Das Europäische Parlament hat gestern entschieden, Lobbyist:innen von Amazon ihre Zugänge zu entziehen. Damit kommen die Vertreter:innen des Handelsriesens nicht mehr einfach in die Gebäude des Parlaments. Abgeordnete können sich trotzdem weiter mit Lobbyist:innen treffen, bloß nicht so leicht innerhalb ihrer Arbeitsräume.
Die Entscheidung haben gestern die Abgeordneten getroffen, die für die Selbstverwaltung des Parlaments zuständig sind, die sogenannten Quästoren. Die Regeln des Parlaments erlauben es, Zugänge zu entziehen, wenn eine Person ohne ausreichende Begründung einer Ladung vor einen Ausschuss nicht nachgekommen ist.
Die Quästoren reagierten damit auf eine Forderung des Beschäftigungsausschusses. Der fühlte sich von Amazon wiederholt vor den Kopf gestoßen: Im Dezember wollten die Abgeordneten Warenhäuser des Unternehmens im Weihnachtsgeschäft besichtigen, im Januar sollte dann eine Amazon-Vertreter:in dem Ausschuss Rede und Antwort über Arbeitsbedingungen stehen. Den ersten Termin sagte Amazon ab, der zweite fand ohne eine Vertreter:in des Unternehmens statt.
Der Ausschuss schickte daraufhin einen Brief an Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Den Brief veröffentlichen wir wie gewohnt im Volltext. „Indem es sich einem offenen Austausch mit dem Europäischen Parlament verweigert, zeigt Amazon nicht nur fehlenden Respekt für unsere Institution, sondern behindert auch einen demokratischen Aufsichtsprozess“, heißt es in dem Brief. Die Zugänge sollten deshalb entzogen werden, bis Amazon gezeigt habe, dass es zu einem wirklichen Austausch bereit sei.
„Wenn sie dem Parlament den Mittelfinger zeigen, warum sollten wir sie dann auf unserem Territorium willkommen heißen?“, sagte gestern Agnes Jongerius, sozialdemokratische Abgeordnete und Mitglied im Beschäftigungsausschuss.
Beschwerde wegen fehlender Lobby-Transparenz
Einen weiteren Brief erhielt Metsola von einer Gruppe aus Zivilgesellschaft und Gewerkschaften. Auch diese Organisationen gingen auf die nicht zustande gekommenen Treffen zwischen Amazon und Abgeordneten ein: „Wenn man die Größe von Amazon und die Ressourcen und Präsenz in Betracht zieht, die es hat, dann ist das eine gewollte Behinderung der demokratischen Kontrolle der Aktivitäten dieses Unternehmens“, schreiben die Organisationen.
Sie kritisierten auch den Umgang von Amazon mit den Transparenzregeln der EU. Wer in der EU Lobbyarbeit macht, muss sich in das Transparenzregister der EU eintragen – mit Angaben dazu, wie viel man für Lobbyarbeit ausgibt und wie viele Mitarbeitende man dafür beschäftigt. Hier beklagen die Organisationen, dass Amazon beide Zahlen zu niedrig angegeben habe. Außerdem habe es Mitgliedschaften bei einigen Thinktanks nicht gemeldet.
Laut seinem Eintrag im Transparenzregister beschäftigt Amazon elf Lobby-Mitarbeiter:innen in Vollzeit. Dazu kommen laut dem Eintrag noch „einige“ Mitarbeiter:innen, die sich für einzelne Projekte mit den EU-Institutionen treffen. Für extern angeheuerte PR-Agenturen gibt Amazon laut seinem Eintrag zwischen 2,1 und 2,9 Millionen Euro aus, insgesamt betrugen die Ausgaben für Lobbyarbeit in der EU im Jahr 2022 bis zu drei Millionen Euro.
Diese Zahl betrage eigentlich bis zu 3,7 Millionen Euro, meint dagegen das Corporate Europe Observatory. Die NGO rechnet in ihrer Beschwerde vor, dass Amazon neben den Ausgaben für PR-Firmen auch noch diverse Thinktanks mit 900.000 Euro unterstützt haben soll. Außerdem müsse das Unternehmen jährlich rund eine Viertelmillion Euro an Miete für sein Büro in Brüssel zahlen. Mit durchschnittlichen Löhnen würden dazu noch 400.000 Euro Gehälter für seine Vollzeitbeschäftigten kommen.
