Bundeskanzler Friedrich Merz ist nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, Länder („ordentliches Stück Brot“), Städte („Belem“) oder ganze Bevölkerungsgruppen („kleine Paschas“ und „grüne und linke Spinner“) zu beleidigen. Wenn allerdings er selbst im Fokus steht, wird er offenbar schnell dünnhäutig.
Wie wenig Friedrich Merz verträgt, ließ sich bereits bei anlässlich einer Karnevalsrede von Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Jahr 2023 beobachten. Da ging es weniger um Beleidigungen als vielmehr um spitzzüngige Kritik, die bei ihm schmale Lippen und Kopfschütteln auslöste. Nach der Rede trat Merzens Büro gar in Kontakt mit der bekannten Büttenrednerin, was Strack-Zimmermann süffisant verbreitete.
Es kam sogar zu Hausdurchsuchungen
Durch Recherchen verschiedener Medien kam nun heraus, dass Friedrich Merz seit 2021 – noch als Oppositionsführer der Union – zahlreiche Strafanträge wegen mutmaßlicher Beleidigungen gegen ihn gestellt hat. In mindestens zwei Fällen führten diese zu Hausdurchsuchungen.
Die Strafanträge sind laut den Recherchen anfangs auf Initiative von Merz entstanden. Seit Merz Kanzler ist, lässt er quasi von Amts wegen ermitteln, indem er den Ermittlungen nicht widerspricht. Die „Welt“ geht davon aus, dass Merz vor seiner Amtszeit als Unions-Chef Hunderte Strafanträge gestellt hat. Ein netzpolitik.org vorliegendes Dokument der Kanzlei Brockmeier, Faulhaber, Rudolph, die Merz in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter vertreten hat, mit fortlaufenden Fallnummern untermauert diese Schätzungen. Zwischen Mai und Dezember dieses Jahres sind laut Informationen des nd etwa 170 Strafanzeigen wegen Beleidigung gestellt worden.
Eine offizielle Bestätigung der Fallzahlen gibt es nicht, wie der Tagesspiegel berichtet. Die Zeitung befindet sich in juristischen Auseinandersetzungen mit dem Kanzleramt, das in dieser Causa trotz Informationspflicht mauert und sich anwaltlich gegen das Informationsbegehren der Presse wehrt.
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Moderne Majestätsbeleidigung
Dass ohne die aktive Mithilfe von Friedrich Merz in seiner Funktion als Bundeskanzler ermittelt werden kann, ermöglicht Paragraf 188 des Strafgesetzbuches, der Amtsträger:innen und Politiker:innen bis in die kommunale Ebene hinein vor Beleidigungen schützen soll. Der Paragraf bietet – zusammen mit den Paragrafen 90 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten) und Paragraf 90b (Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen) – quasi moderne Möglichkeiten, „Majestätsbeleidigungen“ zu ahnden. Im Gegensatz zum klassischen Beleidigungsparagraf 185 StGB können Staatsanwaltschaften beim Paragraf 188 StGB von Amts wegen ermitteln. Bei der klassischen Beleidigung braucht es einen Antrag der betroffenen Person.
Die mutmaßlichen Beleidigungen werden den Ermittlungsbehörden – und später dem Bundeskanzleramt – vermutlich überhaupt erst bekannt, weil die Infrastruktur von Hatespeech-Meldestellen diese auffindet und an die Bundesbehörde weiterleitet. Laut den Recherchen der Tageszeitung „Die Welt“ ist daran maßgeblich die dem hessischen Innenministerium unterstellte Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ beteiligt. Sie übermittelt Meldungen an die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI), die beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt ist. 92 Prozent aller Paragraf-188-Meldungen, die das ZMI erhält, stammen von der hessischen Meldestelle. Andere Meldestellen wie „Respect!“ oder die Landesmedienanstalten seien laut nd in weit geringerem Umfang beteiligt. Insgesamt habe das ZMI nach Auskunft eines Sprechers in den ersten neun Monaten dieses Jahres 5155 gemeldete Fälle mit dem Straftatbestand des Paragrafen 188 StGB kategorisiert.

Spitzenpolitiker als Mandanten
Aber auch privatwirtschaftliche Dienste wie „So-Done“ haben bei der Verfolgung von Beleidigungen offenbar ihre Finger im Spiel. Laut Recherchen der Welt hat der Rechtsanwalt und FDP-Politiker Alexander Brockmeier die meisten der Strafanzeigen von Merz unterschrieben, die dieser während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter gestellt hat. Brockmeier hat die So Done GmbH zusammen mit seiner Parteikollegin Franziska Brandmann gegründet, eine Art Legal Tech Unternehmen, das Hate Speech verfolgt.
