Zugangserschwerungsgesetz – Eine Policy-Analyse zum Access-Blocking in Deutschland (PDF)
Aus politikwissenschaftlicher Perspektive wird der politische Prozess untersucht, der Access Blocking in Deutschland einführen sollte. Der grobe Rahmen wird Netzpolitik-Publikum bekannt sein: BKA, von der Leyen, Verträge mit Providern, Petition, Gesetz, Nichtanwendungserlass. Die Arbeit geht ins Detail, untersucht die einzelnen Auseinandersetzungen und Akteure, klärt Gerüchte auf und bringt ein paar neue Zusammenhänge und Hintergründe ans Licht.
So dominiert in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck, dass Ursula von der Leyen und Kinderschutz-Organisationen das Thema auf die politische Agenda gesetzt haben. Die ursprüngliche Idee und die ersten Forderungen nach Access-Blocking kommen jedoch vom Bundeskriminalamt, dessen Präsident wiederum in Norwegen angefixt wurde:
Ein wesentlicher Akteur der bundesdeutschen Auseinandersetzung um Access-Blocking war und ist das Bundeskriminalamt. Bereits in den Neunziger Jahren war das BKA in erste Sperr-Versuche in Deutschland involviert, die damals jedoch wieder beendet werden mussten. Dennoch möchte diese Bundesbehörde seitdem das Instrument Access-Blocking nutzen.
Der norwegischen Kriminalpolizei Kripos gelang es 2004, Access-Blocking in ihrem Land durchzusetzen, seit 2006 setzt sich auch die europäische Polizei-Kooperation COSPOL für dieses Instrument ein. Nachdem BKA-Präsident Jörg Ziercke von seinem norwegischen Kollegen Bjørn-Erik Ludvigsen deren Filter-System präsentiert bekam, forcierte er Access-Blocking auch in Deutschland.
Da die Provider eine freiwillige Sperrung für rechtlich problematisch hielten, forderte Ziercke im August 2008 eine gesetzliche Regelung. Für diese Pressekonferenz lud er Julia von Weiler von der Kinderschutz-Organisation Innocence in Danger ein, um die Dringlichkeit des Themas zu unterstreichen. Dennoch forderte Ziercke Access-Blocking nicht nur für Kinderpornografie, sondern auch für fremdenfeindliche und antisemitische Inhalte.
Damit hat das BKA den politischen Prozess des Access-Blockings in Deutschland überhaupt initiiert. (S. 96f)
Diese Verbindung mit Norwegen zieht sich durch den gesamten Prozess und geht so weit, dass anscheinend sogar das Word-Dokument mit der Übersetzung des norwegischen Vertrags direkt als Vorlage für den deutschen Vertrag genutzt wurde. Sowohl die einzelnen Gliederungspunkte als auch ganze Sätze weisen erschreckende Ähnlichkeiten auf (S. 46f), gleich der erste Satz lautet jeweils:
In vorliegendem Vertrag werden die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen der norwegischen Nationalen Kriminalpolizeibehörde (NCIS Norway) einerseits und Internet Service Providern (ISPs) andererseits bei der Verhinderung der kommerziellen Verbreitung von Dateien, in denen der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt wird bzw. die damit in Zusammenhang stehen, festgelegt.
Der vorliegende Vertrag legt die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskriminalamt und dem ISP fest, um den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im Internet zu erschweren.
In weiteren, nicht öffentlichen Versionen des deutschen Vertragsentwurfs sind zudem die Meta-Informationen identisch. (S. 47) Ein genauerer Plagiats-Check könnte sicher noch mehr finden, auch wenn das Abschreiben von Gesetzen laut Menschen mit tiefem Einblick in den Entstehungsprozess von Gesetzen wohl nicht unüblich ist.
Von der Leyen war natürlich dennoch wichtig. Das BKA forderte Access-Blocking schon lange, gegen Kinderpornografie, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Aber erst als sich „Zensursula“ an die Spitze setzte und mit zerfetzten Kinderseelen argumentierte, rückte eine politische Umsetzung näher.
