InnenministeriumNancy Faeser ist nicht zu halten

Ministerin Faeser hat dem Innenministerium kein progressives Profil gegeben. Stattdessen steht sie permanent mit dem Koalitionsvertrag in Konflikt und verschleppt wichtige Gesetzesvorhaben. Und nach einer deftigen Wahlschlappe in Hessen kehrt sie nun auch noch als lahme Ente nach Berlin zurück. Sie ist nicht mehr zu halten. Ein Kommentar.

Nancy Faeser, nachdenklicher Blick
Nancy Faeser am Wahlabend in einem TV-Interview. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Als Nancy Faeser im Dezember 2021 überraschend die erste Innenministerin Deutschlands wurde, war dies nicht nur eine Chance für eine andere Innenpolitik, sondern auch der Versuch der Sozialdemokraten, die hessische Parteivorsitzende mit einem Amtsbonus für die gestrige Landtagswahl in Hessen zu stärken.

Nun ist beides nicht eingetreten: Faeser führte letztlich die konservative Innenpolitik von Horst Seehofer und seinen Vorgängern fort. Und sie holte bei der Hessenwahl das schlechteste Ergebnis, das den Sozialdemokraten in diesem Bundesland jemals serviert wurde. Nach Berlin kehrt sie jetzt im besten Fall als lahme Ente zurück. Da hilft es kaum, dass sie am Wahlabend von der vielen „Solidarität“ sprach, die sie nun aus Berlin erhalte. Das klingt tatsächlich mehr nach Mitleid als nach echter Unterstützung.

Sehr magere Bilanz

Faesers Bilanz im Innenministerium ist mager: In Sachen Bürgerrechte hat sich die SPD-Frau als Katastrophe herausgestellt. Das von ihr geführte Ministerium wollte an der nicht nur in der Ampel, sondern auch unter allen Sachverständigen umstrittenen Chatkontrolle unbedingt festhalten, lavierte ewig herum und verhandelte im Rat in Brüssel nur zögerlich die Position der Ampel.

Gegen den Koalitionsvertrag und höchstrichterliche Entscheidungen hat sich Faeser auch in Sachen Vorratsdatenspeicherung gestellt, indem sie an der anlasslosen Überwachung der Telekommunikationsdaten festhalten will. Seit einem ganzen Jahr liegt ein fertiger Entwurf des Justizministeriums für die Quick-Freeze-Alternative ohne anlassloses Massenspeichern in Faesers Haus vor – aber es passiert einfach nichts.

Doch nicht nur das: Der Koalitionsvertrag ist Faeser auch bei den gefährlichen Hackbacks, die sie beschönigend in „aktive Gefahrenabwehr“ umbenennt, offenbar das Papier nicht wert, auf dem er steht. Um staatliche Hackerangriffe zu legalisieren, will sie sogar das Grundgesetz ändern.

Auch bei der Reform des Bundesdatenschutzgesetzes agierte sie lustlos und scheint den Koalitionsvertrag nicht näher konsultiert zu haben. Denn ihr Gesetzentwurf fiel nur halbherzig aus. Selbst den Minimalkonsens aus dem Koalitionsvertrag setzte sie damit nicht um.

Dazu kommt der Umgang mit den Auswirkungen ihrer Entlassung von Arne Schönbohm, dem Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI): Hier verweigerte sie zuerst einen Auftritt im Innenausschuss, konterte viel zu spät und ließ Zweifel aufkommen, ob sie den Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz zur Überwachung des ehemaligen BSI-Präsidenten instrumentalisiert habe. Überhaupt: Das BSI sollte laut Koalitionsvertrag unabhängiger aufgestellt werden – aber Faeser setzte das Gegenteil durch.

Bei der Informationsfreiheit hatte die Ampel ein Transparenzgesetz versprochen, Faesers Innenministerium hat bislang dazu noch immer keinen Gesetzesentwurf vorgelegt. Auch hier wird die Zeit knapp. Es fehlt offenbar der politische Wille, alles deutet auf eine Verschleppung hin. Wenn die Ampel für eins stehen wollte, dann war es ein transparenterer und partizipativer Politikstil. Nancy Faeser steht allerdings für das komplette Gegenteil.

