Am vergangenen Donnerstag vor 19 Jahren erschien um 13:12 Uhr der erste Artikel auf netzpolitik.org. „Softwareentwicklung durch Patente bedroht“ lautete die Überschrift. Es ging, wie in vielen Beiträgen der ersten Jahre, um Freie Software. Gestartet ist netzpolitik.org als Projekt von Markus Beckedahl, an manchen Tagen verbloggte er zehn Linktipps, Veranstaltungshinweise und Einordnungen auf der Seite. Doch schon zu Beginn gestalteten auch andere Autor:innen die Inhalte der Seite mit. Wir haben sie kontaktiert und nach ihren Geschichten aus den frühen Blog-Tagen gefragt.
„Wir haben noch alles selber gemacht“
Einer der Menschen, die früh mitschrieben, ist Carsten Raddatz. Von 2004 bis 2008 verfasste er fast 300 Beiträge für die Seite. Dabei war Carsten am Anfang eigentlich Webmaster, erzählt er. Zuständig war er für die Websites von newthinking, der Freien Software Presseagentur – und von netzpolitik.org.
„Jeder war ein bisschen für alles zuständig“, erzählt er von den Zeiten in der Tucholskystraße, wo die Geschichte von netzpolitik.org begann. Carsten war unter anderem für die Updates des WordPress-Systems zuständig, dessen Code er heute als grausam bezeichnet. An seinen ersten Artikel erinnert er sich gar nicht mehr richtig, aber in den folgenden Monaten schrieb er viel zum Internet in China und Taiwan. Und er half dabei, Veranstaltungen zu organisieren. „Es gab immer wieder Linux-bezogene Veranstaltungen in Berlin, wo sich die Interessierten getroffen haben.“ In der Tucholskystraße selbst fanden auch Workshops, Vorträge und Diskussionen statt, wo sich Interessierte zum Beispiel über Linux-Distributionen oder Creative-Commons-Lizenzen austauschen konnten.
„Vieles war außerordentlich hemdsärmelig, wir haben noch alles selber gemacht“, sagt Carsten. Und er erinnert sich an Zeiten, wo er bei der ersten re:publica am Einlass gearbeitet und zwischendurch den Kinderwagen mit seinem Nachwuchs geschaukelt hat.
„Backpacking to World Politics“
Früh dabei war auch Ralf Bendrath. Von ihm erschienen zwischen 2005 und 2015 regelmäßig Beiträge auf der heutigen Seite. Aber Ralf war bereits beim Vorgänger von netzpolitik.org aktiv und kannte Markus daher auch schon länger. „Angefangen hat das Blog ja mit dem Untertitel ‚Backpacking to World Politics'“, erinnert sich der Politikwissenschaftler. „Das kam daher, dass wir uns mit einigen Aktivist:innen und mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung im Vorbereitungsprozess für den UN-Weltgipfel Informationsgesellschaft 2003 engagiert haben.“ Regelmäßig seien sie zu den Vorbereitungskonferenzen nach Genf gefahren.
