Das Timing ist bemerkenswert: Kaum ist die Tinte unter dem neuen Medienstaatsvertrag getrocknet, schon steht das erste mögliche Verfahren ins Haus. Es könnte ein neues Kapitel der Internetregulierung aufschlagen. Die alte Welt der Medienregulierung könnte jetzt versuchen, neue Spielregeln für die Öffentlichkeit durchzusetzen, die Internetfirmen wie Google herstellen.
Mit der Reform des ehemaligen Rundfunkstaatsvertrags zum neuen Medienstaatsvertrag weiteten die Bundesländer die Kompetenzen der Landesmedienanstalten auf bestimmte Angebote im Internet aus. Insbesondere auf solche, die journalistisch-redaktionelle Inhalte beinhalten. Direkt nachdem sie die neuen Kompetenzen erhalten hat, wird jetzt die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) ein Verfahren gegen Google prüfen. Was lange angezweifelt wurde, könnte jetzt geklärt werden: ob die kleinen Landesmedienanstalten den Weltkonzern Google regulieren können etwa. Und ob die netzpolitische Medienregulierung in Deutschland Ländersache wird, während in Europa bald die ersten Takte zum Digitale-Dienste-Gesetz gespielt werden. Ein Vorgehen der Medienanstalt in diesem Fall könnte aber auch viel weitreichendere Fragen aufwerfen, und das Vorgehen Sozialer Netzwerke gegen Falschinformationen verändern.
Verlässliche Informationen an prominenter Stelle
Was ist passiert? Vor einer Woche hatte Jens Spahn eine Zusammenarbeit seines Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit Google bekannt gegeben. Das Ministerium betreibt eine noch recht neue Webseite, auf der Informationen über viele Krankheiten verlässlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Dieses „Nationale Gesundheitsportal“ soll in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen stetig auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand gehalten werden.
Da gesund.bund.de beim Suchmaschinen-Monopolisten Google bisher aber keine Platzierung unter den ersten Treffern erzielen konnte, wie Spahn betonte, werden die Informationen des Portals nun durch eine Kooperation des BMG mit Google privilegiert platziert. Neben (in der Desktop-Ansicht) oder über (auf dem Smartphone) den Google-Suchergebnissen zu einer Krankheit oder Symptomen werden jetzt in Infokästen Inhalte des staatlichen Gesundheitsportals angezeigt und die Seite prominent verlinkt. Wir haben hier ausführlich darüber berichtet.
Die Infokästen, die Google „Knowledge Panel“ nennt, sollen direkt in der Google-Suche die gesuchten Inhalte anzeigen. Man braucht also nicht mehr auf ein Suchergebnis zu klicken – die Suchmaschine liefert die gesuchte Information direkt aus einer geprüften und vertrauenswürdigen Quelle. Viele kennen das Prinzip der Knowledge Panels daher, dass Google bei der Suche nach Promis in einer Infobox Informationen aus der Wikipedia anzeigt.
Die Verlage schäumen
Einen Tag nach dem Start der Kooperation schäumten die deutschen Verlage. Einige von ihnen sind durch Zukäufe von Diensten wie Jameda oder NetDoktor selbst im Bereich der Online-Gesundheitsinformationen aktiv. Google diskriminiere die Angebote der Presseverlage, indem es die Knowledge Panel vor den Verlagsangeboten in den Suchergebnissen anzeige.
„Eine solche Verdrängung der privaten Presse durch ein staatliches Medienangebot auf einer digitalen Megaplattform ist ein einmaliger und neuartiger Angriff auf die Pressefreiheit“, sagte der Präsident der Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Rudolf Thiemann. Allein schon, dass das BMG Gesundheitsinformationen mit einer Website bereit stellt, gefällt den Verlagen nicht. Es sei mit der „Staatsfreiheit der Medien“ unvereinbar. Sich auch noch von Google bei der Verbreitung des Angebots helfen zu lassen, gehe endgültig zu weit. Auch Thiemanns Vize Philipp Welte, gleichzeitig Vorstand des Verlags Hubert Burda Media, holt zum Generalschlag aus: „Das Ministerium deklassiert die freien marktwirtschaftlich organisierten Gesundheitsportale und setzt alle Mechanismen der freien Information und damit der freien Meinungsbildung in unserer Demokratie außer Kraft.“ Erst letztes Jahr hatte sein Verlag NetDoktor übernommen, eine Website, die Gesundheitsinformationen journalistisch-redaktionell aufbereitet.