Mit der Handschrift der Union

Für eine Koalition, die sich Fortschritt und Bürgerrechte auf die Fahnen geschrieben hat, ist das alles zu wenig. Aus Sicht der Grund- und Freiheitsrechte hat sich Faeser schon länger als Fehlbesetzung erwiesen. Eine SPD-Innenministerin, die letztlich die Politik der Union macht, braucht kein Mensch. Die Ironie der Geschichte aber ist: Faeser will allzu gern Hardlinerin sein, kann damit aber nicht einmal bei der Law&Order-Fraktion punkten.

Man muss ihr auch ihren Anteil am fatalen Aufschwung der AfD bei den Wahlen in Hessen und Bayern ankreiden: Denn die Innenministerin hielt nicht etwa dagegen, als sich die unsägliche aktuelle Migrationsdebatte entfaltete. Die Wahlkämpferin hoffte vergebens darauf, dass sie damit ein paar Punkte bei der früher Wutbürger genannten Wahlvolkgruppe einsammeln würde. Sich dem Rechtsruck offen entgegenzustellen, kam ihr offenbar gar nicht in den Sinn.

Dabei wäre es doch einem sozialdemokratischen Innenministerium würdig gewesen, mit sachlichen Argumenten, Zahlen und Fakten aus ihrem Haus gegenzuhalten. Wenn Friedrich Merz seine unwahren Zahnersatz-Aussagen im Springer-Fernsehen tätigt, sollte es für die Spitzenpolitikerin eine Selbstverständlichkeit sein, diesen Unsinn deutlich als solchen zu benennen. Eine gute Innenministerin müsste auch erkennen und klarmachen, welche Gefahr für die Gesellschaft davon ausgeht, wenn man Rechtspopulisten gewähren lässt.

Nach dem Wahldebakel in Hessen kommt sie nun auch noch geschwächt nach Berlin zurück. Das kann nichts mehr werden: Faeser ist nicht mehr zu halten, wenn die Ampel nicht noch mehr Schaden auf sich ziehen will.

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23 Ergänzungen

      1. Ist jetzt nicht gerade eine Ergänzung, sondern eine unbelegte Unterstellung. Aber ist wohl irgendwie durch die Moderation gekommen.

        1. Ihr solltet generell einmal Eure Kommentarrichtlinien hinsichtlich der oft rigiden und oft sehr subjektiven Ausschlußgedanken bestimmter Formulierungen und Auffassungen überdenken! Da fällt vieles unter den Tisch, wenn es (wegen der Enttäuschung über den vergeblichen Kampf gegen Windmühlen) nur ein bischen emotionaler als sonst formuliert ist, während andere, teils völlig nichtssagende Kommentare anstandslos durchkommen…!

          1. Dem kann ich mich anschließen, ich habe selbst schon mehrfach Erfahrungen damit gemacht, dass die Kommentarmoderation hier nicht wirklich transparent und nachvollziehbar erfolgt. Und während ich mir im Einzelfall noch durchaus denken kann, warum ein Kommentar von mir es nicht durch die Moderation schafft, hört das Verständnis spätestens dann auf, wenn Kommentare mit vergleichbar provokanten Formulierungen oder einem Inhalt, der den Anforderungen an eine „Ergänzung“ objektiv noch viel weniger gerecht wird, durchgelassen werden.

