Chatkontrolle-LobbyismusIn 37 Minuten zum Termin mit der EU-Innenkommissarin

Schriftverkehre zwischen der EU-Innenkommissarin und Thorn, die wir teilweise veröffentlichen, zeigen den direkten Draht zwischen Ylva Johansson und der Lobbyorganisation. Die Kommissarin dankt darin für die Mitarbeit an der EU-Verordnung. Und wenn Ashton Kutcher von Thorn einen Termin mit der Kommissarin will, dann kriegt er den bereits nach einer guten halben Stunde.

Ylva Johansson und Ashton Kutcher vor Europafahne
Ashton Kutcher (rechts) ist nur das öffentliche Gesicht eines breiten Netzwerkes, das für die Chatkontrolle bei der EU-Kommission lobbyiert. Hier bei einem Treffen mit Johansson am 20. März 2023. Twitter / Ylva Johansson

Seit Wochen wird darüber diskutiert, dass EU-Innenkommissarin Ylva Johansson engste Verbindungen zu einem millionenschweren Lobbynetzwerk pflegt. Das Netzwerk setzt sich mit Nachdruck dafür ein, die Chatkontrolle einzuführen. Schriftverkehre zeigen nun auf, wie groß die gegenseitige Vertrautheit ist und über welch privilegierten Zugang das Netzwerk zur Kommissarin verfügt.

Ein Brief, den wir veröffentlichen, hatte die Kommission anfragenden Journalist:innen nicht ausgehändigt, da dies die Interessen von Dritten berühre. In dem Brief vom 5. Juni 2022 schreibt die EU-Innenkommissarin an die Organisation Thorn:

Auf dem Weg zu diesem Vorschlag haben wir viele gemeinsame Momente erlebt. Wir haben umfangreiche Konsultationen durchgeführt.

Der Brief legt nahe, dass die startup-ähnliche Lobbyorganisation Thorn sogar direkt an der Ausarbeitung der umstrittenen EU-Verordnung beteiligt gewesen sein könnte. In dem Schreiben bedankt sich Johansson bei Julie Cordua, der Geschäftsführerin von Thorn, und bittet sie um Unterstützung:

Ohne Ihre Hilfe wären wir nicht an diesen Punkt gelangt. Wir sind Partner bei der Ausarbeitung dieses starken Vorschlags gewesen. Jetzt brauche ich Ihre Hilfe, um die Öffentlichkeit zu informieren, dass dieser Vorschlag notwendig ist, dass er verhältnismäßig ist und dass er wirksam sein wird.

Thorn soll Kommission bei Öffentlichkeitsarbeit helfen

In dem Brief fordert Johansson Thorn dazu auf, sie bei der Öffentlichkeitsarbeit für die Chatkontrolle-Verordnung zu unterstützen. Die Kommissarin schreibt:

Trotz unserer engen Zusammenarbeit möchte ich die Position Ihrer unabhängigen Organisation, Ihre Art zu kommunizieren und die strategischen Entscheidungen, die dies widerspiegeln, in vollem Umfang respektieren.

Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass wir eine anhaltende Kampagne zur Förderung dieses Pakets durchführen werden.

Ab dem 11. Mai werden wir eine eigene Website einrichten;

http://ec.europa.eu/home-affairs/EUvsChildSexualAbuse

Wir werden den Hashtag #EUvsChildSexualAbuse verwenden.

Sie sind herzlich eingeladen, unser Material nach eigenem Ermessen zu verwenden. Aber das Wichtigste ist, dass Sie diesen Vorschlag öffentlich befürworten.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dies ein notwendiger und wichtiger Schritt ist. Natürlich sind weitere Maßnahmen erforderlich. Ich zähle auf Sie, damit dies ein erfolgreicher Start wird. Und ich freue mich darauf, mit Ihnen gemeinsam die vielen Schritte vom Vorschlag hin zu einer EU-weiten Rechtsvorschrift mit den Gesetzgebungspartnern zu gehen.

Termin für Kutcher in gut einer halben Stunde

Doch nicht nur der vertraute Brief zeigt die Nähe von Johansson zu Thorn, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der Vertreter:innen der Organisation Zugang zur Kommissarin erhalten.

In einer E-Mail, die netzpolitik.org einsehen konnte, kündigte Thorn der Johansson-Mitarbeiterin Monika Maglione am 24. Februar 2023 an, dass Ashton Kutcher am 20. März 2023 in Brüssel sein werde. Die Mitarbeiterin der EU-Kommissarin sagt nur 37 Minuten später prinzipiell ein Treffen mit dem Schauspieler für diesen Tag zu.

Weitere neun Minuten später steht der Termin für 10:30 Uhr fest. Im weiteren E-Mailaustausch wird auch ein Parkplatz für den prominenten Gast organisiert.

Johansson streitet privilegierten Zugang ab

Ylva Johansson musste sich am Mittwoch Nachmittag den Fragen im EU-Innenausschuss (LIBE) wegen der Lobbyverflechtungen und dem Einsatz von politischem Mikrotargeting stellen.

