„Stille SMS“ sind Textnachrichten, deren Empfang das Mobiltelefon nicht anzeigt. Sie generieren aber einen Kommunikationsvorgang, den die Telefonanbieter protokollieren. Mit einer richterlichen Anordnung fragen Sicherheitsbehörden diese Datensätze ab. Polizeien und Geheimdienste interessieren sich für die Funkzellen, in denen sich die Telefone befinden. Sie erhalten auf diese Weise den Standort und ein bei mehrmaliger Abfrage ein Bewegungsprofil der Betroffenen.
Halbjährliche Anfragen bei der Bundesregierung dokumentieren seit einigen Jahren, dass sich die Zahlen für „Stille SMS“ beim Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundespolizei auf einem ähnlichen Niveau bewegen, allerdings teils starken Schwankungen unterliegen. Der höchste Wert für beide Behörden zusammen war im ersten Halbjahr 2016 mit rund 139.000, der niedrigste im ersten Halbjahr 2019 mit etwa 26.000. Anschließend haben sich die Werte wieder mehr als verdoppelt, teilte das Bundesinnenministerium vergangene Woche mit.
Gerichtsurteil vor zwei Jahren
Ein Grund für den deutlichen Einbruch im vergangenen Jahr ist nicht bekannt, es könnte sich aber um die Folgen eines Gerichtsurteils handeln. Vor zwei Jahren hatte der Bundesgerichtshof den Einsatz „Stiller SMS“ und die Erhebung daraus generierter Standortdaten erstmals für rechtmäßig erklärt und damit KritikerInnen den Wind aus den Segeln genommen. So hatte unter anderem der klagende Rechtsanwalt Lukas Theune argumentiert, dass „Stille SMS“ nicht auf § 100a der Strafprozessordnung gestützt werden können, da die Standortdaten nicht von den abgehörten NutzerInnen, sondern von der Polizei heimlich erzeugt werden.
Dies widerspricht aber dem Prinzip, dass das Abhören der Telekommunikation ein passiver Vorgang sein muss. Dem haben sich die RichterInnen angeschlossen, allerdings geurteilt, dass deshalb ein anderer Paragraf herangezogen werden muss. „Stille SMS“ dürfen seitdem ausschließlich mit § 100i begründet werden, der auch den Einsatz von IMSI-Catchern regelt. Wie die Ortungsimpulse werden IMSI-Catcher zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgerätes genutzt.
Pro Maßnahme rund 400 „Stille SMS“
Auffällig ist, dass die Bundespolizei stets mehr „Stille SMS“ als das BKA versendet. Ein Grund könnte darin liegen, dass die Methode bei der Polizei vor allem für Festnahmen beliebt ist. So hatte es das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen auch vor einigen Jahren in der Antwort parlamentarische Anfrage der Piratenfraktion erläutert. Demnach werden dort „Stille SMS“ eingesetzt, um in nahezu Echtzeit den Aufenthaltsort von Personen zu ermitteln, die zur Fahndung ausgeschrieben sind.
Tatsächlich werden „Stille SMS“ bei der Polizei vor allem von Landespolizeien genutzt. Das belegen einige Antworten auf Informationsfreiheitsanfragen. Demnach versenden allein die Polizeibehörden in Schleswig-Holstein so viele Ortungsimpulse wie BKA und Bundespolizei zusammen (2019: 112.354, 2018: 111.628). Die heimlichen Textnachrichten wurden in 2019 in 271 Maßnahmen genutzt. Daraus ergibt sich, dass pro Ermittlung rund 400 „Stille SMS“ anfallen.
