Digital Networks ActDieses Internet der Zukunft wünschen sich die mächtigen Telekom-Konzerne

Der für Ende des Jahres geplante Digital Networks Act wird kaum eine Ecke des Internet-Ökosystems unangetastet lassen. Zur Vorbereitung des Gesetzes hat die EU-Kommission die Öffentlichkeit nach ihrer Meinung gefragt. Wir haben uns angesehen, was auf der Wunschliste der großen Ex-Monopolisten steht.

Die Logos von Orange, Telefonica und Telekom
Große europäische Netzbetreiber wollen von der EU-Kommission ein für sie maßgeschneidertes, dereguliertes Internet. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Bild: IMAGO / Sven Simon, Bearbeitung: netzpolitik.org

Mit dem geplanten Digital Networks Act (DNA) hat sich die EU-Kommission viel vorgenommen: Das für Ende des Jahres angekündigte Gesetz soll den Ausbau moderner Infrastruktur beschleunigen, den Bürokratieaufwand für Netzbetreiber senken und womöglich einen gemeinsamen europäischen Markt für Telekommunikation schaffen.

Wie die EU diese ambitionierten Ziele im Detail erreichen will, ist noch nicht geklärt. Zumindest die grobe Richtung hat die Kommission aber schon vorgegeben: In von der EU in Auftrag gegebenen Berichten warben ehemalige europäische Spitzenpolitiker wie Enrico Letta oder Mario Draghi für Deregulierung, Konsolidierung und generell mehr Markt. Auch ein ähnlich gelagertes, vom inzwischen aus der Kommission ausgeschiedenen Thierry Breton auf den Weg gebrachtes Weißbuch soll ausdrücklich als Inspiration für den DNA herhalten.

EU-Kommission könnte Paradigmenwechsel anstoßen

Über den Sommer hat die Kommission eine Konsultation durchgeführt und die Öffentlichkeit um ihre Meinung zu den bislang nur grob skizzierten Vorschlägen gebeten. Zur Debatte hat sie dabei einige Eckpfeiler bisheriger Regulierungspolitik gestellt: So etwa die Regeln für die Netzneutralität und die bislang national durchgeführte Vergabe von Mobilfunkfrequenzen. Auch die die Verpflichtung für große Ex-Monopolisten wie die Telekom, zu geregelten Bedingungen Wettbewerber in ihre Netze zu lassen, steht auf dem Prüfstand.

Zugleich richtet die EU-Kommission den Blick in die Zukunft. Nicht ganz so blumig wie Bretons Weißbuch sieht sie dennoch ein weiteres Zusammenwachsen von Netzen und darauf laufender Anwendungen vor sich, sodass ein eng verzahntes „Konnektivitätsökosystem“ aus Leitungen, Rechenzentren und beispielsweise KI-Chatbots oder smarten Toastern entsteht. Dass dies auf sogenannte vertikale Integration hinausläuft, bei der letztlich vieles aus der Hand eines einzigen Unternehmens kommt, streitet die Kommission zwar als Zielvorgabe ab, wünscht sich aber zumindest eine erleichterte Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Akteuren.

Kurzum: Es gibt kaum ein Eck des Internet-Ökosystems, das nicht potenziell vom DNA angetastet wird. Entsprechend vielfältig war die Beteiligung an der EU-Konsultation, darunter große wie kleine Netzbetreiber, Verbraucherschutzorganisationen, Inhalteanbieter oder Hardwarehersteller. In einem ersten Schritt haben wir uns die verfügbaren Stellungnahmen der großen Ex-Monopolisten aus Deutschland (Telekom Deutschland), Spanien (Telefónica) und Frankreich (Orange) angesehen und ausgewertet. Gleich vorweg: Ihre Sicht ist in weiten Teilen deckungsgleich.

Es geht um handfeste Interessen auf einem milliardenschweren Markt: Dem Branchenverband Bitkom zufolge wurden in diesem allein in Deutschland 2024 insgesamt fast 226 Milliarden Euro umgesetzt. Auf der anderen Seite steht der Investitionsbedarf, der laut Kommission notwendig ist, nur um die selbst gesteckten Ausbauziele zu erreichen. Mindestens 150 Milliarden Euro seien EU-weit erforderlich, um eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und 5G-Mobilfunk bis zum Ende des Jahrzehnts zu schaffen.

Schielen auf den Aktienmarkt

Mit ihren Deregulierungsfantasien läuft die EU-Kommission bei ehemaligen und bislang stark regulierten Monopolisten naturgemäß offene Türen ein. Seit ihrer (Teil-) Privatisierung hat die sogenannte Vorab-Regulierung ihre Marktmacht zwar gedämpft, große und inzwischen börsennotierte Unternehmen mit ganz eigenen Bedürfnissen sind sie aber dennoch geblieben.