Die Vermutung, dass das Thema vor allem für den anstehenden Wahlkampf genutzt werden sollte, kann sich neben Wolfgang Schäuble auch auf ein paar weitere Argumente stützen:
Das BMFSFJ und die Ministerin Ursula von der Leyen vernachlässigten den Themenkomplex des sexuellen Missbrauchs von Kindern zunächst über weite Teile ihrer Legislaturperiode. Erst durch politischen Druck einiger Kinderschutz-Organisationen und den anstehenden Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im November 2008 nahm sich das Ministerium dem Thema an.
Dabei entwickelte das Ministerium keinesfalls umfassende Handlungskonzepte, sondern konzentrierte sich auf das Thema Kinderpornografie im Internet und die vermeintliche Lösung des Access-Blockings. Mit Rückendeckung der beteiligten NGOs unterstützte die deutsche Regierungsdelegation auf dem Weltkongress die tonangebenden Norweger, um Access-Blocking international im Abschlussdokument des Kongresses festzuschreiben. Fortan wurde dieses internationale Dokument als Legitimation genutzt, das Thema auch national voranzutreiben. (S. 97)
Dass sich das Thema „Kinderpornografie“ (zum Begriff gibt es auch ein Kapitel) in der Öffentlichkeit bestens zur Skandalisierung und Solidarisierung eignet, da es quasi keine politischen Gegner gibt, drückte Barbara Nelson 1986 so aus: „Not even Richard Nixon is in favor of child abuse.“
So „überstürzt und holterdipolter“ (ECPAT Deutschland) das Familienministerium Ende 2008 zum Thema gekommen ist, genauso abrupt lies das Interesse nach der Bundestagswahl 2009 auch wieder nach.
Familien- und Arbeitsministerium gehörten zu den unkooperativsten Gesprächspartnern meiner Recherchen. Von der Leyen will nichts mehr damit zu tun haben, weil es Aufgabe des Familienministerium ist. Dort will man nichts damit zu tun haben, weil es in die Vorgänger-Legislaturperiode fällt. Es spricht also einiges dafür, dass das Thema ohne den anstehenden Wahlkampf nicht in dieser Form forciert worden wäre.
Im gesamten Prozess missachteten Staatsorgane wiederholt das Grundgesetz. Einerseits natürlich mit dem Nichtanwendungserlass, also der Anweisung eines Ministeriums an eine untergeordnete Behörde (beide Exekutive), ein von der Legislative verabschiedetes und in Kraft getretenes Gesetz nicht anzuwenden. Auf diesen Vorgang haben so ziemlich alle befragten Verfassungsrechtler draufgehauen, auch wenn der Erlass leider nie formal angegriffen wurde.
Doch schon ganz am Anfang des Prozesses drängten drei Unions-Ministerien darauf, dass das BKA (wieder beide Exekutive) Verträge mit privaten Akteuren (ISPs) abschließt, um das Access-Blocking ohne Beteiligung von Legislative und Judikative zu installieren. Da Grundrechtseingriffe jedoch nur per Gesetz erlaubt sind, argumentierte man einfach, dass durch Access-Blocking keine Grundrechte berührt werden.
Um eine Webseite zu sperren, muss der Provider jedoch jedes Mal nachgucken, welche Webseite denn aufgerufen werden soll. Dass dies ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis ist, akzeptierten die Sperr-Befürworter erst, als die damalige Justizministerin Zypries diese Rechtsauffassung bestätigte. Es folgte das Gesetz unter Mitwirkung der SPD.
Überhaupt sind die gesamten Vorgänge um die beabsichtigte Vertragslösung sehr spannend. Während bei Vertragsunterzeichnung, Petition und Gesetzentwurf jedes Detail von der kritischen Öffentlichkeit untersucht wurde, ist über die „AG Access-Blocking“ verhältnismäßig wenig bekannt. Dank wertvoller Informationen von Anwesenden und Beteiligten konnte ich diese Hinterzimmer-Gespräche in einem eigenen Kapitel nachzeichnen und aufbereiten. (S. 43-52)
Als Datengrundlage dienten mir zunächst die offiziellen Dokumente und Drucksachen, die hier alle zusammen getragen sind. Besonders froh bin ich über einige unveröffentlichte Original-Dokumente und offizielle Bestätigungen über die Echtheit geleakter Dokumente. Sekundär-Quellen wie Medien-Berichterstattung waren zwar notwendig und hilfreich, warfen aber auch neue Fragen auf oder widersprachen sich teilweise sogar.