Hohe Zahlen in Berlin, Hamburg und NRW
Wenig überraschend sind die Zahlen in Metropolen wie Berlin und Hamburg, aber auch für das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen deutlich höher. In der Hauptstadt hat die Polizei im vergangenen Jahr 336.569 „Stille SMS“ versandt, im Jahr zuvor sogar 447.972. Für Hamburg liegen die Zahlen zwar niedriger, aber auf ähnlichem Niveau. Aus Nordrhein-Westfalen sind sie nur bis zum Jahr 2016 bekannt, damals kamen rund 179.000 „Stille SMS“ zum Einsatz. Das war allerdings der mit Abstand niedrigste Wert seit 2007.
Einige Bundesländer haben nicht auf die Informationsfreiheitsanfragen geantwortet. Bekannt ist daher nur, dass die Polizei in Rheinland-Pfalz jährlich um die 100.000 „Stille SMS“ verschickt, und dass Brandenburg mit rund 20.000 sowie Mecklenburg-Vorpommern mit 2.682 (Zahl von 2018) Schlusslichter sind.
Viele Einsätze vom Inlandsgeheimdienst des Bundes
Wenig ist hingegen bekannt, in welchem Umfang die Geheimdienste in den Bundesländern „Stille SMS“ versenden. Wo die Zahlen in Antworten auf parlamentarische Anfragen mitgeteilt wurden, zeigt sich, dass die Landesämter für Verfassungsschutz die Methode sehr selten nutzen. Anders hingegen beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), für das die Angaben der vergangenen Jahre eine stete Zunahme von „Stillen SMS“ dokumentierten.
An den Statistiken lassen sich weitere Auffälligkeiten erkennen. Deutlich wird etwa, dass in den Jahren 2016 bis 2018 Spitzenwerte erreicht wurden. Anzunehmen ist, dass der Inlandsgeheimdienst des Bundes die „Stillen SMS“ (im Gegensatz zur Polizei) zur heimlichen Beobachtung nutzt. Vermutlich handelt es sich auch um viel mehr Betroffene als bei den Polizeien. Denn um etwa zu ermitteln, ob ein „Gefährder“ seinen Wohnort oder die Bundesrepublik verlässt, reicht es aus, wenn das BfV eine stündliche oder tägliche „Stille SMS“ versendet.
Eben weil sich aus den halbjährlichen Statistiken Trends ablesen lassen, hat das Bundesinnenministerium die Zahlen für das BfV mittlerweile als geheim eingestuft. Zur Begründung heißt es, die Informationen seien besonders schutzbedürftig, da sich „durch die regelmäßige halbjährliche Beantwortung […] Einzelinformationen zu einem umfassenden Lagebild verdichten können“.
Quellen (für den Bund):
- 1. Halbjahr 2014
- 2. Halbjahr 2014
- 1. Halbjahr 2015
- 2. Halbjahr 2015
- 1. Halbjahr 2016
- 2. Halbjahr 2016
- 1. Halbjahr 2017
- 2. Halbjahr 2017
- 1. Halbjahr 2018
- 2. Halbjahr 2018
- 1. Halbjahr 2019
- 2. Halbjahr 2019
Danke für den Artikel.
Ich musste erst nachschlagen, was eigentlich genau die „Bundespolizei“ ist und was sie darf.
Vielleicht wäre, wenn ich das richtig sehe, der Punkt Schleierfahndung als reguläre anlass- und ereignislose „Grenz-Aufklärungsarbeit im gesamten Bundesgebiet“ darin einen eigene Betrachtung wert?
Danke, dass ihr auf diese Weise Transparenz über die Abfragen herstellt (oder es zumindest versucht, wenn die Daten vorliegen).
Im Sinne dieser Transparenz rege ich an, die Farben im Diagramm etwas kontrastreicher zu wählen und ggf. auf den Farbwechsel zu verzichten (bzw. statt eines Farbwechsels die jeweils nicht gewählten Balken auszugrauen?). Mich hat dieser Farbwechsel eine Weile irritiert, und die Farben waren für mich deshalb nicht auf Anhieb zu unterscheiden. Ich kann mir vorstellen, dass es Menschen mit Rot-Grün-Schwäche nicht unbedingt leichter fällt als mir.