Die Medienanstalt prüft
Einen weiteren Tag später kündigte die MA HSH auf Twitter an, die Einleitung eines Verfahrens gegen die Google zu prüfen. Auf Nachfrage präzisierte die Pressestelle, dass es um ein Verfahren gegen die Google Germany GmbH geht, nicht gegen Googles Europasitz in Irland, wie es häufig bei datenschutzrechtlichen Verfahren der Fall ist.
Und warum prüft eine Landesmedienanstalt die Google-Suche? Zu den vielfältigen neuen Aufgaben der Landesmedienanstalten im Rahmen des Medienstaatsvertrags zählt unter anderem, digitale „Medienintermediäre“ zu kontrollieren. Plattformen wie Google oder Facebook zählen zu dieser neuen Plattformkategorie, da sie journalistisch-redaktionelle Angebote aggregieren und öffentlich präsentieren. Sie sind deshalb nach dem Staatsvertrag verpflichtet, die Meinungsvielfalt sicherzustellen.
Google darf demnach keine journalistisch-redaktionellen Medien grundlos benachteiligen. Es herrscht sogenannte Diskriminierungsfreiheit: Kein Angebot darf ohne weiteres herabgestuft werden oder – und das ist der Knackpunkt – privilegiert werden, wenn dadurch andere Angebote behindert werden. Die Medienanstalt will deshalb prüfen, ob Google das Nationale Gesundheitsportal als ein Angebot unter vielen journalistisch-redaktionellen Angeboten hervorhebt.
Ist das Infokasten-Privileg von gesund.bund.de ein Verstoß gegen die Diskriminierungsfreiheit? Das wäre nur der Fall, wenn das Portal als ein journalistisch-redaktionelles Angebot zählt. Denn wie die MA HSH auf unsere Anfrage erläuterte, mache das den Unterschied zwischen Knowledge Panel zu Gesundheitsthemen und anderen Infokästen aus. Sollten sich am Ende eines Verfahrens alle Medienanstalten einig werden, dass ein Verstoß von Google vorliegt, und sollte Google die Privilegierung des Portals dann nicht beenden, droht ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro.
Eine Frage der Definition
Nach dem Medienstaatsvertrags liegt eine Diskriminierung bei zwei Szenarien vor. Erstere Form der Diskriminierung ist, wenn von den normalen Auswahlkriterien der Suchmaschine ohne ausreichende Rechtfertigung abgewichen wird. Google und das BMG betonen allerdings, dass die Knowledge Panel ein zusätzliches Angebot sind und keinen Einfluss auf den Suchalgorithmus haben, der die Platzierung in den Suchtreffern bestimmt. Das zweite Szenario liegt vor, wenn Angebote „unmittelbar oder mittelbar unbillig systematisch behindert“ werden.
Die Hervorhebung von nicht journalistisch-redaktionellen Angeboten wie der Wikipedia durch Medienintermediäre ist für die Medienanstalt offenbar kein Problem. Gegenüber netzpolitik.org teilt die MA HSH jedoch mit, dass die Gesundheitskästen eine „offensichtliche“ Privilegierung eines Angebots seien, welches mit den anderen journalistischen Angeboten möglicherweise vergleichbar ist. Daher kann die Behörde proaktiv tätig werden, ohne eine Beschwerde eines anderen journalistischen Anbieters abzuwarten.