Also wurden in einem weiteren Schritt alle offenen Fragen direkt an die beteiligten Verantwortlichen gestellt, mit unterschiedlichem Erfolg. Wie angesprochen waren manche Akteure unkooperativ oder hatten zu wenig Zeit, mit anderen konnten ausführliche qualitative Interviews geführt werden. Von den Gesprächen mit Julia von Weiler (Innocence in Danger) und Brigitte Zypries hängen Transkriptionen an der Arbeit, die bereits für einige Belustigung gesorgt haben.
Ein Dank geht an dieser Stelle an alle Interview-Partner, Korrektur-Leser und anderswie Beteiligte, vor allem aus AK Zensur und MOGiS. Wenn sogar die noch etwas Neues erfahren haben, können hoffentlich auch Netzpolitik-Leserinnen den vielen Seiten etwas abgewinnen :) Feedback ist natürlich ausdrücklich erwünscht, entweder per Mail oder in den Kommentaren.
Vielen Dank für diesen Beitrag.
Das war mir damals schon soooo klar, dass das nicht auf ihrem Mist gewachsen war. Eine gescheiterte Aerztin mit x Kindern spielt Ministerin und ganz ploetzlich, kurz vor Wahlen, versucht in Dtl die Zensur einzufuehren… Ich hatte damals allerdings eher auf Schäuble selbst getippt. Dass das BKA, eine Polizeibehoerde (!!!), dahintersteckt, noch dazu beeinflusst vom europaeischen Kollegium, macht es um so schlimmer.
Auch der Chef des BKA ist „nur“ Polizist und hat sich aus der Politik herauszuhalten, besonders, wenn es darum geht, eine Zensur bei einem Medium einzufuehren, welches eine bedeutende Rolle bei der gesellschaftlichen und politischen Meinungsbildung spielt
hab vergessen:
auch von mir ein Danke fuer diesen Beitrag. Das sind Arbeiten, die wirklich wichtig sind
Vielen Dank für diese Abschlussarbeit.
Eine Frage ergibt sich für mich. Als Quelle möchte ich die „Tutzinger Rede“ von Ursula von der Leyen benennen, die Martin Haase auf dem 26C3 analysiert hat:
Quelle: http://events.ccc.de/congress/2009/Fahrplan/attachments/1461_Leyen-Rhetorik.pdf (S. 27)
Quelle: Masterarbeit (S. 67)
Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,654424,00.html
Hat etwa Herr zu Guttenberg (persönlich) das norwegische Gesetz plagiiert? Es würde damit ja nicht überraschen, dass sich das Gesetz nicht nur inhaltlich, sondern auch von der juristischen Qualität als Fehlgriff herausgestellt hat. Wollen wir hoffen, dass es schnell zu Grabe getragen wird und weder von Ländern noch der EU eine Neuauflage kommt.
Das „Abschreiben“ passierte nicht beim Gesetz, sondern bei den Verträgen. Der norwegische Vertrag der dortigen Polizei Kripos mit den ISPs wurde ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung diente dann allem Anschein nach als Vorlage für einen Vertrag zwischen BKA und ISPs. Das war im Februar/März in der AG Access Blocking.
Der Gesetzentwurf kam erst, nachdem Justizministerin Zypries das erste Mal gefragt wurde und sie den Plan mit den Verträgen zerriss. Der Gesetzentwurf wurde von Guttenbergs Haus erstellt und ist sicherlich inhaltlich an die Verträge angelehnt. Ein direktes „Abschreiben“ ist mir nicht aufgefallen, das habe ich aber auch nicht untersucht.
Vielen Dank für die Klarstellung.
Tsk. Ausgerechnet, die Norweger. Ich sag‘ nur Vigeland-Park.
@ Andre
Die Master-Arbeit habe ich zwar nur quer gelesen, aber sie scheint sehr verständlich geschrieben zu sein; ebenso wie dein Artikel. Schön!
