In Moskaus Straßen hängen über 100.000 Überwachungskameras. Die haben die russischen Sicherheitsbehörden nun genutzt, um Menschen zu verhaften, die aus Solidarität mit Kremlgegner Alexej Nawalny protestierten. Darüber berichtet die US-amerikanische Nachrichtenseite Bloomberg auf englisch und die Menschenrechtsorganisation OVD-Info auf russisch.
Die Überwachungskameras in Moskau hatte die Regierung zuvor als hilfreiches Instrument bei der Durchsetzung von Quarantäneregeln, bei der Fahndung nach Verbrechern und bei der Bezahlung von U-Bahn-Tickets beworben, so Bloomberg. In den vergangenen Wochen half die Technologie dann aber offenbar, über 50 Demonstrierende zu identifizieren, bis zu ihren Wohnungen zu verfolgen und dort festzunehmen.
Nachdem der inhaftierte Regierungskritiker Alexej Nawalny in den Hungerstreik gegangen war, hatte sich sein Gesundheitszustand lebensbedrohlich verschlechtert. Das trieb viele seiner Unterstützer:innen in den vergangenen Wochen auf die Straße. Schon während dieser Demonstrationen kam es zu über 1.000 Festnahmen, Bloomberg berichtet sogar von über 1.800 Festnahmen.
Daraufhin suchte die Polizei weitere 58 Personen in ihren Moskauer Wohnungen auf, wie OVD-Info berichtet. Die Polizei begründet den Vorwurf der Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung mit Bildern der Überwachungskameras. In anderen Fällen wurden Posts in sozialen Netzwerken zum Verhängnis, mit denen die Polizei den Vorwurf der Organisation einer unkoordinierten Versammlung begründet.
„Bessere Abschreckung als die Anwendung von Gewalt“
Laut OVD-Info sind unter den etwa 50 Verhafteten auch mehrere Medienschaffende und ein Universitätsprofessor. Bloomberg zitiert einen Anwalt, der einige der Festgenommenen vertritt: „Unsicherheit darüber zu schaffen, wann sie dich abholen, kann eine bessere Abschreckung sein als die Anwendung von Gewalt.“ Es gehe den Behörden einzig und allein um Einschüchterung, so der Anwalt.
Wie die Deutsche Welle berichtet, hat die Regierung unter Wladimir Putin Nawalnys Regionalbüros und zwei seiner Stiftungen jetzt auch auf die russische Liste der „Extremisten und Terroristen“ aufgenommen, um stärker gegen sie vorgehen zu können. Außerdem versuchte Russland bereits über eine gedrosselte Geschwindigkeit bei Twitter, die Organisation der Demonstrationen zu behindern.
Der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware, um nach Teilnehmenden von Demonstrationen zu suchen, ist bei der russischen Polizei nicht neu: 2017 berichtete die Süddeutsche Zeitung darüber. Im gleichen Jahr nutzte auch die Polizei in Deutschland Gesichtserkennungssoftware zur Fahndung von Teilnehmenden bei den G20-Protesten. Obwohl es um die Suche einzelner Straftäter:innen ging, wurden dafür massenhaft Bilder von nicht verdächtigen Personen aufgenommen, gespeichert und mit Gesichtserkennungssoftware gerastert. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Casper erklärte diese Speicherung der biometrischen Daten später für unzulässig.
Man ist versucht, empört zu sein.
Und erinnert sich an die G20-Proteste in Hamburg, wo Verdächtige zusätzlich öffentlich an den Pranger gestellt und dann angeklagt und verurteilt wurden, weil sie in einer Demo mitgelaufen sind, in der andere Teilnehmer angeblich Straftaten verübt haben sollen.
Da spricht mir jemand aus der Seele