Deutschland hat erneut Ärger mit der EU-Kommission wegen des Medienstaatsvertrags. Die Brüsseler Behörde hält die Satzungen der Landesmedienanstalten, die den Staatsvertrag umsetzen, für unvereinbar mit geltenden EU-Gesetzen und sieht auch Konflikte mit dem geplanten Digitale-Dienste-Gesetz. „Deutschland hat einen weiteren Monat Zeit, um sicherzustellen, dass der endgültige Text mit dem EU-Recht vereinbar ist“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Über das Mahnschreiben aus Brüssel hat zuerst das französische Medium Contexte berichtet, wir veröffentlichen es im Volltext.
Der Medienstaatsvertrag ersetzt den Rundfunkstaatsvertrag von 1991 und schafft erstmals einen einheitlichen Rechtsrahmen für alle Nachrichtenmedien, also sowohl traditionelle Print- und Rundfunkmedien sowie reine Internetmedien wie zum Beispiel netzpolitik.org. Zugleich schafft der Staatsvertrag Auflagen für Konzerne wie Google und Facebook. Da sie zwar keine Nachrichteninhalte schaffen, aber diese zugänglich machen, fallen sie als sogenannte Medienintermediäre unter den Staatsvertrag.
Plattformen mit mehr als einer Millionen Nutzer:innen in Deutschland erhalten durch ihn die Pflicht, sogenannte Zustellungsbevollmächtigte mit rechtlicher Verantwortung zu benennen. Eine ähnliche Verpflichtung schuf bereits das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), auch diese wurde von der Kommission kritisiert.
Intermediäre sollen außerdem laut dem Staatsvertrag darlegen, nach welchen Kriterien sie Inhalte von Nachrichtenmedien sortieren und inwieweit dabei Empfehlungsalgorithmen zum Einsatz kommen. Der Staatsvertrag verbietet die Benachteiligung einzelner Medien durch Intermediäre – damit könnte Facebook etwa in Schwierigkeiten geraten, wenn es bestimmte Nachrichtenquellen im Newsfeed gezielt herunterstuft.
EU-Behörde sieht „unzulässige Einschränkung“
Die deutschen Regeln verstoßen aus Sicht der EU-Kommission gegen die seit zwei Jahrzehnten geltende E-Commerce-Richtlinie. Diese schreibt ein Herkunftslandprinzip fest: Da, wo ein Konzern wie Facebook seinen europäischen Firmensitz hat, soll er reguliert werden. Im Fall von Facebook, Google und anderen Internetkonzernen ist das Irland.
Bestimmungen des Medienstaatsvertrags stellten eine „unzulässige Beschränkung der im Binnenmarkt geschützten Freiheit zur Erbringung von Diensten“ durch Internetplattformen dar, schreibt die Kommission. Dazu gehörten sowohl die Pflicht, einen Bevollmächtigen in Deutschland zu ernennen, aber auch die Auskunftspflichten über die Art, wie Plattformen Inhalte auswählen und ausspielen.
Andere Mitgliedsstaaten (etwa Frankreich) hätten ähnliche Gesetze mit nationalen Auflagen für Provider beschlossen, damit trügen sie zur „Fragementierung des Binnenmarktes“ bei, klagt die EU-Kommission. Sie verweist auf das Digitale-Dienste-Gesetz, über das derzeit EU-Parlament und Mitgliedsstaaten beraten. Das Plattformgesetz schaffe umfassende Vorschriften für Internetdienste und biete damit eine „EU-weite Lösung für die identifizierten Probleme“.
Bereits im Vorjahr hatte die EU-Kommission gegen einen Entwurf des Medienstaatsvertrags Bedenken vorgebracht. Die FAZ stellte damals die etwas tendenziös formulierte Frage: „Killt die EU die Medienpolitik?“
„Prüfung der Kritikpunkte obliegt den Ländern“
In Kraft getreten ist der Medienstaatsvertrag bereits Ende 2020, zuständig für seine Durchsetzung sind allerdings die Medienanstalten der Bundesländer. Diese haben erst teilweise ihre Satzungen angepasst, um die Vorgaben des Staatsvertrags umzusetzen. Der Beschwerdebrief der Kommission, den sie nun nach Berlin sandte, richtet sich gegen die Satzungen der Landesmedienanstalten für die die Intermediäre betreffenden Artikel des Medienstaatsvertrags. Diese Artikel meldeten die Medienanstalten im März diesen Jahres an die Kommission.
Die deutschen Länder sollen die Anmerkungen bei der Umsetzung des Medienstaatsvertrag berücksichtigen und haben dafür einen weiteren Monat Zeit, heißt es im Brief aus Brüssel. Innerhalb des Monats gilt eine Stillhaltefrist, die Satzungen dürfen in dieser Zeit vorerst nicht angenommen werden. Gibt es keine nennenswerten Änderungen, könnte die EU-Kommission rein rechtlich gesehen ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Wahrscheinlich ist das allerdings nicht, da in Brüssel stattdessen durch den Beschluss des Digitale-Dienste-Gesetzes Fakten schaffen möchte. Dieses ist als EU-Verordnung direkt anwendbar, Deutschland müsste dann nationale Gesetze wie den Medienstaatsvertrag dann ohnehin entsprechend anpassen.
Auf Anfrage von netzpolitik.org erklärte das Amt von Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, dass der Medienstaatsvertrag nicht im Zuständigkeitsbereich des Bundes, sondern in der Gesetzgebungskompetenz der Länder liege. „Die Prüfung der Kritikpunkte der Kommission obliegt nun den zuständigen Ländern bzw. den Landesmedienanstalten, mit denen wir das weitere Vorgehen im Anschluss eng abstimmen werden.“
Die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab (SPD), die als Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder im Vorjahr ein Protestschreiben an die EU-Kommission geschickt hatte, verweist darauf, dass der Medienstaatsvertrag eine Umsetzung der EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD) sei und Deutschland diese als einer der ersten und bislang einzigen EU-Staaten umgesetzt habe. „Gemeinsam mit namhaften Expertinnen und Experten bin ich mir daher sicher, dass der Medienstaatsvertrag in der Sache dringend notwendig und mit europäischem Recht vereinbar ist“, betonte Raab in einer E-Mail gegenüber netzpolitik.org.
Update vom 13. Juli 2021: Die Stellungnahme von Staatssekretärin Raab traf nach Erscheinen des Artikels ein und wurde nachträglich hinzugefügt.
Hier fehlt ganz Wichtiges: Die Daten. Aus dem Dokument der Kommission ist ein Datum nicht ersichtlich.
Wann endet die Frist von 1 Monat?