Bislang hatte Johansson jede Kritik zurückgewiesen und investigative Recherchen zu den ihr offenbar nahestehenden Lobbynetzwerken als „sensationslüstern“ beschrieben. Auch in der Ausschussanhörung ließ die EU-Innenkommissarin die Fragen zu Lobbyismus und unlauterer Werbung abperlen. Lobbytreffen mit Organisationen wie Thorn stellte Johansson in der Sitzung als vollkommen normalen Ablauf dar. Sie habe sich mit Dutzenden Organisationen getroffen, so die Kommissarin.

Update:
Wir haben die Übersetzung des Satzes „Despite our close collaboration I wish to be fully respectful of your independent organisation position, your way of communicating and the strategic decisions that reflect this.“ verändert. Statt „Trotz unserer engen Zusammenarbeit möchte ich Ihnen meinen vollen Respekt ausdrücken – gegenüber der Position Ihrer unabhängigen Organisation, Ihrer Art zu kommunizieren und den strategischen Entscheidungen, die dies widerspiegelt.“ heißt es nun „Trotz unserer engen Zusammenarbeit möchte ich die Position Ihrer unabhängigen Organisation, Ihre Art zu kommunizieren und die strategischen Entscheidungen, die dies widerspiegeln, in vollem Umfang respektieren.“

 


Hier das Dokument


YLVA JOHANSSON
MEMBER OF THE EUROPEAN COMMISSION HOME AFFAIRS

Rue de la Loi, 200 B-1049 Brussels
Tel. +32-2 xxx xx xx [von der Redaktion geschwärzt]
cab-johansson-contact@ec.europa.eu

Brussels, 06/05/2022
Ares sv (2022)3757144

 

Dear Ms Cordua,

On Wednesday 11 May the European Commission will propose the new regulation on preventing and combatting the sexual abuse and sexual exploitation of children online. It is one the top priorities of my mandate. This legislative proposal is unprecedented. And it has the potential to make a real difference for millions of children in the EU and beyond for years to come.

Now I am looking to you to help make sure that this launch is a successful one.

We have shared many moments on the journey to this proposal. We have had extensive consultations. You have helped provided evidence that has served as the basis to draft this proposal. Most of all, we have had to watch, with increasing anger and frustration, as the scourge of online child abuse became a plague.

Over the last 30 months the increase has become exponential. In ways, it has mirrored the covid pandemic. Indiscriminate victims, endless hurt. In 2021, 85 million such pictures and videos were reported by Internet companies. In the EU alone we have witnessed an increase of 5980% of reports between 2010 and 2020. And these reports show only the tip of the iceberg.
Indeed the Covid pandemic made child protection from sexual abuse online and in the real world more complicated. The home isolation during the pandemic a very real contributing factor.

This regulation I propose is a very strong, European wide response. And we would not have gotten to this point without your help. We have been partners in making this a strong proposal. I now need you to help inform the public space – that this proposal is needed, it is proportionate and it will be effective.

This is our duty. Today’s proposal gives the necessary legal certainty for internet companies to take responsibility for combatting child sexual abuse, with strong safeguards. This will not just help in preventing the traumatic sharing of imagery of their abuse, but also in helping rescuing children from ongoing or imminent abuse.

The legislative proposal requires internet companies to carry out an assessment of the risk that their services are misued to disseminate child sexual abuse material or to groom children. Where needed, these companies will be required to detect, report and remove child sexual abuse online.

The proposal also establishes an EU centre to prevent and counter child sexual abuse and support victims, as a new EU agency. The Centre will facilitate efforts of all relevant parties in the fight against child sexual abuse, including companies, law enforcement, national authorities, civil society organisations and other parters inside and outside of the EU.

So what do I ask of you?

Despite our close collaboration I wish to be fully respectful of your independent organisation position, your way of communicating and the strategic decisions that reflect this.

I wanted to simply flag that we will have a sustained campaign to promote this package. From 11 May onwards we will have a dedicated website;

http://ec.europa.eu/home-affairs/EUvsChildSexualAbuse

We will use the hashtag #EUvsChildSexualAbuse

You are more than welcome to use our material as you see fit, but what matters most is your public endorsement of this proposal.

I am fully convinced that this is a necessary and important step. Of course other measures are necessary. I am counting on you to make this a successful launch and look forward to sharing the many steps we will have as we now move from proposal to making this, with legislative partners, EU wide law.

Yours sincerely,

Ylva Johansson

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4 Ergänzungen

  1. Die Übersetzung von „Despite our close collaboration I wish to be fully respectful of your independent organisation position,“ zu „möchte ich Ihnen meinen vollen Respekt ausdrücken“ ist mMn. nicht korrekt. „be respectful“ wird hier eher im Sinne von „möchte Rücksicht nehmen“ verwendet, was inhaltlich entsprechend nicht so ein hohes Lob ist, wie im Artikel suggeriert.

    Danke für die Veröffentlichung!

    1. Eigentlich ist das gar kein Lob. Sondern eine Erinnerung daran, dass man trotz sehr naher persönlicher Zusammenarbeit als unabhängige Organisationen auftreten muss.

      Was man halt so macht, wenn man die Öffentlichkeit täuschen möchte.

  2. „Und wenn Ashton Kutcher von Thorn einen Termin mit der Kommissarin will, dann kriegt er den bereits nach einer guten halben Stunde.“

    Und warum bekommt gerade er bereits nach einer guten halben Stunde schon einen Termin?

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