Die Debatte um das sogenannte Sicherheitspaket nach dem Anschlag von Solingen hat viele bei uns im Team erschüttert. Mit Verschärfungen in der Asylpolitik und einem massiven Überwachungsausbau wollte die selbsternannte Fortschrittskoalition die Opposition rechtsaußen überholen. Das ist vorerst zwar teilweise gescheitert – aber nicht am Widerstand innerhalb der Koalition oder aus der Zivilgesellschaft, sondern an der CDU, der die Maßnahmen immer noch nicht weit genug gingen. Auch die mediale Debatte war dominiert von Forderungen nach immer noch krasseren Maßnahmen, um das „Sicherheitsgefühl“ der Menschen zu verbessern. Von evidenzbasierter Innen- und Sicherheitspolitik keine Spur.
In der neuen Folge Off The Record stellen wir uns deshalb schwere Fragen: Warum ist es der Zivilgesellschaft und uns als Medium nicht gelungen, mit unserer Kritik überhaupt nur gehört zu werden? Wie kann es sein, dass im Bundestag so schmerzlich Stimmen für Humanität und Bürgerrechte fehlen? Warum lassen Journalist:innen die Regierung mit billigen Scheinlösungen durchkommen? Und wer fragt noch nach den Folgen dieser Politik für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen?
Daniel Leisegang und Markus Reuter sprechen mit mir über eine getriebene Ampel im Endstadium, über die Verschiebung des Diskurses nach rechts und über Journalismus, der zu oft Politik- mit Sportberichterstattung verwechselt. Am Ende wagen wir einen Ausblick auf künftige politische Verhältnisse, die wahrscheinlich noch schwieriger werden. Und wir überlegen, was Zivilgesellschaft, Medien und gerade wir bei netzpolitik.org künftig anders machen müssen.
Aufgezeichnet haben wir diese Folge Anfang der Woche und dabei schon geahnt, dass die Welt eine andere sein könnte, wenn der Podcast veröffentlicht wird. Und tatsächlich: Inzwischen hat Donald Trump die US-Wahl gewonnen und in Deutschland ist die Ampel-Koalition zerbrochen. An den Lehren, die wir aus dem Diskurs um das Sicherheitspaket ziehen, ändert das wenig. Zivilgesellschaft, Freiheitsrechte und Menschenrechte werden es in Zukunft schwerer haben – nur kommt die erwartete Verschiebung der politischen Mehrheiten deutlich früher als im September 2025.
In dieser Folge: Daniel Leisegang, Markus Reuter und Ingo Dachwitz.
Produktion: Serafin Dinges.
Titelmusik: Trummerschlunk.
Hier ist die MP3 zum Download. Wie gewohnt gibt es den Podcast auch im offenen ogg-Format.
Unseren Podcast könnt ihr auf vielen Wegen hören. Der einfachste: in dem Player hier auf der Seite auf Play drücken. Ihr findet uns aber ebenso bei Apple Podcasts, Spotify und Deezer oder mit dem Podcatcher eures Vertrauens, die URL lautet dann netzpolitik.org/podcast.
Wie immer freuen wir uns über Kritik, Lob und Ideen, entweder hier in den Kommentaren oder per Mail an podcast@netzpolitik.org.
Links und Infos
- Unsere Berichterstattung zum Sicherheitspaket
- Bundestagsanhörung zum Sicherheitspaket
- taz-Artikel pro Überwachung: „Polit-Show statt echter Sicherheit“
- Spiegel-Artikel pro Vorratsdatenspeicherung: „Die Drecksarbeit sollen andere erledigen“
„Das ist vorerst zwar teilweise gescheitert – aber nicht am Widerstand innerhalb der Koalition oder aus der Zivilgesellschaft, sondern an der CDU, der die Maßnahmen immer noch nicht weit genug gingen.“
Genau sind es: CDU/CSU, BSW, AFD
Denen die Maßnahmen immer noch nicht weit genug gingen.
Eigentlich ist die Verschiebung des Diskurses und des Angebotes ein durchaus demokratisches Konstruktionsprinzip. Beim Klimawandel wäre das doch willkommen, bis auf das man immer kritische Stimmen braucht, auch bzgl. Prozessen, was dabei zu kurz kommt, ob es effizient ist, warum wir meinen mit Goldrand überleben zu können, u.ä.
