Digitale-Märkte-GesetzRat der EU stellt sich Tech-Konzernen in den Weg

Das Digitale-Märkte-Gesetz rückt näher. Wir veröffentlichen Dokumente, die zeigen: Einzelne Staaten haben im Rat der EU kräftig für die Tech-Konzerne lobbyiert – vergeblich.

GAFAM-Lobbymacht in Brüssel
Der Rat der EU-Staaten (verschwommen links) arbeitet an Regeln für die Digitalkonzerne. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Patrick C. Freyer, Bearbeitung netzpolitik.org

Es ist ein entschiedener Schritt gegen die Lobbymacht der Konzerne: Hinter verschlossenen Türen in Brüssel haben sich die EU-Staaten auf einen gemeinsamen Vorschlag für das Digitale-Märkte-Gesetz geeinigt. Nach rund zehn Monaten Verhandlungen stößt ein Kompromisstext der slowenischen Ratspräsidentschaft auf „große Zustimmung“ der Mitgliedsstaaten, heißt es in Verhandlungsdokumenten. Versuche kleinerer EU-Staaten, den Ratsvorschlag entscheidend zu schwächen, wies eine Mehrheit der Staaten dabei deutlich zurück.

Der Rat der EU-Staaten, der in der Vergangenheit immer wieder digitalpolitische Vorhaben blockiert oder verwässert hat, zeigt sich nun entschlossen – er will seine Position in den kommenden zwei Wochen beschließen. Eine Sprecherin der slowenischen Ratspräsidentschaft bestätigte das auf Anfrage, derzeit würden noch letzte „offene Fragen“ geklärt. Auch im EU-Parlament rückt eine Einigung näher. Damit könnte das Feilschen von Parlament, Rat und Kommission um einen endgültigen Gesetzestext für die Verordnung noch vor Jahresende beginnen.

Es ist ein Gesetzesvorschlag, der teuer werden kann für Digitalkonzerne wie Google, Amazon und Apple. Gemeinsam mit seinem Schwestervorschlag, dem Digitale-Dienste-Gesetz, schafft das Digitale-Märkte-Gesetz Verpflichtungen für Plattformen mit mehr als 45 Millionen Endnutzer:innen oder 10.000 Geschäftskund:innen in Europa. Der Vorschlag aus Brüssel soll unfairen Marktpraktiken entgegenwirken. Wenn sie die Regeln verletzen, drohen den Plattformen Strafen von bis zu zehn Prozent ihres globalen Jahresumsatzes. Bei Apple wären das nach Vorjahreszahlen rund 27,5 Milliarden US-Dollar.

Keine aufgezwungene Software von Google und Apple

Der Ratsentwurf sieht insgesamt 20 Verpflichtungen für Plattformen vor. Eine davon würde die weltgrößte Einzelhandelsplattform Amazon betroffen. Amazon dürfte eigene Produkte nicht mehr gegenüber denen anderer Anbieter:innen bevorzugen. Zugleich soll es Verkäufer:innen auf Amazon oder auch Hotelbetreiber:innen, die bei booking.com inserieren, künftig frei stehen, ihre Produkte und Dienstleistungen anderswo und zu anderen Preisen anzubieten. So könnten sie die teuren Provisionen der Plattformen von bis zu 30 Prozent der Verkaufspreise umgehen oder deren Senkung durchsetzen.

Ein weitere Bestimmung zielt darauf ab, das Duopol von Google und Apple im Bereich mobiler Betriebssysteme zu schwächen. Die Konzerne hinter Android und iOS können App-Anbieter:innen und Nutzer:innen ihre Dienste aufzwingen und sich dafür mit Daten oder hohen Gebühren bezahlen lassen. Der App-Store von Apple würde dann auch solchen Hersteller:innen offenstehen, die ihre Verkäufe nicht über Apple Pay abrechnen. Die damit verbundenen umstrittenen Tributzahlungen an den Konzern, gegen die auch der Spielehersteller Epic Games („Fortnite“) prozessiert, würden dann entfallen.