„Markus hat damals eine Möglichkeit gesucht, schnell Berichte von diesen Konferenzen zu publizieren – und ist auf WordPress gestoßen.“ Ob man das damals schon „Blog“ nannte, weiß Ralf nicht mehr. Doch nach dem Gipfel ging die Geschichte weiter, weg vom UN-Fokus hin zu einer breiteren Ausrichtung auf Netzpolitik. Ralf blieb dabei, bis er begann, für Jan Philipp Albrecht im EU-Parlament zu arbeiten. „Da habe ich mir die Regel gegeben, nicht über Sachen zu schreiben, an denen ich im Parlament selber arbeite. Tja, da blieb dann leider kaum Bandbreite, noch andere Themen so intensiv zu verfolgen, dass es für die dann schon recht hohen Standards bei netzpolitik.org gereicht hätte.“
Eine Erinnerung bewahrt sich Ralf bis heute: „Ich denke immer gerne an Jörg-Olaf Schäfers zurück, der leider vor einigen Jahren gestorben ist.“ Jörg-Olaf war bis zu seinem Tod im Jahr 2011 regelmäßiger Autor des Blogs. „Der ist ungern durch die Gegend gereist und war daher nie physisch auf einem CCC-Congress oder einer Freiheit-statt-Angst-Demonstration. Er war aber in der ganzen Netzpolitik-Szene extrem geschätzt. Ich glaube, er war der einzige Autor, der einen Account bekommen hat, ohne dass Markus ihn je persönlich vorher mal getroffen hatte.“
Markus traf Jörg-Olaf dann doch ein Mal, nachdem dieser schon lange auf dem Blog publizierte. Doch auch wenn er viel zu früh verstarb, werden seine zahlreichen fachkundigen Texte um Netzsperren, Jugendmedienschutz und seine kämpferischen Debattenbeiträge zu den ersten netzpolitischen Themen immer bleiben.
„Die technologische Speerspitze der Berichterstattung“
Ebenfalls lange Zeit dabei ist wetter, in Langform wetterfrosch. Seine liebste Erinnerung: die Pinguin-Aktion aus dem Jahr 2005 im Berliner Abgeordnetenhaus. „Microsoft lud zu Speis und Trank sowie einer Informationsveranstaltung über sich selbst“, schrieb wetter in einem Artikel. „Wir dachten uns, dass Lobbying auch mal etwas transparenter ablaufen kann: Und waren als Embedded Journalists dabei.“ Wetter war für Fotos und den Stream per UMTS zuständig. Heute sagt er lachend: „Das war die technologische Speerspitze der Berichterstattung.“
Er erinnert sich daran, dass der Microsoft-Pressesprecher auf ihn zukam und kritisierte, dass sie nicht einmal Flyer dabeihätten, um ihre Forderungen besser vermitteln zu können. Das aber war eine Vorsichtsmaßnahme, sagt wetter: „Nach eingehendem Studium der Hausordnung war uns klar, dass man keine Flyer im Abgeordnetenhaus verteilen darf. Damit hätten wir sofort rausfliegen können.“
Die Aktion schaffte es bis ins Forbes Magazine, das diese als „letzte Demütigung“ für Microsoft bezeichnete. „Tiere im Sommerloch funktionieren halt immer“, sagt wetter. Am Rande hatte die Aktion auch einen indirekten Bezug zum Klimawandel, erinnert er sich. Die Pinguinkostüme, in denen die Aktivist:innen auftauchten, hatten sie von der Grünen Jugend geliehen. „Die hatten die noch übrig, weil sie vorher eine Aktion gemacht hatten, um auf schmelzendes Polareis aufmerksam zu machen.“
Im nächsten Jahr werden wir 20 Jahre alt. Wir wollen und werden diesen runden Geburtstag gemeinsam mit unseren Wegbegleiter:innen und unseren Leser:innen feiern. Ganz egal, ob sie schon seit mehr als einem Jahrzehnt oder erst seit Kurzem dabei sind.
Ich wurde im Jahr 2013 auf netzpolitik.org aufmerksam. Es war die Woche, als die ersten Snowden-Enthüllungen bekannt wurden.
https://netzpolitik.org/2013/page/53/
Schnell war klar, dass das eine netzpolitische Zeitenwende ist, ein Gamechanger. Seither lese ich netzpolitik.org regelmäßig und schätze die Beiträge sehr. Seit der Gründung habt ihr euch erstaunlich gut entwickelt. Weiter so!
19 Jahre mit einer Tiefkühltorte feiern? Auf dem Bild ist die Pappe von Coppenrath und Wiede sehr erkennbar. Irgendwie traurig.