Lob aus der Zivilgesellschaft
Die zivilgesellschaftliche Gruppe begrüßte in einem Statement, dass das Parlament die Zugänge von Amazon entzogen hat. „Amazons absolute Missachtung der demokratischen Kontrolle seines ausbeuterischen Geschäftsmodells wird nicht toleriert werden“, sagte Bram Vranken vom Corporate Europe Observatory. Er rief alle Abgeordneten auf, sich nicht mehr mit Lobbyist:innen von Amazon zu treffen.
Margarida Silva, Forscherin beim Zentrum für Forschung zu multinationalen Unternehmen, stimmte dem zu. „Mit der heutigen Entscheidung setzt sich das Europäische Parlament für die demokratische Überwachung der Macht von Unternehmen ein“, sagte sie gestern Abend zu netzpolitik.org. „Mitglieder des Europäischen Parlaments und ihre Mitarbeitenden müssen jetzt sicherstellen, dass sie keine Seitentür für Amazon-Lobbyist:innen öffnen, und die EU-Institutionen müssen ihre Überwachung von EU-Lobbyaktivitäten verstärken.“
Amazon streitet ab
Amazon reagierte mit einem eigenen Statement auf die Entscheidung. Darin schreibt das Unternehmen, man habe eine starke Geschichte der Kooperation mit dem Parlament. „Wir sind enttäuscht – trotz wiederholter Versuche, konstruktiv mit den Mitgliedern des Beschäftigungsausschusses in Kontakt zu treten – dass die Entscheidung getroffen wurde, die Zugangsausweise von Amazon-Mitarbeitenden zum Europäischen Parlament einzuziehen“, schreibt das Unternehmen.
Man habe wiederholt an Aktivitäten des Parlaments etwa zum Digital Services Act oder an europäischen Aktionen gegen gefälschte Produkte teilgenommen, so das Statement. Man stimme auch dem Ausschuss zu, dass Standards für eine moderne, sichere und saubere Arbeitsumgebung wichtig seien. „Wir glauben aber auch, dass es wichtig ist, neben einzelnen Unternehmen den gesamten Industriesektor zu untersuchen, und Sitzungen zu halten, die dafür konzipiert sind, Fakten zu verstehen, und nicht nur politische Punkte zu erzielen.“
Es sei nicht richtig, dass Amazon die Besichtigung im Dezember abgesagt habe. Die Termine direkt vor Weihnachten seien wegen des Weihnachtsgeschäfts nicht machbar gewesen. Man habe aber seitdem schon neue Einladungen für andere Termine ausgesprochen. „Wir sind weiterhin bereit, den Ausschuss in unseren Einrichtungen willkommen zu heißen, ob in Deutschland, Polen oder an einem anderen Ort in der EU, wenn er die Einladung annimmt“, schreibt Amazon.
Committee on Employment and Social Affairs
The Chair
D (2024)
MC/an
Ms Roberta METSOLA
President of the European Parliament
SPAAK 09B011
Brussels
Subject: Request to withdraw access badges to the premises of the European Parliament for registered Amazon’s interest representatives
Dear President,
On behalf of the EMPL Coordinators, in accordance with the Parliament’s Rules of Procedure and established precedent, and in light of Amazon’s repeated refusal to attend EMPL hearings, we would like to request that appropriate measures be put in place to withdraw access badges to the European Parliament’s premises for registered Amazon’s interest representatives.
The initial refusal of Amazon to participate in EMPL hearings took place on May 20, 2021. Specifically, they abstained from attending the hearing addressing „Amazon attacks on fundamental workers‘ rights and freedoms: freedom of assembly and association, and the right to collective bargain and action,“ scheduled for May 27, 2021. The purpose of this session was to scrutinize and gain a better understanding of media-revealed reports suggesting potential monitoring of Amazon’s workers, along with other business and workplace practices, which might have been in breach of European labour, data and privacy laws.
