Wer sich in diesem Jahr weniger Nachrichten zu Elon Musks Eskapaden erhofft hatte, wird vermutlich enttäuscht werden. Weder ist in den kommenden Monaten damit zu rechnen, dass der Twitter-CEO schweigend am digitalen Spielfeldrand steht. Noch wird die Debatte um Regeln für die Tech-Plattformen abebben. Ganz im Gegenteil.
Denn in diesem Jahr wird der Digital Services Act (DSA) umgesetzt – das umfassende neue Regelwerk der EU für Plattformen wie Twitter, Instagram, Google und TikTok. Besonders seit Musks Twitter-Übernahme weisen Brüsseler wie Berliner Politiker:innen bei jeder sich ihnen bietenden Möglichkeit darauf hin. Und sie geben sich in den USA geradezu die Klinke in die Hand, um auch vor Ort an die Einhaltung der Regeln zu mahnen.
Anfang Januar erhielt Elon Musk in San Francisco auch Besuch von Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP). Der Minister beschwor den Gastgeber, freiwillige Selbstverpflichtungen zum Umgang mit Desinformation so lange einzuhalten, bis der DSA gilt. „Elon Musk hat mir zugestimmt“, twitterte Wissing denn auch im Anschluss an das Gespräch.
Neue Regeln rücken ins Rampenlicht
Das alles zeigt: In Regierungen und Parlamenten regt sich Unmut über die willkürlichen Entscheidungen, die Plattformen wie Twitter offenkundig unsicherer machen und die Grundrechte von Nutzer:innen gefährden.
Aber bei aller Empörung: Die EU müsste sich auch einmal herzlich bei Elon Musk bedanken. Denn der Twitter-CEO hat die Aufmerksamkeit derart auf den DSA gelenkt, wie es keine Pressemitteilung der Europäischen Kommission vermocht hätte. Dafür haben Musks unternehmerische Entscheidungen gesorgt – die Massenentlassungen in wichtigen Unternehmensbereichen, seine Geschäftsführung via Twitter-Umfragen, die Rücknahme der Kündigungen, die unerklärliche Inhaltemoderation, ausbleibende Mietzahlungen und vieles mehr. Obendrein ist seine schrullig-launenhafte und autoritäre Art für die Medien ein gefundenes Fressen. Seit Wochen legen sie jede Verfehlung des Milliardärs gnadenlos offen.
Diese öffentliche Aufmerksamkeit schafft maximale Transparenz. Damit testet Musk unfreiwillig bereits die neuen EU-Regeln, bevor diese überhaupt wirksam sind. Denn eines der großen Versprechen des DSA lautet, Licht ins Dunkel der Plattformpraktiken zu bringen, etwa mit Berichtspflichten und verständlicheren Geschäftsbedingungen. Weitergehende Vorgaben sollen für „sehr große“ Plattformen gelten, die in der EU mehr als 45 Millionen Nutzer:innen haben.
Den Versprechungen müssen nun Taten folgen
Ob Twitter als „sehr groß“ gilt, ist derzeit noch unklar und wird sich voraussichtlich im Februar herausstellen. Doch schon jetzt zeigt die Causa exemplarisch, wie positiv sich erhöhte Transparenz auswirkt. Kleinste Änderungen der Twitter-AGBs erfahren derzeit große öffentliche Beachtung. Gleiches gilt für veränderte Moderationsrichtlinien, Auseinandersetzungen mit Unternehmenspartnern, das Hin-und-Her bei möglichen Abo-Modellen sowie den Umgang mit Rassismus und Antisemitismus auf der Plattform. Darüber hinaus haben Musks Entscheidungen dazu geführt, dass sich zahlreiche Menschen nicht-kommerziellen Plattformen zuwandten. Dezentrale Angebote wie Mastodon bekommen seit Monaten erheblichen Zulauf.
Musk hat somit vor aller Augen den Beweis dafür erbracht, dass es eine strenge Regulierung der Plattformen braucht. Damit steigt der Druck auf Politik und Behörden, ihren Versprechungen zum DSA auch Taten folgen zu lassen. Wenn auf die Selfies mit Musk nichts folgt, wäre das eine Blamage für die EU und würde – noch viel schlimmer – keine Verbesserungen für die Millionen Plattformnutzenden in Europa bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass der DSA vernünftig durchgesetzt wird.