Symbolbild
> Auf dem Bild ist die Pappe von Coppenrath und Wiede sehr erkennbar. [Conditorei Coppenrath & Wiese KG]
Ob die Behauptung mit der Pappe so richtig ist, müsste noch bewiesen werden. Interessanter jedoch der Gedanke, es handelte sich um eine „Tiefkühltorte“.
Hartnäckig hält sich der patriarchale Anspruch, dass gekaufte Torten für Kindergeburtstage nicht akzeptabel seien. Damit ist die Frage aufgeworfen, wer sich denn bitte in die Küche stellen soll, um die Torte im trauten Heim herzustellen, und für welchen Lohn?
Wer als Frau die Tiefkühltorte auf den Tisch stellt, hat Emanzipation nicht nur begriffen, sondern lebt sie auch.
Ich kann versichern, dass in vielen Jahren netzpolitik.org die Fälle von selbstgebackener Torte an einer Hand abzählbar sind. Generell möchte ich hiermit aber ausdrücklich beklagen, dass weder Tiefkühltorten noch andere Torten häufig in den Büroräumen serviert werden. Dabei ist ein klarer wissenschaftlicher und auch lebensweltlicher Zusammenhang von Tortenverzehr und Arbeitsproduktivität unübersehbar. Die Verzehrquote ist so lächerlich gering, dass ich an die Gründung eines Betriebsrates zur Erhöhung des Tortenanteils denke. :}
Quote bitte mit Tortengrafik visualisieren!
> …, dass ich an die Gründung eines Betriebsrates … denke
Wer so viel über Betriebsratsgründungen und deren Abgründe schreibt, sollte doch mal vorbildlich selbst einen gründen.
https://netzpolitik.org/tag/Betriebsrat/
Naja, zehn Artikel in mehreren Jahren würde ich jetzt noch nicht als einen inhaltlichen Schwerpunkt sehen..
Ich möchte bei der Gelegenheit betonen, dass die Arbeitsbedingungen abgesehen von der mangelnden Versorgung mit Torten hier vorbildlich sind. :}
> … Torten (häufig) in den Büroräumen serviert werden.
> …mangelnden Versorgung
Entnehme ich dem auch noch ungestillte Bedürfnisse nach Bedienung?
Und nach Versorgung?
Konzepte der Selbstbedienung und Selbstversorgung müssten nicht erst noch entwickelt werden.
Selbstbestimmung und Selbstbefriedigung verhelfen zu höchstem Glück. Auch bei der Arbeit.
Sag das doch bitte schnellstmöglich den potentiellen Bedienern und Versorgern. (Ich warte! :)
Schon zum fast runden Jubiläum alles Gute und ein Riesen-Dankeschön für all die unermütliche Arbeit!
Netzpolitik.org ist zum unverzichtbaren Bestandteil derer geworden, die die Schattenseiten der Digitalisierung in allen Facetten kritisch hinterfragen und beleuchten wollen bzw. müssen.
Kritische ITler, Datenschutzaktivisten und gesellschaftlich-digitale Freigeister kommen an Euch nicht vorbei! Und für so manchen Politiker müsstet Ihr Pflichtlektüre werden.
Und das ist gut so!
Eine Anregung am Rande: Da man beim Kommentarschreiben Fehler oft erst hinterher bemerkt, wäre eine (zeitlich begrenzte) Nachbearbeitungsfunktion manchmal hilfreich. Und nur drei direkte Antwortmöglichkeiten sowie die 5000er-Zeichenbegrenzung auf einen Kommentar sind (manchmal) zu wenig, da sich oft interessante Diskussionen entwickeln. Vielleicht kann man da was machen.
>> die 5000er-Zeichenbegrenzung auf einen Kommentar
Stimmt diese max. zulässige Zeichenanzahl? Ich habe 1000 Zeichen in Erinnerung.
Mmhh…sollte ich mich verschrieben haben? Der nächste längere Kommentar wird es zeigen. Aber wenn es nur 1000 Zeichen sind, dann wäre eine höhere Grenze umso wünschenswerter.