IdentifizierungszwangHass im Netz als Vehikel für Massenüberwachung

Sicherheitspolitiker missbrauchen die wichtige Debatte über „Hass im Netz“ als Argument, um eine neue Massenüberwachung zu rechtfertigen. Der Identifizierungszwang aller Bürger:innen im Internet kann kein Instrument sein, um den Hass einer gesellschaftlichen Minderheit zu bekämpfen. Ein Kommentar.

Hass-Symbole
Die wichtige Diskussion über Hass im Netz wird für den Ausbau von Überwachung genutzt. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Mika Baumeister

Wenn es früher in Debatten um Regulierung, Zensur oder Überwachung des Internets ging, dann wurden als Argumentation für die angeblichen Notwendigkeiten immer Terrorismus und Kinderpornografie genannt. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Heute ist es der „Hass im Netz“, den innenpolitische Hardliner wegen der allgemein akzeptierten Wichtigkeit des Themas als Vehikel nutzen, um ihre Ziele durchzusetzen.

So auch beim neuerlichen Vorstoß für eine so genannte „Identifizierungspflicht“, die auf der Agenda der Innenministerkonferenz steht. Mit dieser sollen Menschen gezwungen werden, ihren Klarnamen und ihr Geburtsdatum bei sozialen Netzwerken zu hinterlegen und dies mit den Daten ihres Ausweises zu verifizieren. Die Bürger:innen dürfen in diesem Modell zwar noch Pseudonyme nutzen, doch diese kann der Staat im Rahmen von Ermittlungen aufdecken.

Misstrauen gegen unbescholtene Bürger:innen

Es handelt sich bei dem Identifizierungszwang um nichts anderes als eine schlecht versteckte Klarnamenpflicht und „ein beispielloser Angriff auf die Freiheit im Internet“. Nebenbei ist es unverantwortlich, die Bürger:innen gegenüber Datenkonzernen wie Facebook, Google oder TikTok auch noch mit ihrem Klarnamen und Personalausweis zu identifizieren: Sie werden damit vollkommen dem Überwachungskapitalismus zum Fraß vorgeworfen.

Damit werden die Tech-Monopole entgegen aller Beteuerungen weiter gestärkt. Mal von möglichen Datenlecks ganz abgesehen, die erfahrungsgemäß ja immer passieren können.

Doch darum soll es hier nicht in erster Linie gehen: Im Vergleich zum in Deutschland abstrakten und lebensfernen Terrorismus ist „Hass im Netz“ deutlich greifbarer. Knapp jeder fünfte Mensch in Deutschland hat schon eine Form von Hassrede am eigenen Leib erlebt und fast jede:r diese schon einmal im Netz gesehen. Dazu kommen die plastischen Beispiele von Hass gegenüber Politiker:innen und anderen exponierten Persönlichkeiten, die das Phänomen anschaulich machen.

„Hass im Netz“ konkreter als Terrorismus

In der Spirale aus Debatte, Regulierungen und Verschärfungen rund um „Hass im Netz“ haben sich nicht nur zahlreiche Nichtregierungsorganisationen gebildet, die das Thema vorantreiben, sondern es wurden mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und dessen Novelle scharfe und sehr umstrittene Instrumente eingeführt, um Straftaten im Netz aus dem Bereich Hassrede zu begegnen. 

Die Idee des jetzigen NetzDG ist nicht nur, dass strafbare Inhalte von Morddrohungen bis Volksverhetzung von den Plattformen schnell verschwinden, sondern dass deren Urheber:innen strafrechtlich verfolgt werden. Die Logik dahinter ist klar: Kennt erstmal jeder Hetzer und jede Hassverbreiterin eine Person, die bestraft wurde, dann wird dies auf Dauer eine präventive Wirkung entfalten. Mit dem Verfolgungsdruck wachsen die Kosten für die Verbreitung von strafbarer Hassrede, was diese dann verringern soll.

Bestrafung muss sich erst entfalten

Doch dieser Mechanismus braucht Zeit. Derzeit sind die Gerichte von den vielen Verfahren und durch Corona überlastet. Die Wirkung der Gesetze gegen Hass im Netz muss sich also erst noch entfalten. Und dann erst kann man evaluieren, was es gebracht hat.

Diese neuen Gesetze, vor allem aber die Meldepflicht an das Bundeskriminalamt, gelten aber erst seit Kurzem, ihre Wirkung ist noch nicht ausgewertet. Trotzdem werden jetzt schon wieder Verschärfungen mit der Argumentation „Hass im Netz“ gefordert. Das ist kopfloser Aktionismus, gefährlich für Grund- und Freiheitsrechte und das Gegenteil von evidenzbasierter Sicherheitspolitik.