            Als jemand, der regelmäßig spendet, erwarte ich hier keine Sonderbehandlung, zumal die Spenden mir als Benutzer ohne Account nicht zuzuordnen sind. Aber ihr solltet auch wissen, dass eine intransparente und bisweilen willkürlich erscheinende Kommentarmoderation für mich auf jeder anderen Seite ein Grund wäre, die Spenden wieder einzustellen. Bei Netzpolitik.org sehe ich davon ab, weil das ganze Projekt angesichts der wachsenden Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie mangelnder Alternativen einfach zu wichtig ist, um ihm wegen so etwas die Unterstützung zu entziehen. Aber man kann wohl erwarten, dass ihr euch darauf nicht ausruht. Es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, wenn ihr bei anderen (zu Recht) Intransparenz, Inkonsequenz und ebenso irrationale wie willkürliche Zensur ankreidet, euch aber bei Nutzerbeiträgen selbst nur schwammig auf das „Hausrecht“ beruft. Egal wie verständlich eure Gründe für präventive Moderation generell auch sein mögen – nachvollziehbar sollte sie sein. Sonst wäre es besser, so wie Fefe gar keine Kommentare zuzulassen und Ergänzungen nur noch nicht öffentlich per Mail entgegenzunehmen.

          2. Ich kann da nur um Nachsicht bitten. Kommentare werden meistens von den Autor:innen selbst moderiert, aber nicht immer, denn wir sind ja nicht alle immer in Bereitschaft und wir wollen Kommentare so schnell wie möglich freischalten.

            Was wir gemerkt haben: Moderation lässt sich nur sehr schwer nach einen strikten oder gar objektiven Schema durchführen, Bauchgefühl und individuelle Einstellungen spielen immer eine Rolle. Das gilt übrigens nicht nur für netzpolitik.org:

            https://netzpolitik.org/2016/moderation-bleibt-handarbeit-wie-tageszeitungen-leserkommentare-moderieren/

    1. Meine Antwort zu dem Quatsch am 9. Oktober 2023 um 18:14 Uhr:
      Ja, ja. Die Menschen und ihre Gefühle. Ein Grund, weshalb die Werbe-Branche so gerne digital Gefühle bestimmen möchte ist: Das passende Angebot für den Augenblick, wenn das Hirn sich verabschiedet.

      Was war der Grund, das nicht freizuschalten?
      Jetzt mal bitte ehrlich sein.

          1. Ich komme mir manchmal vor wie in einer Slapstick-Komödie, aber keine besonders gute. Entweder sind wir Zensoren zum Quadrat, weil wir auch Kommentare löschen und eben nicht jeden Kommentar als Ergänzung verstehen, obwohl wenn wir uns oft anstrengen, um gedanklich noch einen Zusammenhang zum Text zu konstruieren. Oder aber wir stehen vor der Forderung, man müsse doch bittschön Gegenrede durchlassen, in der zuvor Geschriebenes als „dümmlich“ qualifiziert wird. Als hätte das noch irgendwas mit dem Text oben zu tun.

            Hinweis: Hier ist kein Forum, wo man seine schlechte Laune mal vollumfänglich ablassen kann.

        1. Das würde mich jetzt auch interessieren, was der Kommentar mit dem Artikel zu tun hat. Mir ist Frau Faeser nicht bekannt dafür, dass sie die Online-Werbe-Industrie gefördert hat oder ein Privacy-Sieve-Abkommen voran gebracht hat. Ist übrigens die korrekte Bezeichnung, denn dieses Schild war so löchrig wie ein Sieb, wurde höchstgerichtlich festgestellt.

          Ich habe mich auch erst mal gefragt, wo der Link zum betreffenden Artikel ist oder der „Quatsch am 9. Oktober 2023 um 18:14 Uhr“. Also ich sehe auch keinen Artikelbezug. Die Regel lautet:

          „4. Folgendes kann zu einer Löschung oder Moderation führen:“

          „Beiträge, die nichts mit dem jeweiligen Artikel zu tun haben“

          Steht auf:
          https://netzpolitik.org/kommentare/

          1. Hat sie nicht so ein bischen mitlobbyiert, bei Chatkontrolle oder so?
            Sicherlich nur, weil man das so als Innenminister so macht. Denn wer braucht schon eine Verfassung, wenn einem die Grundlagen auch einfach völlig egal sein können?

  1. „Eine SPD-Innenministerin, die letztlich die Politik der Union macht, braucht kein Mensch.“

    Doch, Scholz & Co brauchen genau das, denn man will ja zurück zu schwarz-rot. Siehe Berlin.

