Wer aus einem anderen EU-Land versucht, ein Video zum Beispiel in der ARD-Mediathek abzuspielen, der kriegt heute stattdessen oft etwas anderes angezeigt: „Nicht verfügbar“, steht dann da, neben einem Bild eines Mittdreißigers in Business Casual. Der schaut auf sein Tablet, Zeigefinger an der Schläfe, als ob er gerade über die Feinheiten des EU-Urheberrechts sinnieren würde. „Dieses Video ist aus rechtlichen Gründen nicht in Ihrem Land verfügbar“, heißt es dann weiter. „Wir bitten um Verständnis.“
Was hier gerade geschieht, heißt Geoblocking. Anbieter von Filmen oder Serien dürfen diese in manchen Ländern nicht streamen, obwohl das technisch problemlos möglich wäre. Grund ist das Urheberrecht: Rechte an Filmen sind oft territorial eingegrenzt. Nur weil ein Unternehmen einen Film in Deutschland zeigen darf, gilt das nicht gleich für Spanien.
Für Zuschauer:innen ist das natürlich ärgerlich: Eine Woche lang in Prag oder zum Erasmus-Auslandssemester in Rom? Das heißt, keinen Zugang zu deutschen Mediatheken zu haben. Wenig verwunderlich, dass viele entweder einen VPN-Dienst benutzen, um den Zugriff aus einem anderen Land vorzutäuschen, oder lieber zu einem US-amerikanischen Konkurrenten wie Netflix wechseln.
Alle Jahre wieder kommt das Urheberrecht
Die EU hat zwar seit 2018 Regeln gegen ungerechtfertigtes Geoblocking. Anbieter dürfen Kund:innen innerhalb der Union nicht wegen Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Niederlassungsort schlechter behandeln. Dabei geht es zu einem guten Teil um Online-Läden, die physische Produkte verschicken oder Dienstleistungen anbieten.
Das gilt auch für kommerzielle Streamingdienste wie Netflix oder Sky. Die sind zur sogenannten zeitlich begrenzten Portabilität digitaler Inhalte sogar verpflichtet, solange es sich nicht um Live-Streams von beispielsweise Sportereignissen handelt. Ausdrücklich ausgenommen sind jedoch die Mediatheken öffentlich-rechtlicher Sender.
Zwar können solche Anstalten ihre Inhalte grenzüberschreitend ausstrahlen, wenn sie die Rechte geklärt haben und ein weltweites Publikum erreichen wollen. Sie müssen es aber nicht. In der Praxis läuft das oft darauf hinaus, dass sich die letzte Tatort-Folge nicht aus dem Ausland gucken lässt. Insgesamt bleibt der Bereich weiterhin ein Flickenteppich, der das Versprechen eines digitalen EU-Binnenmarkts kaum einlösen kann.
Im Plenum abgeschwächt
Das EU-Parlament wollte gestern eigentlich einen Bericht verabschieden, der mehr Bewegung zu dem Thema fordert. Die polnische Konservative Beata Mazurek wollte darin den begrenzten Fortschritt in den letzten Jahren bedauern. Außerdem sollte die EU-Kommission bei ihrer nächsten Revision der Geoblocking-Richtlinie, die 2025 ansteht, genau prüfen, ob Filme und Serien nicht auch einbezogen werden könnten.
So ist es nun aber nicht gekommen. Bei der Plenarabstimmung haben sich Abgeordnete mit Änderungsvorschlägen durchgesetzt, die den Bericht stark abschwächen. Statt weitere Maßnahmen zu fordern, um Inhalte grenzüberschreitend erreichbar zu machen, stellt der Bericht nun nur noch fest, bereits weitere Maßnahmen erarbeitet werden. Geoblocking sei eines der wichtigsten Werkzeuge, um kulturelle Diversität sicherzustellen, heißt es in dem Bericht weiter.