VERMUTUNG: Ähnlich wie bei dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft, bedarf es auch hier dem Einziehen von Leitplanken, wie z.B. wissenschaftlicher Begleitung, begrenzter Gültigkeit von Gesetzen mit Rücknahmeautomatik bzw. Prozess, prinzipieller Gesetzesefassung durch weniger eng gefasstes Grundgesetz, zur Vermeidung von Machtkonzentration, sowie vielleicht verbot von reaktionär-rechter Werbung in Wahlkampf und Welt. Hier handelt es sich um generische Schwachstellen der Menschen, womit sich eine flächendeckende emotionale (u.ä.) Ansprache absolut verbietet, wenn man es nicht anders verarztet kriegt.
Es gibt aber wohl nicht genügend Hirn dafür, denn scheinbar alle suchen nach Wegen, Sachen und sogar Fakten „emotional“ zu vermitteln, bzw. eine emotionale Reaktion hervorzurufen. Während man sowas sich zwar gut merkt, gibt es durchaus leisere und nachhaltige Wege zu lernen, während das Setzen auf Emotion immer wieder zu prügelnden Eltern führt – „sonst merkt der sich das nicht“, „so merkt der sich das auf jeden Fall“, usw. usf. dabei merken sich die Leute langfristig vor allem das Prügeln selbst, und dessen Folgen. Stattdessen wäre im Grunde genommen Bildung, auch über den eigenen Geist, DRINGENST ANGERATEN.
> Es gibt aber wohl nicht genügend Hirn dafür, denn scheinbar alle suchen nach Wegen, Sachen und sogar Fakten „emotional“ zu vermitteln, bzw. eine emotionale Reaktion hervorzurufen.
Im Prinzip schon, aber es waren intellektuelle Hirne, die wissend und fähig damit angefangen haben Emotion als Instrument bei der Kommunikation gezielt einzusetzen.
Es liegt wohl mehr an mangelnder Verantwortung (gegenüber wem?) als an senderseitigem „genügend Hirn“. Ein intelligenter Verbrecher hat „genügend Hirn“, will aber Schaden zu eigenem Vorteil anrichten.
Ja mit „Hirn bei der Sache“, um es mal anders zu formulieren, ist auch eher gemeint, immer noch einen Schritt weiter zu denken, gleichzeitig mit reiferer Einschätzung also besserer Bewertung.
Wenn man mehr oder weniger kurzfristigen Vorteil als Rahmenbedingung setzt, stehen weder Hirn noch Thema mehr im Vordergrund.
Alternativ wäre die Resourcensicht, also wieviele gut ausgebildete Hirne man wirklich an Problemlösung beteiligt, oder ob man nur streng eingerahmte Prozesse hat, z.B. eine Abteilung dran setzt, ob der Vorschlag vom bärtigen Männchen neulich gegen irgendwelche relevanten Gesetze verstößt, die innerhalb von 5-6 Jahren eingeklagt werden könnten.
Seit mehreren halbdutzenden Jahren ärgere ich mich jedes mal, wenn in „den Medien“ heraufbeschwört wird, wie
– eine starke Führungsperson gut sein sollen, aber
– verschiedene Meinungen schlecht sein sollen.
Was außer Führer soll denn dabei herauskommen?
Woran liegt es, dass höchst toxische Persönlichkeiten in Top-Positionen gelangen können, ja geradezu hoch gespült werden können?
Diese Symptome spielen eine Rolle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Narzisstische_Pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rung#Die_Symptome_im_Einzelnen
Medien lieben „charismatische Führer“, denn sie sind gut für das Geschäft!
https://de.wikipedia.org/wiki/Charisma#Sozialwissenschaftlicher_Begriff
Ohne Medien wäre ein Donald Trump nur ein Lügner und Krimineller. Medien haben ihn zum GRÖFAZ der Postmoderne gemacht.
Doch wie steht es mit den Rezipienten des „Medienangebots“ aus? Wissen sie was sie tun, bzw. tun sie es trotzdem?
Eben, es braucht eine auseinandersetzung darüber, WIE man miteinander reden bzw. streiten kann. Ich glaube die FDP hat zwar Interessen vertreten, bei jenem Aspekt allerdings kein schönes Bild abgegeben. Hier geht es nicht um Weichzeichnung, sondern um die Kanalisierung und Systematisierung des Streits.
Beispiel USA: Es geht munter weiter! Als nächstes ist also so eine Art Fraktionszwang auf dem Teller, bzw. der Senat oder was, je nach dem, ob man eher Papier isst oder Menschen. Und das Wie hat Trump schon angedeutet. Nämlich dass er Kritiker zersägen und verfolgen will, bzw. umgekehrt, zumindest wenn man ihn danach fragt. Kann man Trumps Handlungen wirklich anhand seiner letzten Präsidentschaft vorhersagen? Gibt es da moderierende Kräfte?