Zudem soll es Nutzer:innen möglich sein, vorinstallierte Apps zu löschen und andere Dienste zu nutzen, die keine Daten abschöpfen. Zumindest in Teilen soll das Gesetz auch zurückbringen, was früher einmal der Kern des Internets war: Die Nutzer:innen sollen zwischen den Anwendungen verschiedener Hersteller:innen auf denselben Plattformen wählen dürfen.

Diese Interoperabilität soll zwar laut Entwürfen von Rat und Kommission nur für „Nebendienstleistungen“ wie Zahldienste und Identitätsprüfung gelten. Gäbe es eine solche Verpflichtung aber auch für Kerndienste wie WhatsApp, könnten etwa dessen Nutzer:innen auch mit anderen Messengern wie etwa Signal Nachrichten austauschen. Dies wäre eine klare Schwächung der Monopolpraktiken der Großen.

Irland und Luxemburg wollten das Gesetz verwässern

Der Kompromissvorschlag der EU-Staaten (PDF), den netzpolitik.org und Investigate Europe veröffentlichen, enthält aus Sicht deutscher Regierungsvertreter:innen „deutliche Verbesserungen“ gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesvorschlags der Kommission vom vergangenen November. Auf große Änderungen verzichtet der Rat weitgehend – und das, obwohl es hinter verschlossenen Türen massive Begehrlichkeiten gab.

In den geheimen Verhandlungen im Rat waren es vor allem Luxemburg und Irland, die den Text an zahlreichen Stellen abschwächen und verwässern wollten. Das zeigen uns vorliegende Sitzungsprotokolle, die wir aus Quellenschutzgründen nicht im Volltext veröffentlichen können. Pikant sind die Störmanöver deshalb, weil fast alle großen US-Digitalkonzerne ihren Europasitz in Irland (Google, Facebook, Apple) oder Luxemburg (Amazon) haben und die beiden Staaten als ihre engsten Verbündeten in der EU gelten.

Ein Beispiel für einen solchen Verwässerungsversuch wird in der Debatte um Artikel 16 des Gesetzesvorschlags sichtbar. Eigentlich handelt es sich bei Artikel 16 um eine sehr mächtige Waffe der EU. In einem Verhandlungsdokumente haben ihn Kommissionsangehörige als „Atombombe“ bezeichnet. Der Artikel erlaubt der Kommission Marktuntersuchungen bei „systemischer Nichteinhaltung“ des Gesetzes – also in Fällen, in denen eine mächtige Plattform jahrelang und immer wieder gegen europäische Gesetze verstößt. In diesen Fällen sollen „strukturelle Maßnahmen“ möglich sein, die bis hin zur Zerschlagung eines Konzerns gehen – das wohl schärfste Mittel der EU-Politik gegen die Digitalkonzerne.

Im Rat forderten Deutschland, Frankreich und die Niederlande mehr Mitsprache, wann die Kommission solche Marktuntersuchungen startet. Der Rat schlägt daher vor, dass ein einzelner Mitgliedsstaat die Kommission auffordern kann, eine Untersuchung nach Artikel 16 zumindest zu prüfen. Das wurde von einigen Staaten jedoch entschieden bekämpft: Irland warnte vor politischer Einflussnahme, Luxemburg sprach von einem „unverhältnismäßigen“ Schritt. Die Mehrheit ließ sich davon aber nicht beeindrucken.

Luxemburg drängte auf Formulierungen, die Amazon nützen

An wie vielen Stellen Luxemburg und Irland auf schwächere Formulierungen und geminderte Durchgriffsrechte der EU drängten, zeigen konkrete Textvorschläge der Staaten, die wir ebenfalls veröffentlichen (PDF). Deutlich wird dies etwa an Artikel 9, der Gründe beschreibt, warum Gatekeeper – also dominante Plattformen wie Google, an denen in der digitalen Welt wenig vorbeiführt – von Verpflichtungen ausgenommen werden. Die Kommission sieht als solche Gründe öffentliche Sittlichkeit, Gesundheit und Sicherheit vor.

