt.
Wo hilft die Organisation denn bei der Umgehung?
@4: Durch Schulung, Training und Lobbying. Lesen hilft auf der Webseite.
Schlosszwerg wurde nach einer Minute auf dem deutschen Wikipedia gelöscht.
Auf dem englischen ist er als Castle Gnome und auf dem spanischen als Enano del Castillo zu sehen. Schlosszwerg existiert im virtuellen Raum. Warum wurde er in Deutschland als “Fake” zensiert?