Ein paar Worte zur Typografie der Master-Arbeit: Blocksatz mit unterdrückten Trennstrichen, ist keine gute Idee. Das reißt große Löcher in den Text und stört den Lesefluss erheblich. Ärgerlicherweise führen die meisten Leser schlechte Lesbarkeit auf den Inhalt zurück und nur selten auf die Typografie.
Versehentliche Selbst-Entmannung. Slibulski ohne a.
Ja, eigentlich wollte ich noch eine HTML-Version machen. Aber OpenOffice nervt mich total. Wärst du daran interessiert?
Ich bin gerade sehr damit beschäftigt, in meinem Leben einiges In Gang zu bringen und eher zur Entspannung hier. Aber ein paar Tipps kann ich dir geben: In OpenOffice wird die Trennung über Menü / Format / Absatz / Textfluss aktiviert bzw. angepasst. Und in HTML war das bis vor Kurzem schwierig mit der Worttrennung. Es gibt aber mittlerweile den Hyphenator, ein wunderbares Script. Auf Registerhaltigkeit solltest du auch achten. Sich das Internet auszudrucken, ist nämlich nicht immer verkehrt. Ich lese lange Texte jedenfalls weit lieber von Papier als vom Bildschirm ab. In Indesign lassen sich Wortzwischenräume und -trennungen natürlich wesentlich besser steuern. Ansonsten kann ich dir noch die Website The Elements
of Typographic Style Applied to the Web empfehlen.
Wie Silbentrennung in OOo geht, weiss ich. Das wollte ich nicht.
In HTML finde ich das auch fehl am Platz.
Was ich meinte, ist eine HTML-Version der Arbeit, ohne Silbentrennung, aber CSS-bar (wissenschon, Form und Inhalt).
Aber da auch Kunstreich gerne eine ePUB Version hätte, werde ich mal schauen, ob das mit vertretbarem Aufwand zu machen ist.
Warum soll die Silbentrennung in HTML fehl am Platz sein? Falls du den Hyphenator mal testen willst, kannst du folgenden Code als Bookmarklet speichern (Rechtsklick auf Firefox-Lesezeichen / Eigenschaften / Location [„Ort“ in der deutschen Version?]):
javascript:if(document.createElement){void(head=document.getElementsByTagName('head').item(0));void(script=document.createElement('script'));void(script.src='http://hyphenator.googlecode.com/svn/trunk/Hyphenator.js?bm=true');void(script.type='text/javascript');void(head.appendChild(script));}
Und das geht auch mit Flattersatz. Mit Hilfe des Hyphenators und @font-face kann man mittlerweile Webdokumente, die sich auf HTML stützen, typografisch richtig sauber gestalten. (Firefox 4 unterstützt sogar OpenType-Layout-Features. Das ist schon sensationell.) Die Zeiten, in denen HTML (auch in Kombination mit CSS, Javascript u. s. w.) untauglich für eine gute Lesetypografie war, sind vorbei. Außerdem kannst du ja bestimmen, welches CSS für welchen Medientyp verwendet wird, also z. B. für den Druck die Größen in Punkt, und für den Bildschirm in Pixel angeben.
Ok, nur für dich habe ich ein PDF mit Hyphenation erstellt.
Das ist rein automatisiert entstanden, also sind da garantiert Fehler drin. In Komposita mit Bindestrichen habe ich bei einer Silbentrennung aufeinanderfolgende Trennstriche gesehen, das will man eigentlich nicht. Ich kann aber gerade nicht das ganze DIng nochmal manuell checken.
„Polizei–Kooperation“ will man tatsächlich nicht. Aber andererseits wird dadurch die Lesbarkeit nicht verschlechtert. Das ist tatsächlich eher ein ästhetisches Problem. Und mir ging es ja auch nicht darum, dass ich den Text schlechter lesen kann, wenn der Blocksatz Löcher in den Text reißt, sondern dass ihn jeder schlechter lesen kann, weil der Blick des Lesers quasi in die weiten Wortzwischenräume fällt wie die Räder eines Autos in Schlaglöcher. In der Lesetypographie geht es weniger um Ästhetik als um Lesbarkeit. Du tust also jedem Leser deines Textes einen Gefallen, wenn du ihn auch in Bezug auf die Typografie lesbar gestaltest. Dass dir das nicht so gut gelingen kann wie einem professionellen Typografen, ist doch klar. Ich bin selbst auch nur Laie auf diesem Gebiet.
