Dies ist ein übersetzter Beitrag der französischen Digital-Rights-Organisation La Quadrature du Net zum heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes, welches die Vorratsdatenspeicherung erheblich ausweitet. Gastbeiträge geben nicht zwangsläufig die Haltung der Redaktion wider.
In seinem Urteil vom 30. April 2024 teilte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) seine Einschätzung der Rechtmäßigkeit des massiven Überwachungssystems von Hadopi. Das Urteil ist enttäuschend. Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung erheblich verwässert, was sich nicht nur auf den Fall der französischen Behörde Hadopi auswirkt.
Mit diesem neuen Urteil wird der Zugriff auf IP-Adressen nicht mehr standardmäßig als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die Möglichkeit einer Massenüberwachung des Internets zu.
Der EuGH hat den massenhaften automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt, die mit der bürgerlichen Identität und dem Inhalt einer Kommunikation verbunden sind. Dieser Zugriff kann zu Bagatellzwecken und ohne vorherige Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde erfolgen.
Wende in der Rechtsprechung
Das Urteil vom 30. April 2024 stellt eine wichtige Wende in der EU-Rechtsprechung dar. Nach einem Jahrzehnt des juristischen Kampfes, in dem sich die europäischen Regierungen bewusst dafür entschieden haben, die vielen früheren EuGH-Urteile zur Vorratsdatenspeicherung nicht zu respektieren und umzusetzen, haben die Polizeien in ganz Europa gerade den Kampf gewonnen. Mit dem heutigen Urteil räumt der EuGH ein, dass er seine Rechtsprechung irgendwann ändern wird, wenn seine Urteile nicht umgesetzt werden. Dies ist eine beunruhigende Schwächung der Autorität des Gerichtshofs angesichts des Drucks der Mitgliedstaaten.
Während der EuGH im Jahr 2020 die Auffassung vertrat, dass die Vorratsspeicherung von IP-Adressen einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte darstellte und der Zugriff auf die IP-Adressen zusammen mit der zivilen Identität des Internetnutzers nur zur Bekämpfung schwerer Straftaten oder zum Schutz der nationalen Sicherheit erfolgen durfte, trifft dies nun nicht mehr zu. Der EuGH hat seine Argumentation umgekehrt: Er ist nun der Ansicht, dass die Vorratsspeicherung von IP-Adressen standardmäßig keinen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte mehr darstellt und dass ein solcher Zugriff nur in bestimmten Fällen einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, der durch geeignete Schutzmaßnahmen abgesichert werden muss.
Im Hinblick auf unseren Fall und die Besonderheit von Hadopi in Frankreich fordert der Gerichtshof Hadopi lediglich auf, sich etwas weiterzuentwickeln. Er ist der Ansicht, dass in bestimmten „atypischen“ Situationen der Zugriff auf die IP-Adresse und die bürgerliche Identität im Zusammenhang mit urheberrechtlich geschützten Werken einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Privatsphäre darstellen kann (zum Beispiel wenn das Material Rückschlüsse auf politische Meinungen, die sexuelle Orientierung usw. zulässt); er ist auch der Ansicht, dass ein solcher Zugriff im „Wiederholungsfall“ einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, und verlangt daher, dass der Zugriff auf die IP-Adressen nicht „vollständig automatisiert“ sein darf. In allen anderen Fällen stellt der EuGH jedoch eindeutig fest, dass Hadopi massiv und automatisiert auf die bürgerlichen Identitäten von Personen zugreifen kann.
EuGH gibt Online-Anonymität auf
Mit anderen Worten: Die abgestufte Reaktion (benannt nach dem von Hadopi angewandten Verfahren, das darin besteht, mehrere Warnungen zu verschicken, bevor rechtliche Schritte eingeleitet werden, wenn der Internetnutzer seine Verbindung nicht „sichert“) wird eine andere Form annehmen müssen. Der französische Gesetzgeber wird sich einen komplizierten Mechanismus ausdenken müssen, um eine Art unabhängiger externer Kontrolle des Zugriffs auf die bürgerliche Identität durch Hadopi zu gewährleisten. Während Hadopi derzeit nicht verpflichtet ist, sich einer externen Kontrolle zu unterziehen, muss sich die Behörde nun einer solchen unterziehen, wenn sie in diesen „atypischen“ Fällen oder im Falle eines „wiederholten Verstoßes“ auf die Identität zugreifen will. Mit anderen Worten: Externe Bedienstete von Hadopi werden für das Anklicken eines „Validierungs“-Buttons verantwortlich sein, während Hadopi heute selbst die Genehmigung erteilt.