Laut Informationen der Welt haben neben Friedrich Merz in der Vergangenheit unter anderem Robert Habeck (Grüne), Julia Klöckner (CDU), NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) den Dienst in Anspruch genommen. Der Bundeskanzler nutze den Dienst mittlerweile nicht mehr.
„Werkzeug, um Leute aus dem Diskurs zu drängen“
Gleich acht Strafanträge von Friedrich Merz hat der Berliner Umwelt- und Klimaaktivist Tadzio Müller erhalten. Müller hatte Friedrich Merz auf Bluesky und Twitter mehrfach als Beispiel für seine Theorie der „Arschlochgesellschaft“ herangezogen und den Kanzler kontexualisierend wahlweise ein „schamloses“ oder „rassistisches Arschloch“ genannt.
Müllers Rechtsanwalt Jannik Rienhoff findet es laut dem nd falsch, wenn Merz Postings zur Anzeige bringen lässt, die einen klaren politischen Kontext haben. Da dürfe man viel sagen und das zu Recht. „Bei einer Formalbeleidigung würde ich es verstehen, allerdings könnte Merz auch darüber stehen“, so Rienhoff gegenüber dem nd. Den Paragrafen 188 StGB, der Ermittlungen auch ohne direkten Strafantrag des Bundeskanzlers ermöglicht, kritisiert der Anwalt dabei grundsätzlich. Dieser sorge unnötigerweise für hohe Kosten und für einen enormen Aufwand für Betroffene.
„Systematische Strafverfahren wegen Bagatellbeleidigungen“
Das sieht auch Tadzio Müller so. Er ist überzeugt, dass es bei den Anzeigen nicht um die Bekämpfung von Hass im Netz gehe, sondern dass sie eine neue Form von Cyber-Bullying darstellen: „Ressourcenstarke Akteure wie Merz haben mit diesen Verfahren ein weiteres Werkzeug in der Hand, um Leute aus dem Diskurs zu drängen.“
Es handle sich um ein Werkzeug, das nicht nur emotional, sondern auch ökonomisch schmerze: „Jede dieser Anzeigen produziert Anwaltskosten bei den Betroffenen“, so Müller gegenüber netzpolitik.org.
Ähnlich sieht das auch Eva Meier*, die erst im November Post vom Landeskriminalamt Hamburg wegen einer mutmaßlichen Beleidigung des Kanzlers erhalten hat: „Seine Bürgerinnen und Bürger systematisch mit Strafverfahren wegen Bagatellbeleidigungen zu überziehen, ist eines Kanzlers nicht würdig“, sagt sie gegenüber netzpolitik.org. „Das ist kein Vorgehen gegen Hass im Netz, sondern schränkt gezielt die freie Meinungsäußerung ein.“
*Der wahre Name ist der Redaktion bekannt.

Renate Künast wurde, zu Recht, dafür bewundert, sich gegen Beleidigungen gewehrt zu haben. Friedrich Merz soll sich nicht so.
In group und out group, und nur erstere soll durch die Gesetze geschützt werden. Hufeisen.
Soll die von der Redaktion sogenannte „Majestätsbeleidigung“ abgeschafft werden? Da möchte ich empfehlen, sich mit Übermedien oder dem Volksverpetzer (das Magazin ist seriös, trotz seines se*istischen Namens) zu kontaktieren. Die haben sehr schöne Artikel veröffentlicht, über die Unzahl von Politikenden, welche aufgrund der Beleidigungen ihr Amt niederlegten. Aber vielleicht waren die einfach zu „dünnhäutig“, wie es im Artikel heisst. … Oder geht es mehr darum, Beleidigungen, welche der Autor als „akzeptabel“ empfindet nicht mehr verfolgen zu dürfen? Ich selbst wurde von meiner Chefin als „Ochse“ bezeichnet (aus Sicht des Autors wohl nicht mal nennenswert) und habe das bis zum Vorstandenen gebracht. Denn Personen, die beleidigen, haben jeden konstruktiven Diskurs verlassen. Auch deshalb halte ich es nicht nur für kritisch, sondern direkt für ablehnungswert, dass ihr eine Person praktisch als Opfernde darstellt, welche von einer „A-lochgesellschaft“ schreibt. Kann ich das Wort hier eigentlich ausformulieren ohne automatisch gefiltert zu werden? … Oder geht es in dem Artikel darum, dass Menschen, die beleidigen, keinen Anspruch mehr auf den Rechtsstaat haben sollten? Nach dem Motto „They beleidigt selby, dann darf ich they auch beleidigen“. Was zur Frage führt, gilt das auch für andere Straftaten? Beleidigung um Beleidigung, Körperverletzung um Körperverletzung? …. Liegt vielleicht nur an mir, aber ich lese nichts von den Konsequenzen, welche folgen würden, wenn die indirekten Forderungen entsprechend des Gleichheitsgrundsatzes eines Rechtsstaates auch angewendet werden würden.
