ÜberwachungPolitiker fordern Ausweitung der Chatkontrolle auf andere Inhalte

Kommt die Chatkontrolle, wird sie auch gegen andere Inhalte eingesetzt. Europol fordert eine Ausweitung auf „andere Kriminalitätsbereiche“, Abgeordnete auf Pornografie, Migration und Drogen. Auch Netz-Sperren wurden erst mit Missbrauch begründet und sollten dann ausgeweitet werden.

Dammbruch
Dammbruch. (Symbolbild)

Seit anderthalb Jahren streiten Politik und Öffentlichkeit über die Chatkontrolle. Über 80 NGOs kritisieren das geplante EU-Gesetz als beispiellos: „Es soll Internetdienste verpflichten, die private digitale Kommunikation aller Menschen im Auftrag von Regierungen zu durchleuchten.“

Befürworter wie die EU-Kommission betonen öffentlich, dass die Inhaltskontrolle nur auf eine einzige Straftat abzielt. Das Gesetz trägt sie sogar im Titel: Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Das ist bereits komplex genug, weil verschiedene Rechtssysteme strafbare Kinderpornografie unterschiedlich definieren.

Kritiker befürchten jedoch, dass die Chatkontrolle früher oder später auch auf andere Inhalte ausgeweitet wird.

EU-Polizei und EU-Kommission

Europol soll die Daten der Chatkontrolle erhalten und wünscht sich ungefilterten Zugang, um KI-Algorithmen zu trainieren. Das forderte die EU-Polizei bei einem Besuch der EU-Kommission mit Europol-Chefin Catherine De Bolle und drei weiteren leitenden Europol-Beamten. Wir haben das Protokoll des Treffens veröffentlicht.

Die EU-Polizisten erwähnten damals, „dass es andere Kriminalitätsbereiche gibt, die von einer Aufdeckung profitieren würden, und schlugen vor, dass diese einbezogen werden könnten“. Diese Forderung „soll noch in den Gesetzesvorschlag aufgenommen werden“.

Die Kommissions-Beamte Monique Pariat „signalisierte Verständnis für den geäußerten zusätzlichen Wunsch“. Die Generaldirektorin bei Innenkommissarin Ylva Johansson „wies aber auch darauf hin, dass angesichts der zahlreichen Empfindlichkeiten im Zusammenhang mit dem Vorschlag realistische Erwartungen geweckt werden müssten und dass eine gemeinsame und kohärente Kommunikation darüber erforderlich sei“.

Die EU-Polizei, die Teile der Chatkontrolle umsetzen soll, fordert also schon heute eine Ausweitung auf andere Inhalte. Und die EU-Kommission, die das Gesetz verantwortet, sagt nicht „nein“, sondern „gute Idee, aber nicht jetzt, wir müssen vorsichtig sein“.

EU-Abgeordnete

Auch EU-Abgeordnete fordern eine Ausweitung der Chatkontrolle.

Im März diskutierte der FEMM-Ausschuss im EU-Parlament über die Chatkontrolle. Dabei forderte die französische Abgeordnete Annika Bruna (Rassemblement National), „pornografische Inhalte“ für Kinder und „Auswüchse“ wie „Drag-Queens“ und Museums-Ausstellungen zu verbieten:

Wir haben weitere EU-Abgeordnete gefragt, ob die Chatkontrolle auf andere Inhalte ausgeweitet werden soll. Die italienische Abgeordnete Francesca Donato (Ex-Lega Nord) antwortet „klar und deutlich: illegaler Waffenhandel, illegaler Menschenhandel (Migranten), Organhandel, Drogenhandel. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Internetanbieter auch diese Art von Problemen erkennen und melden können.“

Einige EU-Abgeordnete fordern also bereits jetzt eine Ausweitung der Chatkontrolle auf Pornografie und Drag-Queens, Migration und Drogen.

Zensursula und Deutschland

In der deutschen Netzpolitik kennen wir das Phänomen von der Auseinandersetzung um Netz-Sperren 2009. Ursula von der Leyen, damals Bundesfamilienministerin und heute Kommissions-Präsidentin, trieb ebenfalls ein Gesetz voran, um strafbare Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen. Auch damals forderten diverse Akteure eine Ausweitung auf andere Inhalte.

BKA-Präsident Ziercke forderte von Anfang an Netz-Sperren gegen sogenannte Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Der Bayerische Innenminister, die Bundeszentrale für politische Bildung und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma forderten eine Ausweitung auf Rechtsextremismus. Ein SPD-Abgeordneter fand die Ausdehnung auf Antisemitismus klug. Eine CSU-Abgeordnete forderte Netz-Sperren gegen Islamismus.

SPD-Abgeordnete forderten eine Ausweitung der Netz-Sperren von strafbarer Kinderpornografie auf Jugendpornografie. Der Deutsche Philologenverband auf Essstörungen. Forschungsministerin Schavan auf Gewalt-Seiten und Killerspiele. Die Hessische Landesregierung auf ausländische Glücksspiele.

Buchhandel und Musikindustrie forderten eine Ausweitung auf Urheberrechtsverletzungen, die Filmindustrie auf Streaming-Seiten. SPD-Innenpolitiker auf „andere kriminelle Vorgänge“. NRW-Ministerpräsident Rüttgers auf „generell umstrittene Websites“. Sogar von der Leyen forderte eine Ausweitung auf „weitere rechtswidrige Inhalte“.

All das zeigt: Kommt die Chatkontrolle, wird sie auch gegen andere Inhalte eingesetzt.

4 Ergänzungen

  1. Warum schreibt ihr eigentlich immer „strafbare Kinderpornographie“? Wieso das Wort „strafbar“? Und warum nicht CSAM o. ä? Geht es Euch um verschiedene Definitionen und der Differenzierung zwischen Fiktion und Sexting unter Jugendlichen?

    Inhaltlich zum Artikel: das war jedem klar, aber das die das jetzt einfach ehrlich, vor der Implementierung, raushauen ist mal was neues.

  2. Keine Sorge, es geht nur um allerschwerste Straftaten wie … Raubmordkopien, Klimakleberei, Kleptokratiedelegitimierung, Veröffentlichung von Kriegsverbrechen, …

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