… wenn es auch kompliziert geht. Mit LaTeX wäre das ziemlich simpel, dafür ist es schließlich gedacht. Da muß man Silbentrennung nicht aktivieren und keine Skripte benutzen.
Inhaltlich ist die Arbeit sicher sehr interessant (hab sie noch nicht gelesen), typografisch ist sie aber … äh … echt fies. :D
Die Blog-Software hat den doppelten Bindestrich ersetzt.
Auch auf die Gefahr hin, hier einen Witz mit Bart zu machen: eine Meisterleistung, Herr Meister! Ich bin ein bisschen stolz, dass nicht nur industrieforschung und Auftragsdienste an unseren universitaeten geleistet werden, sondern auch in technischen Bereichen kritische Wissenschaft. Du hast mir einen interessanten, lehrreichen Abend bereitet. :)
Ps: Hallo joerg- Olaf, löscht du wieder meine Kommentare, weil du mich nicht leiden kannst?
Danke. Der „Bereich“ ist nicht technisch, sondern sozialwissenschaftlich :)
Es sollte ein zentrales Verzeichnis für solche ambitionierten wissenschaftlichen Arbeiten geben, die noch nicht (weil studentisch) der perversen wissenschaftlichen Verwertungslogik folgen, aber so wichtiges Wissen enthalten. Eine ePub Version und ich wäre vollkommen entzückt. Weiter so!
Leider wird das Interesse der Unterhaltungsindustrie an den Internetsperren kaum beleuchtet. Dabei hat sie national und international ein intensives Lobbying zugunsten dieser Sperren betrieben. Von Johan Schlüter (APG, Dänemark) wurde ja auch ganz offen zugegeben, dass sie Kinderpornographie als Vorwand nutzen, um eine flächendeckende Sperrinfrastruktur installieren zu lassen, die sich hauptsächlich gegen P2P-User und Dienste wie Rapidshare richten würde.
Auch betrieb die deutsche Unterhaltungsindustrie bereits in den 90er Jahren die flächendeckende Einführung von Websperren auf dem Gerichtsweg. Damals nannten sie es Rights Protection System.
In Belgien wurde der Provider Scarlett gezwungen, urheberrechtsverletzende Webseiten und Dienste zu sperren; eine vergleichbare Entwicklung gibt es auch in Irland.
Aus diesen Gründen bin ich davon überzeugt, dass die Unterhaltungsinduastrie maßgeblich an der Implementierung von Websperren beteiligt war und ist.
Dass die Unterhaltungs-Industrie ein Interesse hat, ist unbestritten. Siehe die Ausweitungs-Forderungen auf S. 56f.
„Intensives Lobbying zugunsten dieser Sperren“ konnte ich in diesem deutschen Prozess im Jahr 2009 jedoch nicht ausmachen. Mein Eindruck ist auch, dass das BMFSFJ die Fokussierung auf ihr Thema wollte, vielleicht nicht nur wegen der öffentlichen Wahrnehmung, sondern sogar, weil sie inhaltlich daran geglaubt haben. Alle anderen Stimmen, die aufkamen, sind entweder gar nicht erst groß geworden, oder wurden schnell wieder zurück gepfiffen.
Die Aussage von Johan Schlüter bezieht sich nur auf eine einzige Sekundär-Quelle, die ich mangels Verifizierung nicht verwenden konnte.
Dass in den Ninetees Websperren in Deutschland „flächendeckend“ eingeführt wurden, ist mir neu. Hast du dafür weitere Hinweise?