    Es gab noch keinen SPD-Innenminister, der oder die nicht die Politik der Union machte. Was natürlich die Folgerung nahe legt, dass kein Mensch die SPD braucht, d’accord.

    1. Das ist uebrigens eine reale Option und die Drohkulisse, die die Gruenen auf Linie haelt: keine der Ampel-Parteien kann sich zZt Neuwahlen leisten, aber die SPD kann jederzeit einen CDU-Kanzler waehlen.

    2. Ah, und natuerlich kann Faeser in Hessen jetzt schonmal ueben fuer Schwarz-Rot. Die SPD muss und will sich da ja aktiv weiter buecken als die Gruenen, um in die Regierung zu kommen.

  2. > Sie ist nicht mehr zu halten.

    Bei aller Sympathie für diesen Wunsch, aber dafür gibt es keine gute Fee, die diesen in Erfüllung gehen lässt. Der Ausgang der Wahl war so absehbar, und Nancy Faser wusste worauf sie sich einlässt. Oder anders gesagt: Sie kann das ab, und ihr Fell ist dick genug. Sicher, Erfolg sieht anders aus, aber nun ist sie genug gestählt, um weiteren Unmut auf sich zu ziehen, und diesen wegzustecken.

    Wenn da noch etwas wäre, worüber sie stolpern könnte, dann ist das die juristische Aufarbeitung der Causa Schönbohm, die ja eigentlich eine Causa Faeser ist.

  3. Die Causa Faeser zeigt das ganze Debakel der regierenden Koalition. Minister/innen wurde nach proporz, aber nicht nach Fachkenntnis ausgewählt, sonst wären Faeser, Baerbock und habeck nicht im Amt. Welchen Schaden das bei den Wählern anrichtet wurde wohl nicht bedacht. Das böse Erwachen kommt dann, wenn die nächste regierung eine Koalition aus Union und AfD ist. Ganz unwahrscheinlich scheint das nicht zu sein, denn die SPD wird bestimmt nicht mehr in der Lage sein, den Kanzler zustellen und die AfD wird zurecht eine Regierungsbeteilung fordern, wenn sie 30% Stimmenanteil erreicht hat. Unehrliche Politik, die auf Lügen (z. B. Cum-Ex, Koalitionsvertrag) basiert, führt früher oder später ins Verderben. Auch ein unwahrscheinlicher Rücktritt oder die Entlassung von Faeser wird daran kaum etwas ändern.

  4. Als Nancy Faeser Innenministerin wurde, wurde mir gesagt, sie sei eine wichtige Stimme im Kampf gegen Rechtsextremismus. Davon habe ich leider wirklich die letzten 2 Jahre nichts gemerkt. Und das finde ich extrem schade, denn so jemanden bräuchten wir im Bundesinnenministerium.

    1. Ja, es gab ja ihre Vorgeschichte im Kampf gegen Rechts, die Hoffnung machte. Ein paar Verbote gegen rechtsradikale Splitterorganisationen mögen richtig sein, aber das Problem des Rechtsradikalismus und des Erfolges der AfD entsteht ja woanders: In der Mitte der Gesellschaft.

  5. “ Nach Berlin kehrt sie jetzt im besten Fall als lahme Ente zurück. “

    Das ist aber eine schwere Beleidigungen an Enten. Ich denke nicht das die damit Ok wären mit Faeser verglichen zu werden.

  6. Haelt sich aber gut.

    Spaetestens Scheuer hat bewiesen, dass selbst objektiv fehlende oder versagende Politiker schamlos im Amt bleiben koennen, solange das ihrem Chef nicht direkt schadet. Scholz kann das alles schlicht egal sein. Und wer sich und sein Selbstwertgefuehl nicht ausreichend vom vermeintlichen „Ansehen in der Oeffentlichkeit“ abkoppeln kann, ueberlebt in der Spitzenpolitik ohnehin nicht lange.

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