Digital Fairness ActEU-Gesetz soll Internet verbraucherfreundlicher machen

Für Verbraucher:innen birgt das Netz einige Probleme: Dark Patterns manipulieren Entscheidungen, Apps sind suchterzeugend gestaltet, die Werbeindustrie sammelt extrem viele persönliche Daten. Die EU will mit einem Gesetz gegensteuern. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, personalisierte Werbung komplett zu verbieten.

Leuchtreklame in einer Straßenszene
Werbung, die nicht ausspioniert – das soll es auch im Internet wieder mehr geben. – Alle Rechte vorbehalten Pexels / Satoshi Hirayama

Die EU-Kommission arbeitet gerade an einem neuen Gesetz, das Verbraucher:innen in der digitalen Welt besser schützen soll. Das Projekt läuft unter dem Namen „Digital Fairness Act“, also Gesetz für digitale Fairness. Noch gibt es keinen Entwurf, aber ein Bericht der Kommission gibt schon die Stoßrichtung vor. Auch die Zivilgesellschaft hat schon Forderungen.

Zuständig für das Gesetz wird aller Wahrscheinlichkeit nach der liberale Ire Michael McGrath sein. Er soll in der zweiten Kommission Ursula von der Leyens das Justizressort übernehmen, dazu soll auch das Thema Verbraucherschutz gehören. Die Kommissionpräsidentin hat ihn in ihrem Zuweisungsschreiben angewiesen, das Gesetz zu entwickeln. 

Der designierte Kommissar soll unethische Techniken und kommerzielle Praktiken wie Dark Patterns oder Marketing durch Social-Media-Influencer:innen angehen, schreibt von der Leyen. Außerdem soll er suchterzeugende Designs von Digitalprodukten untersuchen, ebenso wie die Profilbildung von Internetnutzer:innen, besonders, wenn dabei deren Schwächen ausgenutzt werden, um ihnen Produkte zu verkaufen. 

Bericht gibt Richtung vor

Momentan hängt die neue Kommission noch in der letzten Zustimmungsschleife im Parlament fest: Die christdemokratische EVP erprobt derzeit neue Bündnisse mit den erstarkten Rechten, gegen ihre bisherigen Partner bei Sozialdemokraten und Liberalen. 

Einen Einblick in die möglichen Umrisse des kommenden Gesetzes gibt es trotzdem schon. Anfang Oktober hat die Kommission einen „Fitness Check“ zum Stand des digitalen Verbraucherschutzes veröffentlicht. Der Bericht sollte untersuchen, wie gut die EU-Gesetze noch für die digitalisierte Welt geeignet sind. Dafür hat die Kommission Verbraucher:innen in mehreren europäischen Mitgliedstaaten befragt.

Die Antwort auf diese Frage: Die Gesetze sind nicht so wirklich gut geeignet. Sie würden nicht ausreichen, um aktuellen und kommenden Bedrohungen für Verbraucher:innen zu begegnen, schreiben die Beamt:innen der Kommission: „Ohne weiteres Handeln wird das EU-Verbraucherschutzrecht seine Ziele nicht vollständig erreichen“, es riskiere im Digitalbereich an Relevanz zu verlieren. Hier soll der Digital Fairness Act Abhilfe schaffen.

Manipulatives Design

Der Check identifiziert einige Bereiche, in denen sich etwas tun müsse, unter anderem bei den sogenannten „Dark Patterns“. Damit sind manipulative digitale Benutzeroberflächen gemeint, die Nutzer:innen zu Entscheidungen verleiten, die sie eigentlich gar nicht treffen wollen. Fast alle der befragten Verbraucher:innen sagten, durch solche Dark Patterns schon einmal beeinflusst oder verwirrt worden zu sein.

In den vergangenen Jahren hat eine ganze Reihe von EU-Gesetzen versucht, Dark Patterns zu regulieren. Im Digital Services Act gibt es Regeln für sie, in der KI-Verordnung auch. Hier könnte es Sinn machen, die Regeln an einer Stelle zu konkretisieren, erwägt der Bericht.