„Dass in den Ninetees Websperren in Deutschland “flächendeckend” eingeführt wurden, ist mir neu. Hast du dafür weitere Hinweise?“
Sie wurden nicht eingeführt, die Unterhaltungsindustrie hat es nur versucht. Am Ende ist sie dann doch gescheitert, warum ist bis heute nicht ganz klar. Am einfachsten findest du wohl Informationen darüber, wenn du bei Heise unter „Rights Protection System“ suchst. Noch ausführlichere Informationen gab es in div. c’ts dieses Zeitraums, die leider nicht online verfügbar sind.
ePub wäre super!
dann könnte man totes holz schonen.
@ Ein Mensch: der Vigeland-Park fällt, egal, was man von den dort aufgestellten Plastiken hält, unter die Kunstfreiheit. Selbst wenn einige der Werke Vigelands, wenn sie auf Webseiten vorstellt würden, in einigen Ländern aus moralischen Gründen Sperrkandidaten wären.
Ganz allgemein: ich warne davor, die juristische und die politische Ebene mit Geschmacksurteilen (und auch rein auf persönlichen Moralvorstellungen beruhenden Urteilen) zu vermengen. Genau darin lag ja auch die (Wahlkampf-)Taktik von Frau von der Leyen: dass sie die moralische Seite, die öffentliche Empörung, so sehr betonten, dass die Tatsachen, die von Anfang an gegen Access-Blocking sprachen, völlig in den Hintergrund traten.
Sehe ich ähnlich! Die Vorstellung, es engen Stirnen wie Frau von der Leyen überlassen zu müssen zu entscheiden, was Kunst ist und was Pornographie, ist grauenerregend, obwohl Frau von der Leyen mir womöglich darin zustimmen würde, dass Kunst niemals pornographisch ist, also niemals ausschließlich der sexuellen Erregung dient. Im Zweifelsfall würde sie von ihrem eigenen Ekel auf die Erregung der anderen schließen. Davon bin ich überzeugt! In Bezug auf Kunst kenne ich nur ein Tabu, wobei selbst dieses Tabu nicht absolut ist: Sie darf weder Mensch noch Tier physisch verletzen. Und im Schöpfungsprozess darf weder Mensch noch Tier weder physisch noch psychisch verletzt werden. Aber kein Erwachsener darf erwarten, nicht durch den bloßen Anblick von Kunst – im weitesten Sinne – gekränkt zu werden. Übrigens auch kein erwachsenes Opfer sexuellen Missbrauchs. (Alterseinschränkungen halte ich im Zweifelsfall also für sinnvoll, aber ohne den Nebeneffekt der Beschränkung des Zugangs von Erwachsenen.) Wim Delvoyes tätowierte Schweine betrachte ich als Grenzfall. Weiter sollte Kunst in Bezug auf das, was sie anderen Lebewesen zumutet, nicht gehen. Und die tätowierten Schweine sind ganz eindeutig Kunst, die ich übrigens trotz ethischer Bedenken sehr genießen kann. Im Grunde relativiert sich der Missbrauch der Schweine da auch, denn im Vergleich zu den Unmengen an Fleisch, dass bei uns produziert wird, aber auf dem Müll und nicht im Magen landet, wäre ein Verbot dieser Art von Kunst an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Und wer sich über Kunstwerke nur deshalb aufregt, weil sie nackte Kinder abbilden, der hat nicht verstanden, was „Ceci n’est pas une pipe“ bedeutet.
Am Rande: Die Lobby-Organisation IFPI hatte bereits im Jahre 2006 folgende Themen in der Schublade:
–> content filtering
–> protocol blocking
–> blocking access to infringing online locations
Siehe als entsprechende Quelle folgenden link: http://pdfcast.org/pdf/ifpi-filtering-memo
D.h. als persönliche Meinung: Das Gesamtbild darf gerne stets betrachtet werden. Scheuklapen weg und auch ‚mal links und rechts bzw. über den Tellerrand gucken…. ;-)
In diesem Sinne, Baxter
Siehe Kommentar 422146:
Ich konnte jedoch auch für dieses Memo keinen Anhaltspunkt finden, dass es im bundesdeutschen Prozess zum ZugErschwG eine Rolle gespielt hätte.
Darauf war jedoch meine Fragestellung beschränkt, alles weitere hätte nicht sauber bearbeitet werden können. Was nicht heisst, dass ich „Scheuklappen“ hätte bzw. „das Gesamtbild [nicht] betrachten“ würde.