Irland wollte weitere Gründe hinzufügen,etwa Datensicherheit, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und die Einhaltung anderer EU-Gesetze. Dahinter steckt ein juristisches Manöver, das zukünftigen Behörden viel Spielraum ließe, die Zügel für große Plattformen zu lockern. Der irische Vorschlag ähnelt der Argumentation der Lobbyverbandes DigitalEurope, in dem die großen Konzerne zahlende Mitglieder sind, und der mit Verweis auf die „Cybersicherheit“ vor neuen Verpflichtungen für Gatekeeper-Plattformen warnt.

An einer andere Stelle wird der Einsatz der Staaten für die eigenen Interessen noch deutlicher. Luxemburg hat gemeinsam mit Finnland, Litauen und der Slowakei darauf gedrängt, Cloud-Dienste von der Liste zentraler Plattformdienste zu streichen, die besonderen Auflagen unterliegen. Genau diese Forderung erheben die Staaten bei einer Sitzung der Ratsarbeitsgruppe Wettbewerb Mitte September. Eigennützig ist das insbesondere für Luxemburg, da mit Amazon dort einer der weltweit größten Cloudanbieter seinen Europasitz hat. Macht sich Luxemburg hier mit Amazons Interessen gemein?

Plattformen zahlen Millionen für Lobbyarbeit

An den Einwänden aus Irland und Luxemburg lässt sich die Lobbymacht der Digitalkonzerne in Europa ermessen. Ihr europaweit gespanntes Netzwerk von Verbänden, Thinktanks und Vertretungen lassen sich die zehn größten von Google bis Booking.com 32 Millionen Euro jährlich kosten, ermittelten die Organisationen Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory. Dass im Rat insbesondere Irland das Einfallstor für die Interessen der großen Digitalkonzerne ist, stellte bereits 2019 ein Bericht von Transparency International fest.

Die enge Band wird auch bei Steuern und Datenschutzfragen deutlich: Irland gewährte großen Konzernen lange spezielle Steuerdeals, Apple musste darum zuweilen nur 0,005 Prozent Körperschaftssteuer auf seine europäischen Einnahmen zahlen. Durch komplizierte Rechtskonstrukte zahlte Amazon in Luxemburg im Vorjahr sogar gar keine Körperschaftssteuern. Zugleich zögern die Datenschutzbehörden in beiden Ländern Beschwerdeverfahren gegen die Konzerne immer weiter hinaus, sehr zum Unmut ihrer europäischen Partnerbehörden.

In den Verhandlungen um das Digitale-Märkte-Gesetz können sich die Konzernversteher aus Irland und Luxemburg allerdings kaum durchsetzen. So gut wie keiner der Textvorschläge der beiden Staaten landet im vorliegenden Entwurf.

Gänzlich gelungen ist der Ratsvorschlag aus zivilgesellschaftlicher Sicht dennoch nicht. „Wir sollten nicht damit zufrieden sein, dass der Rat die Kommissionsvorschläge nicht abschwächt“, sagt Agustin Reyna vom Verbraucherverband BEUC. Er sehe in dem Entwurf eine verpasste Chance. Reyna verweist etwa auf eine Bestimmung in Artikel 6, die Plattformen zu Öffnung ihrer Dienste zwingen könnte.

Die Verpflichtung zur Interoperabilität sehe der vorliegende Text nur für Nebendienste vor, etwa Bezahlfunktionen in Apps, nicht aber für zentrale Dienste wie soziale Netzwerke. Dabei halten einige Stimmen aus der Technologiewelt eine solche Öffnungsverpflichung für ein wesentliches Werkzeug, um kleinere Diensten eine Chance gegen Riesen wie Facebook zu geben.

Einige Vertreter:innen dieser kleinen Dienste wie Signal-Gründer Moxie Marlinspike äußern sich hingegen skeptisch. Sie sehen darin ein mögliches Innovationshemmnis, da ein offener Standard sich schwerer weiterentwickeln lasse. Das zeige etwa E-Mail, bei dem es den vergangenen Jahrzehnten kaum Verbesserungen gebe.

