Ein neues EU-Gesetz soll dabei helfen, die Macht großer Plattformen wie Facebook und Google zu beschränken. Erst Mitte Dezember hatte die EU-Kommission einen Entwurf für das Digitale-Dienste- und Digitale-Märkte-Gesetz vorgelegt, der bereits als wichtigstes digitalpolitisches Projekt der Kommission von Ursula von der Leyen gilt. Doch ein Instrument, das in netzpolitischen Kreisen für viel Hoffnung und ein paar Befürchtungen gesorgt hat, fällt im Kommissionsvorschlag deutlich schwächer aus als erwartet.
Die Rede ist von einem durchschlagenden Konzept mit sperrigem Titel: Interoperabilität. Facebook oder WhatsApp sollen gezwungen werden, ihre Dienste mit anderen kompatibel zu machen.
In seiner radikalsten Variante könnte eine Interoperabilitätsverpflichtung bedeuten, dass jemand auf Facebook auch die Posts von Nutzer:innen des alternativen sozialen Netzwerks Mastodon lesen kann, oder aber dass Apple zusätzlich zu seinem eigenen Appstore auf iPhones auch alternative Stores wie F-Droid erlauben muss. Dafür gibt es schon Vorbilder, nicht zuletzt der Standard für E-Mails funktioniert über Grenzen von Anbieter:innen und Betriebssystemen hinweg.
Diese Idee hat freilich auch ihre Gegner:innen. Offene Standards seien schwer weiterzuentwickeln, argumentiert etwa der Gründer des sicheren Messenger-Dienstes Signal, Moxie Marlinspike. Protokolle wie SMTP, auf dem E-Mail-Verkehr abgewickelt wird, seien seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt worden und seien „in der Zeit steckengeblieben“.
Die EU-Kommission entschied sich im Digitale-Märkte-Gesetz für einen vorsichtigere Version. Zwar sieht ihr Gesetzesentwurf eine Interoperabilitätsverpflichtung für sogenannte Gatekeeper-Plattformen vor, die mehr als 45 Millionen Nutzer:innen in der EU haben. Das ist Konzernen wie Google, Facebook oder Apple auf den Leib geschrieben.
Die Verpflichtung gilt allerdings nicht für die Kernfunktion des jeweiligen Dienstes, etwa das Versenden von Nachrichten bei WhatsApp, sondern lediglich für die „Bereitstellung von Nebendienstleistungen, [die] durch den Gatekeeper verfügbar sind oder verwendet werden“. Die Kommission will also lediglich eine Öffnung bei Identifikations- oder Bezahldienste, die Teil einer Plattform sind. Die Kernfunktion, etwa das Teilen von Posts und Versenden von Nachrichten bei Facebook, sollen davon nicht berührt sein.
„Weit davon entfernt, die Probleme zu lösen“
Der Entwurf der Kommission gehe nicht weit genug, um wirklich an der Machtposition der großen Plattformkonzerne zu rütteln, sagen europäische Beobachter:innen.
„Das Digitale-Märkte-Gesetz wird keine Änderungen an der Funktionsweise dieser Anwendungen bringen, abgesehen von Nebenfunktionen wie Logins und Zahlungen“, betont Vittorio Bertola von der Open-Source-Softwarefirma Open-Xchange. Das sei „besser als nichts, natürlich, aber immer noch weit davon entfernt, die Probleme zu lösen.“
Dabei beruhe die Grundarchitektur des Internets auf interoperabler, konkurrierender Hard- und Software basierend auf offenen Standards, sagt der Entwickler und Internetaktivist Bertola. Gerade das habe dem Internet ermöglicht, zu florieren und wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt zu schaffen – und die Welt zu verändern. „Indem die Kommission dieses Modell nicht per Verordnung aufrechterhält, nimmt sie im Grunde genommen in Kauf, sich für immer vom ursprünglichen Internet zu verabschieden.“
Auch Konsument:innenverbände und Digitalaktivisten sehen das ähnlich. „Meine Befürchtung ist, dass die Kommission bei Interoperabilität einen sehr vorsichtigen Zugang gewählt hat“, erklärt Agustin Reyna vom EU-Verbraucher:innenverband. Die Kommission habe nicht klar definiert, warum sie überhaupt Interoperabilität für Nebenfunktionen dominanter Dienste vorschreibe. „Wenn das den Wettbewerb sicherstellen soll, dann sollten sie zumindest Kernfunktionalitäten einbeziehen.“
Reyna verweist darauf, dass die verpflichtende Öffnung zumindest von Messaging-Apps bereits durch den europäischen Kodex für elektronische Kommunikation möglich sei, der seit 2019 in Kraft ist. Der Kodex räumt Telekom-Regulierungsbehörden in den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit ein, Diensten Interoperabilität vorzuschreiben, in der Praxis ist diese Möglichkeit allerdings noch nie verwendet worden.
„Goldene Käfige“ des Silicon Valley aufbrechen
Es sei enttäuschend, dass die Kommission es versäumt hat, durch echte Interoperabilität einen einfacheren Wechsel zwischen ähnlichen digitalen Diensten zu ermöglichen, meint Jan Penfrat vom NGO-Verband European Digital Rights.
„Es wird zwar nützlich sein, wenn Unternehmen, die großen Technologiekonzernen Zusatzdienste anbieten, ein Recht auf Interoperabilität mit der dominanten Hauptplattform erhalten, aber das wird nicht ausreichen, um die Nutzenden aus den goldenen Käfigen zu befreien, in die die Silicon-Valley-Konzerne sie gesperrt haben“, sagt Penfrat.
Der NGO-Experte hofft, dass das EU-Parlament in seinem Textvorschlag auf volle Interoperabilität von dominanten Diensten beharrt. „Dies ist entscheidend für die EU, um die wirtschaftliche, soziale und politische Macht, die Big Tech erlangt hat, wirksam zu begrenzen“, erklärt Penfrat.
Das EU-Parlament befasst sich in den kommenden Monaten mit dem Entwurf, ein eigener Textvorschlag der Abgeordneten könnte aber noch bis 2022 dauern. Das Parlament hat Interoperabilität bereits als Schlüssel für einen wettbewerbsfähigen Markt. Der rechtlich nicht bindende Bericht des Parlaments forderte die Kommission auf, ein „angemessenes Maß an Interoperabilität für systemrelevante Betreiber sicherzustellen“.
Auch die EU-Staaten im Rat sollen eigene Vorschläge vorlegen. An beiden Orten werben Technologiefirmen schon fleißig für ihre Interessen, wie ein Bericht der NGO Corporate Europe Observatory deutlich macht. Wenig Wunder also, dass Brüsseler Insider bei dem Digitale-Dienste-Gesetzespaket schon jetzt von der Lobbyschlacht des Jahrzehnts sprechen.
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