Kameras sind mittlerweile in nahezu allen technischen Geräten zu finden. Im Smartphone, in modernen Türklingeln oder in Fahrzeugen. In der Regel versprechen sich ihre Nutzer:innen davon mehr Sicherheit im Alltag.
Kameras sind auch immer interessant für Strafverfolgungsbehörden. In den Vereinigten Staaten nutzen diese dafür unter anderem vernetzte Videoüberwachungssysteme wie Fusus, das die unterschiedlichsten verfügbaren Kameras einspeisen und mit moderner Überwachungstechnologie versehen kann. Recherchen von Reuters zeigen, dass diese Art von KI-gestützter Überwachungstechnologie in mehr als 70 US-Städten und Landkreisen eingesetzt wird. Auch in Großbritannien wird das System bereits getestet.
Hardcore-Überwachung mit SmartCORE
Das Ziel des Systems ist es, den Strafverfolgungsbehörden einen umfassenden Überblick über das Geschehen im öffentlichen, aber auch privaten Raum zu bieten. Einsatzkräfte sollen so laut der Firmen-PR schneller zum Geschehen gelangen und effizienter auf Kriminalität reagieren können.
Fusus bezeichnet die eigene Software als Cloud-Technologie, die dazu dient, Kriminalität in Echtzeit zu bekämpfen. Das so genannte „Real-Time Crime Center in the Cloud“ (RTC3) koppelt verschiedene Überwachungssysteme miteinander und stattet diese mit Künstlicher Intelligenz (KI) aus.
Das Unternehmen wirbt damit, fest installierte Überwachungskameras aber auch Drohnen, Hubschrauber, Bodycams und sogar Smartphones als Quellen integrieren zu können.
Vernetzung privater und öffentlicher Überwachung
Dafür holt Fusus die Erlaubnis von Unternehmen und Privathaushalten ein, die Streams von deren Videoüberwachungssysteme in RTC3 einspeisen zu dürfen. Auch die Daten kommunaler Überwachungskameras nutzt das Unternehmen mit Zustimmung von Stadträten.
Bürger:innen können ihre privaten Kameras auf Webseiten wie „Connect Starkville“, „Connect Orange County“ und „Connect Lexington“ registrieren und den Behörden so direkten Zugriff auf die Geräte gewähren. Dazu zählen auch die Kamerasysteme von Amazons Firmentocher Ring, die zu Hunderttausenden in den USA im Einsatz sind.
Auf diesen Seiten ist auch ein Shop integriert, in dem die Überwachungstechnik gekauft werden kann. Die Webseiten mit offiziellen staatlichen Logos werden den Recherchen von 404 Media zufolge von Fusus betrieben. Das ist nicht ohne weiteres zu erkennen, weil auf ihnen prominent die Logos der jeweiligen Polizeibehörden platziert sind.
Alleine in Atlanta sind knapp 19.000 Kameras registriert. Der allergrößte Teil von ihnen sind in das System von Fusus integriert. Dafür müssen Nutzer:innen zusätzliche Hardware kaufen. Das günstigste Gerät mit der Bezeichnung Fusus Core Lite kostet rund 350 US-Dollar. Die sogenannte Elite-Variante schlägt mit 7300 US-Dollar zu Buche. Es kann bis zu 200 Kameras in das System einbinden.
Dumme Kameras intelligent machen
Fusus bietet auch ein System namens SmartCORE an, das Kamera-Netzwerke „mit einem Gehirn“ („put a brain right into a camera network“) ausstatte. Es sei damit in der Lage, Autokennzeichen, Personen und spezifische Objekte zu identifizieren. So können auch bisher einfache und alte Überwachungskameras zur „intelligenten“ Überwachung genutzt werden.
Die Aufzeichnungen werden zur Analyse und Datenauswertung zusammengeführt und laut 404 Media mit weiteren Daten kombiniert, etwa mit aktiven Notrufen oder den Standorten von Beamt:innen im Einsatz.
Über die Einführung der Überwachungssoftware entscheiden in den USA Stadträte. So auch in Columbia, Missouri. Der Polizeichef dieser Stadt, der eine Einführung 2022 befürwortete, sagte in der Anhörung, dass die Software zwar über eine Gesichtserkennungsfunktion verfüge, die Polizei diese jedoch nicht nutze. Fusus hat in der Vergangenheit wiederholt beteuert, dass die eigenen Produkte nicht über diese Fähigkeit verfügten.
