Deplatforming von QuerdenkenMassenlöschungen sind kein Grund zum Jubeln

Facebook hat in einer Massenlöschung 150 Kanäle und Seiten der Querdenken-Bewegung entfernt. Der Konzern begründet das mit einer „koordinierten Schädigung der Gesellschaft“ durch das Netzwerk. Doch das Vorgehen von Facebook wirft zahlreiche Fragen auf. Ein Kommentar.

Cowboy
Facebook bei der Entscheidung, was gesellschaftlich schadet. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Carlo Borella

Keine Frage: Querdenken ist demokratiefeindlich, in Teilen rechtsradikal und antisemitisch, in jedem Fall aber auch ärgerlich, nervtötend und esoterisch-verblendet. Querdenken ist in seiner Gegnerschaft zur Bekämpfung der Pandemie eine Herausforderung für die Beendigung ebendieser und mit seinen Verschwörungserzählungen und der Nähe zum Rechtsextremismus eine Herausforderung für die Demokratie.

Dementsprechend begegnen viele Menschen der Meldung, dass Facebook 150 Kanäle der Querdenken-Bewegung gelöscht hat, mit Schulterzucken, Wohlwollen oder gar Jubel. Doch dieser Jubel ist falsch, vielmehr bleibt bei der Aktion mindestens ein ambivalentes Gefühl.

Was Facebook hier mit der Begründung der „koordinierten Schädigung der Gesellschaft“ (coordinated social harm) gelöscht hat, mag in Teilen Inhalte wie Aufrufe zu Gewalt oder zu Gesetzesbrüchen enthalten haben, in der Gesamtheit vermutlich eher Verschwörungserzählungen und ähnliches. Man weiß es nicht, weil es keine Transparenz darüber gibt.

Wem die Grund- und Freiheitsrechte wichtig sind, dem stellt es die Nackenhaare auf, wenn ein monopolistisches Unternehmen, das privat mehrere der größten Öffentlichkeiten der Welt kontrolliert, mit Wisch-Waschi-Begründungen aus der Facebook-Blackbox großen Teilen einer politischen Bewegung – so beschissen man diese auch finden mag – den Saft abdreht.

Gefahr für soziale Bewegungen

Es hat nichts mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu tun, wenn ein marktdominantes Unternehmen nach seinen Regeln irgendwelchen gesellschaftlichen Gruppen einseitig die Öffentlichkeit entzieht. Hier fehlt die Transparenz. Mit den Querdenkern hat sich Facebook ein Versuchskaninchen ausgesucht, das unbeliebt ist und heute kaum mehr Verteidigung bekommt. Querdenken ist marginalisiert und als Bewegung am Ende. Facebook hat zur Blütezeit der Bewegung von dieser monetär profitiert und sie lange agieren lassen. Jetzt probiert das Unternehmen aus, wie so eine Massenlöschung ankommt – und suggeriert gleichzeitig vor der Bundestagswahl, es würde irgendwie verantwortungsvoll handeln.

Was diejenigen vergessen, die sich über die Löschung von Querdenken gefreut haben: Die nun ausprobierte neue Form der Massenlöschung ist eine Gefahr für soziale Bewegungen. Insbesondere für solche, die auch zivilen Ungehorsam anwenden. Diese demokratisch etablierte Protestform setzt auf Regelverletzungen und angekündigte und begrenzte Gesetzesbrüche. Dazu gehören Blockaden von Werksgeländen, Besetzungen von Wäldern wie im Hambacher Forst oder das unbefugte Betreten von Braunkohle-Tagebauen wie bei den Klimaprotesten von Ende Gelände. Die Regierung in NRW hat nicht erst einmal diese Protestformen in die Nähe von Gewalt und Terrorismus gerückt.

Wer definiert, was schädlich ist?

Wir wissen nicht, wie Facebook eine „koordinierte Schädigung der Gesellschaft“ genau definiert. Wie können wir garantieren, dass Facebook nicht auch politische Gruppen und Bewegungen löscht, die sich in Gegnerschaft zu Facebook selbst befinden? Warum sollten wir diesem Big Player des Überwachungskapitalismus trauen, dass er nicht auch Gruppen, die das Geschäftsmodell von Facebook oder den Kapitalismus kritisieren, als schädigend wahrnimmt?