In Sachen „Hass im Netz“ kann die Lösung nicht Misstrauen gegen unbescholtene Bürger:innen und ein Identifizierungszwang aller sein, nur weil eine kleine Gruppe der Gesellschaft strafrechtlich relevante Dinge tut. Das ist unverhältnismäßig – und ein gefährlicher falscher Ansatz.

Unglaubwürdige Unionsparteien

Der Kampf gegen „Hass im Netz“, also vor allem Rassismus, Antisemitismus und Faschismus, muss an der Gesellschaft selbst ansetzen. Wenn CDU und CSU gleichzeitig Programme zur Demokratieförderung verhindern, weil sie linke Umtriebe vermuten und im selben Atemzug rechte Umtriebe von WerteUnion und Hans-Georg Maaßen in den eigenen Reihen zulassen, dann zeigt das, dass es gar nicht so sehr um „Hass im Netz“ geht, sondern um einen Ausbau der Überwachung.

Lange Zeit haben Strafverfolgungsbehörden die Anliegen von Opfern nicht ausreichend gewürdigt, Opfer-Beratungsstellen werden erst nach langer Zeit allmählich ausgebaut und Betroffene gehen teilweise nicht zur Polizei, weil dort auch organisierte Nazis ihr Unwesen treiben. Das zeigt, dass das Thema genau von denen verschlafen wurde, die jetzt ihren Identifizierungszwang als ganz neues und wirksames Rezept gegen Hass im Netz verkaufen wollen.

Verrohung demokratischer Umgangsformen

Wir können als Gesellschaft nicht die Augen verschließen vor markierenden Hetzern, die für die „Welt“ schreiben und von dieser ein bürgerliches Deckmäntelchen verpasst bekommen, während sie in ihrer Scharnierfunktion nach ganz Rechts, den Hass in der Gesellschaft mobilisieren und normalisieren.

Wir können nicht hinnehmen, dass die CDU in gemeinsamen Shitstorms mit dem Springer-Verlag den Begriff des Antisemitismus aushöhlt, weil es gerade ganz gut in den Wahlkampf passt. Hier wird der Boden bereitet für eine weitere Verrohung demokratischer Umgangsformen. Und diese Verrohung ist eine Grundlage für „Hass im Netz“.

Gegen all das hilft keine staatliche Überwachung per Identifizierungszwang. Die Bekämpfung von Hass im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche, kontinuierliche und demokratische Aufgabe. Sie darf nicht das nächste Pferd sein, das innenpolitische Hardliner zu Schanden reiten, um ihren Traum einer vollüberwachten Gesellschaft zu verwirklichen.

8 Ergänzungen

  1. Die CDU weiss, dass sie selber fuer ihre Hasskampagnen online oder in B*LD/welt nicht belangt wird, es trifft also nur den Gegener. Und der Gegner ist mit allen Mittel zu bekaempfen.

    Trump war keine Ausnahme, Trump ist das neue Normal der Konservativen.

  2. Es wird oft über die „Echoräume“ geschrieben und gesprochen, dass darin Überbewertungen von Informationen stattfinden.
    Ich erlebe das auch immer wieder.
    Nun haben Facebook & Co solche Räume erst geschaffen und fast jeder Nutzer von digitalen Medien nutzt mehrere Räume, um Termine oder Verabredungen oder persönliche Nachrichten weiterzugeben, ja nach Zielsetzung der Gruppe.

    Dass hier ausschließlich wissentlich „Falsch“informationen weitergegeben werden, halte ich für ein Gerücht kann aber in wenigen Fällen durchaus möglich sein.
    Das ist aber in der Geschichte der Menschheit nichts neues und reicht vom Neid gegenüber den Nachbarn oder eigenen Verwandschaft bis in die Politik (Irak-Krieg).
    Daraus eine Kennzeichenpflicht unsererseits gegenüber den jeweiligen Digitalfirmen abzuleiten, halte ich für völlig überzogen.

    Vor allem sehe ich die Demokratie nicht durch Falschmeldungen gefährdet sonder durch die Kontrolle aller Nachrichten, also auch der „normalen“ Nachrichten, die – prozentual gesehen – mit Sicherheit unter 5% liegt.

    Achtung! Nicht die Duplikate mitzählen.
    Ich schon einmal (Whatsapp), von mehreren Personen aus mehreren Chaträumen die gleiche Nachricht .

    1. Diese unmoderierten Riesenplattformen sind aber auch das Uninteressanteste und gleichzeitig gefährlichste am Internet, noch vor „Süberangriffen“, gleich nach der nicht sehr intelligenzbehafteten Regelungswut seitens der gerne Kontrollierenden.