Die Änderungen gehen auch auf die deutsche Konservative Sabine Verheyen zurück. Sie konnte, stellvertretend für den Kulturausschuss des Parlaments, einen Hinweis auf die möglichen Gewinneinbußen durchsetzen. Laut ihrer Änderung würde eine Abschaffung von Geoblocking die kulturelle Diversität reduzieren und letztlich Preise für Kund:innen erhöhen.
Weltuntergang oder Chance?
Das Geoblocking für Europas Kultursektor immens wichtig ist, denken nicht nur die Abgeordneten. Ganz ähnlich steht es auch auf der Seite der Kampagne Creativity Works, die sich gegen den Bericht eingesetzt hat. Und damit ist sie nicht alleine: Auch der Deutsche Fußballbund, der Verband Privater Medien oder der europäische Verband der Privatfernsehen- und Streaminganbieter ACT haben Mails und Briefe an die Abgeordneten geschickt.
Sie vertraten dabei ähnliche Blickwinkel: Ein Ende von Geoblocking würde ihr Finanzierungsmodell zum Einsturz bringen. Außerdem würden so die Jobs aller 15 Millionen europäischer Angestellter im Kulturbereich gefährdet. ACT forderte deshalb, die Abgeordneten sollten den Bericht ablehnen und sich stattdessen auf den Kampf gegen Online-Piraterie konzentrieren.
Diese Argumentation halten wiederum zivilgesellschaftliche Gruppen, unter ihnen Wikimedia Deutschland, für maßlos übertrieben. Die Zahlen von angeblich bedrohten Arbeitsplätzen beruhten auf keiner unabhängigen Studie. Außerdem fordere der Bericht, anders als von der Medienbranche behauptet, nicht dazu auf, territoriale Lizenzen abzuschaffen. „Alle Vorhersagen für die Zukunft der europäischen Medienbranche, die auf diesen Behauptungen basieren, sind grob fehlgeleitet und zeichnen ein täuschendes Bild des Berichts“, schrieb die Gruppe in einem offenen Brief. Ganz im Gegenteil: „Territorialer Protektionismus hilft niemanden außer den etablierten Industrien, die von einer ungerechtfertigten Teilung des Binnenmarkts profitieren.“
Dem schloss sich auch Ursula Pachl von der Europäischen Verbraucher:innenorganisation BEUC an: „Im Jahr 2023 und mit einem etablierten europäischen Binnenmarkt ist es unerklärbar, dass man wegen Geoblocking Filme, Serien oder Sportereignisse immer noch nicht aus anderen Ländern schauen kann.“
Bericht hätte Signalwirkung gezeigt
Nach der Abstimmung äußerte sich Justus Dreyling von der Communia Association ernüchtert. Der Bericht hätte eine Signalwirkung für die Abschaffung des Geoblockings haben können, sagte er netzpolitik.org. „Leider ist eine Mehrheit der MEPs der Panikmache der Filmwirtschaft auf den Leim gegangen. Wenn sich an den bestehenden Regeln nichts ändert, gehen die europäischen Konsument:innen leer aus. Aber auch Filmemacher:innen können so weiterhin kein gesamteuropäisches Publikum erreichen.“
Der Bericht des Parlaments hat keine direkten Folgen, weil das Parlament keine eigenen Gesetze vorschlagen darf. Die Geoblocking-Richtlinie soll aber bis 2025 überarbeitet werden, und dabei muss die Kommission mit dem Parlament zusammenarbeiten. Das hat seine Position nun fürs Erste klargestellt.
Hinweis: Eine erste Version des Artikels hat irrtümlich die Auswirkung der Änderungsvorschläge nicht miteinbezogen. Wir haben den Text überarbeitet.
Das stimmt leider nicht. Der Bericht wurde heute im Rahmen der Abstimmung geändert und alle Verweise auf die Abschaffung von Geoblocking für Audio- und Videoinhalte wurden aus dem Bericht gestrichen. Damit hat sich die Lobby der Rechteinhaber durchgesetzt.
Danke, wir haben das korrigiert!