Wo sind die Grenzen und wer kontrolliert Facebook dabei? Was ein „Schaden für die Gesellschaft“ ist, ist meistens Ansichtssache. Löscht Facebook in Zukunft die Netzwerke von Nawalny, weil Putin sie für schädlich hält? Oder die Opposition in Ungarn, weil Orban diese als schädlich einstuft? Ist die Schädlichkeit an demokratische Maßstäbe geknüpft oder an das, was der jeweiligen Regierung eines Landes passt?

Wir brauchen klare Regeln für Unternehmen wie Facebook und Möglichkeiten, sich gegen Löschungen zur Wehr zu setzen. Das Digitale-Dienste-Gesetzespaket auf EU-Ebene kann und muss dafür Antworten finden, wie die marktdominanten Plattformen demokratisiert werden und Rechtsstaatlichkeit auch auf ihren privatisierten Öffentlichkeiten gewährleistet werden kann.

Denn die bisherige intransparente Willkür und Wildwest-Mentalität der großen Plattformen sind auf ihre Art auch eine „Schädigung der Gesellschaft“.

12 Ergänzungen

  1. Das Thema umfasst zwei Probleme. Zuerst das angesprochene: Solange es einen selbst nicht betrifft, interessiert es die wenigsten. Betrifft es sogar den politischen Gegner, finden viele das sogar gut. Und wenn man dann selbst gelöscht wird, ist es meist zu spät.

    Ein zweites Problem ist die Tatsache, dass man Facebook durch seine Daten zwar unterstützt, man selbst aber keinerlei Rechte hat. Gerichtsurteile gibt es zwar, aber die scheinen Facebook nicht zu interessieren. Wenn man die Leute fragt, warum sie trotz dieser völlig willkürlichen Politik bei Facebook bleibt, heißt es fast immer: „Nur dort hab ich die Reichweite“. Wenn man dann gesperrt wird und die Reichweite ist bei 0, ist das Heulen und Zähneklappern groß. Und n8icht jeder kann sich Spitzenanwälte leisten die 500 Euro oder mehr pro Stunde nehmen.

    Man darf auch nicht vergessen, dass Facebook deshalb so agiert, weil es das NetzDG gibt.

    Man kann jedem nur raten, Backups auf anderen Netzwerken aufzubauen, damit man im Falle eines Falles nicht mit nichts dasteht, wenn man schon weiter Facebook nutzen will.

  2. „Wer definiert, was schädlich ist?“

    Das Gesetz ist doch schon (fast) schneller. D.h. der kleinste verblödbare Nenner irgendwelcher extremistischer Spinner, die es in einem Europäischen Land an die Spitze schaffen.

  3. Facebook ist als Unternehmen leider nicht dafür bekannt besonders an den Rechten von Minderheiten aufgrund der vermeintlichen Herkunft, sexuellen Orientierung und/oder Behinderung interressiert zu sein. Das merkt Mensch daran das Hasskomentare die eindeutig diskriminierend sind, zur Gewalt und ähnlichews aufrufen usw. häufig als „verstößt nicht gegen die Gemeinschaftstandards“ gesehen werden während die meist Fakten basierte oder lediglich sarkastische Gegenrede schneller mit einer willkürlichen Sperrung geahndet wird. Was bei Querdenker*innen anfängt geht möglicherweise bei Antifa, Demonstrationsaufrufen gegen soziale Ungerechtigkeit oder für Umweltschutz, weiter da es Streithemen sind. Auch Gruppierungen wie FFF oder Extinction Rebellion oder BLM könnten zukünftig von Massensperrungen betroffen sein weil sie als „koordinierte Schädigung der Gesellschaft“ eingordnet werden könnten und Interressen bestimmter Unternehmen damit in gewisser Weise „geschadet“ werden kann. Ich bin abbsolut kein Fan von Querdenken und co. aber sperren sollte man nur definitve Aufrufe zu schweren Straftaten oder Volksverhetzung. Blödsinn labern an sich ist nun mal einfach KEIN Verbrechen! Die bisherige Lösung mit der Markierung als Falschmeldung reicht meist aus um Menschen vorzuwarnen.

  4. „Keine Frage: Querdenken ist demokratiefeindlich, in Teilen rechtsradikal und antisemitisch, in jedem Fall aber auch ärgerlich, nervtötend und esoterisch-verblendet.“

    Bei Querdenken finden sich Menschen mit demokratiefeindlichen, rechtsradikalen und antisemitischen mehr oder weniger starken Tendenzen in größerer Zahl als bei anderen Gruppierungen.

