InformationsfreiheitWarum Hamburg viel eingebüßt hat und Berlin verlieren könnte

Das Transparenz-Ranking 2021 ist online. In einigen Bundesländern wurde die Informationsfreiheit gestärkt, in anderen gelten dagegen weitere Ausnahmen. Das Hamburger Gesetz könnte sogar gegen EU-Recht verstoßen.

Eine Frau übergibt vor einem großen Gebäude in Berlin mehrere Aktenordner.
Für den Gesetzesvorschlag der Initiative „Volksentscheid Transparenz“ haben mehr als 30.000 Menschen unterschrieben. CC-BY-SA 2.0 Leonard Wolf/OKF

Das verheerende Unwetter in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hatte eine Expertin schon Tage vorher kommen sehen – doch die zuständigen Behörden haben die Gefahr offenbar nicht ernst genug genommen. Mit einem umfangreicheren Informationsfreiheitsgesetz hätten sich die Betroffenen besser auf die Katastrophe vorbereiten können, davon ist Arne Semsrott von der Open Knowledge Foundation (OKF) überzeugt. „Sie hätten Daten zu Warnmeldungen und Überschwemmungen anfordern können, außerdem zur Arbeit der Krisenstäbe“, sagte er bei der Vorstellung des neuen Transparenz-Rankings der OKF und des Vereins „Mehr Demokratie“.

Wie schon im ersten Ranking 2017 steht Hamburg mit 66 Prozent Transparenz ganz oben, dicht gefolgt von Schleswig-Holstein und Bremen. „Diese drei Bundesländer veröffentlichen viele Dokumente unaufgefordert, auch Verträge und Gutachten“, sagte Semsrott. Berlin folgt auf Platz vier (61 Prozent). Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes steht erst im unteren Teil der Tabelle und hat nur 37 Prozent erreicht. Schlechter wurden nur die Gesetze aus Baden-Württemberg und Hessen bewertet. In Hessen sind laut Semsrott viele Behörden von der Auskunftspflicht ausgenommen. Ganz am Ende stehen Bayern, Niedersachsen und Sachsen – sie haben überhaupt kein Informationsfreiheitsgesetz. Semsrott: „Das ist nicht angemessen für Verwaltungen des 21. Jahrhunderts.“

Kommt es zum Volksentscheid in Berlin?

Marie Jünemann bezeichnete die Informationsfreiheit gar als Grundrecht. „Alle Verträge, an denen öffentliche Stellen beteiligt sind, sollten ab einem bestimmten Schwellenwert veröffentlicht werden“, sagte die Landesvorständin von „Mehr Demokratie Berlin-Brandenburg“. Sie ist auch Sprecherin der Initiative Volksentscheid Transparenz Berlin. Die Initiative fordert, dass in Berlin auch bisher geheime Verträge, Treffen mit Lobbyisten und interne Gutachten öffentlich und kostenfrei verfügbar sein sollen.

Doch der Berliner Senat wird den Vorschlag voraussichtlich nicht übernehmen und hat stattdessen einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Wird er umgesetzt, würde sich die Informationsfreiheit in Berlin deutlich verschlechtern, sagte Marie Jünemann. „Der Entwurf enthält mehr Ausnahmen, in denen keine Auskunft mehr gegeben werden müsste. Unter anderem im Bildungs- und Steuerbereich.“ Außerdem würde sich die Antwortfrist der Behörden auf drei Monate verlängern, das sei weltweit eine der längsten Fristen. Die Initiative Volksentscheid Transparenz fordert außerdem, Dokumente aus „korruptionsanfälligen Bereichen“ und zu ausgefallenen Schulstunden öffentlich zu machen. Lehnt das Abgeordnetenhaus ihren Vorschlag endgültig ab, haben die Aktivisten die Option, Unterschriften für einen Volksentscheid zu sammeln.

Auch in Baden-Württemberg gibt es viele Ausnahmen

In Baden-Württemberg hatte die neue grün-schwarze Koalition vereinbart, die Informationsfreiheit deutlich zu stärken. „Mehr Demokratie“ hat dagegen schon konkrete Forderungen gestellt: Unter anderem soll das angekündigte Transparenzgesetz auch für Kommunen gelten, forderte Sarah Händel, Landesgeschäftsführerin von Mehr Demokratie Baden-Württemberg. „Denn dort hängt das Engagement vieler Bürgen direkt vom Zugang zu Informationen ab.“ Händel kritisierte, dass es bisher zu viele Ausnahmen gebe: „Es existiert zum Beispiel keine Abwägungsklausel, mit der geprüft wird, ob das öffentliche Interesse den Schutz von Geschäftsgeheimnissen überwiegt.“

Semsrott lobte, dass die Informationsfreiheit in Thüringen im Vergleich zu 2017 deutlich verbessert wurde. „Die Landesregierung hat viele Ausnahmen abgeschafft.“ Hamburg hat dagegen seinen Vorsprung fast eingebüßt. Seit einer Reform des einst fortschrittlichsten deutschen Transparenzgesetzes Ende 2019 sind anonyme Anfragen nicht mehr möglich. Außerdem können Dritte seitdem die Kontaktdaten der Antragssteller verlangen, wenn sie im Dokument erwähnt werden. Das kann für Journalisten gefährlich sein, außerdem dürfte es gegen EU-Recht verstoßen.