Ganz allgemein hat diese Entscheidung des EuGH vor allem das Ende der Online-Anonymität bestätigt. Während der Gerichtshof im Jahr 2020 feststellte, dass ein in der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation verankertes Recht auf Online-Anonymität existiert, gibt er es jetzt auf. Leider setzt er der Online-Anonymität ein faktisches Ende, indem er der Polizei einen umfassenden Zugang zur zivilen Identität, die mit einer IP-Adresse verbunden ist, und zum Inhalt einer Kommunikation gewährt.
Ich kann das kaum glauben! Das wars dann wohl. Willkommen in der Totalen Überwachung!
ist doch schön das wir in der EU sind. Mann kann nicht immer nur Rosinen picken. Dann muss man halt die Eu verlassen wenn es einem nicht passt oder versuchen die EU so zu gestalten wie man sie haben will.
Das ist überraschend und verwunderlich. Man könnte jetzt auch einen Zusammenhang mit dem Ende der Amtszeit von 14 EuGH-Richtern am 6. Oktober 2024 ziehen.
Wenn Mitgliedsstaaten Urteile des Europäischen Gerichtshofs kollektiv ignorieren, dann kommen sie also damit durch. Faszinierend und erschreckend wenn man bedenkt was das für Möglichkeiten eröffnet.
Der EuGH ändert sein Gesetz, weil amtierende Regierungen Teile der Gesetzgebung ignorieren.
Schuld daran sind AFD und Co ??
Bin weder Wähler noch Unterstützer dieser Partei aber fest steht das diese Partei nicht in der Lage ist daran schuld zu sein…..
Wundert das jemanden? Es interessieren sich weniger als 0,01% für Privatsphäre, Menschenrechte und Datenschutz. Letztens gab es eine Umfrage, ich habe sie nicht mehr im Kopf, aber so ungefähr: 70% aller 15-29 jährigen ist Demokratie egal.
Was bin ich froh, dass ich einen Großteil meines Lebens hinter mir habe.
Das macht alles keinen Spass. Das Land der Nazis und SS hat kein Interesse daran, dass das nicht mehr passieren darf. Schade.
Absolut beunruhigend, vorallem wenn bedenkt zu welchen Zwecken Behörden auf solche Daten zugreifen. Da werden sich die hessischen Polizeibeamten sicherlich freuen.
https://netzpolitik.org/2020/datenmissbrauch-durch-polizeibeamte-keine-einzelfaelle-nsu20-hessen/
Nun als nächstes kommt die Ende zu Ende Verschlüsselung dran, das war’s dann mit Privatsphäre bei WhatsApp.
Leicht subtile Ironie. Gefällt mir.
Ganz ehrlich: die Leute, die damals(TM) meinten, dass die Daten ausschließlich bei schweren Straftaten angegriffen werden würden, glauben wohl immer noch an den Weihnachtsmann und den Osterhasen. Als ich – als Softwareentwickler – das gelesen hatte, wusste ich sofort woher der Wind weht und wohin die Reise geht.
Ergo überrascht mich diese Entscheidung kein Stück. Man will uns gerne den Demokratiegedanken verkaufen; in Wirklichkeit unterscheiden wir uns nicht so sehr von China. Nur sind es statt der Anti-Kommunisten eben die AfD und Co., der man ja nicht angehören darf. Wird sich wohl nur noch um Monate/Jahre handeln, bis auch danach diskriminiert werden darf.
Sorry, wer sich selbst nicht hilft, indem er z.B. eigene oder gar gesharte Boxen in anderen Ländern nutzt o.ä., der wird aufgezeichnet werden. Und das wird die Mehrheit sein. Einigermaßen IT-Bewanderte werden trotzdem Mittel und Wege finden, insbesondere wenn sie etwas zu verbergen haben oder einfach keine Lust darauf haben, dass der Staat überall mitliest. Sie werden demnächst dann ansatzlos verdächtigt.