  3. Persönlich bin ich der im Kommentar dargestellten Meinung. In der Sache letztlich sogar ohne Einschränkung.

    Dennoch finde ich, einige Dinge „stimmen“ so nur bedingt. So ist zum Beispiel der Begriff „Massenüberwachung“ fraglich. Ich habe kein Facebook, gehe nicht auf Twitter, verweigere ein Smartphone, verwende Tor wo es Sinn macht, habe kein „modernes“ Auto. Natürlich stecke ich dennoch in unzähligen Datenbanken. Da mache ich mir keine Illusion. Doch ein Teil der „politischen“ Überwachung, auch etwa durch Geheimdienste, fällt weg.

    Unter „Massenüberwachung“ würde ich eine systematische Methode sehen, Bevölkerung zu steuern. Diktaturen tun, sowas um Opposition zu verhindern. Hier geht es aber „nur“ um die Einhaltung von Gesetzen und ja, meiner Meinung nach sicher auf eine Art, die unverhältnismäßig ist.

    Facebook sind nicht so wichtig, bei einer Realname-Pflicht von „Massenüberwachung“ zu sprechen. Ich halte die Realname-Pflicht vielmehr für eine populistische „Maßnahme“, die wissenschaftlich betrachtet wenig Sinn macht, aber „massenwirksam“ ist (Begründung zu lang, aber möglich!).

    Ein weiterer Punkt ist Zensur. Auch wenn ich konsequent jedes Gedanken- und Worteverbot ablehne: Das ist Beides nicht zwingend Zensur. Eine Realname-Pflicht ist höchstens ein Mittel Selbstzensur zu provozieren. Zugegeben, das ist schlimm genug.

    Das Problem mit Begriffen wie „Massenüberwachung“ und „Zensur“ ist: unterschiedliche Verwendung verhindert Dialog und provoziert Missverständnisse. Dialog ist aber in einer Demokratie unerläßlich. Das gilt selbst dann, wenn man der Meinung wäre, sie hätte bereits Schaden genommen.

    TL;DR: Unmissverständliche Wortwahl ist unerläßlich, wenn wir in der Netzdebatte weiter kommen wollen. Das gilt auch, wenn wir inhaltlich und logisch meiner Meinung nach vollkommen Recht haben.

    Ansonsten: Vielen Dank für diese (IMHO korrekte) Meinungsäußerung.

    1. Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich den Begriff Massenüberwachung nehmen soll. Ich habe mich dafür entschieden. Einerseits ist die Anzahl derer, die nicht bei Facebook sind gesamtgesellschaftlich nicht so hoch. Und Redaktion und Leser:innenschaft von netzpolitik.org sind hier bestimmt nicht im gesellschaftlichen Mittel :)

      Auf der anderen Seite ist ja auch unklar, ab welcher Grenze von Nutzer:innen so ein Identifizierungszwang gelten würde. Bei der fortwährenden Tendenz der Ausweitung von Überwachung, kann das eben auch schnell andere Plattformen als Facebook usw. betreffen. Es würde die Räume, in denen wirklich anonyme oder auch nur wirklich pseudonyme Kommunikation möglich ist, deutlich einschränken – und eben den Großteil alle Bürger:innen im Netz dauerhaft identifizierbar machen. In sofern ist es in meinen Augen Massenüberwachung.

      1. Der wesentliche Treiber der Regelungswut ist auch die Kontrolle der Masse. Erst einmal wertfrei gedacht, dort eingreifen zu können, wo besonders viel los ist.

        Die Richtung der Gesetzgebung in EU und DEU ist da eindeutig. Das wird, sofern hinter Logins ausgewichen wird, auch nicht beim öffentlichen Internet halt machen.

        Im Moment sehe ich da keinen Anlass für Entspannung, nur weil ab und zu u.a. etwas vernünftiges beschlossen wird.

  4. Ich hätte gern eine Liste mit den Namen, Geburtsdaten, Telefonnummern, Adressen und sämtlicher elektronischer Kommunikation sämtlicher Politiker und Lobbyistinnen, die sich für einen Identifizierungszwang aussprechen. Sollen die werten Damen, Herren und Sonstige doch erst mal mit gutem Beispiel vorangehen und das vorleben was sie für Andere fordern. Was soll schon schief gehen, wenn diese Informationen in die Hände politischer Gegner kommen.

  5. Bedenklich finde ich es bei den Diskussionen über „Hass im Internet“ auch, dass manche Politiker inzwischen jegliche Widerrede bereits als „Hass“ titulieren – und mit solchen Gesetzen wohl in Zukunft gegen ungenehme Meinungen vorgehen wollen. (Erinnern wir uns zum Beispiel einfach an die Anzeige des Ministers Seehofer gegen taz-Journalist:Innen)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.