„Gibt es da moderierende Kräfte?“
Nobody really knows. Die Republikaner haben schon mal Supreme Court, Senat, Repräsentantenhaus und Präsident. Da sind Senatoren bei, die nicht alles mitmachen würden, davon gehe ich mal aus, dennoch irgendwie unklar. Dann will Musk irgendwie ca. 100 / 250 Behörden streichen, „inetwa“, ohne Beweis oder Grundlage dafür zu nennen. Ja, es gibt mehr Behörden (-stellen), als die dortige Demokratie an Jahren alt ist, aber was wird wohl versucht, zu zersägen? Ob es wohl eine Moderationsabteilung für Krisen der Demokratie gibt?
Naja, die relativ kleinen Mehrheiten bedeuten real, dass Repräsentanten wieder mehr Macht haben. Bei 15-30 Stimmen Unterschied wäre das eine andere Sache, aber bei 4 oder so, wird sich möglicherweise der eine oder andere Handel ergeben. 2/3-Mehrheiten sind was anderes.
Musk will schon mal irgendwas mit diversity streichen und ruft „bullshit jobs“. Die Frage ist, ob das wirklich geprüft wurde (wohl nicht), was daran bullshit ist (unklar) und was die sonst machen, was sonst andere machen müssten, zudem wer dann die Kaffeemaschine bedient!
Abgesehen vom Ton…
Bitte bleibt, so wie Ihr seid, netzpolitik.org ! Denn genau die Veränderung derer, zu denen man bisher Vertrauen hatte, ist ja gerade das Unheimliche ( „die Zukunft wechselt die Seite“ heißt heute eine dystopische Überschrift in der Süddeutschen Zeitung ).
Was sagen denn Ronen Steinke und Georg Mascolo dazu, dass ihre Süddeutsche Zeitung fast enttäuscht darüber war (unfassbar!), dass es nicht noch deutlich schlimmere verfassungswidrige Sicherheitspolitik gab (Christoph Koopmann: „Das Sicherheitspaketchen“ am 15.10.24) – Ihr beschreibt im Podcast ein Versagen der Medien meiner Ansicht nach völlig zu Recht?
Haben sich Sergej Lagodinsky und Daniel Freund wirklich verändert – von Verfassungsgrundrechten entfernt? (kann ich nicht glauben) – , oder ist der Rechtsruck nur im Bundestag bei den Grünen (und auch da gibt es ja Sabine Grützmacher noch – allerdings in katastrophaler Minderheit – ich bin an dem Freitag, an dem das Paket durch’s Parlament ging bei Bündnis90/Grünen ausgetreten) ?
Und was wählen denn all die Berliner, deren großartige „haltet die Freiheit hoch“-Plakate am Samstag das Regierungsviertel zierten (schade, dass ich hier keine Photos einfügen kann) –
wählen wir im nächsten Frühling jetzt also alle die Piratenpartei?
Ich finde, Ihr habt sehr viel zu tun! Vielen vielen Dank, dass es Euch gibt !!!
Im Fernsehen kam gerade der Hinweis, dass kleinere Parteien erst einmal auf die Schnelle die Zulassungs-Unterschriften (!) zur Bundestagswahl 2025 hinbekommen müssen …
https://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2025/Unterst%C3%BCtzungsunterschriften
Naja, die „progressiven“ Medien und Journalisten legen grossen Wert darauf, jedes progressive oder linke Thema mit zumindest dem Eindruck der Forderung nach unbegrenzter und unkontrollierter Migration zu verknüpfen, bei völligem Ausblenden der damit verbundenen Probleme und damit ohne jegliche Lösungsangebote. Netzpolitik.org ist da keine Ausnahme, siehe auch dieser Artikel. Das ist durchaus konsequent, aber damit zementiert man bei weiten Teilen der Bevölkerung die Assoziation von „progressiv“ oder „links“ mit „untauglich zur Macht“.
Die Betonung hochkomplexer Identitätstheorien und anderer Minderheitenprobleme macht es auch nicht besser. Das sind halt kleine Minderheiten, und sich auch nicht einig.
Die Glaubwürdigkeit bei universalen Menschrechten hat man durch deren Relativierung je nach Akteuren in In- und Ausland ziemlich demontiert.
Eine glaubwürdige Vision von zukünftiger Gesellschaft und einem Weg dorthin hat man nicht zu bieten, nur jede Menge Forderungen zu Lasten anderer. Das ist aus meiner Sicht das größte Manko.