Kein Turbo für Deutschland und Frankreich

Einen Wermutstropfen hat die nun erreichte Ratsposition auch aus Sicht von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Das Trio hatte in einem gemeinsamen Vorstoß versucht, den Spielraum nationaler Wettbewerbsbehörden im Digitale-Dienste-Gesetz zu vergrößern. Diese sollten die Möglichkeit erhalten, selbst Verfahren durchzuführen und eigenständig Verpflichtungen zu vollstrecken. Das sollte für eine „optimale Verteilung der Arbeitslast“ zwischen EU und nationalen Behörden sorgen – eine Art Turbo der großen Staaten für die oft langsamen Mühlen der EU-Kommission.

Doch der Vorstoß stieß nur bedingt auf Gegenliebe. Eine eigene Durchsetzungsbefugnis für nationale Behörden gibt es im vorliegenden Entwurf nicht. Allerdings konnten die deutsch-französische-niederländische Allianz immerhin durchsetzen, dass nationale Behörden selbst Untersuchungen durchführen und ihre Ergebnisse der Kommission übermitteln dürfen.

Ebenfalls gescheitert sind Deutschland, Frankreich und die Niederlande mit ihrem Vorschlag, die Wirkung des Digitale-Märkte-Gesetzes auf eine kleinere Gruppe von Firmen einzuschränken. Dadurch hätten etwa die Niederlande verhindern können, dass die Bestimmungen für das in Amsterdam angesiedelte Booking.com gelten. Eine solche Verengung der Gatekeeper-Definition wünscht sich auch der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab, der Hauptverhandler des Europäischen Parlaments für das Gesetz. Doch im Rat konnte sich das Trio damit nicht durchsetzen. Die Grenzwerte im entsprechenden Artikel bleiben im Entwurf der EU-Staaten gleich zum ursprünglichen Kommissionsentwurf.

Das EU-Parlament will noch mehr

Der Textentwurf des Rates muss sich nun an dem des Parlaments messen lassen. Dort wird noch intensiv über die eigene Position verhandelt. Laut Verhandlungskreisen könnte aber auch dort in den kommenden Wochen eine Einigung bevorstehen. Bisher durchgesickerte Informationen legen nahe, dass der Parlamentsentwurf weitaus ambitionierter ausfallen könnte als der des Rates.

Verhandler wie der tschechische Piratenabgeordnete Marcel Kolaja, der in der Fraktion der Grünen sitzt, hoffen etwa darauf, weitaus stärkere Verpflichtung zur Interoperabilität im Gesetzestext zu verankern. Solche Verpflichtungen fordern auch europäische Technologiefirmen wie Yelp, Protonmail, Tutanota und Ecosia in einem offenen Brief. Um das zur Realität zu machen, muss sich das Parlament allerdings mit einer Mehrheit dahinterstellen. Dies werde von Lobbyisten der großen Tech-Konzerne weiter vehement bekämpft, klagt Kolaja.

Ähnlich argumentiert auch der Ko-Fraktionschef der Linksfraktion, Martin Schirdewan, der ebenfalls vollständige Interoperabilität fordert. Die Entwürfe von Kommission und Rat seien ungenügend. „Mit diesen Vorschlägen wird die Macht der digitalen Giganten nicht ausreichend reguliert.“

Die Abgeordnete Evelyn Gebhardt, die das Gesetz für die sozialdemokratische Fraktion verhandelt, fordert außerdem, dass auch das Kerngeschäft von Google und Facebook künftig Auflagen unterliegen soll: die personalisierte Werbung. Hinter personalisierter Werbung steckt nicht weniger als eine Infrastruktur, um die Interessen von Menschen systematisch zu erfassen und zu Geld zu machen. „Wir müssen mindestens als zusätzliche Auflage in das Gesetz schreiben, dass die Nutzer frei entscheiden können, ob sie das wollen oder nicht“, fordert Gebhardt und findet dafür Unterstützung auch in den anderen Fraktionen.

Das Ringen um das Digitale-Märkte-Gesetz bleibt spannend.

0 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.