Eine erhellende Arbeit, die mal mittels akademischer Herangehensweise den Entstehungsprozess dieses unsäglichen Symbolpolitikgesetzes offen legt.
Leider wird und wurde die Debatte um Access-Blocking auch von den Sperrengegnern überwiegend falsch geführt, da man zu sehr den Zensuraspekt in Verbindung mit der angeblichen Wirkungslosigkeit thematisierte. Denn de facto wäre dieses Access-Blocking alles andere als wirkungslos. Dieser viel zu kurz gekommene Aspekt [1] wurde auch leider in dieser Arbeit nur beiläufig in der Einleitung auf Seite 2 oben erwähnt. *Dieses* Argument wäre es wert gewesen, etwas ausführlicher behandelt zu werden,
http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Internetsperren-sind-NICHT-WIRKUNGSLOS-und-Loeschen-REICHT-NICHT/forum-195404/msg-19916522/read/
auch wenn der Fokus der Arbeit in der Analyse des Entstehungsprozesses liegt:
Insbesondere der Umstand, dass ein Resultat der Arbeit in der Erkenntnis liegt, dass die Anfänge vom BKA initiiert wurden, macht die im Link ausgeführten Argumente umso brisanter und wirft ein mehr als nur unrühmliches Licht auf die „Kompetenz“ und das „Engagement“ des BKA.
Ein entsprechender „Ablusskommentar“ im Punkt „5 Fazit und Ausblick“ hätte IMO der Arbeit noch eine „besondere Würze“ verliehen.
[1] Soweit mir bewusst und bekannt wurde dies nur von Alvar Freude http://blogs.spdfraktion.de/netzpolitik/2010/09/09/loschen-und-strafverfolgung-statt-loschen-und-sperren/ und von heise in Ansätzen (siehe 1. Link) thematisiert.
Beim Lesen des wichtigen Absatzes zum Begriff „Kinderpornographie“ haben sich mir unwillkürlich die entsprechenden Ausführungen von MOGIS https://mogis-verein.de/2009/04/05/hallo-welt/ und http://scusiblog.org/?p=1091 aufgedrängt – ich fands schade, dass diese nicht mitzitiert wurden.
In der Arbeit habe ich mich mit einer eigenen Bewertung der Inhalte des Gesetzes zurück gehalten. In der öffentlichen Debatte habe auch ich die Strafverfolgung immer erwähnt, die IMHO tatsächlich zu wenig betont wurde.
Die Texte von MOGiS und Tina waren selbstverständlich bekannt. Der Argumentation habe ich mich ja auch angeschlossen. Als Quellen waren die für eine wisenschaftliche Arbeit jedoch wenig tauglich. Daher habe ich meine Aussagen auf Basis der Dissertation von Kuhnen, einem eigenen Interview mit maha und weiteren Studien formuliert.
Ok, dass eigene Bewertungen in so einer Arbeit vielleicht nicht gewollt oder erwünscht sind ist ja soweit nachvollziehbar. Allerdings hätte man durch die deutlichere Hervorhebung der Zusammenhänge (mein 1. Link) auch einfach die Fakten für sich sprechen lassen können.
Schließlich gewinnt die ganze Debatte vor dem Aspekt, dass Access-Blocking nicht nur „wirkungslos“, sondern sogar kontraproduktiv ist, ein ganz neues Moment, welches wesentlich besser geeignet ist als die sonst üblichen vorgebrachten Argumente, die Angelegenheit zu kippen.
Und wenn nun eine wesentliche neue Erkenntnis darin liegt, dass das BKA (und nicht Frau von der Lüge) Maßnahmen initiiert hat, die eine zielführende Strafverfolgung konterkarieren (dies muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – womöglich kommt das Strafvereitelung im Amt nahe), dann ist das eigentlich ein Skandal, der gar nicht hoch genug aufgehängt werden kann.
Die Aussagen von Lars Underbjerg, Detective Inspector aus Dänemark, sind noch deutlicher als deine Punkte:
Dieses Zitat ist von Seite 59 :)