Die Europäische Kommission will gegen Marktverzerrungen in der Medienbranche vorgehen. Damit könnte sie sich erstmals in öffentliche Inserate und andere Subventionen einmischen, wie es sie in vielen EU-Staaten gibt. Konkret soll das Teil einer Initiative der EU sein, des Media Freedom Act, der für nächstes Jahr geplant ist. Laut einem nun veröffentlichten Dokument will die Kommission den „ungehinderten Wettbewerb zwischen Medienunternehmen fördern, indem der transparente und faire Einsatz staatlicher Ressourcen gewahrt wird“.
Erstmals angekündigt hatte die EU-Kommission ihr Mediengesetz vor einigen Monaten. In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union erinnerte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an die in den vergangenen Jahren ermordeten Journalisten Daphne Caruana Galizia, Ján Kuciak und Peter de Vries. Die EU müsse mehr tun, um Journalisten vor Attacken zu schützen, aber auch, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Nachrichtenmedien zu sichern.
Im Blick haben dürfte die Kommission dabei Länder wie Polen und Ungarn, wo regierungsnahe Unternehmen Medienhäuser übernehmen, aber auch Österreich, wo die Staatsanwaltschaft Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seine Getreuen verdächtigt, mit öffentlichem Geld wohlwollende Berichterstattung in Boulevardmedien erkauft zu haben – sogenannte Inseratenkorruption. Ob das in diesem Fall gesetzwidrig war, klärt die Justiz. Doch seit Jahren gibt es Kritik an der Praxis von österreichischen Regierungen, einzelne Medien mit Millionen Euro an öffentlicher Werbung querzufinanzieren. 2020 verteilte die österreichische Regierung rund 47 Millionen Euro, der Gutteil ging an die Boulevardmedien Österreich, Heute und die Kronen Zeitung.
Medien „mit staatlichen Ressourcen unter Druck gesetzt“
In dem fünfseitigen Papier äußert die EU-Kommission die Sorge, dass Medien „mit staatlichen Ressourcen unter Druck gesetzt werden“. Bislang gebe es im Bereich Medienfreiheit kaum EU-Gesetzgebung und nur eine sehr lose Zusammenarbeit zwischen Medienaufsichtsbehörden. Es fehle schlicht an Schutzmechanismen gegen unerwünschte Eingriffe und Interventionen in die Unabhängigkeit von Medien, schreibt die EU-Kommission.
Eine Rolle spielten dabei aus ihrer Sicht auch die Art der Verbreitung von Inhalten im Netz. Algorithmische Verstärkung der Reichweite einzelner Medien könne die Medienvielfalt negativ beeinflussen. (Wie groß der Einfluss allein eines einzigen Digitalkonzerns auf die Branche und die Medienvielfalt ist, haben wir in unserem Dossier „Medienmäzen Google“ und der gleichnamigen Studie beschrieben.)
Noch hat die EU-Kommission nicht entschieden, ob sie tatsächlich ein Gesetz oder nur unverbindliche Empfehlungen vorschlagen möchte. In dem Dokument ist allerdings „wahrscheinlich“ von einem Gesetzesvorschlag im dritten Quartal 2022 die Rede. Dieser müsse einheitliche Rahmenbedingungen für die Prüfung von Medienübernahmen und anderen Markteintrittshürden schaffen. Auch soll EU-Gesetzgebung Prinzipien für den Schutz redaktioneller Unabhängigkeit und die „transparente Verteilung von staatlichen Ressourcen im Mediensektor“ festlegen.
Die Aufsicht über Medien soll durch ein unabhängiges Monitoring auf EU-Ebene und mehr Kooperation der Aufsichtsbehörden im Rahmen der EU-Behördengruppe ERGA gestärkt werden.
„Zwischen autoritärer Regierungsmacht und den Tech-Riesen“
Konkretere Vorschläge will die EU-Kommission in den nächsten Monaten ausarbeiten, dafür möchte sie Stellungnahmen aus der Wissenschaft, von Branchenverbänden und von den EU-Mitgliedsstaaten einholen. Bereits Anfang Januar soll eine Online-Konsultation breite Mitsprache auch von Bürger:innen ermöglichen.
Kritische Stimmen äußerten sich bereits im Sommer bei einer Anhörung im EU-Parlament. Medien in Mittel- und Osteuropa seien „zwischen autoritärer Regierungsmacht und den Tech-Riesen“ gefangen, warnte etwa Łukasz Lipiński, der Vize-Chefredakteur der polnischen Wochenzeitung Polityka. Er verwies auf die Übernahme von Lokalmedien durch den staatlichen Energiekonzern Orlen sowie ein geplantes Mediengesetz, das den Verkauf des unabhängigen Fernsehsenders TVN24 bedeuten könnte.
Nicht nur gegenüber Staaten müsse die Unabhängigkeit der Medien gestärkt werden, sagt Kommunikationswissenschaftler Damian Tambini von der London School of Economics. Auch die Beziehung zu digitalen Plattformkonzernen müsse besser ausbalanciert werden, so Tambini in einem Blogbeitrag. Wie das geplante Gesetz der EU-Kommission dazu beitragen könnte, ist freilich noch offen.
Die EU ist dagegen, dass man „mit öffentlichem Geld wohlwollende Berichterstattung in Boulevardmedien erkauft“?
Dieselbe EU, die sich gerade mit dem in der Urheberrechtsnovelle festgeschriebenen Leistungsschutzrecht das Wohlwollen der Medien in ganz Europa erkauft hat? Oder zählt das nicht, weil Google & Co zahlen und „der Steuerzahler“ nur indirekt?