Zugriff auf potentiell Millionen Augen
Expert:innen äußern Bedenken hinsichtlich der Ausweitung der Massenüberwachung und den Auswirkungen auf die Bürgerrechte. Das Fusus-System missachte die Privatsphäre der Einwohner:innen. Auch bestehe die Gefahr, dass die Polizei das System missbrauche. Die Technologie von Fusus ist im Trend der Nutzung von privaten Überwachungssystemen durch staatliche Akteure zu sehen, der in den letzten Jahren durch das Aufkommen von Amazon Ring immer weiter an Fahrt aufgenommen hat.
Beryl Lipton, Forscherin bei der der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) hat laut dem Bericht von 404 Media „Bedenken hinsichtlich des polizeilichen Zugriffs auf das System, der KI-Analyse von Videos und der Analyse von Überwachungs- und Verbrechensdaten, die Patrouillen und Prioritäten der Beamten beeinflussen“ könnten. „In Ermangelung klarer Richtlinien, überprüfbarer Zugriffsprotokolle und Transparenz über die Möglichkeiten und Kosten von Fusus, sollte jede Gemeinde, in der diese Technologie eingesetzt wird, über ihren Einsatz und Missbrauch besorgt sein“, so Lipton weiter.
Nia Sadler von der Interessengruppe Triad Abolition Project, kämpfte vergangenes Jahr erfolglos gegen die Einführung von Fusus in Winston-Salem im US-Bundesstaat North Carolina. In einem Interview im Mai mit Reuters, sagte sie, dass sich die Überwachung in Winston-Salem in der Regel auf die Gebiete konzentriere, in denen schwarze Communitys leben.
Das lustige ist das man dafür auch noch bezahlen muss. Der Staat muss die Bürger nicht einmal mit einem kostenlosen Gadget werben, sie kommen selbst angelaufen und bezahlen auch noch dafür…
> sie kommen selbst angelaufen und bezahlen auch noch dafür…
Blockwartmentalität digital ausgelebt.
Wirklich super Artikel! Vielen Dank!
Und NSA und Co. lachen sich ins Fäustchen. Wozu Massenüberwachung aufbauen durch den Staat wie in China, wenn die Bürger eine noch flächendeckendere Massenüberwachung freiwillig aufbauen und dann auch noch selber dafür bezahlen. Und es schadet dem Ruf des Staats nicht, schließlich ist es ja freiwillig
Ich sehe Fusus weniger problematisch. Die Personen und Institutionen müssen sich ja aktiv dafür entschieden. sie wissen also, dass die Polizei mitschaut. Wenn sie meinen ihr Smartphone damit zu verbinden, sind sie irgendwo selbst Schuld und haftbar sollten sie damit in die Privatsphäre anderer eindringen. Problematisch sind eher die Kameras v.a. die Kameras, die öffentlichen Grund filmen und private Kameras, die Gäste ohne deren wissen filmen. Eine Monitoring Software ist aber nur die logische Konsequenz einer (Überwachungs-)Kamera. Gut wäre vielleicht, wenn die Besitzer solcher Kameras über die Nutzung der eigenen Geräte informiert werden. Also Dauer, Zeitpunkt, Kamera, Abteilung des Benutzers (z.b. Police Winston-Salem) und eindeutige User ID um Missbrauch nachgehen zu dürfen. Letztlich kann aber jede Kamera im Internet (auch legal) gehackt werden. Deshalb sollte man eher über die Nutzung der Kamera als über die Nutzung der Software nachdenken.
Angst vor Kriminalität dürfte der Antrieb für diese Überwachung sein. Je mehr Überfälle, desto mehr Leute finden Überwachung gut.
Ein hier nicht betrachteter wichtiger Baustein ist die Verwertbarkeit vor Gericht. Für den Anfang erzeugt dieses System erst mal Datenmüll, den die Polizei noch durch Ermittlungen gerichtsverwertbar aufbereiten muss. Oder Hinweise, die der Polizei mitteilen, wo sie suchen und wen sie fragen oder als Zeugen nennen muss.
Handy harmloser als stationäre Kamera?
Träumerei!