Die EU entwickelt sich zur Tyrannei Diktatur
Garantiert auf politischen Druck um jeglichen Widerstand der EU Bevölkerung zu eliminieren.
Wo beginnt und endet die Überwachung bzw wie legt der EuGH fest wo beginnt das EU Internet oder will die EU und das EuGH meine Rechte verletzen?
Weil ich lebe außerhalb ihres Geltungsbereich….
Oder reicht es schon aus das ich die Staatsangehörigkeit besitze?
„Mit dem heutigen Urteil räumt der EuGH ein, dass er seine Rechtsprechung irgendwann ändern wird, wenn seine Urteile nicht umgesetzt werden. Dies ist eine beunruhigende Schwächung der Autorität des Gerichtshofs angesichts des Drucks der Mitgliedstaaten.“
Kann mir jemand diesen Satz erklären?
Genau das ist doch gerade schon passiert. Die Staaten haben die bisherige Rechtsprechung ignoriert, dass die anlasslose Überwachung gegen Grundrechte verstößt und nun hat der EUGH seine Rechtsprechung geändert.
Soll das heißen, wenn die Mitgliedstaaten die totale Überwachung jetzt nicht einführen, wird das EUGH die Überwachung wieder verbieten?
Und der Druck der Mitgliedstaaten besteht nur darin, seine Urteile einfach nicht umzusetzen? Das bewegt den EUGH dazu, künftig einfach so zu urteilen, wie die Mitgliedsstaaten es bisher (falsch) umsetzten? Ich habe das hoffentlich komplett falsch verstanden oder irgendwas verpasst, sonst müssten alle anderen Gerichte bei Wiederholungstätern künftig auch in deren Sinne urteilen und die Täter straffrei davon kommen lassen – weil bisherige Urteile ja auch keinen Lerneffekt hatten.
Damit hat sich die Daseinsberechtigung des EUGH auch erledigt.
Ich denke, daraus kann man folgendes lernen/erkennen.
– Auf Gerichte, auch auf die höchsten, ist kein Verlass, wenn es um den Schutz von Grundrechten geht. Offensichtlich wiegen die Interessen von Konzernen/Firmen und Behörden höher.
– Die EU, die sich gerne als Hort von Werten und Demokratie feiern lässt, wird immer weiter offen autokratisch/autoritär. Wobei allen voran die Kommission, aber auch alle anderen EU-Institutionen eifrig daran mitwirken und die Mitgliedsstaaten und viele Wähler*innen dies noch legitimieren.
– Die faktische Macht von Behörden (Innenministerien, Polizeien etc.) und Konzernen (hier auch „Urheberrechts“-Verwerter), die die Ressourcen und die Geduld aufbringen können, um immer wieder Druck gegen Grundrechte und Gerichte auszuüben, bis diese nachgeben oder weiter entgegenkommen, zeigt ein erhebliches Ungleichgewicht auf. Denn den Bürger*innen/Einwohner*innen stehen diese Mittel nicht zur Verfügung. Daher ist kaum von einer strukturell vorhandenen, funktionalen Demokratie in der EU und ihren Mitgliedsstaaten zu sprechen.
– Die Technologien (Internet, Digitalisierung) werden von Politik und Justiz fast auf der ganzen Welt, allen voran auch in der EU, aktiv als Instrumenten der Kontrolle und Repression genutzt oder dazu umgebaut. Dies verschärft die Machtzentrierung und das Ungleichgewicht immer weiter, was es in Folge für die einfachen Menschen immer schwieriger macht, gegen diese Entwicklungen vorzugehen (denn welche Handlungsmacht besteht noch, wenn Meinungen gefiltert, Demonstrationen verboten und jedes Handeln überwacht wird und zu Nachteilen führen kann?)
Zwischenfazit: Die EU entwickelt sich nicht zu einer Dystopie sondern ist bereits eine und das Fenster, dies zu ändern, schließt sich immer schneller.