Über diese Einschätzung kann man aber auch geteilter Meinung sein, wie der Professor für Medientheorie und Medienrecht Marc Liesching feststellt. Für ihn ist es offen, ob eine Diskriminierung wirklich vorliegt:
„Hier weist die Amtliche Begründung des Medienstaatsvertrages darauf hin, dass die unterschiedliche Behandlung von Inhalten und Angeboten auch Teil der verfassungsrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit der Anbieter von Medienintermediären ist. Tauchen Angebote und Informationen zu Gesundheitsfragen im allgemeinen Suchtrefferranking noch auf, nur eben nicht so prominent wie andere, muss hierin noch nicht zwingend eine Diskriminierung gesehen werden, vor allem wenn besondere, auf journalistische Angebote orientierte Suchrubriken wie ‚Google News‘ oder ‚Schlagzeilen‘ von den Gesundheitsinformationen von gesund.bund.de freigehalten werden und diese Informationen gesondert in einem Knowledge Panel visualisiert werden.“
Wie weit die Freiheiten von Plattformen gehen, hängt also auch von der Gestaltung des gesamten Angebots ab. Das Design könnte den Unterschied machen. Zudem ist es fraglich, ob das Nationale Gesundheitsportal als ein journalistisch-redaktionelles Angebot in dieselbe Kategorie wie Medienangebote fällt oder nicht doch eher wie die Wikipedia als allgemeine Gesundheitsinformation anzusehen ist.
Das Gesundheitsministerium spricht von einem Irrtum
Ein Pressesprecher des BMG erklärt uns gegenüber, dass die Kritik der Verlage von einer „falschen Prämisse“ ausgehe:
„Die eigentlichen Suchergebnisse werden dadurch in keiner Weise beeinträchtigt. Vielmehr spielt Google – wie auch in anderen Themengebieten – nur sogenannte Knowledge Panels aus. Darin ist der Hinweis auf das Gesundheitsportal des Bundes gesund.bund.de integriert. Dieses Portal wird anders als andere Gesundheitsportale nicht durch Werbung finanziert, sondern basiert ausschließlich auf wissenschaftlicher Expertise. Diese fachlich fundierte Information zu Gesundheitsthemen einfacher zugänglich zu machen, ist Sinn der Kooperation mit Google.“
Ob diese Faktoren tatsächlich ausschlagend dafür sind, dass die Medienanstalt das Angebot nicht als journalistisch-redaktionell einstuft und es deshalb nicht mit anderen Angeboten konkurriert, bleibt derzeit eine offene Frage.
Google hat bislang nicht auf unsere Anfrage geantwortet.
Auch Faktenchecks könnten von den Regeln betroffen sein
Daran schließt sich eine Überlegung an, was diese Auseinandersetzung für die Öffentlichkeit im Internet bedeuten könnte. Was, wenn bestimmte verlässliche und qualitativ hochwertige journalistisch-redaktionelle Angebote wegen des Medienstaatsvertrags nicht mehr hervorgehoben werden können, weil andere Angebote dadurch indirekt benachteiligt werden? Wie können Plattformen Informationen direkt zur Verfügung stellen, die womöglich als redaktionell-journalistisches Angebot eingestuft werden? Das lässt die Strategie der großen Plattformen zu Desinformation in einem anderen Licht erscheinen.
In den letzten Monaten haben die großen sozialen Netzwerke Facebook, Instagram, Twitter, YouTube und TikTok immer häufiger Hinweise an bestimmten Inhalten angebracht. Beispielsweise Links zu journalistischen oder staatlichen Quellen wie dem Robert Koch-Institut, oft auch zur Wikipedia. Dieses Vorgehen ist schon lange als Mittel im Umgang mit mangelhaften, missverständlichen, irreführenden oder schlicht falschen Informationen im Gespräch.
Missinformation und Desinformation verbreiten sich mit extremer Geschwindigkeit in den Netzwerken. Nachträgliche Faktenchecks und grundlegende Informationen, die die Mythen und Gerüchte aufklären, kommen da häufig nicht mehr hinterher und erreichen viel weniger Nutzer:innen als reißerische Falschinformationen. Deshalb werden immer häufiger Posts zu Themen, zu denen viele Falschinformationen im Umlauf sind, mit einem Hinweis zu einer verlässlichen und vertrauenswürdigen Quelle versehen. Etwa zu COVID-19 oder, wie im Fall des Twitter-Feeds von Donald Trump, wo einzelnen Tweets Hinweise angeheftet werden, welche die Aussagen einordnen.