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Das lässt sich nicht zuletzt an ihrer Prioritätensetzung ablesen. Die unterscheidet sich merklich von kleineren Betreibern: So lenkt die Telekom Deutschland in ihrer Stellungnahme zum DNA den Blick zunächst auf die Aktien- und Kapitalmärkte. Trotz steigender Nachfrage nach ihren Produkten, eingebettet in eine insgesamt wachsende EU-Wirtschaft, habe sich die Marktkapitalisierung der fünf größten europäischen Netzbetreiber seit 2016 mehr als halbiert, genauso wie die Kapitalrendite gefallen sei.

Damit blieben die Erträge unter den Erwartungen der Investor:innen, die laut Telekom „weitgehend“ das Vertrauen in die Branche verloren hätten. Problematisch sei zudem, dass Netzbetreiber in der EU im Verhältnis zum Umsatz mehr als Betreiber in vergleichbaren Industrienationen investieren würden, während etwa in den USA doppelt so viel pro Kopf fließen würde. Zusammen mit wachsenden Schulden schränke das ihre Möglichkeiten ein, sich frisches Kapital zu besorgen, das sie für „Innovation und Investment“ brauche, warnt die Telekom.

Große Betreiber wollen Vorab-Regulierung beenden

Neben diesem Schlüsselargument wirbt die Telekom, gemeinsam mit Telefónica und Orange, erwartbar für die Abschaffung der Vorab-Regulierung. Stattdessen soll normales Wettbewerbsrecht, das nur nachträglich auf Fehlentwicklungen reagieren kann, zum Standard-Regulierungsansatz werden, begleitet vom im Vorjahr verabschiedeten Gigabit Infrastructure Act. Zudem sollten möglichst viele sektorspezifische Regeln fallen, etwa durch harmonisierte, horizontale Vorschriften für Verbraucherschutz, die obendrein von EU-Ländern nicht verschärft werden dürften.

Umgekehrt brauche es jedoch kein harmonisiertes EU-Zugangsprodukt, so die Konzerne. Damit sind Spezifikationen gemeint, mit denen sich Wettbewerber in die Infrastruktur der regulierten Ex-Monopolisten einklinken können. Für Universaldienstverpflichtungen sehen sie keinen Platz mehr, sie sollten komplett entfallen. Darüber hinaus drängen Telefónica und Orange darauf, die ePrivacy-Richtlinie ebenfalls ersatzlos zu streichen. In unterschiedlicher Intensität werben die Betreiber zudem dafür, die Roaming-Regeln zu lockern.

Während es die Telekom beim Wunsch nach drastisch reduzierten Transparenz- und Berichtspflichten in dem Bereich belässt, sieht Telefónica keinen Anlass mehr für regulierte Roaming-Preise und für Anrufe innerhalb der EU. So hätte der Markt dieses Problem gelöst, außerdem gebe es ja sogenannte OTTs (Over-The-Top-Anbieter), mit denen sich kostenlos kommunizieren lasse, schreibt Telefónica. Freilich hat nicht der Markt, sondern erst EU-Regulierung das Problem der horrend hohen Gebühren für EU-Auslandstelefonie beseitigt.

Netzneutralität aufschnüren

Genau von diesen OTTs wollen Telko-Riesen jedoch Geld und drängen in diesem Punkt dann doch auf mehr Regulierung: Sie wollen garantierte Entgelte von Inhalteanbietern, die ihre Leitungen zu Endkunden nutzen. Dabei treibt die Telekom laut ihrer Stellungnahme die Angst vor dem Ende des offenen Internets um: Große Inhalteanbieter würde mittlerweile den Löwenanteil des Datenverkehrs verursachen, „was einen signifikanten Wandel von einem offenen, dezentralen und nutzerzentrierten Internet zu einem hochkonzentrierten Content-Delivery-Netzwerk für große kommerzielle Inhalteanbieter markiert“, schreibt sie.

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Außerdem würden für traditionelle Telekommunikationsanbieter spezifische Auflagen gelten, an die sich die neuen Platzhirsche wie WhatsApp nicht halten müssten, so die Telekom – etwa die EU-Regeln zur Netzneutralität. Zur Erinnerung: Die wurden ursprünglich auch deshalb in die Welt gesetzt, damit Netzbetreiber mit beispielsweise Aufpreisen für Skype-Telefonie oder Messenger- und SMS-Nachrichten neuen Internetdiensten nicht Steine in den Weg legen und Innovation verhindern können.

Da solche OTTs inzwischen auf den gleichen Märkten aktiv seien, wäre der bisherige Ansatz unfair und müsse beendet werden: „Diese regulatorische Asymmetrie sollte angegangen werden“, fordert die Telekom. Ähnlich argumentiert das französische Unternehmen Orange, das sogar Hersteller von Betriebssystemen in die Pflicht nehmen will. Schließlich hätten auch sie „Auswirkungen auf die Servicequalität und das Benutzererlebnis“, heißt es in der Stellungnahme.