Daraus kann man vor allem lernen, dass einen Gerichte nicht retten, wenn man konsequent buergerrechtsfeindliche Mehrheiten waehlt. Wie Martin Sonneborn schon erster Hand feststellen konnte: die EU funktioniert, die Waehler wollen mehrheitlich die Ergebnisse, sonst wuerden sie anders waehlen. Alles andere ist Selbstbetrug, ist natuerlich bequem.
Das sollte keine Ueberraschung sein, wenn man in Geschichte oder Staatsbuergerkunde auch nur ein bisschen aufgepasst hat.
Ich halte von Sonneborn in vielen Sachen relativ viel, aber hier irrt er, würde ich sagen. Die Wahlergebnisse für das EU-Parlaments sind relativ irrelevant, da durch das strukturelle Demokratiedefizit der EU die Kommission die eigentliche Macht hat (u.A. hat die Kommission ein Initiativrecht, das „Parlament“ aber keines).
Besonders ernüchternd aber auch sehr sehr augenöffnend kam dies bei der Wahl 2019 zum Vorschein, als die EU erst noch ein öffentliches Spektakel um die Wahl von möglichen Kommissionspräsident*innen (nur drei mit Vestager, Weber, Timmermanns, aber immerhin) inszenierte, dann aber durch einen Coup zwischen Macron und osteuropäischen Rechten, von der Leyen installiert wurde, die ihrerseits ihre Kommission aus den offenbar korruptestmöglichen Kommissar*innen zusammenstellte. Mit zu den ersten Amtshandlungen von Von der Leyen zählte dann, in Brüssel Poster aufzuhängen, auf denen stand, dass sich soundsoviele Europäer*innen (das war die Zahl der damals Wahlbeteiligten an den Parlamentswahlen) für die Kommission entschieden hätten. Was natürlich Quatsch ist, aber dennoch zeigt, woraus die Kommission ihre Legitimation zu beziehen glaubt.
Die Waehler waehlen auch mehrheitlich die Regierungen der Mitgliedslaender, die Kommission und Rat stellen, und die Demokratiedefizite der EU nicht beheben.
Die Waehler bekommen, was die Waehler mehrheitlich wollen.
Was man den „Clans“ vorwirft, tun Regierungen und Behörden seit Jahren selbst: den Rechtsstaat aushebeln und unsere gemeinsamen Werte missachten. Und sie haben damit Erfolg, was einer Aufkündigung des, sagen wir, Gesellschaftsvertrages gleichkommt: Wir können nicht einmal mehr dem Verfassungsrecht trauen, nachdem schon so viele andere Institutionen zerbrochen sind. Wozu soll man in Europa leben und wirtschaften – woanders ist es viel billiger, zu immer ähnlicheren Bedingungen.
Man kann die „Werte“ dieser EU ganz direkt erkennen. Bürgerrechte gibt es nicht, alle macht den Konzernen und Polizeien. Wie weit sind wir von der Diktatur noch entfernt und was unterscheidet und noch von Schurkenstaaten? Eien zutiefst Sorge machende Entwicklung. Solange Richter nicht unabhängig sind, wird das niemals was mit Demokratie sondern bleibt nur ein Schein. Es kann doch nicht angehen, daß sich die rechtsprechung ändert, wenn die Verurteilten sich nicht daran halten. Übertragen wir das mal auf das Strafrecht, dann wird alles was bislang unter Strafe stand legel, denn die Kriminellen halten sich auch nicht daran.
Wenn ich daran denke, wie dagegen in den 2000ern und 2010ern selbst von ISP und Mailanbietern Stellung bezogen wurde und Werbung gemacht wurde, diese Daten eben nicht zu speichern und dem Gesetz vehement zu widersprechen und jetzt wird es einfach so hingenommen, ist eine Randnotiz nach der man bewusst suchen muss um sie mitzubekommen… Dann macht mich das sehr fassungslos. Wo bleibt der Aufschrei, wie Kampagnen und Petitionen netzpolitik? IP-Adresse haben mittlerweile einen noch größeren brisanteren Stellenwert als damals beim ersten Versuch, die VDS einzuführen.