Es stellt sich die Frage, ob es im Lichte der neuen Diskriminierungsregeln einen Unterschied ausmachen wird, ob Verschwörungsvideos durch einen Link zu Wikipedia gekontert werden oder durch einen zu einem journalistischen Angebot. Sind Partnerschaften von Facebook mit unabhängigen Faktenchecker:innen wie etwa mit dem Recherchezentrum CORRECT!V dann nicht mehr möglich, weil es andere Medien gibt, die auch Desinformationen aufarbeiten?
Mögliche unbeabsichtigte Konsequenzen
Gerade erst haben Plattformen wie Twitter und Facebook damit begonnen, mehr politische Verantwortung zu übernehmen für die Diskurse auf ihren Plattformen. Sie rücken ab von der Position der radikalen freien Rede, derzufolge jeder alles sagen darf und sie nur eine neutrale Übermittlungsplattform sind. Ihre Machart und ihre Geschäftsmodelle priorisieren viel Kommunikation, viel Interaktion. Daher kommen die teils gefährlichen Mechanismen erst zustande.
Um dem entgegenzuwirken, ordnen sie haltlose Fehlinformationen mit Hinweisen ein. Während der US-Wahl geschah dies etwa bei der Behauptung, Briefwahl führe generell zu massenhaftem Wahlbetrug. Sie könnten so die Qualität des Diskurses erhöhen, doch es ist eine Gratwanderung. Sie haben das Hausrecht über große Teile des demokratischen Forums und müssen einen Machtmissbrauch vermeiden. Doch auch das Nichtstun kann eine Art Machtmissbrauch sein.
Dabei sind sie auf journalistische Medien angewiesen, die diese Informationen recherchieren und überprüfen. Es könnte sich jedoch als eine Benachteiligung anderer Medien herausstellen, wenn sie zuverlässige Medien als Partner gegen Falschinformationen nutzen und diesen zu mehr Sichtbarkeit durch privilegierte Darstellungen verhelfen.
Damit wäre diese Strategie gegen Desinformation vielleicht zur Bundestagswahl im nächsten Jahr in Deutschland dahin. Das Vorgehen der norddeutschen Medienanstalt könnte weitere Auswirkungen haben, als zunächst offensichtlich ist.
Staatliche Informationen werden privilegiert angezeigt, und das Gesundheitsministerium merkt nicht, was daran problematisch sein könnte? Was ist das bloß für eine Welt geworden in den letzten 15-20 Jahren. Macht sich in den Ministerien wirklich niemand mehr Gedanken über die verfassungsmäßige Ordnung dieses Landes?
Ich war netzpolitisch noch nie, wirklich noch nie auf der Seite der Verleger. Hier aber stehen sie ausnahmsweise auf der richtigen Seite der Geschichte.
Noe, tun sie nicht. Der Staat handelt in demokratisch kontrolliertem allgemeinen Interesse, die Verleger handeln aus nichtkontrollierter Gewinnabsicht ihrer Eigentuemer. Natuerlich ist die staatliche Information privilegiert.
Das zu loesende Problem ist die sicherzustellende Transparenz und Qualitaet der staatlichen Information. Nicht die Aufwertung der Verlagseigentumermeinungen, und schon garnicht die Verknappung von wichtiger Information als moeglichst gewinnbringende Ware.
Zumal das Muster der Berichterstattung sehr wenig Tiefe enthält, z.B. mal fachlich hinweisen, was an der Methode gemäß Stand der Wissenschaft neu ist, und was generell bei der selben oder ähnlicher Methode bereits schon mal passiert ist, und wie oft im Verhältnis zu wo es gut gegangen ist.
Stattdessen wird Funktionär (ja auch teils Wissenschaftler) nr. X zitiert: „Die Rente ist sicher“.
Natürlich ist hier auch ein Kommunikationsversagen, oder es ist einfach gar nicht sicher, und die Leute wollen nicht lügen :)… letzteres wohl nicht, Lüge ohne gesellschaftlichen Nutzen im Hintergrund ist schon sehr etabliert, leider.