Es gewinnen mE weniger die „Rechten“, es verlieren die „Linken“ und „Progressiven“. Harris vs Trump hat es eigentlich sehr schön zugespitzt dargestellt, auch die Mediendarstellung in Deutschland.
Und: es gibt keine Mitte mehr.
Die „Mitte“ will prinzipiell Ausgleich und Kompromisse bei möglichst wenig Änderung an der eigentlich recht komfortablen persönlichen Situation. Das ist in der Klimakrise letztlich die Haltung radikaler Klimazerstörer. Wer sich das schönlügt, kann sich alles schönlügen, und das sind die meisten Medien und Journalisten, leider inklusive ÖR.
> es gibt keine Mitte mehr
Die politische Mitte ist ein Standpunkt im politischen Spektrum zwischen „links“ und „rechts“. Wo genau sich diese „Mitte“ befindet und durch welche Positionen sie charakterisiert wird, ist jedoch umstritten; entsprechend diffus ist auch die Verwendung des Ausdrucks. (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Mitte)
Insofern ist das eine Behauptung, die ziemlich falsch ist, selbst wenn es „links“ und „rechts“ nicht mehr gäbe. Anstelle von „links“ und „rechts“ treten dann andere Pole, z.B. demokratisch/undemokratisch, Öko/Carbonisten, Schwurbler/Empiriker, Konserven/Progressive … . Zwischen allen Polen gibt es Mitten, z.T. überscheiden sie sich. „Links“ und „rechts“ jedoch gibt es weiterhin. Eine politische Mitte wird es immer geben, auch wenn sie sich verschiebt oder kleiner wird.
Der Begriff „Glaubwürdigkeit“ ist höchst problematisch. Zusammengemischt mit „Vision von“ gefährlich.
„Die Glaubwürdigkeit bei universalen Menschrechten“ ist eine fehlerhafte Verwendung, denn hier handelt es sich um Recht. Recht gilt (und basta!).
Gesellschaften entwickeln sich. Das tun sie zuverlässig gut, je weniger visionäre Möhren vor den Köpfen der Menschen baumeln. Was nützlich wäre, sind plausible Konzepte.
glaubwürdig vs. plausibel
Visionen vs. Konzepte
Wer den Unterschied nicht bemerkt möge das zum Anlass nehmen, sich mal gründlich aufzuschlauen.
Case in point, danke für die Betätigung.
„Das tun sie zuverlässig gut, je weniger visionäre Möhren vor den Köpfen der Menschen baumeln. Was nützlich wäre, sind plausible Konzepte. “
MLK haette also besser keine „I have a dream“ Rede gehalten?
JFK nicht von einem Menschen auf dem Mond, und sicher zurueck, gesprochen?
„Liberte, Egalite, Fraternite“ haette es genauso wenig gebraucht wie den Kampf auf den Barrikaden?
Visionen sind gefaehrlich, denn wenn sie weiten Anklang finden, kann man radikale Dinge tun. In Zeiten fundamentaler Aenderungen von Weltparametern erlaubt das eine Gestaltung der Zukunft durch die Masse. Die Alternative ist den neoliberalen Status Quo verwalten und die aufkommenden Resourcenkonflikte durch die eine oder andere Art von Kampf nach dem Recht der Staerkeren zu entscheiden. Das ist dann leider die faschistische Vision, und die bietet immerhin die Strategie der eigenen Staerke und deren konsequenten Einsatzes. Wer dem keine „progressive“ oder „linke“ Vision entgegensetzen will, tritt erst garnicht an und hat schon verloren.
Eine Linke, die sich von der Vision einer gerechten Welt verabschiedet, hat sich aufgegeben.
Eine Linke, die ihr Glaubwürdigkeit betreffs universeller Menschenrechte durch den Verweis auf die Gesetzlage herstellen will, hat sich überlebt.
Wer Zukunft nur noch in plausiblen Konzepten denken kann, kann nur noch verwalten und keine Massen mehr mobilisieren. Mal davon abgesehen, dass die Progressiven zu vielen Themen nichtmal Konzepte haben.
Und deswegen verliert „Links“ und dann bleibt halt „Rechts“ übrig und an der Macht.
Liebe alle, danke für die lebhafte Debatte, die inzwischen allerdings nur noch bedingt etwas mit dem Thema des Podcasts zu tun hat. Wir schließen deshalb den Kommentarbereich jetzt (= lassen keine weiteren Ergänzungen mehr zu).