Eine Beleidigung ist nicht bestimmt. Der Paragraph ist einer der wenigen Gesetze, wo rein gar nichts definiert wird. Es gibt für heftige Grenzüberschreitungen (Drohung, Verleumdung, Volksverhetzung) bereits eigene Straftatsbestände.
Mir machen Beleidigungen nichts aus und jeder der mit Xbox Live aufgewachsen ist weiß warum. Stell dir vor alle zeigen sich gegenseitig wegem Beleidigung in der Gaming-Szene an. Lächerlich.
Schade, weil ich finde dass es schon Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt, egal ob Gaming oder Politik.
Beleidigung ist Beleidigung. Und emotional schwache Menschen können emotional verletzt werden. Selbst wenn die Beleidigung „Du Mensch!“ lautet, da die Intention zur Verletzung wichtig ist.
Die Erweiterung des Strafgesetzes um den umgangssprachlich „Politikerbeleidung“ genanten § 188 fand erst 2021 statt, um das politische Leben, bzw. Politiker besser zu schützen, und wurde ja eigentlich eingeführt, um effektiver gegen Hass und Hetze aus dem rechten Lager vorgehen zu können. Jetzt stellt man leider fest, dass man ein Werkzeug mehr zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit erschaffen hat.
Gut gemeint ist eben schlecht gemacht.
Es ist aber nicht mal schlecht gemacht.
Es gilt halt für alle, und damit haben die „linken“ dann ein Problem. Wie leider generell mit dem Rechtsstaat, dem Gesinnungsrecht nunmal fremd ist, auch als direkte Lehre aus der NS-Diktatur.
„wurde ja eigentlich eingeführt, um effektiver gegen Hass und Hetze aus dem rechten Lager vorgehen zu können.“
Natürlich nicht. Es wurde gegen Hass und Hetze eingeführt, egal aus welchem Lager. Es ist ein Gesetz zum Schutz von Personen und letztlich der diese benötigenden demokratischen Strukturen.
Das „linke“ Verlangen nach Gesinnungsrecht ist ein Grund, warum die Bürger den „linken“ so tief misstrauen.
> Es wurde gegen Hass und Hetze eingeführt, egal aus welchem Lager
Es lautet „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“
https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Bek%C3%A4mpfung_des_Rechtsextremismus_und_der_Hasskriminalit%C3%A4t#Erweiterungen_und_Versch%C3%A4rfungen_des_Strafgesetzbuchs
Wenn der olle Fritz nicht ein Arschloch genannt werden will, sollte er sich nicht wie ein Arschloch verhalten. Zum Beispiel sollte er nicht einen Haufen Leute für Kleinigkeiten anzeigen.
Zur Büttenrede, wer in der Öffentlichkeit steht muss so etwas aushalten. Es hat ihn niemand gezwungen Parteivorsitzender zu werden. Es hat ihn niemand gezwungen Bundeskanzler zu werden. Herr Kohl wusste das noch:
https://youtu.be/s8W5qnhkXVI?t=86
Wieviele Strafanzeigen wegen Beleidigung und Voksverhetzung wurden denn gegen Frieder Merz gestellt? Und wurde eine einzige davon nicht sofort eingestellt? Haß und Hetze geht vor allem von der Bundesregierung aus, jedenfalls soweit ich das in Qualitätsmedien mitbekomme. Da hat Trump durchaus ein klein wenig Recht, wenn er die Meinungsfreiheit in Europa bedroht sieht (siehe EU Sanktionen gegen mißliebige Journalisten).
a) https://hateaid.org/politische-forderungen/
b) https://netzpolitik.org/2025/grundrechte-report-2025-habeck-und-die-hausdurchsuchung/
c) https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/kg-berlin-10w1320-renate-kuenast-hass-kommentare-facebook-falsches-zitat-kammergericht-bverfg-meinungsfreiheit-abwaegung
Straftaten sind Straftaten. Wenn sich die geschädigte Person dafür rechtfertigen muss, warum die Straftaten verfolgt werden ist das eine gefährliche Entwicklung. Entweder Rechtsstaat für alle oder für keinen.
Es ist nun nicht so, dass hier alle mutmaßlichen Beleidigungen tatsächlich solche sind. Mir liegen Fälle vor, wo Merz vor Gericht gescheitert ist. Und man muss das auch mal in Relation setzen. Für manche Leute ist Social Media so wie Kneipe, da regt man sich auf und ein Schimpfwort fällt schnell, gerade auch gegenüber einer deutlich mächtigeren Person. Da soziale Medien im Gegensatz zur Kneipe durchsuchbar sind, werden auch Beleidigungen, die am Ende nur eine Handvoll Menschen im Netz gesehen haben und die der Betroffene ohne diese Durchsuchung des Netzes nie gesehen hätte, zum Gegenstand von Strafverfolgung.