Traurige Stimmungsmache hier einfach!! Keine Ahnung, wie man eine so bürgerrechtsfreundliche Institution wie den EuGH verunglimpfen kann, ohne nur ansatzweise die Kenntnisse und Fähigkeiten und den Weitblick zu haben wie die Personen, die dort tätig sind. Versteht ihr nicht, dass ihr durch so stimmungsreisende und einfach nur falsche Artikel nur den Nährboden für gewisse Parteien schafft, die gerade überhaupt keine Achtung ggü. den Grundrechten haben und nur danach handeln, was ihnen am besten nützt. Der EuGH hat hier ein sehr ausgefeiltes und extrem auf die Grundrechte der Personen bedachtes Urteil erlassen. Wem es gefällt oder nicht, das Urheberrecht ist ein Recht in unserer Gesellschaft, das – zumindest in unserer derzeitigen Gesellschaft – Schutz verdient, und mit dem das Datenschutzrecht in Einklang gebracht werden muss. Es ist doch logisch, dass es eine Möglichkeit geben muss, sein Urheberrecht auch im Netz verteidigen zu können. Der EuGH hat hier einen sinnvollen und extrem auf das Datenschutzrecht der Personen bedachten Weg aufgezeigt. Wer bessere Ideen hat, gerne her damit! Kritisieren ist leicht, Schaffen ist 1000mal schwieriger. Privatshäre und Datenschutz kann nicht über jedes andere Recht gehen. Die IP-Adresse ist das einzige, was eine Person identifizieren kann im Internet. Im echten Leben kann das ein Fingerabdruck sein, ein Zeuge, der einen sieht, eine Kamera, die einen aufnimmt, DNA, die man hinterlässt usw. Im Internet kommt einzig die IP-Adresse in Betracht (und ggbf. der Browserfingerprint). Man muss doch in einem freiheitlich-demokratischen Staat soweit sein, dass keine Straffreiheit im Netz erlaubt sein kann. Wenn die IP-Adresse zur Verfolgung der Täter für eine gewisse kurze Zeit so gespeichert wird/werden muss, dass eine Verfolgung des Surfverhaltens während dieser Zeit nicht möglich ist, dann sollte dies geschehen dürfen.
Seubaum:
1. Sie ignorieren sowohl die Komplexität des Internets als auch die Tatsache, dass es nicht nur um die IP-Adresssen geht, sondern um viele, immer weiter etablierte Maßnahmen, um ein lückenloses Bild jedes Bürgers zu bekommen. Sie dürfen das Urteil nicht isoliert, sondern müssen es im Kontext zu allen anderen Überwachungsmethoden sehen, die entweder schon existieren oder deren Einführung geplant ist, wie z. B. der sogenannten „Chatkontrolle“. Befürworten Sie eine solche?
2. Wenn es dem EuGH angeblich „nur“ um das Urheberrecht ginge, warum wurde das Urteil de facto so formuliert, dass es problemlos auf jeden beliebigen Sachverhalt übertragen werden kann?
3. Warum jetzt diese Kehrtwende des EuGH? Und das ausgerechnet vor der EU-Wahl, den Chatkontrolle-Plänen sowie der Neubesetzung durch andere Richter im Herbst?
4. Ja, strafbare Handlungen müssen verfolgt werden können. Aber NUR solche und NUR Personen, die einer konkreten strafbaren Handlung im Vorfeld verdächtig sind. Andere Personen einer stetigen Kontrolle auszusetzen nach der Prämisse „sie KÖNNTEN ja …“ ist keinesfalls mit unseren Grundrechten vereinbar! Und genau das droht mit dem Urteil.
5. Das traditionelle Urheberrecht ist, gelinde gesagt, diskussionswürdig und kann nicht ohne Weiteres auf das Internet übertragen werden. Man kann nicht einerseits das Netz als „kreative Institution“ oder Youtube u. v. m. als Plattform für neue Ideen rühmen, aber andererseits dann alle, die es sind oder sein wollen, mit einem Rechtssystem zu belegen, dass für diese Art der Kommunikation/Präsentation nicht gemacht ist. Nicht umsonst sind gegen die sogenannten „Upload-Filter“ sehr viele Kreative auf die Straße gegangen. Daher bitte ich Sie, sich mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen.