    Was unterscheidet den prototypischen Querdenker vom NPD-Mitglied? Wo ist der Shitstorm und die Massensperrung von NPD-Kanälen durch Facebook, offenbar hat sowohl der Bundes- wie auch jeder Landesverband einen eigenen Kanal? Wieso bekommt „die Basis“ derart Gegenwind, die NPD aber praktisch keinen?

    Darf ich die CDU eine „demokratiefeindliche“, in Teilen rechtsradikale und antisemitische“ Partei nennen, und mich nicht nur an Maaßen orientieren? Ist „ärgerlich, nervtötend und esoterisch-verblendet“ nun ein Zensurgrund?

    Die Gesellschaft lässt sich durch interessierte Kreise auf Diskussionen ein, die in Schlussfolgerungen enden, die den sozialen Zusammenhalt stören und letztlich zerstören.

    Wie Herr Niedermeier oben schon richtig sagt – „Und wenn man dann selbst gelöscht wird, ist es meist zu spät.“ Sinngemäß ein bereits alter „Spruch“ – „Als sie den Kommunisten in der Wohnung neben mir abgeholt haben, schwieg ich. Als sie den Sozialdemokraten neben mir abgeholt haben, schwieg ich. Als sie den Anarchisten neben mir abgeholt haben, schwieg ich. Als sie mich abgeholt haben, war keiner mehr da, um mich zu verteidigen.“

  5. Solange wir der Privatisierung des Rechts mit Häme zuschauen, weil es ja „Andere“ betrifft, solange werden wir mit dem schleichenden Entzug von Grundrechten bestraft.

  6. Das Problem ist prinzipieller Natur. Es liegt im Geschäftsprinzip der asozialen Netzwerke begründet.
    Die Aufmerksamkeitsökonomie lebt letztlich von reißerischen Beiträgen, mit denen die Besucher:innen möglichst lange auf der Plattform gehalten werden. Aber „zu“ reißerisch darf es dann doch nicht werden; irgendwann werden Gesetze verletzt (z.B. bei Aufrufen zu Gewalt). Dazwischen gibt es eine riesige Grauzone, in der es sich Herr Z. und die anderen Geier bequem gemacht haben und massig Geld scheffeln.
    Wer soll in dieser Grauzone entscheiden, was zulässig ist und was nicht? Wollen wir gewinnorientierten US-Firmen die Zensur anvertrauen? Wollen wir jedes mal einen Gerichtsentscheid herbeiführen? Das ist weder sinnvoll noch praktikabel.
    Was bleibt?
    Die asozialen Netzwerke, die mit Verfolgung und Werbung Geld verdienen, gehören VERBOTEN.

  7. Fakebook ist in privater Hand und kein öffentlich-rechtliches Unternehmen. Insofern muss man diesem asozialen Hetzwerk auch zugestehen, sein Hausrecht wahrzunehmen. Wenn man als Kneiper feststellt, dass man sich die falschen Gäste eingeladen hat, dann darf man die Leute auch wieder nach Hause schicken. Unsere Gesellschaft hat ja niemand in diese kommunikative Abhängigkeit gezwungen.

  8. Facebook / Insta / Whatsapp gehören aufgrund ihrer Größe schon lange enteignet. Denn sie stellen nichts Geringeres als öffentliche Infrastruktur in großem Stil, missbrauchen diese gleichzeitig, um die Menschen zu manipulieren und abzuzocken. Dabei nutzt der Konzern jeden erdenmlichen, dreisten Trick inkl. offenem Missbrauch der Marktmacht, um sich einer ordentlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen. Er ist deshalb asap in die öffentliche Hand zu überführen.

    Kapitalismus kann naturgemäß niemals demokratisch sein, weshalb ja auch die Kombination mit unserem angeblich demokratischen Systems nur eine Scheindemokratie ergibt. Nur mittels massiver Propaganda kann diese Illusion von Demokratie aufrecht erhalten werden. Bzgl. Facebook ist dieser Widerspruch dermaßen auf die Spitze getrieben, dass es aber trotzdem sogar fast jedem:jeder auffällt. In unserem System tatsächlich Herrschende wie fb haben selbstverständlich keinerlei Legitimation für derartige Löschaktionen, auch wenn diese in der Sache richtig war: Dass die ganzen massenmordenden Quervollpfosten 1. überhaupt entstehen / wirkmächtig werden konnten und 2. sich nicht längst allesamt wegen Selbst- und Fremdgefährdung in dauerhafter Sicherungsverwahrung mit Therapie- und Deprogrammierungsangeboten befinden, haben wir auch der kapitalistischen Systemlogik zu verdanken. Zum Einhaltgebieten solcher Abartigkeiten braucht es wie richtig ausgeführt aber eben tatsächlich demokratisch legitimierte Instanzen und keinen profitorientierten Konzern. Nur: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

  9. Selbst wenn Querdenker schädlich wären – gibt es dafür Belege? – stellt sich erstens die Frage, ob sie nicht trotzdem das vom Grundgesetz garantierte Recht auf Meinungsfreiheit haben. Dann fragt man sich, ob der Regierungskurs, bei Corona ausschließlich auf Zwang und Verbote zu setzen, der einzig mögliche und der beste ist.

