KW 41Die Woche, in der wir uns für den Winter rüsten

Die 41. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 18 neue Texte mit insgesamt 97.498 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

In Berlin gibt es eigentlich nur zwei Jahreszeiten: Sommer und Winter. Wechselhafte Zwischenphasen sind meist nur von kurzer Dauer.

Gerade ist so eine Zwischenphase: Draußen schlägt das Wetter mitunter stundenweise um. Mal wärmt die Spätsommersonne, dann prasselt wieder heftiger Regen gegen die Scheiben.

Ein ähnliches Umschlagen der politischen Wetterlage erleben wir aktuell mit Blick auf die Chatkontrolle.

Ende September schien es noch so, als klare sich der Himmel leicht auf: Die entsprechende Verordnung flog erst im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten von der Tagesordnung, kurz darauf verschob der Rat die Abstimmung darüber.

Zaghaft keimte bei uns die Hoffnung auf, dass das Vorhaben doch noch scheitern könnte. Zumal nur wenige Tage später mehrere europäische Medien die millionenschweren Geschäfte der Chatkontrolle-Lobby aufdeckten. Diese unterhält offenbar engste Verbindungen zu EU-Kommissionspräsidentin „Zensursula“ von der Leyen und Innenkommissarin Ylva Johansson.

Doch die Hoffnung währte nur kurz, bald schon zogen wieder dunkle Wolken auf.

Als der Innenausschuss des Europäischen Parlaments Johansson aufforderte, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, reagierte die Kommissarin gewohnt überheblich und uneinsichtig. Sie schalt die Medien und die Zivilgesellschaft und wiederholte ihre Mantra, dass die Chatkontrolle „dem Schutz von Kindern“ diene.

Dass Europol die gesammelten Daten haben und die Überwachung obendrein ausbauen will, verschwieg sie dabei geflissentlich. Und dass bereits erste EU-Abgeordnete fordern, die Chatkontrolle unter anderem auf Pornografie, Migration und Drogen auszuweiten, bekümmert sie offenbar ebenfalls nicht.

Es besteht längst kein Zweifel mehr: Kommt die Chatkontrolle, dann befördert sie uns geradewegs vom Regen in die Traufe. Und mich beunruhigt beides gleichermaßen: das ignorante, selbstherrliche und antidemokratische Agieren der Kommission und das gewaltige Überwachungsmonster, das sie mit unlauteren Mitteln zum Leben erweckt.

Im Ergebnis schadet die Kommission der Demokratie und den Grundrechten massiv. Umso entschiedener müssen wir uns dem Vorhaben entgegenstellen – gerade wenn am Ende „nur“ ein fauler Pseudo-Kompromiss zur Abstimmung steht.

Packt Euch warm ein und bleibt kämpferisch!

Daniel


Chatkontrolle-Lobbyist ThornMehr Startup als Wohltätigkeitsorganisation

Die von Ashton Kutcher gegründete Organisation Thorn hat einen guten Zugang zur EU-Kommission und lobbyiert dort vehement für die Einführung der Chatkontrolle. Doch ist Thorn überhaupt die „Wohltätigkeitsorganisation“, als die es sich ausgibt? Die Investigativ-Plattform FTM hat Thorn auf den Zahn gefühlt.

Lesen Sie diesen Artikel: Mehr Startup als Wohltätigkeitsorganisation

DegitalisierungDie unerträgliche Leichtigkeit des digitalen Scheins

Ob beim Bafög-Antrag oder im Kampf gegen sexualisierte Gewalt: Viel zu oft nehmen wir eine vermeintlich einfache digitale Lösung, auch wenn die wenig zur Lösung des Problems beiträgt. Echte digitale Lösungen sind dagegen harte Arbeit, schreibt unsere Kolumnistin. Und bleibt trotzdem optimistisch.

Lesen Sie diesen Artikel: Die unerträgliche Leichtigkeit des digitalen Scheins

Digital Services ActForschende fordern fairen Zugang zu Plattformdaten

Der Digital Services Act soll die Nutzung von Online-Diensten europaweit sicherer und transparenter machen. Dazu soll die Wissenschaft einen möglichst freien Zugang zu den Daten digitaler Plattformen erhalten. Um dies zu gewährleisten, müssen aus Sicht von Forschenden jedoch zwanzig Bedingungen erfüllt sein.