Transparenzhinweis: Arne Semsrott schreibt auch für netzpolitik.org.

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6 Ergänzungen

  1. „(…)…in Hessen ist das Recht auf Information zwar seit 2018 im Datenschutzgesetz festgeschrieben, „aber es gibt da mehr Ausnahmen als Möglichkeiten“, kritisiert Semsrott. Zum Beispiel sind Kommunen in Hessen von dem Gesetz ausgekommen.
    So kommt es, dass Bürgerinnen und Bürger zwar nach dem hessischem Informationsfreiheitsgesetz von der Landesregierung Informationen einfordern können, aber mitunter nicht von der Gemeinde, in der sie wohnen: Das Lärmgutachten für den Stadtteil, der Bauplan für die neue Schule: alles nur einsehbar, wenn die Gemeinde es will. (…)“

    https://www.hessenschau.de/gesellschaft/hessens-behoerden-bei-transparenz-weit-abgeschlagen,transparenzregister-100.html

  2. eine frage:

    Das kann für Journalisten gefährlich sein, außerdem dürfte es gegen EU-Recht verstoßen.

    wiso würde das gegen eu-recht verstoßen?

    1. Wieso das gegen EU-Recht verstieße?

      Weil die Weitergabe der personenbeziehbaren Kontaktdaten an Dritte in dieser Form und unter diesen Bedingungen ziemlich sicher durch die DSGVO verboten ist. Das war jedenfalls die Ansicht des früheren Hamburgischen Datenschutzbeauftragen Caspar. Die Regelung ist ja auch echt ein Klopper. Endgültig klären müsste das natürlich leider wieder ein Gericht.

  3. Auf den ersten Blick mag es verblüffen, dass selbst Rot-Rot-Grün in Berlin das Transparenz-Volksbegehren nicht gerade unterstützend begleitet. Schäbige Eigeninteressen könnten ein Punkt sein, aber es gibt auch ein grundsätzliches Problem: Der Haken den zumindest ich sehe ist, dass man nicht einfach Kommunen inklusive öff. Unternehmen zu maximaler Transparenz verpflichten kann, während gleichzeitig an andere Marktteilnehmer wie Privatunternehmen keinerlei Transparenzforderungen gestellt werden. Eine Marktverzerrung zugunsten privater Akteure wäre die Folge. Insofern ist bei der Forderung des Volksbegehrens fraglich, warum man Transparenz nicht für alle gesellschaflichen Akteure gleichermaßen fordert. Hier schlösse sich eine interessante Diskussion darüber an, ob kommerzielles Privateigentum nach gegenwärtiger Vorstellung überhaupt legitim ist. Und ob eine Marktwirtschaft auf Basis von Ellebögen und Geheimhaltung wirklich der richtige Weg ist/dauerhaft funktionieren kann… Vermutlich wäre dem Volksbegehren diese Diskussion zu weit gegangen, okay. Aber im Umkehrschluss selektiv den öff. Unternehmen die Chancen im Wettbewerb zu demontieren, erscheint mir zumindest aus linker Sicht nicht zu ende gedacht. Ein anderer Punkt ist der Schutz persönlicher Daten, wo Transparenzforderungen an ihre Grenzen stoßen. Interessant ist nicht zuletzt die Frage, wie man Mobilitätsdaten, etwa aus Verkehrsunternehmen, im Kontext von Transparenz, Privatssphäre und Geschäftsgeheimnissen bewertet, Stichwort Jelbi App.

  4. P.S. Wobei sowohl Schutz von Privatssphäre als auch von Geschäftsgeheimnissen durchaus Bestandteil des Entwurfs des Volksbegehrens sind. Daran kann es also auch nicht hängen eigentlich… Woran hängt es dann? – eher an Uneinigkeit in der Koalition. Grüne und Linke verhindern derzeit ein mieses Transparenzgesetz. Mehr ist mit der SPD aktuell wohl nicht drin. Jedenfalls nicht ohne Druck von außen …

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.