    Zumal bislang kein Gericht der Welt die Querdenker verboten hat! Wenn es Beweise gibt: Auf den Tisch damit, und vor den Richter. Damit der entscheidet, ob die Beweise ausreichen, um Grundrechte von Kritikern der Coronamassnahmen ein zu schränken.

    Was Antisemiten und Rechtsextreme angeht, offenbart sich das Versagen von Regierung und Facebook vollständig. Wenn die Regierung der Meinung ist, dass illegale – und das sollte die erste Frage sein, wenn es um Zensur geht – wenn also die Regierung der Meinung ist, dass illegale Bewegungen die Querdenker unterwandern: Dann ist es die verdammte Pflicht der Regierung, die illegalen Gruppen unter Kontrolle zu bringen.

    Statt auf die Querdenker ein zu prügeln, weil die – schämt euch für die Formulierung, Netzpolitik.org – „in Teilen rechtsextrem oder antisemitisch“ unterwandert sein sollen. Angeblich.

    Eine Meinung oder eine Bewegung wird nicht allein dadurch illegal, weil sie Beifall aus der falschen Ecke bekommt!

    Die Schmierkampagne der Regierung gegen Regierungs-/Coronamassnahmenkritiker begann vor gut einem Jahr, als Horst Seehofer und Co – entgegen der Stellungnahmen seiner eigenen Verfassungsschützer – dreist behauptete, die Demonstrationen gegen die Coronamassnahmen seien „von Rechtsextremen unterwandert und organisiert“. Er hat viele Monate gebraucht, um seinen Sicherheitsapparat auf Linie zu bringen.

    Was nichts daran ändert, dass jeder das Recht hat, Coronamassnahmen und Impfungen in Frage zu stellen.

    Auch wenn das absolut nicht meine Meinung ist, halte ich es für absolut legitim und finde, dass ein demokratischer Staat andere Wege finden muss, mit unbequemen Meinungen um zu gehen, als sie einfach aus zu blenden.

    1. Das mit „in Teilen rechtsextrem oder antisemitisch“ ist natürlich richtig. Es sind oftmals antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet worden und gleichzeitig tauchten immer wieder den Holocaust verharmlosende Vergleiche (Armbinden mit „Ungeimpft“ usw.) auf. Dazu kommt, dass die Querdenker-Bewegung kein Problem hatte, mit Nazis zusammen zu marschieren und sich nie davon effektiv distanziert hat. Da gibt es genügend Belege und das hat auch nichts mit Beifall von der falschen Seite zu tun, es gab hier ideologische und personelle Überschneidungen in dieser Bewegung und auf ihren Protesten. Ich kann Leute nicht ernst nehmen, die das politisch nicht sehen (wollen), dass es diese Nähe gab und gibt.

      Ganz unabhängig davon, wie ich die Facebook-Löschaktion bewerte.

  10. Ich verstehe das Ganze irgendwie nicht. Sowohl in den USA, Deutschland, Schweiz, Österreich sind freie Meinungsäusserung und Zensurverbot in der Verfassung verankert.
    Wie kann es sein, dass soetwas durchgeht? Müsste da nicht der Staat schon per Definition eingreifen? – Ach ja, das ist ja der Staat, welcher die selbst mundtot machen möchte….

    Irgendwie kommt mir da das Gedicht von Martin Niemöller in den Sinn.
    Und es läuft auf den letzten Satz hinaus:
    … Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

    1. Ganz so einfach ist es ja nicht. Facebook ist erstens privat und handelt hier zweitens nicht auf direkte Weisung des Staates, weswegen es streng genommen keine klassische Zensur ist. Dennoch hat Facebook die Kontrolle über so große und wichtige Öffentlichkeiten, dass man auch nicht mehr argumentieren kann, dass es doch einfach eine private Entscheidung sei.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.