The EMPL Committee extended an invitation to Jeff Bezos, CEO of Amazon, requesting him to present the company’s views and clarifications on the discussed issues. Regrettably, Mr. Bezos declined the invitation. Instead of dispatching a senior leadership substitute for the CEO, Amazon suggested addressing Members‘ inquiries in written form after the hearing. Furthermore, the company expressed interest in hosting a visit for the EMPL Committee to one of its sites once travel restrictions are lifted.
The second instance of Amazon’s leadership avoiding engagement with our Committee was raised in my previous letter from 8 November 2023, in which I informed you about the cancellation of the Committee on Employment and Social Affairs‘ mission to the Amazon facilities in Germany and Poland. This mission, originally scheduled for 18 – 20 December 2023, as part of our Committee’s programme for that semester, aimed to provide Committee Members with first-hand insights into working conditions at Amazon, foster discussions with workers and their representatives, and engage with local labour authorities to enhance our understanding of employment practices within Amazon facilities. As previously mentioned, despite an initial willingness from Amazon to host the delegation, the company later communicated its inability to facilitate the visit as planned.
On the third instance, Amazon representatives declined to participate in the exchange of views on “Working conditions in Amazon warehouses” held by the EMPL Committee on 23 January this year. Once again, invitations were extended to Amazon representatives and worker representatives. Despite providing ample notice and necessary means for remote participation, Amazon declined to participate, citing an excuse of short notice (Amazon’s reply letter in the annex). Notably, three guest speakers representing trade unions active in Amazon warehouses in Germany and Poland connected remotely, providing stark testimonies on the challenging conditions faced by Amazon workers. These testimonies only amplified EMPL Members’ concerns.
The debate revealed allegations of Amazon’s breach of fundamental rights of assembly, association, collective bargaining and action as well as fair and just working conditions. Company’s use of algorithms for productivity evaluation, and increasing focus on speed of work, and pervasive surveillance resulted in certain cases in physical and mental strain on workers.
Some of these worrisome claims are supported for example by recent university study in the United States¹ or ruling by the French data protection authority² that fined Amazon for engaging in „excessive“ surveillance of its workers, deemed illegal.
The gravity of these issues demands the utmost attention from our Committee. Unfortunately, Amazon’s refusal to engage in public dialogue with lawmakers have made it impossible for EMPL Members and European citizens to gain first-hand accounts from the company’s management on these pressing questions and allegations. By refusing to engage in an open dialogue with the European Parliament, Amazon not only demonstrates disrespect for our institution but also obstructs a democratic scrutiny process.
This issue extends beyond disrespect for the European Parliament; it concerns the well-being, fundamental rights and working conditions of hundreds of thousands of Europeans working in Amazon warehouses, be they permanent employees or seasonal workers.
In light of these circumstances, the Coordinators of the EMPL Committee decided to request the withdrawal of access badges to the European Parliament premises for Amazon’s representatives. It is unreasonable for Members to be lobbied by Amazon while at the same time being deprived of the right to represent the interests of European citizens and inquire about claims of breaches of fundamental rights enshrined in EU Treaties and EU labour laws.
Consequently, we earnestly request the implementation of measures to revoke access badges to the European Parliament’s premises for registered Amazon’s interest representatives until the company’s management is willing to engage in genuine dialogue with the Parliament and address our sincere concerns.
The EMPL Committee remains steadfast in its commitment to accountability and transparency for the welfare of European workers, and we appreciate your attention to this matter.
Yours sincerely,
Dragos PÎSLARU
¹ https://cued.uic.edu/news-stories/new-report-pain-points/
² https://www.cnil.fr/fr/surveillance-des-salaries-la-cnil-sanctionne-amazon-france-logistique-dune-amende-de-32-millions
Freundlicher Hinweis auf Typos.
Im ersten Satz muss es „Europäisches Parlament“ (groß) heißen. Im sechsten Absatz „nicht zustande gekommenen“ (Silbe fehlte), im siebten Absatz „wie viel“ (getrennt) und gleich danach „angegeben habe“ (nicht „hätte“, das wäre eine andere Aussage).
Ansonsten: Gute Nachricht natürlich, wenn Riesenkonzerne mal wieder wenigstens dezent daran erinnert werden, dass sie nicht über allem stehen.
bedankt und gefixt!
Gute Entscheidung, aber
a) schwach begründet, und
b) nur Symbolpolitik. Treffen sind ja weiterhin leicht möglich.