Ob das der Union und ihren Mitgliedstaaten gelingt, wird sich in diesem Jahr zeigen. Konkret müssen sie unabhängige Aufsichtsbehörden aufbauen, die in der Lage und willens sind, sich mit den Tech-Unternehmen anzulegen. Die Kommission ist für die sehr großen Plattformen verantwortlich. Dafür heuert sie mehr Personal an, strukturiert die zuständige Abteilung um und baut ein eigenes Forschungszentrum auf. Die Mitgliedstaaten sind für die kleineren Plattformen zuständig und arbeiten der Kommission zu. Dafür muss jedes Land je einen Koordinator für digitale Dienste benennen. Dieser „Digital Services Coordinator“ (DSC) ist sowohl zentrale Beschwerdestelle als auch Anlaufstation für die Forschung.
Das Jahr der Plattformaufsicht
In Deutschland ist bislang noch nicht entschieden, welche Behörde diese Aufgabe übernehmen wird. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Bundesregierung für die kommenden Monate angekündigt. Die Ampel-Koalition sollte diese Aufgabe, zu einer starken Plattformaufsicht auf deutscher und europäischer Ebene beizutragen, ernst nehmen. Es braucht gut ausgestattete, technisch versierte und untereinander vernetzte Behörden in den jeweiligen Mitgliedsländern wie auch in Brüssel. Sonst werden die vielen aktuellen Mahnungen folgenlos bleiben, dass Musk und Co. an den DSA gebunden seien.
Um eine starke Plattformaufsicht aufzubauen, bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Kommission muss schon in diesem Jahr arbeitsfähig sein; die Mitgliedstaaten müssen bis Februar 2024 ihre Koordinator:innen benennen.
Konkret stehen für Deutschland eine Menge neuer Aufgaben an: In einem Gesetzgebungsverfahren muss zunächst benannt werden, bei welcher Behörde der DSC angesiedelt sein wird. Dann muss der DSC als unabhängige Stelle für Plattformaufsicht aufgebaut werden. Und es muss Personal mit vielfältiger Expertise ein- und technische Infrastruktur bereitgestellt, ein System zur Koordination mehrerer deutscher Behörden entwickelt sowie ein Netzwerk aus Forschung und Zivilgesellschaft etabliert werden. Das alles sollte bestenfalls noch in diesem Jahr geschehen.
Es gibt also viel zu tun – und es bleibt zu hoffen, dass nach all den Eskapaden von Elon Musk dieses Jahr der Plattformregulierung nicht enttäuschend wird.
Julian Jaursch ist Projektleiter beim gemeinnützigen Think Tank Stiftung Neue Verantwortung (SNV) und befasst sich dort unter anderem mit Plattformregulierung.
Der „DSA“ wird ohne einheitliche EU-Regelungen ein Zensurmonster der Extraklasse. Inhalte die gegen ein (!) Gesetz eines Mitgliedstaates verstoßen müssen für alle gelöscht werden. Man muss sich also mit allen Gesetzen aller Staaten auskennen. Wenn ein Staat etwas nachträglich verbietet, was dann?
Am Beispiel Twitter: die meisten Nutzer sind Amerikaner und Japaner und die Plattform is mittlerweile bekannt für pornografische Manga Inhalte. Das allein verstößt gegen deutsche Gesetze (keine Alterskontrolle) und schlimmer wird es, weil Twitter lt. ToS nur realistische/echte Darstellungen fiktiver Minderjähriger verbietet. Das wäre schon ein Indizierungsgrund. Da nicht gegen vorgegangen wird, da es eben nicht verboten ist. Die EU bzw. einzelne Staaten können nun gewaltige Zensurwellen gegeneinander / zusammen auslösen.
Der „DSA“ wird ohne einheitliche EU-Regelungen ein Zensurmonster der Extraklasse. Inhalte die gegen ein (!) Gesetz eines Mitgliedstaates verstoßen müssen für alle gelöscht werden. Man muss sich also mit allen Gesetzen aller Staaten auskennen. Wenn ein Staat etwas nachträglich verbietet, was dann?
Am Beispiel Twitter: die meisten Nutzer sind Amerikaner und Japaner und die Plattform is mittlerweile bekannt für pornografische Manga Inhalte. Das allein verstößt gegen deutsche Gesetze (keine Alterskontrolle) und schlimmer wird es, weil Twitter lt. ToS nur realistische/echte Darstellungen fiktiver Minderjähriger verbietet. Das wäre schon ein Indizierungsgrund. Da nicht gegen vorgegangen wird, da es eben nicht verboten ist. Die EU bzw. einzelne Staaten können nun gewaltige Zensurwellen gegeneinander / zusammen auslösen.
Welche Definition greift hier? Die KiPo Definition der EU, oder eines Mitgliedstaates? Ich sehe den EU-Gedanken hier nicht.
(Bitte diesen Post durch den anderen ersetzen)