Aufgewärmte „Fair Share“-Debatte

Mindestens brauche es einen neuen Mechanismus, mit dem sich Auseinandersetzungen rund um Zusammenschaltungsentgelte zwischen Netzbetreibern und Inhalteanbietern „effizient“ beilegen lassen sollen. Dieser soll nach dem Wunsch der Konzerne bei einer ungenannt gebliebenen Behörde angesiedelt werden – offenbar an Gerichten vorbei, die solche bisher seltenen Streitigkeiten aufgelöst haben. Damit wärmen die Großbetreiber die sogenannte „Fair Share“-Debatte wieder auf, die eigentlich vor Jahren unrühmlich in der Versenkung verschwunden war.

An der Netzneutralität knabbern wollen große Netzbetreiber auch an anderer Stelle. Die im 5G-Mobilfunkprotokoll eingebauten „Network Slices“ sollen von ihnen lang ersehnte, bezahlte Überholspuren endlich möglich machen. Mit der Slicing-Technik lässt sich das Internet in voneinander abgeschirmte Scheiben mit unterschiedlichen Qualitätsparametern schneiden und vermarkten. Im schlimmsten Fall wäre dies ein Todesstoß für die Netzneutralität.

Möglich sind solche „Spezialdienste“ heute schon, aber unter Auflagen: Sie müssen objektiv notwendig sein, dürfen normale Zugangsprodukte nicht ersetzen und können nicht zu Lasten des offenen Internets gehen. Dies sei nicht mehr zeitgemäß, behaupten die drei Betreiber. Mindestens müsse es klare Vorgaben für erlaubte Spezialdienste geben, die über die heute geltenden und durchaus detaillierten Regeln hinausgehen, fordern sie.

Den Mobilfunkbereich wollen die drei Betreiber ohnehin möglichst nur für sich selbst reklamieren. So sollten die Nutzungsrechte für Frequenzen drastisch verlängert werden, in den Raum stellen sie 40 Jahre bis unendlich lange. Zudem wollen sie über den umkämpften oberen 6-Gigahertz-Bereich alleine verfügen, anstatt ihn mit WLAN zu teilen.

Alles in allem lesen sich die Wünsche der großen drei Ex-Monopolisten wie ein Programm, das sie wieder zu alter Größe und nahezu monopolistischer Macht führen soll – nur diesmal in privater und nicht mehr staatlicher Hand. Ganz anders sehen das kleinere Anbieter, über deren Einreichungen zur Konsultation wir im nächsten Artikel berichten werden.

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10 Ergänzungen

  1. Alles in allem eine unbefriedigende Situation. Die Netzbetreiber sollten anlaog den Stromnetzen verpflichtet werden allen Anbietern ihre Netze zur Verfügung zu stellen. Was nützt mir ein GF Anschluß mit einem Betreiber, der nur technischen Schwachsinn darauf anbietet. Was soll Gigabit Glasfaser mit Provider NAT und ohne eigenes IPv6 Prefix geschweige denn öffentliche IPv4 Adresse? Ich werde die Faser zwar zwecks Investition in die Immobilie legenb lassen, aber einen Providervertrag wird es unter diesen Bedingungen niemals geben. Das bekomme ich vom Mobilfunkanbieter günstiger.

    1. Ipv6 existiert mein halbes Leben und länger. Da würde ich mal sagen der Provider der mit moderner Technik später kam und wenig bis kein v4 mehr abbekam ist nicht schuldig.
      Wenn scheitert es an Altbekannten Anbietern die ihre Technik immer noch nicht auf moderne Standards angehoben haben.

    2. > Die Netzbetreiber sollten anlaog den Stromnetzen verpflichtet werden allen Anbietern ihre Netze zur Verfügung zu stellen.

      Dann wird keiner von denen mehr ausbauen wollen wenn er danach mit den neuen Leitungen nicht zuerst selbst den Reibach machen kann. Das könnte bestenfalls mit einer Schonfrist gehen, aber ich wette dann schummeln sie wieder von wegen „hat sich noch nicht amortisiert“.
      Die Betreiber schreien doch sowieso oft genug der Staat solle Helfen, sprich Bezahlen.

      Vielleicht wäre es doch besser wenn man es gleich zu 100% Umdreht. Alle Infrastruktur kauft der Staat ihnen ab und muß sie dann auch Warten und Upgraden – inkl. der Überwachungstechnik die er sonst bei Provider A bis Z deponiert. Dann sind alle gleichberechtigte Nutzer und DER KUNDE trifft die Auswahl! Wie man hört geht das in (einem) Skandinavischen Ländern/Land so.

  2. „Zur Vorbereitung des Gesetzes hat die EU-Kommission die Öffentlichkeit nach ihrer Meinung gefragt“

    Kann mich nicht erinnern, dass hierzu die EU kund machte.

    1. Das ist wie mit Themenabdeckung in einem fiktiven Radioprogramm – „Wir haben über alles berichtet.“
      – 6 Stunden Werbung
      – 8 Stunden Belletristik und Lückenfüller.
      – 10 Stunden gekämmtes und eingerahmtes Programm. Dazu Geschnetzeltes.
      – 8 Sekunden Meldung vorgelesen.

      Auf der Webpräsenz muss man nach dem genauen Titel inklusive Interpunktion suchen, um das Thema zu finden.

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