InformationsfreiheitRot-rot-grünes „Transparenzgesetz“ würde die Transparenz in Berlin einschränken

Der Volksentscheid Transparenz hat ein fortschrittliches Transparenzgesetz für Berlin geschrieben und dafür tausende Unterschriften gesammelt. Anstatt sich mit der Initiative zu befassen, hat der rot-rot-grüne Senat nun ein eigenes Transparenzgesetz vorgelegt – das den Status Quo sogar verschlechtert.

Im Dezember 2019 übergab der Volksentscheid 33.000 Unterschriften an den Senat. Seitdem gab es keine Rückmeldung CC-BY 4.0 Leonard Wolf

Gut 15 Monate ist es nun her, dass der Volksentscheid Transparenz der Berliner Stadtregierung die Unterschriften von 33.000 Bürger:innen übergeben hat. Das Bündnis mit mehr als 40 zivilgesellschaftlichen Organisationen hatte einen eigenen Entwurf für ein Transparenzgesetz geschrieben, der die Berliner Verwaltung zu mehr Transparenz und zur proaktiven Veröffentlichung wichtiger Informationen verpflichten soll.

In nur wenigen Wochen hatte die Initiative ausreichend Unterstützung aus der Stadtgesellschaft erhalten, um einen Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens bei der Senatsverwaltung stellen zu können. Doch seit Ende 2019 wartet das Bündnis auf eine Rückmeldung. Da die SPD-geführte Innenverwaltung die Zulässigkeitsprüfung des Gesetzentwurfs immer noch nicht abgeschlossen hat, kann die Initiative keinen Schritt hin zu einer Abstimmung im Volksentscheid machen.

Stattdessen hat die rot-rot-grüne Regierung der Hauptstadt einen eigenen Entwurf für ein Transparenzgesetz vorgelegt und am Dienstag beschlossen. Nun liegt der Entwurf, der das Informationsfreiheitsgesetz ablösen soll, im Abgeordnetenhaus, kommende Woche soll die erste Lesung stattfinden.

Die Initiator:innen des Volksentscheides sind damit überhaupt nicht einverstanden. „Dieser Gesetzentwurf ist unanständig“, sagt Arne Semsrott, Vertrauensperson des Volksentscheids und Autor bei netzpolitik.org. „Erst bremst rot-rot-grün den demokratischen Prozess aus, jetzt legt der Senat ein Gesetz vor, das sogar den Status Quo verschlechtert.“

Chance auf Forschritt droht zu verpuffen

Die Idee hinter Transparenzgesetzen ist einfach: Da in der Demokratie „alle Staatsgewalt vom Volke“ ausgeht, haben Regierungen und Behörden ihre Macht nur geliehen. Damit sie im Sinne der Bevölkerung handeln, braucht es eine kritische und ausreichend informierte Öffentlichkeit.

Die Digitalisierung bietet hier die Chance für echten Fortschritt: Statt dass Journalist:innen und Bürger:innen erst aufwendig Anträge stellen müssen, um an relevante Informationen zu kommen, könnte der Staat in einem Transparenzportal gleich alles öffentlich machen, was nicht aus sehr guten Gründen geheim gehalten werden muss.

Behörden und städtische Unternehmen sollen also Verträge, Gutachten, Messungen, Treffen mit Lobbyist:innen und andere Daten künftig proaktiv veröffentlichen. Das Beispiel der Hansestadt Hamburg, in der schon seit 2012 ein Transparenzgesetz gilt, zeigt, dass davon nicht nur Bürger:innen profitieren, sondern auch die Kommunikation der Behörden untereinander vereinfacht wird.

SPD, Linke und Grüne hatten sich in ihren Koalitionsvertrag deshalb 2016 darauf festgelegt, das Berliner Informationsfreiheitsgesetz „in Richtung eines Transparenzgesetzes“ weiterzuentwickeln. Bewegung in die Sache kam allerdings erst durch den Volksentscheid.

Mit dem nun vorgelegten Entwurf plant der Senat zwar, die Verwaltung zur Veröffentlichung mancher Dokumente zu verpflichten. Dabei bleibt er aber hinter dem inzwischen neun Jahre alten Hamburger Vorbild zurück. Zudem will rot-rot-grün zahlreiche neue Ausnahmen von der Informationspflicht schaffen, die die Informationsfreiheit im Vergleich zum jetzigen Informationsfreiheitsgesetz sogar verschlechtern würden. So sollen etwa Schulen und Hochschulen weitgehend vom Gesetz ausgenommen werden.

Transparenzgesetz als „Lex Giffey“

Damit reagiert der Senat offenbar auf die Berichterstattung zum Doktortitel der Berliner SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey. Die ehemalige Neuköllner Bürgermeisterin und heutige Bundesfamilienministerin hatte bei ihrer Dissertation nachweislich plagiiert, doch die Freie Universität hatte ihr den Doktortitel trotzdem nicht aberkannt. Der Skandal kam erst durch eine IFG-Anfrage der Studierendenvertretung AStA im Jahr 2020 ins Rollen. Dies wäre künftig nicht mehr möglich.

Zudem will der Senat für Auskünfte eine Identifizierungspflicht einführen. „Wer künftig Anträge stellt, müsste dann den Personalausweis mitschicken. Das ist eine massive Einschränkung für die Informationsfreiheit und ein Datenschutz-Desaster“, so Semsrott.

Tatsächlich wirkt der Gesetzentwurf, als hätten alle Senatsverwaltungen Transparenz-Ausnahmen für ihre Bereiche ins Gesetz schreiben dürfen. Die grüne Justizverwaltung ließ etwa die mit dem derzeitigen Informationsfreiheitsgesetz seit 22 Jahren auskunftspflichtige Stiftungsaufsicht von der Auskunft ausnehmen, die Innenverwaltung will die Polizei zudem noch besser vor Transparenz schützen.

Ob der Senat jetzt zumindest die Zulässigkeitsprüfung für den Volksentscheid Transparenz fertigstellt, ist unklar. Zunächst wird sich das Abgeordnetenhaus mit dem Senatsentwurf befassen. Viel Zeit bleibt den Abgeordneten nicht mehr: Im September wählen die Berliner:innen ein neues Parlament.

3 Ergänzungen

  1. „Wer künftig Anträge stellt, müsste dann den Personalausweis mitschicken.“

    Das ist dann ähnlich aufwendig wie beim Transparenzregister, wo ja auch jeder in diese „öffentlichen Daten“ Einsicht nehmen kann – allerdings nur nach einer mehrere Tage dauernden Registrierungs- und Identifizierungsprozedur mit anschließender Verifikation per Post. Es müsste also eher Intransparenzregister heißen. Warum soll man die Suchfunktion einer Webseite nicht einfach nutzen können? Der einzige Grund ist, Menschen davon abzuschrecken, ihr Recht in Anspruch zu nehmen.

  2. In den Augen der Politik ist und bleibt Transparenz eine Einbahnstraße: die Bürger sollen bitte schön „für die Sicherheit im Lande“ die Hosen runter lassen. Selber fühlt man sich aber beim Thema Transparenz nicht angesprochen.

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