Nicht erst seit den Anschlägen in Brüssel fordert Innenminister Thomas de Maizière eine Verknüpfung der nationalen Datenbanken der europäischen Polizeibehörden und Geheimdienste. Die Abgeordneten des Bundestages hat sein Ministerium trotz expliziter Nachfrage aber in der Vergangenheit über die Bestrebungen im Dunkeln gelassen.
Informationsaustausch im Mittelpunkt
Im Mittelpunkt der sicherheitspolitischen Diskussion steht seit Brüssel die Forderung nach einer besseren Zusammenarbeit der verschiedenen europäischen Polizeibehörden und Geheimdienste. Fundamental dafür sei ein Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, sagte Innenminister Thomas de Maizière am Abend der Anschläge bei ZDF und ARD. Er wirbt für eine Verknüpfung der bislang getrennten „Datentöpfe“. Im Interview mit den ARD-Tagesthemen sagte er:
Wir brauchen eine Verbindung von den getrennten Datentöpfen, die wir haben, im Visumsbereich, Schengenbereich, im klassischen Sicherheits- und Fahndungsbereich, Fluggastdaten.
Im ZDF präzisiert de Maizière seine Forderungen:
Es kann nicht sein, dass Datensilos Vorbeugung verhindern. Das sage ich nicht erst seit heute, sondern bereits seit einigen Wochen. Bittererweise habe ich bereits kurz vor diesen Anschlägen eine entsprechende Initiative nach Brüssel geschickt. Das wird jetzt umso dringlicher.
Bislang sei die Verknüpfung der Datenbanken am europäischen Recht gescheitert, speziell an den erheblichen Datenschutzbedenken. „Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten und darüber hinaus, und wir sind in Krisenzeiten, hat die Sicherheit Vorrang“, fuhr de Maizière fort. Für diese polemische Kritik am vermeintlich überbordenden Datenschutz bekam de Maizière viel Kritik, auch auf netzpolitik.org.
Weiter führte de Maizière aus, dass man ihn nicht von der Notwendigkeit eines europäischen Informationsaustauschs überzeugen müsse. Das glauben wir ihm auch, denn oft gefordert hat er es ja schon, wie Falk Steiner im Blog des Deutschlandfunks aufzeigt: „Ist es ein Murmeltier? Nein, es ist ein Minister“.
Aussagen des Innenministers widersprechen sich
Vor wenigen Wochen haben wir über eine Anfrage des Abgeordneten Alexander Neu an die Bundesregierung berichtet. Es ging um die Pläne für einen verstärkten Informationsaustausch. Ist die Bundesregierung an den laufenden Planungen beteiligt? Ist sie vielleicht sogar ganz vorne mit dabei, wie es die Äußerungen von de Maizière vermuten lassen?
Die überraschend passive Antwort (pdf) von Staatssekretärin Emily Haber: Man nehme von solchen Plänen Kenntnis. Das klingt schon deutlich abgeschwächter und bleibt weit hinter den wiederholten Äußerungen von de Maizière zurück. In der Öffentlichkeit ruft der Innenminister laut nach dem Informationsaustausch und arbeitet nach eigener Aussage auf europäischer Ebene darauf hin, aber gegenüber den Abgeordneten des Bundestages wird die eigene Rolle heruntergespielt. Da heißt es, man habe von solchen Plänen gehört und würde gegebenenfalls reagieren, statt klarzustellen, dass die Bundesregierung aktiv an der Verknüpfung der so genannten „Datentöpfe“ mitarbeitet.
Entweder möchte also de Maizière nur den Anschein erwecken für eine stärkere Zusammenarbeit der Behörden einzutreten oder die Abgeordneten des Bundestages werden bewusst belogen. Fest steht: Mal wieder ist etwas faul im Hause de Maizière. Was genau, wird sich in nächster Zeit zeigen.
Heute treffen sich die EU-Innenminister in Brüssel, um über einen engeren Informationsaustausch unter den Sicherheitsbehörden der EU-Staaten zu beraten. Es bleibt abzuwarten, ob die Abgeordneten in Zukunft besser informiert werden über die Pläne der Bundesregierung.
Es kann nicht sein, dass Vorbeugung Datensilos verhindert.
Kann man denn unseren Innenminister noch ernst nehmen?
Klar, dass jetzt die Sicherheitsfanatiker wieder aus ihren Löchern kommen. Was mich stört, ist die Einseitigkeit, die „Sicherheit um jeden Preis“-Forderung. Wir benötigen insbesondere einen länderübergreifenden Codex für die Datensammlungen sowohl der staatlichen Sicherheitsorgane als auch der IT-Konzerne. Dieser sollte verbindliche Rahmenbedingungen festlegen insbesondere zum Ausbalancieren des informationellen Selbstbestimmungsrechts mit sicherheitsrelevanten und/oder kommerziellen Interessen. Es müssen endlich transparente und verbindliche gesetzliche Regeln beschlossen und moralische Regeln durchgesetzt werden, die den Menschen- und Freiheitsrechten wieder absoluten Vorrang einräumen und den sicherheitsbedingten Maßnahmen enge, richterlich und parlamentarisch überwachte Grenzen setzt. Bei der Ausarbeitung sollten – anders als zum Beispiel beim Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) – alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen transparent eingebunden werden. Nur so schafft man die nötige Akzeptanz.
Aber auf diesem Gebiet haben sich bisher weder De Maizière noch das zuständige Bundeskanzleramt profiliert, im Gegenteil!
Eine aktuelle, ausgewogene und umfassende Gesamtbetrachtung zu der aus dem NSA-Skandal resultierenden Problematik findet sich unter:
http://www.cio.de/a/hatte-orwell-mit-big-brother-doch-recht,3100603
Und im übrigen: Wer verhindert denn die nachhaltige Durchsetzung geltenden Rechts mit angemessen ausgestatteten Vollzugs- und Justizorganen? Wer hat denn jahrelang Polizei-und Justizorgane zurückgefahren? Wer kündigt denn immer nur eine bessere Vernetzung insbesondere der Sicherheitsbehörden an, sorgt aber offensichtlich nicht für eine zeitnahe Umsetzung? Rufe nach noch schärferen Gesetzen und insbesondere das Ausspielen von Bürgerrechten gegen vorgeblich übergeordnete Sicherheitsinteressen helfen solange nicht weiter, wie deren Durchsetzung nicht garantiert werden kann.
WDR: Bundesinnenminister ist „Herr seiner eigenen Worte“. Kritik: Fehlanzeige! Snowden spielt keine Rolle mehr! 180° Wende des WDR? Oder nur schlechte Moderatoren?
Die entscheidende Frage ist doch: Wird durch den geplanten Informationsaustausch das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten über den Umweg EU unterlaufen.
Dichter (Politiker) und Denker (Juristen) arbeiten nicht erst seit gestern daran, dass die Trennung nur noch auf dem Papier für die Glaubensgemeinschaft geboten wird.
Es müssen endlich transparente und verbindliche gesetzliche Regeln beschlossen und moralische Regeln durchgesetzt werden, die den Menschen- und Freiheitsrechten wieder absoluten Vorrang einräumen und den sicherheitsbedingten Maßnahmen enge, richterlich und parlamentarisch überwachte Grenzen setzt. Bei der Ausarbeitung sollten – anders als zum Beispiel beim Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) – alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen transparent eingebunden werden