6. Wieso die Kritik am EuGH einen „Nährboden für gewisse Parteien“ schaffen soll, müssen Sie erklären.
Die Gegenfrage ist doch eher entscheidend: Welche Partei hat denn überhaupt noch Achtung gegenüber Grundrechten?
Wenn man sieht, was neben der VDS in der EU aktuell mit AI-Act, EIDAS, der Chatkontrolle und Going dark passiert und dass überwiegend Sozialdemokraten (u.a. Johansson) und Christdemokraten (u.a. von der Leyen) und einige aus anderen Parteien sich dafür stark machen, erkenne ich absolut keine Achtung gegenüber Grundrechten.
All das wird ja immer mit den gleichen Ausreden der „nationalen Sicherheit“, dem „Kinderschutz“, whatever versucht zu begründen.
Und mit der Lüge, dass man ohne VDS und ohne Umgehen von Verschlüsselung keine Täter finden könne, obwohl bis heute schon x-fach sogar bewiesen wurde, dass das schlichtweg gelogen ist.
Es ändert auch nichts an der Tatsache, dass diese Instrumentarien, wenn sie einmal etabliert sind, nicht wieder zurückgenommen, sondern auf andere Dinge ausgeweitet werden, die den Politikern nicht in den Kram passen oder wenn die Strafverfolgungsbehörden mal wieder nach Ausweitung auf Feld xy schreien.
Konnte man ja schon bei Chatkontrolle beobachten. (gab dazu mal einen netzpolitk-Artikel, finde ihn nur gerade nicht).
Und dass durch solche Maßnahmen massenhaft Leute in den Fokus von Polizei & Co kommen, die nichts mit einer Straftat zu tun haben, ist auch nicht neu.
Und deshalb sind solche Dammbrüche immer hochproblematisch.
Wenn es jetzt genauso mit der Chatkontrolle und anderen Dingen läuft, na dann gute Nacht.
Und das ist die springende Punkt:
Die Angst, dass der EUGH allgemein seinen Kampf für die Grundrechte und uns Bürger aufgegeben hat und die Überwachungsbefürworter jetzt wissen, dass sie, wenn sie die Urteile des EUGH lange genug ignorieren und bei jedem neuen Vorfall einen neuen Anlauf starten, alles bekommen, was sie wollen.
Und dass morgen Dinge für illegal erklärt werden, die heute noch legal sind.
Ich erkenne in dem Artikel weder „Verunglimpfung“ noch „Stimmungsmache“. Höchstens Zynismus nach der Definition von Ambrose Bierce. Denn er definiert einen Zyniker als ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten.“
In deinem Kommentar erkenne ich hingegen den Versuch der Desinformation mithilfe von Astroturfing, denn Massenüberwachung ist grundsätzlich niemals „bürgerfreundlich“.
> Definition von Ambrose Bierce. Denn er definiert einen Zyniker als ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten.“
Herr Bierce selbst hatte eine doch recht einseitig geprägte Wahrnehmung. Die Qualitätsanforderungen an Definitionen haben sich seither doch schon ein wenig weiter entwickelt.
Anderen Definitionen vorzusetzen, ist schon mal per se eine übergriffige Überheblichkeit, diese aber auch noch als Beleidigung zu benutzen ist ungehörig.
Herrn Bierce würde ich antworten: Ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung nur Dinge sieht, wie sie sein sollen, anstatt wie sie tatsächlich sind.
> Herrn Bierce würde ich antworten: Ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung nur Dinge sieht, wie sie sein sollen, anstatt wie sie tatsächlich sind.
Und damit würdest du Ambrose Bierce Recht geben.
> Und damit würdest du Ambrose Bierce Recht geben.
Nö. Aber du lieferst mit deiner Meinung ein Beispiel, wie sich selektive Wahrnehmung auswirkt.
Die besseren Ideen gibt es doch schon lange. Für „extrem auf das Datenschutzrecht“ bedacht halte ich das Urteil nicht gerade. Es ist ein Scheuklappenurteil.
