BGH-UrteilNutzer:innen haben ein Recht auf Widerspruch, wenn Facebook löscht und sperrt

Der Bundesgerichtshof hat die Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken gestärkt. Facebook darf zwar strengere Regeln aufstellen als der Staat, muss aber in Zukunft Moderationsentscheidungen begründen und den Nutzer:innen das Recht geben, sich zum Fall zu äußern.

Symbolbild CC-BY-SA 4.0 netzpolitik.org

Der Bundesgerichtshof hat die Geschäftsbedingungen von Facebook für die Löschung von Nutzerbeiträgen und Kontensperrungen für unwirksam erklärt, weil die Nutzer:innen nicht nachträglich über die Löschung von Beiträgen und nicht vorab über die Sperrung ihrer Accounts informiert werden. Dabei müsse Facebook den Nutzer:innen sowohl den Grund mitteilen sowie ihnen die Möglichkeit geben, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, um gegebenenfalls eine neue Entscheidung zu treffen.

Die unter den unwirksamen Geschäftsbedingungen entstandenen Löschungen müssen wiederhergestellt werden und der Nutzer darf nicht dafür bestraft werden, wenn er den vormals gelöschten Beitrag wieder einstellt. Das geht aus dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil (III ZR 179/20 und III ZR 192/20) hervor. 

Bei den vor Gericht verhandelten Fälle hatten sich die Kläger:innen in deutlich rassistischen Worten pauschal über Migranten ausgelassen. Das Gericht befasste sich jedoch nicht im Detail mit diesen Äußerungen, sondern mit den Geschäftsbedingungen, auf deren Grundlage sie gelöscht wurden.

Im Urteil nahm der BGH dabei eine Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten der Kläger und Facebook vor. Während die einen sich auf ihre Meinungsäußerungsfreiheit berufen können, kann das soziale Netzwerk seine Berufsausübungsfreiheit geltend machen.

Daraus leitete das Gericht zwei grundlegende Dinge ab: Einerseits darf Facebook Regeln aufstellen, die strenger seien als die strafrechtlichen Vorgaben des Staates und bei deren Verletzung Beiträge löschen und Benutzer sperren. Auf der anderen Seite sei Facebook aber verpflichtet, den Grund mitzuteilen und Nutzer:innen die Möglichkeit zur Gegenäußerung zu geben.

Stärkung der Meinungsfreiheit

Für Facebook und andere soziale Netzwerke dürfte das Urteil wegweisend sein, können sie doch nicht einfach in teilweise algorithmischen gefällten Entscheidungen Nachrichten und Nutzer:innen sperren, sondern müssen sich deren Version noch einmal anhören. Dies war eine langjährige Forderung von Verteidiger:innen der Meinungsfreiheit gewesen.

Angesichts vieler Fehlentscheidungen beim Löschen von Inhalten und Sperren von Accounts ist die Entscheidung des Bundesgerichtshof eine deutliche Stärkung der Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken, weil sie den Nutzer:innen erstmals die Möglichkeit gibt, ihre Aussagen in einen Kontext zu setzen und diesen auch gegenüber dem Netzwerk zu erklären.

Was Facebook konkret nach dem Urteil unternimmt und ob es seine Geschäftsbedingungen anpasst, ist noch offen. „Wir werden die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sorgfältig prüfen, um sicherzustellen, dass wir weiterhin effektiv gegen Hassrede in Deutschland vorgehen können“, sagte ein Sprecher laut lto.de. Der Datenkonzern begrüßte, dass er grundsätzlich berechtigt sei, „Inhalte nach eigenen Richtlinien zu entfernen und die betreffenden Nutzerkonten zu sperren.“ 

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