Sucht und Glücksspiel

Als weiteres Problem werden im Bericht suchterzeugende Designs genannt: Viele Apps sind so gestaltet, dass die Nutzer:innen möglichst viel Zeit auf ihnen verbringen – etwa, weil sie so mehr Werbung schauen und die Betreiber:innen so mehr Geld verdienen. Mechanismen sind dabei zum Beispiel, dass nach einem Video automatisch ein neues gezeigt wird. Dazu gibt es noch keine genauen Vorschriften in EU-Gesetzen, schreiben die Beamt:innen, und damit auch einige juristische Unsicherheit.

Probleme gibt es auch bei Videospielen. Hier heben die Beamt:innen zwei Punkte hervor: Den Verkauf von virtuellen Gegenständen, besonders, wenn es dabei wie bei Lootboxen ein Glücksspielelement gibt, und In-Game-Währungen. Diese Währungen können den wirklichen Preis eines Kaufs in Spielen verbergen. Fast die Hälfte der befragten Verbraucher:innen gab an, hier schon einmal verwirrt gewesen zu sein. Lootboxen sind zwar erlaubt, heißt es in dem Bericht, aber viele Spiele verstoßen gegen EU-Regeln zu Transparenz und Rückgaberechten.

Klar äußern sich die Beamt:innen auch zu Influencer:innen. Viele von ihnen würden nicht offenlegen, wenn sie für Werbung bezahlt werden, obwohl sie das eigentlich müssten. 44 Prozent der befragten Verbraucher:innen gaben außerdem an, Werbung von Influencer:innen für betrügerische oder gefährliche Produkte gesehen zu haben. Hier bräuchte es mehr Durchsetzung, fordert der Bericht, außerdem sollten die Regeln europaweit einheitlicher gehandhabt werden.

Invasives Werbemodell nicht in Frage gestellt

Und dann gibt es den Punkt Personalisierung und Profilbildung. Hier geht es um Unternehmen, die Daten über Kund:innen sammeln und ihnen dann auf Basis dieser Daten und von Profilen maßgeschneiderte Werbung anzeigen. Dieses Geschäftsmodell hat einige Unternehmen sehr reich gemacht – und ist die Grundlage für das heutige vollüberwachte Internet.

Trotzdem wollen die Beamt:innen nicht das gesamte Geschäftsmodell verurteilen, obwohl es nachweisbar die Privatsphäre und die nationale Sicherheit gefährdet. Problematisch sind für die Kommission nur Unternehmen, die auf Basis von besonders sensiblen Daten personalisieren oder Verwundbarkeiten ihrer Nutzer:innen ausnutzen. Die Personalisierung der Werbung und Empfehlungen an sich sehen sieht der Bericht eher als positive Entwicklung. Untersucht werden soll deshalb nur, ob Unternehmen verpflichtet werden sollten, Verbraucher:innen mehr über personalisierte Werbung zu informieren. 

Forderung nach kompletten Verbot

Das geht einer Gruppe an zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht weit genug. Sie fordern in einem heute veröffentlichten Positionspapier ein vollständiges Verbot von personalisierter Werbung. Beteiligt sind unter anderem der Chaos Computer Club, das Forum Informatiker:innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung und Wikimedia Deutschland. 

„Wenn sich digitale Angebote fast ausschließlich über personalisierte Werbung finanzieren, birgt das erhebliche Gefahren für die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt, die informationelle Selbstbestimmung, das Klima und die nationale Sicherheit“, schreiben die Autor:innen in dem Papier. Für wirkliche digitale Fairness brauche es ein Verbot von personalisierter Werbung.

Die Organisationen wollen stattdessen ein Internet, das wieder auf kontextbasierter Werbung aufbaut. Wenn eine Nutzerin zum Beispiel auf eine Seite klickt, deren Inhalte sich um Fahrräder drehen, soll dort Werbung für Fahrräder angezeigt werden – ganz ohne Datensammeln und -auswerten. So könnte auch Desinformation erschwert werden und kleine Unternehmen aus der Dominanz der großen Tech-Unternehmen befreit werden, heißt es in dem Papier.

Auch Katarina Barley, Europaabgeordnete für die deutschen Sozialdemokraten, kritisiert die aktuelle Regulierung. „Es ist Zeit, Big Tech in die Schranken zu weisen. Personalisierte Werbung basiert auf exzessivem Datensammeln, das die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern verletzt“, so Barley gegenüber netzpolitik.org. „Wir brauchen einen umfassenden gesetzlichen Schutz vor den Datenkraken von Google, Meta und Co. Das ist starker Verbraucherschutz.“

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