Letzte GenerationVerfassungsbeschwerde gegen Abhören des Pressetelefons

Als die bayerische Polizei das Pressetelefon der Protestgruppe Letzte Generation abhörte, habe sie das Grundrecht auf Pressefreiheit missachtet, kritisieren die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Reporter ohne Grenzen und der Bayerische Journalisten-Verband. Im Namen von drei betroffenen Journalist*innen haben sie Verfassungsbeschwerden eingereicht.

Menschen mit Banner auf dem steht: Letzte Generation
Aktion der Letzten Generation im August 2024. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bihlmayerfotografie

Von Oktober 2022 bis April 2023 belauschte die bayerische Polizei 13 Telefone der Gruppe Letzte Generation, darunter auch das offizielle Pressetelefon. Dies geschah im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen des Vorwurfs, sie hätten eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet. Mindestens 171 Journalist*innen waren von der Abhörmaßnahme betroffen. Dabei dürfen Journalist*innen nur abgehört werden, wenn es um Straftaten von erheblicher Bedeutung geht.

Im November 2023 hat das Amtsgericht München die Maßnahme als zulässig bewertet. FragDenStaat hat die Beschlüsse des Amtsgerichts veröffentlicht und strebt damit ein Verfahren an, an dessen Ende das Zitieren aus Ermittlungsakten offiziell erlaubt sein soll.

Betroffene Journalisten beschwerten sich anlässlich des Beschlusses des Amtsgerichts beim Landgericht München. Das wies im August die Beschwerden zurück, bezeichnete die Maßnahme aber als tiefgreifenden Eingriff in die Pressefreiheit.

Drei Verfassungsbeschwerden eingereicht

Deshalb wurden am 6. September nun drei Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingereicht. Die betroffenen Journalisten Jörg Poppendieck (RBB/ARD) und Jan Heidtmann (Süddeutsche Zeitung) werden dabei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Reporter ohne Grenzen (RSF) unterstützt. Eine weitere Verfassungsbeschwerde stammt von einer weiteren journalistisch arbeitenden Person, die vom Bayerischen Journalisten-Verband (BJV) unterstützt und von der Kanzlei Jun Rechtsanwälte vertreten wird.

Harald Stocker vom BJV sagt in einem Pressegespräch am heutigen Mittwoch: „Wenn wir Journalistinnen abhören, schaden wir dem Journalismus und letztlich der Demokratie.“ Im Extremfall könne man auch Journalist*innen abhören, „wenn der abzuwendende Schaden groß genug ist. Wir haben aber keinen Indikator, der darauf hindeutet, dass das Amtsgericht München hier eine Abwägung getroffen hat.“

Chan-jo Jun von der Kanzlei Jun Rechtsanwälte sagt beim gleichen Termin, dass bei einem derart schweren Eingriff vorab eine Abwägung mit der Pressefreiheit getroffen werden müsse. Das sei nicht passiert. „Die Frage ist: Welche bahnbrechende Erkenntnis waren denn zu erwarten, die man nicht anders bekommen hätte können?“ Es sei entsprechend nicht nötig gewesen, „in dem Umfang aufzuzeichnen und so lange zu speichern.“

„Massiver Eingriff in die Pressefreiheit“

Beschwerdeführer Jan Heidtmann sagt: „Das Abhören des Pressetelefons ist ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit. Was ich bemerkenswert finde, ist die Sorglosigkeit, mit der dieser vorgenommen wurde.“

Laut Benjamin Lück von der GFF gehe das Landgericht davon aus, dass eine Abwägung von Ermittlungsinteresse und Schutz der Pressefreiheit auch im Nachhinein getroffen werden könne. „Aber Gesetz und Bundesverfassungsgericht haben klare Linien, was verfahrensrechtlich notwendig ist, welche Begründung der erste Beschluss beinhalten muss“, sagt er.

Laut Lück würden die Anrufe von den mindestens 171 Journalistinnen bis heute gespeichert. „Und es ist nicht erkennbar, dass damit irgendwelche wesentlichen Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Das war auch von Anfang an vorhersehbar.“

Längere Bearbeitungszeit erwartet

Nicola Bier von RSF sagt: „Wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht betont, welche Bedeutung die Pressefreiheit für die ganze Gesellschaft in einer Demokratie hat und dass diese Bedeutung von staatlichen Stellen unaufgefordert berücksichtigt werden muss.“

Beschwerdeführer Heidtmann sagt: „Ich würde mir wünschen, dass ein Spruch aus Karlsruhe zu mehr Sorgfalt im Umgang mit solchen Abhörmaßnahmen führt.“

Laut Rechtsanwalt Jun ist das Bundesverfassungsgericht aktuell mit sehr vielen Fällen belastet. Er glaubt aber, dass das Gericht diese Beschwerde wahrnehmen wird, weil sie eine interessante Frage betrifft. Man müsse sich aber auf eine längere Bearbeitungszeit einstellen.

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2 Ergänzungen

  1. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/anfangsverdacht-bildung-kriminelle-vereinigung-lg-muenchen-i-2qs3323-letzte-generation

    Laut der Strafkammer wiegt die Tat (hier also die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB) entsprechend § 100a Abs. 1 Nr. 2 Strafprozessordnung (StPO), der die Voraussetzungen der TKÜ regelt, auch im Einzelfall schwer. Die Anzahl der Taten, die der „Letzten Generation“ als potenziell krimineller Vereinigung zuzuordnen seien, seien erheblich; das Gericht führt beispielhaft §§ 240 (Nötigung), 303 (Sachbeschädigung), 316b (Störung öffentlicher Betriebe) und 123 (Hausfriedensbruch) StGB auf.

    Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei zwar nach § 160 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO zu berücksichtigen, dass Berufsgeheimnisträger (hier: Medienvertreter) durch die Überwachung betroffen seien, weil der überwachte Anschluss als Kontaktmöglichkeit für die Presse angegeben war. Betroffen seien insoweit die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), bemerkte die Kammer. Dies steht ihrer Auffassung nach der Verhältnismäßigkeit der TKÜ aber nicht entgegen: Zum einen sei die strafrechtliche Relevanz der Tätigkeit der „Letzten Generation“ für Medienvertreter kein Geheimnis gewesen, zum anderen seien die Grundrechtseingriffe durch die effektive Verfolgung einer schwerwiegenden Straftat gerechtfertigt.

    Insgesamt vier Jahre und acht Monate hat das BVerfG einmal gebraucht, um eine Verfassungsbeschwerde durch Nichtannahmebeschluss abzulehnen.(2015)

    1. Es ist bedauerlich dass solche Dinge als Ergänzung eingebracht werden müssen.
      Zu einer „objektiven“ oder „fairen“ Berichterstattung gehört meiner Meinung nach halt auch, dass die Argumente beider Seiten erwähnt werden sollten. Leider fällt mir bei netzpolitik.org immer öfter auf dass nur die „passende“ Seite zu Wort kommt. Wenn dieser Artikel eine Meinungsäusserung sein soll in dem nur die Sicht der „Klagepartei“ aufgezeigt und unterstützt werden soll ist das natürlich statthaft jedoch mMn zu kennzeichnen. Andernfalls verliert man an Glaubhaftigkeit. Man (in diesen Fall die Redaktion) sollte dem Leser schon zutrauen selber einen Sachverhalt einordnen zu können. Sicher sind die im Artikel angeführten Argumente zu berücksichtigen jedoch nicht alleingültig.

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