Lesen Sie diesen Artikel: Forschende fordern fairen Zugang zu Plattformdaten

InnenministeriumNancy Faeser ist nicht zu halten

Ministerin Faeser hat dem Innenministerium kein progressives Profil gegeben. Stattdessen steht sie permanent mit dem Koalitionsvertrag in Konflikt und verschleppt wichtige Gesetzesvorhaben. Und nach einer deftigen Wahlschlappe in Hessen kehrt sie nun auch noch als lahme Ente nach Berlin zurück. Sie ist nicht mehr zu halten. Ein Kommentar.

Lesen Sie diesen Artikel: Nancy Faeser ist nicht zu halten

Staatstrojaner PredatorVietnam wollte offenbar deutsche US-Botschafterin hacken

Die südostasiatische Einparteien-Diktatur steckt offenbar hinter einem Cyberangriff auf mehrere Journalist*innen, hochrangige Politiker*innen und Beamte aus Europa und den USA. Zum Einsatz kam dabei nach Spiegel-Recherchen die Spyware Predator der Intellexa-Alliance. Deren Produkte beziehen auch deutsche Behörden.

Lesen Sie diesen Artikel: Vietnam wollte offenbar deutsche US-Botschafterin hacken

X-OdusAntidiskriminierungsbeauftragte ruft staatliche Institutionen zum Verlassen von X auf

Mit deutlichen Worten verlässt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Plattform X, die früher Twitter hieß. Als Gründe nennt sie den Anstieg von Desinformation, Hass und Antisemitismus seit der Übernahme durch Elon Musk – und dass dieser solche Inhalte selbst verbreitet.

Lesen Sie diesen Artikel: Antidiskriminierungsbeauftragte ruft staatliche Institutionen zum Verlassen von X auf

RegistermodernisierungAutomatisierung auf Kosten der Sicherheit

Die Bundesregierung entschied sich mit dem Registermodernisierungsgesetz Anfang 2021 dagegen, die Sicherheit von Daten und Personen an die erste Stelle zu setzen. Das zeigen Dokumente aus einer IFG-Anfrage. Dabei hätte es datenschutzfreundliche Alternativen gegeben, etwa zum einheitlichen Personenkennzeichen oder zum Umgang mit der Auskunftssperre.

Lesen Sie diesen Artikel: Automatisierung auf Kosten der Sicherheit

VorratsdatenspeicherungSachverständige uneins über Sammlung von IP-Adressen

Eigentlich ist die Sache klar: Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung gekippt und die Ampel hatte sich auf Alternativen verständigt. Doch die Union und Teile der SPD wollen „Spielräume“ nutzen. Eine Anhörung im Rechtsausschuss brachte kaum neue Argumente und doch spannende Erkenntnisse.

Lesen Sie diesen Artikel: Sachverständige uneins über Sammlung von IP-Adressen

Amnesty-BerichtDas Geschäft hinter der Unterdrückung von Protesten

In einem Bericht zeichnet Amnesty International nach, welche Unternehmen mit ihren „weniger tödlichen Waffen“ an der Niederschlagung von Protesten weltweit beteiligt sind. Auch europäische Firmen verdienen mit. Die Menschenrechtsorganisation fordert eine strengere Regulierung für den Handel solcher Waffen.

Lesen Sie diesen Artikel: Das Geschäft hinter der Unterdrückung von Protesten

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

1 Ergänzungen

  1. In dieser Woche fand im Bundestag auch die erste Anhörung statt zur Nachrichtendienstreform und dem BND-Gesetz-Entwurf.
    Konstantin von Notz, Konstantin Kuhle und Irene Mihalic haben unsere Verfassung verteidigt (planen, die Entwürfe aus dem Kabinett noch deutlich nachzubessern), und Sebastian Hartmann von der SPD hat sich daraufhin an die CDU gewandt, ob diese ihm nicht dabei helfen könnte (… die Verfassung einzureißen, oder was ?) – muss man sich anhören (!) :
    https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw41-de-bnd-gesetz-968832
    Die SPD ist da steckengeblieben, wo Christian Flisek das Leben von Edward Snowden ruinierte beim NSA-Untersuchungsausschuss 2014-2026, mir ist wirklich komplett unverständlich, WARUM das so ist !!!

    Beim Anwaltsverein wird das BMI zu diesen Gesetzentwürfen zitiert: „Wenn aus dem BMI während der Verhandlungen von dem Entwurfsverfasser offen erklärt werde, dass es „nicht seine primäre Aufgabe sei, ein verfassungskonformes Gesetz zu verfassen, sondern die Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste sicherzustellen“, spreche das Bände.“
    Quelle: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/dav-findet-gesetzentwurf-zum-nachrichtendienstrecht-untauglich

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.