Ich halte trotzdem die EU Kritik hier zum Teil für überzogen. Doch eigentlich ist die (Kritik), wie auch meine Meinung so irrelevant wie das Gerichtsurteil es auf die Dauer sein wird. Ein Teil der Menschen wird weiter WhatsApp und Co nutzen. Diese Leute sind „naiv“ (nicht böse gemeint – man muss sich nicht mit Allem beschäftigen!) und diese Leute sind meist „ehrlich“. Für die Behörden geben die nichts her.
Der Andere Teil wird auf Verschlüsselung und p2p setzen. Die Polizei erzwingt ein System, das sie selbst blind macht. Profitieren tun die echten Verbrecher. Denn in dem Rauschen der legal verschlüsselten Daten gehen sie einfach unter.
So schießt man sich selbst in’s Knie. Man wird die Schrauben immer weiter anziehen um genau nichts zu erreichen. Zeit und Geldverschwendung. Irgendwann wird man bemerken, warum es die Grundrechte gibt und das „Sicherheit“ vs „Freiheit“ ein Mythos ist. Sicherheit und Freiheit schließen sich nicht aus. Sie bedingen einander.
„Privatshäre und Datenschutz kann nicht über jedes andere Recht gehen.“
Nein. Aber verdachtslose Massenüberwachung zur Wahrung von Urheberrechten ist eine ganze Kanonenbatterie die auf den Spatzenschwarm anlegt! (Ja, ich weiß, die Spatzen kacken auf die Gartenstühle, also her mit der Lunte! /s)
„Die IP-Adresse ist das einzige, was eine Person identifizieren kann im Internet.“
IP-Adressen identifizieren Anschlüsse und eventuell mobile Endgeräte, keine Personen!
„Wenn die IP-Adresse zur Verfolgung der Täter für eine gewisse kurze Zeit so gespeichert wird/werden muss, dass eine Verfolgung des Surfverhaltens während dieser Zeit nicht möglich ist, dann sollte dies geschehen dürfen.“
Nö. Strafverfolgung macht man nach Begehung einer Straftat. Deswegen heißt es „Verfolgung“ und nicht „Vorsprung“. Hier wird ohne jeden Anlass schon gegen alle und jeden ermittelt, bevor etwas passiert.
„Privatshäre und Datenschutz kann nicht über jedes andere Recht gehen.“
Privatsphäre und Datenschutz sind wichtiger und schützenswerter als Abmahnkanzleien.
„Man muss doch in einem freiheitlich-demokratischen Staat soweit sein, dass keine Straffreiheit im Netz erlaubt sein kann.“
Hier ein schöner Text darüber, warum der „rechtsfreie Raum Internet“ Humbug ist:
https://www.telepolis.de/features/Verglichen-mit-dem-Netz-ist-das-Leben-ein-rechtsfreier-Raum-3381630.html
Das wird neben dem bereits gesagten wohl auch eine Menge Verwirrung hervorbringen
Siehe
https://www.golem.de/news/eugh-urteil-zu-ip-adressen-wie-die-provider-kuenftig-vorratsdaten-speichern-duerfen-2405-184919-3.html
Ermittlungen gegen Pädokriminelle o2-Kunden zeitweise überwacht
Stand: 12.09.2024 06:10 Uhr
Damit das BKA den Betreiber des pädokriminellen Forums „Boystown“ enttarnen konnte, führte der Telefónica-Konzern 2020 eine großflächige Überwachung durch. Die Rechtsgrundlage dafür ist umstritten.
Staatsanwaltschaft beantragte „IP-Catching“
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hatte die von ihr initiierte großflächige Überwachung als „IP-Catching“ bezeichnet, so der Fachbegriff. Für die Maßnahme gibt es keine explizite Rechtsgrundlage. Das zuständige Amtsgericht folgte dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit der Begründung: Auch wenn es eine „unvermeidbare Drittbetroffenheit“ unschuldiger o2-Kunden gäbe, sei die Maßnahme aufgrund der Schwere der Straftaten noch verhältnismäßig. Telefónica betonte, zur Umsetzung solcher Gerichtsbeschlüsse gesetzlich verpflichtet zu sein.
https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/telefonueberwachung-telefonica–bka-ermittlungen-paedokriminelle-100.html